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Kampf um die „Fusion“Feiern für alle

Carolina Schwarz
Kommentar von Carolina Schwarz

Auch das Fusion-Festival leidet unter der Polarisierung durch den Gaza-Konflikt. Wer das Event boykottiert, stellt sich aber selbst ins Abseits.

Zusammen feiern, miteinander reden. Fusion 2019 Foto: Christian Charisius/dpa

W er schon einmal auf der Fusion war, weiß: Hier wird vor allem getrunken, konsumiert, getanzt und gefeiert. Aber das mecklenburgische Festival will mehr sein, eine Art Parallelgesellschaft, die für ein paar Tage im Ferienkommunismus lebt. Sie will zeigen, dass ein besseres Leben möglich ist.

Die Frage, welchen Stellenwert dieser politische Anspruch neben all dem Trinken, Konsumieren, Tanzen und Feiern hat, ist so alt wie das Festival selbst und hat in den vergangenen Jahren immer wieder zu Streit geführt – beispielsweise über den Umgang mit Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit und wer auf dem Festival eigentlich sicher feiern kann.

Die Konfliktlinien verliefen, wie sie innerhalb der Linken eben verlaufen. Doch es gab immer das Gefühl eines unausgesprochenen linksalternativen Grundkonsenses. Gemeinsames Feiern ging irgendwie. Doch seit dem 7. Oktober stellt sich die Frage, wie so eine linke Parallelgesellschaft – und sei es auch nur für ein paar Tage – möglich sein soll.

Der Kulturkosmos, der Verein, der hinter dem Festival steht, hat sich diese Frage auch gestellt und versuchte in einem ausführlichen Newsletter im Februar eine Antwort darauf zu finden. Neben einer Analyse der politischen Lage formulierten sie eigene Ansprüche: Die Fusion solle ein geschützter Raum für alle sein – mit einem breiten und vielstimmigen Meinungskorridor. Ohne Zensur und Boykott, aber mit Regeln. Es heißt: „Wir erwarten aber, bei aller Solidarität für die palästinensische Sache, dass das Existenzrecht Israels unstreitbar ist.“ Wer das leugne, habe auf der Fusion nichts zu suchen. Die Parole „From the River to the Sea“ solle nicht auf Plakaten auftauchen, Hamas-Verherrlichung sei ein No-Go. Zum Schluss forderten sie einen sofortigen Waffenstillstand von allen Beteiligten inklusive eines Waffenlieferungsstopps und der Freilassung aller von der Hamas gefangenen Geiseln.

Der Newsletter rief nur wenige Reaktionen hervor – bis jetzt. Vor einigen Tagen veröffentlichte „Palästina Spricht“ einen offenen Brief. Die vor allem bei jungen Menschen beliebte Gruppe, die propalästinensische Demos organisiert, bei denen es regelmäßig zu antisemitischen Äußerungen kommt, schrieb: „Wir, Künst­le­r:in­nen aus Palästina, dem Globalen Süden und unsere Verbündeten, haben beschlossen, unsere Teilnahme am Fusion Festival zurückzuziehen.“

Sie begründen ihre Absage damit, dass der Kulturkosmos „ein Apartheid-Regime“ legitimiere. Und weiter: „Trotz des Ziels des Fusion Festivals, Frieden und Einheit zu fördern, unterstützt ihr Ansatz das anhaltende Leid des palästinensischen Volkes.“ In den vergangenen Jahren hatte die Gruppe die Fusion beispielsweise mit Veranstaltungen und Workshops aktiv mitgestaltet. Doch jetzt möchte „Palästina Spricht“ nicht mehr sprechen, jetzt wollen sie boykottieren. Und klar ist, dass diesem Aufruf einige folgen werden.

Keine klaren Fronten

Dass es im Streit um den Nahostkonflikt innerhalb der Linken keine Einigkeit gibt, ist ein Zustand, den wir vielleicht aushalten müssen. Dass in den letzten Monaten aber keine ordentliche Debatte mehr möglich ist, nicht. Statt miteinander ins Gespräch zu gehen, werden Veranstaltungen gekapert oder boykottiert, Personen ausgeladen, wird mit harten Vorwürfen um sich geworfen. Räume werden unsicher, Freund_innenschaften und politische Allianzen zerbrechen.

Wie bei einem Fußballspiel geht es nur noch um die Frage, für welches Team man ist: Pro Palästina oder Pro Israel. Dieses Narrativ wird medial gepusht und ist auch innerhalb einiger Linker verbreitet. Doch in echt verläuft der Konflikt nicht an zwei klaren Fronten. Die Stimmen sind vielfältiger, die Fragen komplizierter als ein einfach dafür oder dagegen sein.

Und während auf der Berliner Sonnenallee und in den Universitäten dieses Landes zur Intifada aufgerufen wird und antisemitische Parolen propagiert werden, fragen sich immer mehr Linke in diesem Land: Wo ist eigentlich unser Ort? Wo können wir noch streiten und diskutieren? Wo können wir uns gegen das Elend in Gaza stellen, ohne uns bei Antisemit_innen einzureihen?

Es gibt diese linken Orte – verschiedene Clubs, Akteur_innen und Bewegungen bemühen sich um Austausch und Solidarisierung mit einer klaren Kante gegen Antisemitismus – doch sie sind rar. Ein beständiges Beklagen, dass die Orte nicht ausreichen, ist zwar nachvollziehbar, aber wenig hilfreich. Denn wer Orte will, der muss sie sich nehmen.

Dass das nicht einfach ist, steht außer Frage. Doch zu resignieren und im Lamentieren zu verharren, kann nicht die Antwort sein. Genauso wenig, wie linke Orte kampflos aufzugeben. Denn die Größe des Gejammers lässt vermuten, dass eigentlich genügend Menschen da sind, um Räume zu schaffen.

Konkret kann das heißen: Linke Demos, Partys und Fundraiser besuchen und organisieren und sich dort Antisemitismus und Rassismus konsequent in den Weg stellen. Mit Kommiliton_innen, Arbeitskolleg_innen und Freund_innen ins Gespräch gehen, wo es noch möglich ist. So lange streiten, bis rote Linien nicht überschritten werden. Rote Linien wie: Das Existenzrecht Israels ist unbestreitbar, Antisemitismus gilt es entschieden entgegenzutreten, die humanitäre Katastrophe in Gaza gehört sofort beendet.

Was das für wen konkret bedeutet, gehört ausgehandelt – dieser Prozess kann schmerzhaft und kräftezehrend sein. Und wie weit man dabei über seine eigene Schmerzgrenze gehen möchte, kann nur eine individuelle Entscheidung sein.

Vielleicht gelingt es der Fusion dieses Jahr ja doch, dass Linke neben all dem Trinken, Konsumieren, Tanzen und Feiern miteinander ins Gespräch kommen. Aber auch die Universitäten, die Bars, die Clubs und die Straße können solche Orte sein. Ob das gelingt, entscheidet sich an der Frage, wer sich den Ort nimmt.

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Carolina Schwarz
Ressortleiterin taz zwei
Ressortleiterin bei taz zwei - dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Schreibt hauptsächlich über intersektionalen Feminismus, (digitale) Gewalt gegen Frauen und Popphänomene. Studium der Literatur- und Kulturwisseschaften in Dresden und Berlin. Seit 2017 bei der taz.
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29 Kommentare

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  • Karlsson , Moderator

    Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion nun geschlossen. Die Moderation.

  • Wenn ich sage, dass Palästina ein eigenständiger Staat werden muss, heißt das doch wohl noch lange nicht, dass ich die Hamas unterstütze. Auch wenn ich meine Nichtunterstützung nicht direkt ausdrücke. Können wir mal aufhören, uns gegenseitig alles mögliche zu unterstellen? Wenn ich die Taten der Hamas verurteile, heißt das nicht, dass ich die israelische Regierung mag. Und warum sollte das Existenzrecht Israels eigentlich unbestreitber sein? 'Israel' ist immer noch etwas anderes als 'Judentum'. Ich bin gegen jeden religiös regierten Staat, ob es nun ein Kalifat, eine CDU-Regierung oder eben ein jüdischer Staat ist.



    Religion hat in der Politik nun einmal nichts zu tun.

  • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin

    PS: Auf der Webseite des Fusions-Festivals steht in einem Text vom Kulturkosmos (20. Mai 2024):

    » Die Realität sieht ja so aus, dass die israelische Politik offensiv einen jüdischen Nationalstaat „from the River to the sea“ proklamiert. Diese zionistische Großisrael-Politik muss bezogen auf Gaza und das Westjordanland defacto als Siedler-Kolonialismus benannt werden. Seit Jahrzehnten werden Palästinenser:innen systematisch brutal unterdrückt und wird jegliche Perspektive zur Schaffung eines souveränen palästinensischen Staates oder einer israelisch/palästinensischen Ein-Staat-Lösung, mit gleichen Rechten für Alle, sabotiert. « [!!!]

    Dass die Sabotage am 7.10. durch die Hamas erfolgte, wird dabei nicht erwähnt. Weiterhin heißt es in dem Text:

    » Von daher ist für viele palästinensische Fusionist:innen die Anerkennung dieses nationalistischen israelischen Staates problematisch und sie können dies, zumindest so, wie wir es gefordert haben, nicht teilen. « [!!!]

    Wer das Existenzrecht Israels nicht akzeptiert, soll dieses Land verlassen. Schleunigst. Denn die Bundesrepublik darf nicht weiterhin zum Rückzugsgebiet für Terrorromantiker verkommen.

    • @Michaela Dudley:

      Nun sehr geschätzte Frau Dudley, so einfach ist die Welt nicht zu unterteilen indem man einfach !!! hinter ein Zitat setzt.

      Am ersten Zitat ist schon etwas dran. Eine komplette Aufzählung spare ich aus Platzmangel aus, erwähne in diesem Zusammenhang lediglich die jahrelange Unterstützung der Hamas durch Netanjahu und die Likud Partei, den stetigen Ausbau illegaler Siedlungen im Westjordanland oder die eindeutigen Aussagen von Regierungsmitgliedern wie Ben Gvir oder Bezalel Smotrich hinsichtlich eines "Grossisraels". Addiert man noch die von ihnen erwähnte "Sabotage" der Hamas hinzu (böte sich noch mehr an, aber der Platz...), wird offensichtlich das beide Seiten ihr Scherflein zu tragen haben. Soviel Objektivität sollte schon sein.

      Anmerkung: statt wie im Zitat von Realität zu sprechen, würde ich nicht so weit gehen, sondern es nach meinem Kenntnisstand eher als Idee bezeichnen, die bei einigen Protagonisten dahintersteckt.

      Und zum zweiten Zitat gibt es keine zwei Meinungen. Hier wurden die völlig falschen Schlussfolgerungen gezogen, die total absurd sind. Daher volle Zustimmung zu ihrer Aussage!

  • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin

    Wenn „Palästina spricht“ sich selbst cancelt, ist es auch gut. Die Stunts der Anti-Israel-Fraktion sind ohnehin eher reflexhaft als reflektiert. Richtige Debatten werden also grundsätzlich gemieden. Statt dessen erfolgen ellenlange Stellungnahmen, wie der offene Brief von „Palästina spricht“, in dem der „Niedergang der Fusion“ beklagt wird.

    Was in dem offenen Brief fehlt, ist Empathie gegenüber den Opfern des Hamas-Massakers auf dem Rave-Festival. Dort wurden Scharen von friedlich feiernden, eher Natanjau-kritischen Israelis, darunter Friedensaktivisten und sogar BDS-Sympathisanten, von der Hamas massakriert. Es waren die weltoffenen, zukünftigen Gesprächspartner zur Lösung des Gaza-Konfliktes. Dass „Palästina spricht“ nicht über die israelischen Opfer reden will, offenbart deutlich, dass „Palästina spricht“ nichts Wertvolles zu sagen hat.

    Während sie Gruppe an relevanz verliert, gewinnt sie offenbar an Radikalität. Denn das Instagram-Profil von „Palästina spricht“ (@palestinespeaks) zeigt einen Feedpost vom 29. April 2024, in dem die Gruppe, gemeinsam mit drei Partners, Folgendes sagt: „We must bid farewell to the idea of a protest only being legitimate when it ist peaceful.“

    • @Michaela Dudley:

      Nun würde ich dem ja an sich zustimmen – ich frage mich aber, ob pro-israelische Radikale, die palästinensische Zivilisten nur in Anführungszeichen kennen und den weder die Opfer der israelischen Kriegsführung noch die der vorangehenden Besatzungspolitik (2023 war schon vor dem 7.10. ein besonders tödliches Jahr für Palästinenser) hier in der moralischen Position sind, von anderen mehr Empathie zu fordern; Mitleid ethnisch zu begrenzen, ist rassistisch – egal auf welcher Seite man steht.

    • @Michaela Dudley:

      Das Elend der Pro-Pali Gruppen besteht zum einen aus aus der mangelnden oder nichtvorhandenen Empathie mit den Opfern des Hamas Massakers und zum anderen in der Unterlassung die Taten als Terrorakte einer Terrororganisation anzusehen und sich davon klar zu distanzieren. Das entzieht jeder Aktion dieser Gruppen die seriöse Basis. Ich würde keiner dieser Gruppen unterstellen, dass sie nichts wertvolles zu sagen oder beizutragen hätten, bisher beschränkt es sich aber meist lediglich auf Hassparolen und Boykottaufrufen. Damit diskreditieren sie letztendlich ihr Anliegen und disqualifiziern sich als mündige Gesprächspartner. Denn wer ist schon bereit sich mit Terrorsympathiesanten an einen Tisch zu setzen und ihnen Gehör zu schenken.

      • @Sam Spade:

        "Anliegen und disqualifiziern sich als mündige Gesprächspartner. "



        Warum sollten sie daran interessiert sein, das ihr Feind sie anerkennt?



        Das werden sie nicht für nötig befinden, solange der Plan aufgeht, Einfuss zu gewinnen.



        Der von MICHAELA DUDLEY gepostete Text von der Fusion Website zeigt, dass es Erfolg hat.



        Den Wunsch danach, dass die Welt zu einem besseren Ort werden soll, kann ich ja nachvollziehen, nicht aber den Glauben daran, auf Seiten des Guten zu stehen und daraus die Legitimation zu folgern, Gewalt anzuwenden und der Welt das Gute aufzuzwingen. Es erscheint mir nicht gut überlegt, zu denken, in den eigenen Reihen ziehen alle am gleichen Strang.



        Die Hamas wird sie eines Besseren belehren, wenn sie sie nicht mehr als nützliche Idioten braucht.

  • Fusion aka kuko sollten endlich anfangen mal zu reflektieren wie sehr die organisationsart zu prekarisierung von kulturschaffenden führt, statt weiter von diesem pseudo-Image des "linken" festivals zu profitieren. Die meisten Acts spielen dort wenn überhaupt gerade mal für Fahrtkosten und ja, super viele Leute arbeiten dort einfach für nen Witz an Aufwandsentschädigung. Gerade nach corona sollten sich diese so kulturinteressierten orgas daran beteiligen auch und va kleinere artists zu fördern, statt homophobe und sexistische Inhalte von famen mainacts geflissentlich zu übersehen.

  • "Doch es gab immer das Gefühl eines unausgesprochenen linksalternativen Grundkonsenses. Gemeinsames Feiern ging irgendwie."

    das gefühl hatte ich spätestens seit den no shirt no service debatten nicht mehr. oder als einige teams die Zusammenarbeit in den letzten Jahren aufgrund aktivistischer Ziele vereinbart haben.

  • Leider reden wir nicht mehr miteinander, speziell wenn es politisch wird.



    Das betrifft ja nicht nur den Konflikt Israel/Palästina, sondern auch Russland/Ukraine und in manchen Communities Türkei/Kurden, bzw. auf der großen Bühne USA/China.



    Für mich hat die Verhärtung der Fronten mit 9/11 und der Bush-Doktrin (Krieg gegen den Terror) begonnen, verschärft hat es sich mit der Coronapandemie.



    Fronten zwischen unterschiedlichen Meinungen gab es schon immer. damit bin ich aufgewachsen. Was ich jedoch als Verrohung erlebe, ist eine zunehmende Form rigoroser Spaltung – es schein t oft nur noch schwarz und weiß zu geben, Zwischentöne werden ausgeblendet und die jeweils andere Seite wird in Kästchen gesteckt und diffamiert.



    Immer mehr rücken die Ideologien in den Vordergrund - das Leid der Menschen lässt sich dann gut übersehen. Vielleicht liegt es auch an der Menge des Leides, was sich so besser ausblenden lässt.



    Der Mensch aber bleibt ein Mensch, er ist weder gut noch böse, richtig oder falsch und wenn er andere Menschen außerhalb seiner Blase wahrnimmt, kann er sogar Mitgefühl entwickeln.



    Die Räume aber werden kleiner und der Platz für freundliches miteinander nimmt ab. Schade.

    • @GlaubeLiebeHoffnung:

      "Leider reden wir nicht mehr miteinander, speziell wenn es politisch wird."

      Müssen wir auch nicht mehr, seit Social Media die Möglichkeit eröffnet hat, auch unabhängig vom Einbringen guter Argumente, Einfluss und damit Macht zu gewinnen.



      Kompromisse machen nur die "Dummen",denen es nicht gelingt, öffentliche Zustimmung zu erzeugen.



      Das gelingt am Besten, indem ein Schwarzweiß Gegensatz erzeugt wird. Das macht es Menschen leichter, sich auf der richtigen Seite einzuordnen.

      Denn die allermeisten wollen ja gerne richtig handeln und "gut" sein. Leider bringt jede Entscheidung auch eine Kehrseite mit. Das können viele schwer ertragen und lehnen es ab, das anzuerkennen.



      Der Zweifel richtig gehandelt zu haben ist die Bürde, die Menschen tragen müssen. Als Preis dafür, die Macht zu haben, Entscheidungen treffen zu können.



      Wir können deshalb nicht anders, als uns die Welt untertan zu machen. Viele können das nicht mit dem Konzept, alle Menschen seien gleich, in Einklang bringen und verleugnen deshalb diesen Umstand.



      Wer das tut, gerät aber unvermeidlich in die Position, bevormundend in der Welt zu wirken.



      Gut gemeint ist eben das Gegenteil von Gut.

  • "... die humanitäre Katastrophe in Gaza gehört sofort beendet."

    Das ist ein Satz, dem sicherlich jede/r zustimmen kann (von Ausnahmen abgesehen), wobei ich den Begriff "humanitäre Katastrophe" eher durch "Kriegshandlungen" o.ä. ersetzen würde.

    Eine "humanitäre Katastrophe", meiner Meinung nach viel zu selten als solche benannt, sehe ich auch auf der jüdischen/Israel-Seite bei den Angehörigen, Freunden, Kindern der Geiseln und allen, die mit den Opfern des 07.10.23 und den Geiseln mitfühlen. Genug zu essen und trinken zu haben ist meiner Meinung nach kein Ausschlusskriterium für eine "humanitäre Katastrophe". Menschen sind nicht nur Körper.

    Zu meinem ersten Absatz:



    Der Konflikt besteht darin, von wem und wie der Krieg zu beenden ist.



    Es könnten sich ja beide Kriegsparteien an den vorgestrigen Gerichtsbeschluss des IGH halten: Sofortige Freilassung aller Geiseln gegen den Rückzug aus Rafah.

    Für jede Geisel, die aus einem der Tunneleinausstiege kommt, zieht sich die IDF zehn Meter (?) zurück.



    Die Geiselnehmer und Täter des 07.10.23 dürfen auf Lebenszeit unbehelligt in den Tunneln bleiben.

    • @*Sabine*:

      Stimme ihnen bei der Begrifflichkeit Katastrophe zu. das klingt so als ob aus dem heiteren Nichts eine Naturgewalt etwas schreckliches verursacht hat, fremdgesteuert.

      die schlimmste Formulierung die ich im Zusammenhang mit dem 07. Oktober bisher gehört habe, war Tragödie. Als ob ein Held sich auf Abenteuer begibt und auf tragische Weise sein Ziel nicht erreicht. oder ein tragischer Unfall der einfach so passiert ist.

      Nein. es war schlicht ein widerwärtiges, von Menschen verursachtes und gewolltes Gewaltverbrechen.

  • Die Fusion war und ist weder „Feiern für alle“ noch „Ferienkommunismus“.. die meisten, die sich’s leisten können mehrere hundert Euro auszugeben um ein Wochenende der Realität zu entfliehen wollen das: feiern und Party machen. andere teilnehmende erklären sich auch noch bereit unentgeltlich zu arbeiten um dabei sein zu dürfen. Ich glaube dieser Illusion der Veranstalter dass es hier abgesehen von wenigen Workshops irgendwie politisch vorgeht muss man sich nicht unbedingt hingeben.

  • Ja, linke Debatten können ausgesprochen toxisch sein. Erst recht wenn sie medial verstärkt werden. Es endet oftmals in einer schwarz weiß Polarisierung, die moralisch aufgeladen ist. So geschehen z.B. auch während der Corona Pandemie, als Impfgegner aufs übelste Ausgegrenzt und Diffamiert wurden, wo auch keine Debattenkultur mehr vorhanden war. Wer nicht für uns ist ist gegen uns, also der moralisch verwerfliche Feind.

    • @Verboten:

      "Wer nicht für uns ist ist gegen uns, also der moralisch verwerfliche Feind."

      Es gibt Dinge, die lassen sich nicht verhandeln.

      Diese aufs Übelste ausgegrenzten Impfgegner haben es geschafft, sich medial als Opfer zu inszenieren. Dazu gehörte der Aufbau eines Heldenstatus als "Querdenker".



      Die alte Geschichte von David und Goliath. Als vermeintlich Unterlegener ist David automatisch in der Rolle des Guten.



      So einfach funktioniert für manche die Welt.



      Aber nicht vergessen: Goliath hatte am Ende nicht nur eine Beule. Er war tot. War dann aber alle gut?







      Impfgegner bieten keine Lösung an und genauso wenig die, die für die Freiheit Palästinas kämpfen und Israel untergehen sehen wollen.

      Menschen wollen gerne daran glauben, dass die Welt automatisch besser wird, wenn man für die Schwachen eintritt.



      Diesen Automatismus gibt es aber nicht.



      Es ist ein egoistischer Ansatz, dazu gemacht, sich die eigene Unsicherheit in Bezug auf das, was richtig ist, zu nehmen.



      Diskussion ist damit aber ausgeschlossen.

    • @Verboten:

      Wenn es gegen eine potentiell tödliche Krankheit eine Impfung gibt und Leute, die völlig irrational dagegen sind, möchte ich mich auch nicht mit denen auf engstem Raum befinden. Das ist weder Ausgrenzung noch Diffamierung.

      • @BrendanB:

        Da haben sie recht. Allerdings war die Qualität der Impfung fragwürdig genug, um wenigstens den Nutzen im Sinne des Fremdschutzes zu kritisieren. Dies wurde medial erst sehr spät erkannt, derweil gab es in der Öffentlichkeit Anfeindungen weit unter der Gürtellinie.

  • Nicht alles muss politisiert werden. Die Fusion verbindet Menschen mit einem recht entspannten Mindset. Wenn jetzt welche lieber spalten als Feiern und dem Festival den Rücken kehren, ist das doch super. Solche braucht dort doch keiner.

  • Auf jedem Musikfestival der Welt sollte man eine Schweigeminute für die Terroropfer auf dem Nova-Festival einlegen.

    • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin
      @Magnus_15:

      Das wäre wünschenswert und völlig angebracht.

  • Natürlich wird im offenen Brief von „Palästina Spricht“ kein einziges Mal die Hamas genannt.



    Es tut mir leid: Wer Solidarität mit Palästina fordert und die Hamas dabei vergisst, ist für mich disqualifiziert.

    Leider muss man wohl aber auch feststellen, dass die Fusion bzw. Kulturkosmos nun die Geister herbeigerufen hat. Es würde mich wundern, wenn fortan keine Soli-Bekundungen für Gaza wehen.

    • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin
      @Yosaku Senshi:

      Eben!

  • Also ich stell mir grade vor ich bin da bisschen verdeppert am waven und hab meine letzte Kohle ausgegeben um ein klein wenig der Welt zu entkommen und den damit verbundenen psychischen Problemen, und dann geht die Musik aus und es stürmen vermummte, schreiende Leute mit Fahnen den Ort ...

    Gruselig...



    Sowas kann sehr schnell, sehr schief gehn.

    Früher hätte ich mich fast blind drauf verlassen das sowas nie mal passieren würde.



    Heute ist das anders. Ganz anders.

  • Ich wuerde mal tippen, dass mindestens 90% der Besucher zur Fusion fahren, um zu feiern und nicht um einen Sitzkreis zum Krieg xyz zu machen. Die Hybris mancher Kulturschaffender, siehe Dr. Motte auf der Loveparade, zeigt nur, in welcher Parallelwelt sie leben. Selbst wenn sich alle auf eine politische Linie einigen koennten, waere es fuer den Ausgang des Krieges vollkommen unbedeutend.

  • Ein kluger Kommentar. Leider ist die Cancel Culture in gewissen Kreisen fest etabliert und breitet sich zunehmend aus. Schwarz-Weiß Denken oder ein Freund-Feind Schema sind in einer komplexen Welt nuneinmal bequemer, als ein Perspektivwechsel oder eine Urteilsfindung die auf verschiedenen Blickwinkeln und Standpunkten basiert. Die Streitkultur ist in der Bundesrepublik traditionell unterentwickelt und besteht größtenteils aus dem Austausch von Positionen, welche die eigene Anschauung untermauern sollen. Ergebnisorientierte Diskussionen sind daher selten geworden. Und über die roten Linien braucht man heutzutage nicht mehr viele Worte verlieren. Diese zu überschreiten gehört bei vielen schon zum guten Ton.

    • @Sam Spade:

      "... als ein Perspektivwechsel oder eine Urteilsfindung die auf verschiedenen Blickwinkeln und Standpunkten basiert. ..."

      Ich finde Ihren Beitrag gut, denke jedoch, dass die meisten Personen, auch die Kommentatoren hier in der taz, genau dies tun. Verschiedene Blickwinkel einnehmen, Informationen sammeln, einordnen, analysieren, sich mit der Geschichte und den Hintergründen bis zu hunderte Jahre zurück beschäftigen und sich daraus dann eine/ihre Meinung bilden.

      Und, wenn ich ehrlich bin, finde ich das sogar schlimm, denn, es geht letztendlich um Werte (!). Dass sich Werte so fundamental unterscheiden können, dass es nicht einmal eine ganz dünne, humane Basis, auf die sich alle verständigen können, gibt, entsetzt mich.

      Flapsig ausgedrückt wäre mir ein "Depp", der nicht nachdenkt und sich auf die Seite der Täter des 07.10.23, deren Anhänger und Unterstützer stellt lieber, als jemand der nachgedacht hat und diese Seite wählt. Letztere halte ich für viel gefährlicher und da sehe ich dann auch Parallelen zu den schlimmsten Zeiten unserer Geschichte.

  • Dass das Fusion in irgendeiner Richtung politisch sein soll, war mir wahrlich neu. Und ich war zweimal da, zugegebenermaßen ist es schon ein paar Jahre her und ich war, wie viele, sowieso die ganze Zeit drauf.