„01099“ über Ostdeutschland: „Dresden ist geil!“
Die Rapcrew „01099“ stammt aus der Elbestadt. Im Interview sprechen sie über den Umgang mit der AfD, die Macht von Musikern und den sächsischen Dialekt.
wochentaz: 01099 – ihr habt euch nach der Postleitzahl eurer Heimat benannt, Dresden-Neustadt. Was bedeutet es für euch, aus Dresden zu kommen?
Paul: Dresden ist geil! Wenn du abends durch die Neustadt fährst und dann knallt da die Abendsonne rein: Das ist brutal schön. Wir kennen jede Ecke dort, jeden Sticker. Und ich finde es auch so nice, dass wir aus Dresden kommen und nicht aus Wuppertal oder so. Man hat automatisch Underdog-Status und kann eigentlich nur überraschen. Ich mag das total.
Gustav (20), Paul (23) und Zachi (20) rappen seit 2018 als 01099
Fühlt ihr euch als Ostdeutsche?
Zachi: Klar, das ist ein großer Teil unserer Identität. Es fühlt sich gut an, als Vorbild voranzugehen und dazu beizutragen, dass die Leute mal aus Dresden was anders hören als immer nur, wie viele Prozentpunkte die AfD kriegt.
Im Internet hat euch jemand „Drei Ossi Ottos“ genannt. Empfindet ihr das als Beleidigung?
Zachi: Nö, wir kommen gerne aus Sachsen.
Gustav: Wobei, wir fühlen uns schon auch manchmal zerrissen zwischen den viele coolen ostigen Sachen und dem anderen – diesem ganzen ultrarechten Scheiß.
Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Wahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier in diesem Jahr auf dem Spiel steht.
Vor zwei Wochen wurde in Dresden der SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke beim Aufhängen von Wahlplakaten brutal zusammengeschlagen, er musste operiert werden. Die Schläger waren vier offenbar rechte Jugendliche, so alt wie ihr, aufgewachsen in eurer Heimatstadt. Das hätten eure Mitschüler sein könnten.
Paul: In erster Linie macht mich das traurig. Ich habe in mir eine so große Heimatliebe und ich bin jedes Mal wieder schockiert, wenn ich höre, was eben auch für Menschen in Sachsen leben. Wie viel Aggression es da gibt.
Wundert euch das, wenn ihr an eure Schulzeit zurückdenkt? Wie präsent waren rechte Sprüche auf dem Schulhof?
Zachi: Mich wundert diese Radikalität. Es wundert mich, dass man mit 17 oder 18 Politiker angreift. Das haben wir damals nicht mitbekommen in unserem Kokon auf dem St. Benno-Gymnasium und auch nicht in unserem Wohnumfeld in der Neustadt. Klar, da gab es auch konservative Tendenzen …
Paul: … aber die gingen nicht in diese Richtung. Da war das Rebellentum eher linksradikal.
Zachi: Andererseits erinner ich mich, dass das ein großes Thema wurde, als Pegida sich gegründet hat.
Inwiefern?
Zachi: Da waren wir 12 Jahre alt und Pegida hat mir Angst gemacht. Ich habe mit meinen Eltern darüber gesprochen, ob dieser Protest noch größer wird. Ich war so geschockt davon, wie viele von diesen Pegida-Leuten so extrem wütend waren. Wir sind mit unseren Eltern und Mitschüler*innen, auch von anderen Gymnasien, dann viel auf Gegendemos gewesen. Wir waren fassungslos, weil Pegida so eine frappierende Wahrheit über Dresden auf die Bildfläche gezogen hat, vor der wir nicht mehr länger die Augen verschließen konnten.
Paul: Ja, Pegida hat eine große Rolle für uns gespielt. Wir hatten damals ja mit Mugge noch nichts am Hut, aber ich erinnere mich, dass ich schon damals einen Track gegen Pegida geschrieben habe. Das hat einen so richtig dolle mitgenommen: Alter, dass es so einen Scheiß in Dresden gibt!
Und habt ihr das Gefühl, dass da jetzt wieder etwas brodelt – eine neue rechte Jugendkultur im Osten?
Paul: Wir verbringen durch unsere Band viel Zeit auf Social Media und da gibt es eine große rechte Szene, die im Westen wie im Osten unfassbar aktiv ist. Das ist total erschreckend! Gustav und ich haben ein neues Hobby entwickelt, wir melden alle rechten Kommentare, die wir sehen. Aber das sind so viele, dass das Melden nur eine ganz kleine Auswirkung hat. Und die rechte Szene im Internet ist untereinander ganz stark solidarisiert, die holen sich ihre Bestätigung innerhalb ihrer eigenen Peer Group. Du kannst von außen gar nicht auf die einwirken.
In einem eurer Songs rappt ihr „Du Pisser wählst die AfD“, in einem anderen „Schau' auf die AfD herab wie ein Kolibri“. Seht ihr diese politischen Hinweise als eure Aufgabe, als junge Band aus dem Osten?
Zachi: Ja, wenn man so eine große Reichweite hat wie wir, wäre es unverantwortlich, die nicht zu nutzen.
Paul: Wir wollen unsere Heimat auf keinen Fall den Rechten überlassen. Wir müssen uns einbringen, gerade in diesem Jahr. Wie werden auf Demos gegen Rechts spielen und wir spenden für Jugendclubs im ländlichen Raum. Da gibt es total geile Leute, die eine Wahnsinnsarbeit machen und gegen eine krass rechte Dominanz kämpfen.
Gab es genug alternative Räume für euch als Jugendliche?
Paul: Ein ganz, ganz wichtiger Ort für uns war die Musikschule, das Heinrich-Schütz-Konservatorium. Das war per se kein linker Raum, aber es war eben eine Kulturstätte. Und wir hatten die Gemeinde, wir sind in einem christlichen Umfeld ausgewachsen. Einen klassischen Jugendclub hatten wir nicht. Aber den brauchten wir in der Neustadt vielleicht auch weniger, als Jugendliche in der Provinz.
Ihr kommt aus einem linken Stadtviertel, wart auf einem bürgerlichen Gymnasium und auf dem Konservatorium. Erreicht ihr rechte Jugendliche überhaupt?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Paul: Klar, die meisten Leute, die unsere Musik hören, wählen eher nicht die AfD. Jugendliche, die in einer rechten Blase aufwachsen, kommen nicht zu unseren Konzerten, die lehnen uns ab. Aber jetzt beginnt wieder die Festival-Saison – auf Festivals erreichen wir schon ein breiteres Publikum. Und dort lohnen sich auch Ansagen gegen die AfD.
Was kann Musik denn überhaupt ausrichten gegen einen teilweise rechten Mainstream?
Gustav: Ich glaube, dass Musik wichtig ist. Und wir sind ja nicht die einzigen: Kraftklub und Trettmann aus Chemnitz schreiben auch linke Texte. Nach gab es dort das „Wir sind mehr“-Konzert. Das war super wichtig für mich und viele andere. Uns gab es da noch nicht als Band, aber da habe ich gemerkt, wie viel es ausmacht, wenn sich die kunstschaffende Szene gegen Rechts versammelt. Das hat mir gezeigt, die unterstützen uns, die haben dieselbe Meinung wie wir, wir sind nicht alleine.
Wie guckt ihr auf Leute, die aus Ostdeutschland weggehen?
Paul: Wir haben da keine Einigkeit in der Band (lacht). Wir leben ja selbst mittlerweile nicht mehr in Dresden – zwei von uns sind in Leipzig, einer in Berlin. Aber irgendwie leben wir zur Zeit auch eher überall, weil wir so viel unterwegs sind. Aber klar, wir fragen uns schon, ob es nicht Verrat ist, langfristig aus Sachsen wegzugehen.
Zachi: Für mich würde sich weggehen wie Aufgeben anfühlen. Wenn man geht, überlässt man den Rechten und auch falschen Zuschreibungen den Raum, das wäre eine Niederlage.
Sächsisch ist schön. Wieso rappt ihr eigentlich nicht im Dialekt, wenn ihr so heimatverbunden seid?
Gustav: Also, wir können Sächsisch, wir sprechen auch viel Sächsisch hinter den Kulissen, weil es Spaß macht. Aber mit Sächsisch sprechen schwingt halt einiges mit…
Paul: … klar, die Vorurteile: Es klingt sofort irgendwie ungebildet, potenziell rechts und immer ein bisschen abgehängt. Deswegen kam es für uns nicht infrage, einen Song auf Sächsisch zu machen – das würde klingen wie eine Parodie. Aber ich finde Dialekt-Rapper prinzipiell schwierig, das ist so eine sehr patriotische Nische. Aber trotzdem interessant: Weil wir eigentlich den Dialekt lieben, aber uns auch manchmal dafür ein bisschen schämen.
Gustav: Eigentlich müssten wir den Dialekt reclaimen. Riekläim Säggsony!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Ringen um Termin für Neuwahl
Wann ist denn endlich wieder Wahltag?
Berliner Kurator verurteilt
Er verbreitete Hass-Collagen nach dem 7. Oktober
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar