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Krieg in der Ukraine„Wir werden jeden Tag beschossen“

Neue russische Luftangriffe fordern zahlreiche Opfer. Ziele waren ein Supermarkt, der Stadtpark und eine Druckerei. Die Ukraine schießt zurück.

In diesem Baumarkt in Charkiw kauften Menschen Materialien zur Reparatur ihrer Häuser. Jetzt wurden sie auch dort bombardiert Foto: Andrii Marienko/ap

Kyjiw taz | Erneut ist die ostukrainische Metropole Charkiw von russischen Luftangriffen erschüttert worden. Der Supermarkt „Epizentr“, der vor allem Baumaterial verkauft, wurde zum Ziel eines russischen Luftangriffs direkt am Samstagnachmittag zur besten Einkaufszeit. Insgesamt gerieten bei dem Angriff 10.000 Quadratmeter Fläche in Brand, die schwarzen Rauchwolken waren noch in weiter Ferne zu sehen.

Zum Zeitpunkt des Angriffs sollen sich, so Charkiws Bürgemeister Ihor Terechow, 200 Personen im „Epizentr“ aufgehalten haben. „Mit Stand von heute Morgen wurden bei dem russischen Luftangriff auf das Epizentr zwölf Menschen getötet“, berichtete der Bürgermeister am Sonntagmorgen auf seinem Telegram-Kanal. Zehn davon seien immer noch nicht identifiziert. 43 Menschen seien verwundet worden. Am Nachmittag wurde die Zahl der Toten nach oben auf 14 korrigiert.

Beinahe wäre auch die Psy­chiaterin Tatjana Swirina von der Menschenrechtsgruppe Charkiw unter den Opfern gewesen. Sie sei anderthalb Stunden vor dem Einschlag mit ihrer Tochter im Baumarkt gewesen, berichtete sie der taz.

Der Angriff auf das „Epizentr“ war nicht der einzige Angriff auf Charkiw am Samstag. Nur wenige Stunden danach schlug es im bei der Bevölkerung sehr beliebten Stadtpark im Zentrum ein und traf eine Sportanlage.

Die russischen Angriffe werden böser

Zwei Tage zuvor, am Donnerstag, hatte ein Angriff auf die Druckerei „Faktor Druk“ in Charkiw 50.000 Bücher vernichtet. Factor Druk ist eine Großdruckerei für Bücher, Schreibwaren und Prospekte mit mehr als 450 Mitarbeitern, die von der Druckvorstufe über den Druck bis hin zur Weiterverarbeitung alles aus einer Hand liefert.

Die russischen Angriffe würden böser, kommentiert die Charkiwer Journalistin Kseni Necheporenko die jüngsten Angriffe auf ihre Heimatstadt. Die Menschenrechtlerin Tatjana Swirina kommentiert gegenüber der taz kurz und knapp: „Jeden Tag werden wir beschossen“.

Auch aus anderen Teilen der Ukraine wurden am Wochenende Luftangriffe gemeldet. Im südukrainischen Gebiet Cherson seien vierzehn Ortschaften von Russland aus beschossen worden, berichtet der TV-Kanal „Prjami Kanal“. In der Region Lwiw im Westen des Landes wurden ein unterirdischer Gasspeicher und ein Wärmekraftwerk getroffen.

„Wenn die Ukraine über genügend Luftabwehrsysteme und moderne Kampfflugzeuge verfügen würde, wären solche russischen Angriffe schlichtweg unmöglich … Wir brauchen eine deutliche Stärkung der Luftabwehr und ausreichende Fähigkeiten, um russische Terroristen zu vernichten. Wir appellieren jeden Tag an die Welt: Gebt uns Luftabwehr, rettet die Menschen“, kommentierte Präsident Wolodymyr Selenskyj die jüngsten russischen Angriffe auf Charkiw.

Gegenangriffe auf das russische Belgorod

Derweil gibt es auch Angriffe in der Gegenrichtung. Aus dem russischen Belgorod nahe der ukrainischen Grenze bei Charkiw wurde am Wochenende von Luftangriffen berichtet. Vier Menschen seien getötet, 18 weitere, darunter auch Kinder, verletzt worden, berichtet der Gouverneur des Gebietes Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, auf seinem Telegram-Kanal. Bei einem Beschuss des Dorfes Schebekino, so Gladkow, seien in 26 Wohnungen die Fensterscheiben zersplittert, vier Autos zerstört worden.

Auch am Sonntagnachmittag berichtet er von ukrainischen Drohnenangriffen auf mehrere Grenzorte im Gebiet Belgorod. „In Belgorod brennen Reihenhäuser“ kommentiert der ukrainische Telegram-Kanal Charkiw1654 diese Angriffe. „Zwar nur eine Kleinigkeit, aber eine erfreuliche.“

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9 Kommentare

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  • Ukrainische Gegenangriffe auf zivile Einrichtungen in Russland sehe ich sehr kritisch. Die Ukraine sollte sich auf militärische Ziele (z.B. Startfahrzeuge) konzentrieren. Allerdings brauchen sie dann auch geeignete Munition dafür.

    • @Luftfahrer:

      Ich kann da die ukrainische Seite durchaus verstehen. Nehmen wir z.B. Mal die ukrainischen Angriffe auf Energieinfrastruktur - es lässt sich oft nicht klar differenzieren zwischen militärisch und zivil - es ist halt Krieg. Angriffe auf Wohnhäuser etc. finde ich jedoch auch nicht nachvollziehbar und zu verurteilen.

  • Aber zum Glück ist das alles kein Problem, weil Kanzler Scholz den Frieden sichert.



    Achtung, Sarkasmus.

    • @Carsten S.:

      So als wenn das Risiko einer nuklearen Eskalation eine Lösung wäre. Erinnert Sie sich noch an den Prager Frühling 1968? Da gab es von westlicher Seite auch Überlegungen wie man helfen kann. Letztendlich entschied man sich dagegen, weil das Risiko letztendlich zu hoch war, dass es zu einer nuklearen Eskalation kommen würde. Leider wird heutzutage oft Angst mit Rationalität verwechselt.

      • @Alexander Schulz:

        Unser täglich Atombingo gib uns heute.

        Russland betrachtet seit Jahren Krim als russisches Territorium.



        Ebenso seit 2022 die 4 Territorien



        Luhansk



        Donezk



        Saporischschja



        Cherson



        Dies steht sogar so in der russischen Verfassung.

        Warum hat Russland dann noch nicht auf Angriffe auf russische Truppen in diesen "eigenen" Territorien nuklear reagiert?

        Weil das Schwert stumpf ist.



        Die nukleare Drohung ist wertlos.



        Oder sie ist ein Engeständnis dass diese Territorien ukrainisch und nicht russisch sind.

        • @Waagschale:

          "Weil das Schwert stumpf ist.



          Die nukleare Drohung ist wertlos."

          Biden und Co sehen das anders. Stellen Sie sich Mal vor man hätte ernsthaft 1968 ausprobiert, ob sich die UDSSR traut nuklear zu eskalieren? Wofür? Ja, die Tschechen und Slowaken hätten 21 Jahre früher ihre Freiheit bekommen können, jedoch hätte es gut sein können, dass es heute kein menschliche Zivilisation mehr geben würde. Genauso verhält es sich mit der Ukraine - ist nur eine Welt lebenswert in der die Ukraine ihre berechtigen Maximalziele erreicht?

          "Warum hat Russland dann noch nicht auf Angriffe auf russische Truppen in diesen "eigenen" Territorien nuklear reagiert?"

          Russland hat durch die " Eingliederung" die Möglichkeit laut Verfassung diese auch nukear zu "verteidigen".



          Und Putin ist durchaus skrupellos um taktische nuklear Waffen bei einer drohenden Niederlage dort einzusetzen.



          Die Annahme, dass ein Putin weniger skrupellos sein könnte als ein Breschnew 1968 ist etwas naiv - der entscheidende Unterschied zwischen 1968 und heute ist, dass breite Teile der westlichen Gesellschaften keine Angst mehr vor Nuklearwaffen haben bzw leichtsinniger geworden sind.

          • @Alexander Schulz:

            Eine nukleare Drohung, wie sie Herr Putin und Herr Mewedew regelmäßig aussprechen, macht nur Sinn, wenn sie als Reaktion auf eine existenzielle Bedrohung des eigenen Staatsgebiets ausgesprochen wird.

            Also ein Großangriff mit ein paar tausend Panzern auf das Staatsgebiet Russlands durch die USA oder China zum Beispiel.

            Oder im Falle von 1968 wäre die SU vermutlich zerfallen wie dann später Anfang dr 90er. Das war eine ähnliche existenzielle Bedrohung.

            Das ist hier nicht der Fall.



            Das weiß auch jeder.



            Die Ukraine ist keine Gefahr für Russland. Auch das zurückschießen auf russische Artillerie, die von russischem Territorium eine ukrainische Stadt bombardiert ist keine existenzielle Bedrohung.

            Entsprechend ist das regelmäßige drohen wie es hier stattfindet wertlos.



            Es hat schon lange das Niveau von "hömma, wenn du zurückhaust hol ich meine brüdda!" erreicht.

            Wir hören seit der Leiferung der 5000 Helme regelmäßig von Atomtorpedotsunamis, nuklearer Asche etc.

            Komischerweise meist donnerstags.



            Inzwischen auch bekannt als Atombombendonnerstag.

            • @Waagschale:

              Natürlich ist die ukraine keine Gefahr für Russland. Kijv ist aber im Gegensatz zu Prag nicht weit weg.



              Putin sieht den Krieg jedoch als exestenielle Frage und wird deswegen vermutlich auch keine niederlage aktzeptieren können. Möchten Sie das wirkich ausprobieren oder können Sie vielleicht Biden und Scholz doch ein wenig verstehen?

  • Und Scholz will mit westlichen Waffen keine Abschussrampen und Stellungen direkt hinter der russischen Grenze angreifen lassen, weil er Angst vor einer Eskalation hat.



    Was für eine komische Logik verfolgt dieser Mann eigentlich? Will er wirklich, dass die Ukraine nicht verliert und sich vernünftig verteidigen kann? Ich zweifle daran. Die Russen beschießen aus ihrem eigenen Land fremdes Territorium und Olaf Scholz hat tatsächlich Angst vor einer Eskalation.



    Ich hoffe dieser Kanzler ist 2025 Geschichte.



    Seine zur Schau gestellte Besonnenheit ist einfach nur Führungsschwäche.



    Hoffentlich pocht Scholz nicht auf seine Kanzlerkandidatur und lässt Pistorius den Vortritt.