Krieg in der Ukraine: Gegenangriff rückt näher

Erneut hat Russland die Ukraine massiv beschossen. 21 Zivilisten starben dabei. Zugleich verdichten sich die Anzeichen einer Gegenoffensive Kyjiws.

Rauch und Flammen, im Vordergrund ein Feuerwehrauto.

Der Schaden ist groß: Rauch und Flammen von explodiertem Treibstofftank auf der Krim am Samstag Foto: ap

ODESSA taz | Die Reisenden aus dem Nachtzug aus Kyjiw sehen um 6.30 Uhr noch etwas zerknautscht aus. Besondere Eile scheint auf dem Bahnsteig in Odessa niemand zu haben. Es rollkoffert. Aus dem Bahnhofslautsprecher wird auf die nächsten Züge hingewiesen – und darauf, dass gerade wieder Luftalarm gilt. Man soll nicht auf den Bahnsteigen warten, sondern rasch weiter­gehen. Wenige Minuten später wird der Alarm aufgehoben.

In der gesamten Ukraine bestand am Montagmorgen erneut Luftalarm. In Odessa dauert er gut drei Stunden. Das Oberkommando der Streitkräfte teilt später mit, 15 von 18 anfliegenden russischen Raketen abgeschossen zu haben. Doch die übrigen richteten Schäden an: In der Region Schitomir weiter nördlich wurde eine Fabrik von einer Rakete getroffen, so die staatliche Warn-App Trivoga. In der Region Dnipropetrowsk seien 34 Menschen bei einem Angriff verletzt worden, darunter fünf Kinder. Dort, in Paw­lohrad, sind demnach etwa zwei Dutzend Einfamilienhäuser zerstört worden. Fotos von Feuerwehrleuten in rauchenden Trümmern verbreiten sich über den Messengerdienst Telegram.

Bereits vor dem Wochenende hatte Russland seinen neuerlichen Großangriff begonnen. Zwar ist der Umfang der Raketenangriffe geringer als noch im Winter, ihre tödliche Wirkung ist dennoch groß. Am Freitag hatte das russische Militär die Ukraine mit mehr als 20 Marschflugkörpern und zwei Drohnen angegriffen. Es war der erste Angriff auf Kyjiw seit fast zwei Monaten.

Die Raketen schlugen unter anderem in einem Wohnhaus in Uman ein, einer Stadt gut 200 Kilometer südlich der ukrainischen Hauptstadt. 21 Menschen kamen ums Leben, darunter sechs Minderjährige. Die Aufräum­arbeiten dauerten bis Samstag an. Am Wochenende legten Menschen an dem von den Raketen beschädigten Wohnblock Blumen, Kuscheltiere und Fotos der Opfer nieder.

Als Reaktion hatte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski neben der russischen Führung auch Soldaten für Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht. „Nicht nur die Befehlshaber, sondern ihr alle, ihr seid alle Terroristen und Mörder und ihr alle müsst bestraft werden“, erklärte er in seiner täglichen Videoansprache. Jeder, der Raketen steuere und abfeuere, der Flugzeuge und Schiffe für den Terror warte, sei mitschuldig an den Toten des Kriegs, sagte er.

Drohnenangriff auf Treibstoffdepot

Auch in Odessa warnen regelmäßig Sirenen vor anfliegenden Raketen. Seit Jahresbeginn allein 95-mal. Doch die letzten Einschläge sind schon Monate her. Manchmal erscheint der Krieg in der Schwarzmeerstadt weit weg. Man sieht weniger Soldaten im Stadtbild als in Kyjiw oder Lwiw. Am Montag füllt sich die Fußgängerzone in der Altstadt erst gegen Mittag. Auch hier ist der 1. Mai ein Feiertag. Menschen gehen spazieren und erledigen Einkäufe. Man sitzt im Café. Nur die von Touristen bevorzugten Lokale wirken leerer als in Vorkriegszeiten.

Irgendwo in der Region Odessa sind am Samstag wohl auch jene Drohnen gestartet, die in Sewastopol auf der Krim ein Treibstoffdepot getroffen haben. Wie genau das Ganze ablief, gehört zu den Unklarheiten des Krieges. Das ukrainische Militär hat sich nicht direkt dazu bekannt, für das Feuer in der Krim-Hafenstadt verantwortlich zu sein. Angesichts der Bilder dürfte der Schaden groß sein.

So wurden mehrere große Tanks komplett zerstört, andere durch die Hitze des Feuers beschädigt. Tote und Verletzte gab es russischen Angaben zufolge nicht. Auch zivile Objekte seien nicht zu Schaden gekommen. Militärisch ist der Angriff bemerkenswert, schließlich richtete er sich gegen eine der am besten gesicherten russischen Militäranlagen. Das Depot im Kriegshafen von Sewastopol ist sozusagen die Tankstelle der Schwarzmeerflotte. Von deren Schiffen aus werden immer wieder Raketen auf das ukrainische Festland abgefeuert.

Angriffe wie dieser könnten auch der Vorbereitung der erwarteten ukrainischen Gegenoffensive dienen. Eine Sprecherin des südlichen Militärkommandos hatte am Sonntag gesagt, die Unterwanderung von Russlands Logistik sei dafür eines „der Elemente“. Passend dazu meldeten russische Behörden am Montag, dass im westrussischen Gebiet Brjansk unweit der Grenze zur Ukraine ein Güterzug entgleist sei – und zwar nach einer Schienensprengung. Der Zug soll mit Öl- und Holzprodukten beladen gewesen sein.

Indes warnte der Chef der Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, vor den Folgen einer solchen Gegenoffensive für Russland. Sie könnte für Moskau zur „Tragödie“ werden, sagte er in einem am Sonntag veröffentlichten Interview mit einem russischen Blogger. Zudem beklagte er sich erneut über eine unzureichende Versorgung seiner Kämpfer in der Ukraine mit Munition: „Wir haben nur 10 bis 15 Prozent der Granaten, die wir brauchen.“ Prigoschin ist ein Verbündeter von Präsident Wladimir Putin, liefert sich aber seit Längerem einen Machtkampf mit dem russischen Verteidigungsminister und der Armeespitze.

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