Neue Stundentafel für Hamburgs Schulen: Informatik verdrängt Kunstfächer
Hamburg führt Informatik als Pflichtfach ein und kürzt dafür den Wahlbereich. Der Kunst-Fachverband findet das falsch und hätte eine bessere Idee.
Das geht aus der „Siebten Verordnung zur Änderung der Ausbildungs- und Prüfungsordnung“ hervor, die der rot-grüne Senat im „Mitteilungs- und Verordnungsblatt“, veröffentlichte. Informatik führen auch andere Bundesländer ein. Doch in Niedersachsen kommen die Stunden dafür oben drauf. In Hamburg müssen andere Fächer weichen.
Für Kunstlehrerin Nina Rippel geht Hamburg hier den falschen Weg. So ein neues Lernfach zu schaffen sei eigentlich veraltet, sagt die Landesvorsitzende des BDK-Fachverbands für Kunstpädagogik. „Die Problematik der informatorischen Bildung wird nicht über die Einführung eines neuen Fachs gelöst.“ Denn die Fragen der Digitalisierung drängten in alle Fächer ein.
Die Bildende Kunst zum Beispiel sei in der schriftlastigen Schule das einzige Fach, das sich mit dem – für junge Menschen heute immer wichtigeren – Thema Bild beschäftigt. Sinnvoll wäre, Informatik als Teil des Unterrichts in alle Fächer zu integrieren. So könnte Physik-Informatik sich mit Robotik beschäftigen oder Geo-Informatik mit der Ausbreitung digitaler Netze. In Deutsch könnte der Gebrauch von ChatGPT Thema sein, und in Kunst der Umgang mit digitalen Bildern auf Social Media und mit bilderzeugender künstlicher Intelligenz.
Rippel und ihr Verband verschickten eine kritische Stellungnahme mit diesen Überlegungen an alle Schulen, die Schulbehörde und ihre 330 Mitglieder. Sie kritisieren darin auch die Kürzung des Wahlpflichtbereichs. Zwar werden Hamburgs Mittelstufenschüler hier weiter Kunst, Theater und Musik haben, aber etwa ein Drittel weniger. Der Wahlbereich sei wichtig in der Mittelstufe, da diese Fächer den Schülern in der Pubertät, wo sie oft einen „Hänger“ hätten, die Gelegenheit für selbstbestimmtes Lernen bieten und das sind, was sie „durch diese Schulphase trägt“. Deshalb stellt sich der Verband entschieden gegen diese Kürzungen.
Die Kritik teilt auch Christian Gefert von der Vereinigung der Leitungen Hamburger Gymnasien und Studienseminare (VLHGS). Das Pflichtfach Informatik dürfe nicht auf Kosten der Bildungsvielfalt an den Gymnasien gehen. Er meint den um 76 Stunden beschnittenen Gestaltungsraum für Profilbildung der Schulen, etwa im sprachlichen oder naturwissenschaftlichen Bereich. Die Behörde überlasse nun den Einzelschulen, wo etwas wegzunehmen sei, statt Vorgaben zu machen, sagt Gefert. „Es fehlt ein ernsthafter Diskurs. Dabei hofften wir, dass die neue Schulsenatorin Ksenia Bekeris einen neuen Kommunikationsstil anstrebt.“
Ein wenig Wasser auf ihre Mühlen ist dieser Engpass auch für die Elterninitiative G9 Hamburg, die für eine Verlängerung der Schulzeit an Gymnasien streitet und am Montag offiziell ihr Volksbegehren anmeldete. Von der Stundenverschiebung nicht minder betroffen sind die Schüler an Hamburgs Stadtteilschulen. Dort können alle Schüler nun ein künstlerisches Fach weniger belegen, die fürs Abitur ihre zweite Fremdsprache wählen müssen.
Die Schulbehörde hält dagegen, dass die ästhetischen Fächer in Hamburg in der Mittelstufe immer noch einen „überaus hohen Stellenwert“ hätten, und Hamburg hier mehr Mindeststunden hätte, als die Kultusminister vorgeben. Darüber hinaus wende die Stadt viele Sach- und Personalmittel auf, um künstlerische Projekte zu fördern. Den Vorschlag des BDK, Informatik in die anderen Fächer zu integrieren, habe man „erwogen“, aber „verworfen“, sagt Sprecher Peter Albrecht.
Aufforderung der Bürgerschaft
Die Durchdringung der realen Welt durch digitale Systeme sei so groß, dass mündige Bürger nur mit Informatikkompetenz partizipieren könnten. Das gehe nur mit eigenen Lehrkräften und „einschlägiger Fachdidaktik im eigenen Fach“. Zudem habe die Bürgerschaft die Stadt aufgefordert, so ein Pflichtfach einzuführen.
Grüne und SPD haben sich mit den Kunstpädagogen bisher noch nicht ausgetauscht. Man könne deren Bedenken „einerseits nachvollziehen“, denn die Gesamtbelastung der Schüler dürfe nicht steigen, sagt Philipp Wenzel, Sprecher der Grünen-Fraktion. Andererseits komme das Fach aber nicht „aus dem Nichts heraus“, die Diskussion laufe sei 2013. Für den SPD-Schulpolitiker Nils Hansen sind das Programmieren und der sichere Umgang mit Netz-Informationen schlicht zwei verschiedene Dimensionen, weshalb man das Pflichtfach brauche.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar