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Zweites Semifinale des ESCMit stählernen Nerven

Unter Buh-Rufen und großem Jubel hat es Israel ins ESC-Finale geschafft. Vorab waren in Malmö Tausende zu Protesten zusammengekommen.

Eden Golan vertritt Israel mit dem Lied „Hurricane“ Foto: Jessica Gow/TT/imago

So was hat es in der Geschichte des Eurovision Song Contest noch nie gegeben: dass eine Sängerin von ihrem Hotel in die Malmöer Arena, wo sie am zweiten Semifinale dieses Pop-Festivals teilnimmt, in einem Hochsicherheitskonvoi befördert werden muss. Die israelische Sängerin Eden Golan, die nach Forderungen der propalästinensischen Demonstrierenden vom Wettbewerb ausgeschlossen werden soll, sagte einer schwedischen Nachrichtenagentur über die Proteste in Malmö: „Es ist toll zu sehen, dass es hier so viele Menschen gibt, die sich für Palästina einsetzen, auch wenn es unter schrecklichen Umständen geschieht.“

Am Ende des Abends hatte die in Israel geborene Tochter ukrainisch-lettischer Einwanderer mit der einzigen Ballade des zweiten Semifinals keine Schwierigkeiten, sich für das Grand Final am Samstag (21 Uhr, ARD, www.eurovision.tv, und im Liveticker auf taz.de) zu qualifizieren. Mit der Startnummer 6 wird sie ihren Titel „Hurricane“ vortragen; in den europäischen Wettbüros steht die 20-Jährige an zweiter Stelle hinter den haushoch favorisierten Kroaten von „Baby Lasagna“. Eden, die auf viele Proben verzichtete und das Catwalking bei der Eröffnungszeremonie am vergangenen Sonntag mied, hat offenbar stählerne Nerven: Sie wirkt nicht strapaziert.

Vor der Show am Donnerstag waren in der Malmöer Innenstadt Tausende Menschen (hauptsächlich aus den Universitätsstädten Malmö und Lund, aber auch aus dem gegenüberliegenden Kopenhagen) zusammengekommen, um gegen die ESC-Teilnahme Israels zu protestieren. Sie wiederholten in Rufen und auf mitgeführten Bannern Slogans wie „Free Palestine“ und „Stop the Genocide“. Mit unter den Demonstrierenden: die Klimaaktivistin Greta Thunberg, deren Mutter Malena Ernman 2009 für Schweden am ESC in Russland teilnahm – und trotz extrem homophober Stimmung in der russischen Hauptstadt, wo am Tag des Song Contests zuvor ein kleiner CSD brutal zerschlagen wurde und trotz schon damals repressiver Politik des russischen Präsidenten kein politisches Boykottwort verlor.

Ernman war es nun, die die in Schweden die Künstlerinitiative beförderte, Israel auszuschließen. Auf der Demo in Malmö trug ein Großteil der Protestierenden Palästinensertuch, einige sollen laut israelischem News-Portal ynet „Sinwar, we will not let you die“ gerufen haben – womit einer der für das Hamas-Massaker am 7. Oktober verantwortliche Führer dieser Terrororganisation gemeint ist.

Gedämpfter Unmut

Die Gegner der Teilnahme Edens klagen, Russland sei seit 2022 wegen seines Angriffskriegs gegen die Ukraine ebenfalls suspendiert worden – für Israel müssten demnach die gleichen Konsequenzen gelten. Die European Broadcasting Union mit ihrem ESC-Sprecher Martin Österdahl verweist seit Monaten darauf, dass der ESC ein Wettbewerb der öffentlich-rechtlichen Senderanstalten sei, nicht der Staaten. Außerdem sei Israels ESC-Sender KAN kein Staatsfunk – anders als russische Sender.

Die Tonspur der Übertragung des zweiten Semifinals am Donnerstag hinterließ vor, während und nach der Performance von Eden Golan den Eindruck, als würden etliche „Buh“-Rufe in der Arena bis zur Unhörbarkeit gedämpft. Tatsächlich hat es diese Missfallensbekundungen gegeben, wesentlich lauter aber war der Applaus für die Israelin.

Am Samstag werden in Malmö weitere propalästinensische Proteste erwartet; die schwedischen Sicherheitsbehörden bereiten sich entsprechend vor. In der Lokalzeitung Sydsvenskan äußerten einige Malmöer, die sich vom ESC eine positive Belebung ihrer Stadt erhofften, ihren Unmut darüber, dass sie es nunmehr mit einer schlecht gelaunten Politcrowd zu schaffen hätten – die wiederum der Grund sei, dass zu allen innerstädtischen ESC-Veranstaltung kein lockerer Zugang mehr möglich sei.

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19 Kommentare

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  • Russland ist eine Diktatur, die einen Vernichtungskrieg gegen das ukrainische Volk führt. Das kann man nicht mit Israel vergleichen. Die islamistische Hamas hat junge tanzende Menschen niedergemetzelt vergewaltigt und entführt, die mehrheitlich für Frieden standen und sich danach hinter der Zivilbevölkerung verschanzt und deren (mit-) Tötung so provoziert. In islamistischen Gesellschaften ist Frauen das Singen verboten. Deswegen bin ich sehr froh, dass eine junge mutige israelische Künstlerin dabei ist. Sie steht auch für die vielen friedlichen Menschen in Israel und für die Freiheit aller Frauen freudig ihr Leben so zu leben, wie sie es für richtig halten!

  • Israel liegt in Asien. Wieso dürfen die bei diesem Festial eigentlich mitmachen ? Das macht gar keinen Sinn. Gibt es kein Asiavision Contest?

    • 4G
      47351 (Profil gelöscht)
      @Elias-Nathan Stern-Herrmann:

      Eine israelische Sängerin wurde letztes Jahr Dritte beim ESC. Wurde da der Einwand auch schon erhoben?

    • @Elias-Nathan Stern-Herrmann:

      Am 30. April schrieben Sie unter dem Artikel "Israel beim Eurovision Song Contest - Hurricane in Malmö" folgendes:

      "Ich finde es gut, dass auch das israelische Team teilnehmen kann, das ja nicht aus Europa, sondern aus ASIEN kommt. Es zeigt die Weltoffenheit des ECS."

      Darauf antwortete ich am 1. Mai mit diesem Beitrag: "Die Teilnahme beim ESC hängt nicht, und hing nie, vom Ort, sondern stets von der Mitgliedschaft in der EBU, sowie dem Besitz eines eigenen staatlichen Fernsehsenders, ab."

      Das haben Sie damals wohl nicht mitbekommen.

      Zu ihrer Frage bezüglich Asiavision Song Contest:

      a) Der Asiavision Song Contest wurde geplant, aber dann doch nicht umgesetzt.



      b) Das ABU (Asia-Pacific Broadcasting Union) Song Festival gibt es, hat aber keinen Wettbewerbscharakter.



      c) Der Turkvision Song Contest wurde nach Rückzug der Türkei aus dem ESC gegründet, dann dreimal abgehalten, dann pausiert, um im Jahr 2020 erneut einmal abgehalten zu werden. Zur Zeit ist er wieder am Nichtstattfinden. Teilnehmer sind Turkvölkerzugehörige, darunter beispielsweise auch Teilnehmer aus der BRD, Polen oder Gagausien (alles in Europa), sowie aus Jakutien, Tjumen und Tuwa (alles in Asien).

    • @Elias-Nathan Stern-Herrmann:

      "Wieso dürfen die bei diesem Festial eigentlich mitmachen ? Das macht gar keinen Sinn."



      Weil die Teilnahme nicht an der Geographie, sondern an anderen Bedingungen hängt. Ich verweise hierzu gerne auch auf Australien, das ebenfalls teilnimmt.

    • @Elias-Nathan Stern-Herrmann:

      Die israelische Fußballnationalmannschaft spielt ja auch in der UEFA mit. Macht zumindest bis auf Weiteres auch Sinn, wer wollte die Sicherheit solcher Veranstaltungen mit Israel und den arabischen Nachbarländern gewährleisten?

  • Ich finde es richtig, dass sie antreten darf und ich finde es auch falsch, dass Russland ausgeschlossen wurde.



    Letzteres hatte den ESC massiv politisiert. Die daraus resultierenden Probleme sieht man jetzt.

    • @TeeTS:

      Russland selbst instrumentalisiert, politisiert und militarisiert Kultur und öffentliches Leben seit langem und lässt dementsprechend auch keine freie Meiunungsäußerung, keine unabhängigen Sender zu. Dafür sind das russische Regime verantwortlich und seine manipulierten Claquere, nicht der ESC.



      Ganz anders Israel, das die allgemein gültigen Bedingungen des ESC immer noch erfüllt und dessen Kandidatin sich gar öffentlich pro-palestinensisch geäußert hat.

    • @TeeTS:

      So ist es.

  • „Sinwar, we will not let you die“

    Man denkt ja immer schlimmer kann es nicht werden. Und dann wird es schlimmer.



    Jetzt spricht man seine Buddies schon direkt und mit Namen an. Und fantasiert sich eine Macht zusammen, die man Gott sei Dank nicht hat.

    Ich wünsche der schönen Eden Golan viel Erfolg beim Finale!

    Die Musik, na ja, ehrlich gesagt...aber hört selbst rein:

    www.youtube.com/watch?v=lJYn09tuPw4

    • @Jim Hawkins:

      Der Satz mit dem Sinwar ist so dermaßen sinnentleert, dass ich letztlich grinsend den Kopf schütteln muss über so viel Doofheit.



      Ich erinnere mich an eine ähnlich gelagerte Doofheit aus meiner frühestens Jugend: Rudi Carell war beim Gottschalk in 'Wetten dass' in KARLSRUHE stattfindend.



      Was er denn tun würde, falls er seine Wette verliert fragte Gottschalk.



      Ich würde dafür sorgen, dass der Karslsruher SC deutscher Fußballmeister wird!



      Der Saal tobt, alle klatschen wie wild.



      Aber Rudi, wie willst du das denn machen?



      Das kann ich natürlich nicht, aber den Leuten gefällts.



      Soviel zum Thema Doofheit der Massen.

      • @Tom Farmer:

        Das Fatale ist nur, die glauben ja, was sie da rufen.

        Sie rufen auch: "Huthi, Huthi, make us proud, turn another ship around."

        Die veblendete, manichäische postkoloniale Ideologie ist, auch wenn sie aus den Universitäten kommt, so schlicht, dass jeder sie begreift.

        Da ist gut, dort ist böse. Das war's.

        TV-History, da habe ich auch einen. Frank Elstner sitzt mit mehreren Gästen, darunter Roberto Blanco, auf einem Sofa.

        Blanco fällt Elstner ins Wort, der dann so:

        "Sei jetzt ruhig, sonst gehst Du wieder in den Busch."

        Alle lachen, auch Blanco, der Saal tobt.

        Heute läuft das subtiler.

        Und noch einer, TV-Übertragung einer Karnevalssitzung 1973 (!):

        www.youtube.com/watch?v=2sguJN1PkAE

        "So viele alte Kameraden heute hier."

        • @Jim Hawkins:

          Ja, das war ein "Sternstunde" des deutschen Fernsehens. Interessant auch, dass Roberto Blanco vehement behauptet, dass er nie !!! Rassismus in Deutschland erlebt hätte. Und ich glaube ihm, dass er das tatsächlich so sieht...

  • "Die Gegner der Teilnahme Edens klagen, Russland sei seit 2022 wegen seines Angriffskriegs gegen die Ukraine ebenfalls suspendiert worden – für Israel müssten demnach die gleichen Konsequenzen gelten."

    Wie so häufig werden der 7. Oktober, seine Opfer und die Geiselnahme von den Israelkritikern totgeschwiegen. Die Hamas hat unter dem Jubel der Bevölkerung Israel angegriffen und Zivilisten massakriert. Nicht umgekehrt.

    • @BrendanB:

      Ja, die Gegner betreiben Aggressor-Angegriffenumkehr, wenn sie Putinien mit Israel gleichsetzen. Am ESC 2024 nehmen, bez nahmen bis zum Ausscheiden Länder teil, die Täter, bez Opfer von schweren Staatsverbrechen wurden: Israel, Ukraine, Aserbaidschan und Armenien. Eindeutiger Täter ist Aserbaidschan, dass Bergkarabach ethnisch komplett säubern ließ und zum Angriff auf Armenien bläst. Weshalb wird lediglich gegen Israel demonstriert und ein ESC Ausschluss verlangt, während Aserbaidschans ESC Teilnahme genauso von den Gazabewegten ignoriert wird, wie dessen Vertreibungsaktion? Weshalb interessiert das eine die Medien und das Andere nicht? Warum wird mit zweierlei Maß gemessen?

  • "Unter Buh-Rufen und großem Jubel hat es Israel ins ESC-Finale geschafft."



    Wir lernen daraus: der Verzicht auf kontroverse politische Themen oder Lieder bringt überhaupt nichts.

  • Und dabei hat sich der Universal Music Group Song Contest solche Mühe gegeben, die Politik aus der Musik herauszuhalten...

  • Es geht um die Wahrnehmbarkeit, nur so sind die Proteste angesichts eines ansonsten höchst banalen Wettbewerbs zu erklären, auf dem meist höchst langweilige Liedchen geträllert werden. Es ist sicher die falsche Bühne für den Nahostkonflikt. Allerdings ist die harsche Unerbittlichkeit, mit der auf beiden Seiten aufeinander geschossen und sich mit Vernichtung gedroht wird Grund dafür, dass sich die Diskussion und der Protest andere Bühnen sucht. Hier behält am Ende niemand eine weiße Weste, zu viel Schuld haben beide Seiten sich schon aufgeladen. Allein, es hilft nichts, eines Tages muss geredet werden.