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Propalästinensische Gruppen in HamburgProtestcamp vor Uni

Propalästinensische Gruppen haben ein Protestcamp in Uni-Nähe organisiert. Die Stimmung vor Ort ist friedlich, aber das Misstrauen ist groß.

Nach Vorbild der US-Unis: das spontane Pro-Palästina-Protestcamp an der Universität Hamburg Foto: Miguel Ferraz

Hamburg taz | „Nieder mit sozialdemokratischen Parteien, den Dienern des Imperialismus“, steht auf dem ersten Banner, das einem entgegenweht, wenn man sich dem Protestcamp für Palästina in der Nähe der Universität Hamburg nähert. Dahinter steht nur ein Zelt auf der Großen Moorweide am Dammtor, weitere hatten die Behörden den Protestierenden für diese Fläche untersagt. Um das Zelt herum sitzen etwa dreißig junge Menschen auf Picknickdecken. Die Stimmung ist friedlich, aus einer Box ertönt laute Musik.

Vier propalästinensische Gruppen hatten am Montagabend über Social Media zu dem Camp aufgerufen: Thawra, „Students for Palestine Hamburg“, „Palästina Spricht Hamburg“ und die Palästina-Allianz Hamburg.

Thawra, arabisch für Revolution, ist eine klassisch antiimperialistische Gruppe, die seit Anfang des Jahres in Hamburg aktiv ist und ihre Arbeit auf Palästina-Solidarität konzentriert. Eine ihrer ersten größeren Kundgebungen unter dem Motto „Stop the Genocide“ fand ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag, dem 27. Januar, statt.

Im Februar legte sie sich dann mit weiten Teilen der linken Szene an, als sie auf einer Gedenkkundgebung für die Opfers des rassistischen Attentats in Hanau ein Transparent mit dem Slogan „Rote Flora halts Maul – gegen den antipalästinensischen Konsens“ hochhielten.

Auch sonst fiel die Gruppe Thawra dadurch auf, dass sie in den letzten Monaten regelmäßig mit Palästina-Fahnen zu Demonstrationen erschien – auch wenn das nicht zum Thema passte und gegen den Willen der Organisatoren war.

Wir wollen die deutsche Gesellschaft auf das Thema Palästina und das Leid in Gaza aufmerksam machen

Abdel-Karem, Aktivist bei Thawra

Abdel-Karem ist 26 Jahre alt und bei Thawra aktiv. Er hat das Camp mitorganisiert und ist auch der Ansprechpartner gegenüber der Polizei. Seinen Nachnamen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Auf taz-Anfrage äußert sich Abdel-Karem kritisch über die „deutschen Mainstream-Medien“, erklärt sich dann aber doch zu einem Gespräch bereit.

Mitreden möchte auch der aus Syrien stammende Ahmed (Name geändert) von „Students for Palestine Hamburg“, der allerdings auf strenge Anonymität besteht. „Ich lebe seit sieben Monaten in Angst vor Repressionen und wir erfahren diese auch jetzt schon“, erklärt er.

Das Camp sei eine spontane Entscheidung in Reaktion auf die Evakuierung von Rafah, dem letzten Rückzugsort für Zi­vi­lis­t:in­nen in Gaza, gewesen, erklären die beiden. „Wir wollen die deutsche Gesellschaft auf das Thema Palästina und das Leid in Gaza aufmerksam machen“, sagt Abdel-Karem. Die Adressaten des Camps seien außerdem die deutsche Politik und die Universität Hamburg, die in den letzten Monaten sehr repressiv gegen propalästinensische Studierende vorgegangen sei und ihnen alle Räume entzogen habe.

Das Protestcamp neben der Universität Hamburg erinnert unweigerlich an die Proteste, die in den letzten Wochen an amerikanischen Universitäten stattgefunden haben. „Ich finde beeindruckend, was dort passiert“, sagt Ahmed dazu.

Auf die antisemitischen Ausfälle bei den amerikanischen Uni-Protesten angesprochen antwortet er, dass die Bewegung in den USA gerade auch von jüdischen Studierenden getragen würde. Ahmeds Organisation „Students for Palestine“ hat sich zuletzt per Instagram mit dem „Verband Jüdischer Studierender Nord“ angelegt und war insbesondere dessen Vorsitzende Rebecca Vaneeva angegangen, nachdem diese sich gegen Antisemitismus auf dem Campus ausgesprochen hatte.

Provokant auf Demos, zugewandt im Gespräch

Ahmed erzählt, dass er und seine Mit­strei­te­r:in­nen auf dem Hamburger Campus schon mehrfach Opfer eines jüdischen Studierenden geworden seien, der sie offensiv auf ihre Kufiya angesprochen und provoziert habe. Das verletze ihn persönlich sehr. „Jegliche Antisemitismus-Vorwürfe lehnen wir kategorisch ab“, sagt Ahmed. Dass vielleicht genau darin ein Problem liegt, können er und Abdel-Karem nicht nachvollziehen.

Was auffällt: Es besteht ein starker Widerspruch zwischen dem aggressiven und provokanten Auftreten von Thawra und „Students for Palestine“ im Internet und auf Demonstrationen und dem zugewandten und ruhigen Auftreten Abdel-Karems und Ahmeds im persönlichen Gespräch. Darauf angesprochen, wiegeln die beiden ab. „Wir treten nicht provozierend auf“, sagt Abdel-Karem. „Wir wenden uns lediglich gegen die herrschenden Narrative und werden in einer Gesellschaft, die von den Mainstream-Medien gleichgeschaltet wird, so wahrgenommen.“

Feindbild SPD

Und das Banner, auf dem die Sozialdemokratie als Diener des Imperialismus bezeichnet wird? „Das ist eine klare Ansage gegen die SPD!“, sagt Abdel-Karem. „Die gesamte Ideologie der Sozialdemokraten dient dem Imperialismus, sie haben die Gewerkschaften und Arbeiter verraten.“

Im Rahmen des Camps werden auch Spenden gesammelt. Diese gehen jedoch nicht an die Menschen in Palästina. „Wir haben als Organisation keine anderen finanziellen Mittel als Spenden“, erklärt Abdel-Karem. „Wir brauchen Geld für rechtliche Angelegenheiten und auch dieses Camp kostet ja Geld“, sagt er. Die Spenden gingen an Thawra. Was die Gruppe sich von ihrem Protest für die Menschen in Palästina verspricht, bleibt unklar.

Am Mittwoch werde das Camp umziehen, kündigen die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen an, weil sie an der Moorweide kein richtiges Camp mit einzelnen Zelten errichten dürften. Der neue Ort ist noch nicht bekannt.

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19 Kommentare

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  • Mir kommen einige Zitat maximal verwirrt vor, von Mainstream Medien und SPD Imperialismus Vorwürfen.



    Letztlich will ich mich solange nicht mit derlei 'Linkssein' inhaltlich beschäftigen, solange die nationalislamistische Hamas in Gaza noch ihre eigenen Mitmenschen drangsaliert und dann derlei Gruppen hier im Lande keinen einzigen Gedanken dazu reflektieren und entsprechend erweiterte Plakattexte vortragen oder im Interview per Schwerpunkt selbst thematisieren.



    Schlimm!

  • „Gleichgeschaltete Mainstream Medien“, wenn die SPD für den Jungen nichts ist, dann kann er ja mal bei der AfD anklopfen; die sieht das meines Wissens nach ähnlich. Dazu passt auch das Geschwurbel von Repressionen und das Geschrei von unterdrückter Meinungsfreiheit nur weil die eigene, radikale Meinung nicht geteilt und gar entlarvt wird in ihrer inkonsistenz. Ich frage mich wie es denn



    Immer wieder zu antisemitischen Parolen und Ausfällen auf sog. pro-palästinensischen Veranstaltungen aller Art kommen kann, wo die laut Eigenaussage doch immer alles andere als antisemitisch sind.

  • Es bleibt bei mir zunehmend das miese Geschmäckle, dass es für eine gar nicht so breite, aber sehr laute und aggressive Protestmenge sehr einfach ist, gegen Israel zu demonstrieren (weil jüdischer Staat), während zugleich z.B. im Sudan arabische Milizen genozidale Absichten verfolgen: www.hrw.org/de/new...berung-west-darfur



    Wo, the f*** sind und waren die Free Palastine-Protestierer eigentlich im Hinblick auf all die anderen Kriege, Bürgerkriege, Diktaturen, Terrorregimes von Afghanistan bis Syrien und von Somalia bis Jemen? Geht es um Menschenrechte - für alle? Ich habe da so meine Zweifel.



    Die Allianz aus Islamist*innen (Hamas et al.) und Postkolonialist*innen kann man sich kaum ausdenken, so absurd erscheint sie - aber sie geht auf.



    Da stehen junge Studierende überall auf der Welt und fordern eine Intifada in dem Glauben, sie träten für Menschenrechte ein.

    Bisschen mehr Fähigkeit zu Differenz, Dialektik und Diskurs hätte ich da schon erwartet...

    • @hierbamala:

      Sie waren immer hier und sind noch hier. Wer sehen möchte wird fündig.

    • @hierbamala:

      Ihnen ist in jedem Punkt zuzustimmen. Meine einzige Hoffnung in Bezug auf die Studenten ist, dass es sich hier letztlich um eine kleine aber dafür sehr lautstarke Gruppe handelt und sie nicht repräsentativ für das Gros der Studenten sind; anderenfalls wären die Zukunftsaussichten doch allzu traurig.

  • Man kann nur hoffen das das eine ganz kleine, sehr laute Minderheit ist.



    Das ist sowas von beschämend für Deutschland.

    Vor lauter "Kampf gegen Rechts" hat sich der Antisemitismus ganz übel unbemerkt ausbreiten können.

  • "„Jegliche Antisemitismus-Vorwürfe lehnen wir kategorisch ab“, sagt Ahmed." Heißt das "Es gibt keinen Anlass, uns Antisemitismus vorzuwerfen" oder "Wir lehnen es ab, uns unseren Antisemitismus vorwerfen zu lassen"?

    • @PeterArt:

      Die Formulierung ist wirklich spannend und vielsagend.

  • Ihr seid gerne alle eingeladen zu mir in die Flüchtlingshilfe zu kommen und Menschen aus Palästina , Syrien und Afghanistan ehrenamtlich wirklich zu helfen. Aber seid 5 Jahren nicht ein Student im Ehrenamt . Schade, aber reden ist halt leichter als machen.

    • @Mr Ambivalent:

      wohl wahr! Aber bei Ehrenamt kein Wunder. Bei uns wird man für die Arbeit mit Geflüchteten bezahlt

  • In der Rhetorik unterscheiden sich diese Agitatoren leider nicht sonderlich von extremen Rechten. Auch im Auftreten und Verhalten nicht. Als Mobb sind sie vermummt und gewaltbereit, im Internet gut angezogen und vermeintlich charmant und zur Presse unaufrichtig (oder gleich ganz ablehnend).



    Vermutlich würden auch einige von denen liebend gerne mal ein paar SPD Abgeordnete beim Plakate kleben zusammenschlagen. Und am besten noch ein paar Journalist*innen noch dazu.







    "Lugenpresse" ... "gleichgeschaltete Mainstreammedien"... "Faked News" ... Brr. Sorry liebe Freund*innen, dass geht mal gar nicht und ist in keiner Betrachtung eine linke Positionierung in dieser Zeit.



    Als rechte Hanswurst Truppe kann man das ja vielleicht noch so nach Außen tragen ohne sich dabei irgendwie neben der Spur vorzukommen. Aber mit einem irgendwie gearteten linken Anstrich und Anspruch dahinter? Das ist schon eine beachtliche Entgleisung.



    Und sich dann wundern wenn einige darauf verweisen, dass bereits 1800 Soundso mit genau diesen Motiven gegen Juden Stimmung gemacht wurde? Sich wundern wenn auch Leute ganz weit außerhalb des Einzugsbereichs der roten Flora euch beängstigend und neben der Kappe finden??

    Völkisch-nationales Gedankengut, Antisemitismus, Chauvinismus etc. (mit oder ohne angehängte Gewaltaufforderung gegen einen oder gleich mehrere ausgemachte Feind), hat in Bildungseinrichtungen nicht verloren und steht nicht auf dem Boden der Menschenrechte!



    Das gilt für die meisten der Camps und Proteste ebenso für Leute die sich kategorisch auf die Seite eines Nationalstaates oder seiner Politik schlagen ohne dabei einen Raum für die Kritik zu erhalten. Wohlgemerkt: Der Kritik, und nicht dem Verbrechen.

  • "„Jegliche Antisemitismus-Vorwürfe lehnen wir kategorisch ab“, sagt Ahmed."

    Ja klar, ist bekanntlich nur Kritik an der israelischen Besatzungspolitik.

    "Palästina spricht", eine der Gruppen hinter dem Protestcamp am 7. Oktober: "We are overwhelmed. (...) Today is a revolutionary day. Gaza just broke out of prison."

    Das muss wohl die "Israelkritik" sein, der - natürlich völlig grundlos - immer wieder Antisemitismus unterstellt wird und die deshalb unverständlicherweise immer wieder staatlichen Repressalien ausgesetzt ist: "In Germany, we will not be silenced or intimidated by all mechanisms of repression, same as in Gaza,..."

    • @Schalamow:

      Genau diese Haltung ist brandgefährlich, weil sie Antisemitismus fördert. Wie jedes andere Land auch, darf uns muss Israel-Kritik erlaubt sein. Im Anbetracht der tausenden zivilen Opfer nach dem 7. Oktober ist Kritik sogar unumgänglich.

      • @Ertugrul Gazi:

        Israel wird viel mehr als jedes andere Land der Welt kritisiert. In Israel darf sogar die Bevölkerung die eigene Regierung massiv kritisieren und gegen sie auf die Straße gehen; anders als in jedem mir bekannten arabischen Land.

        Was auf deutschen Straßen aber nicht erlaubt ist und das vollkommen zu recht, dass ist antisemitische und antiisraelische Hetze. Mag sein, dass das beispielsweise in Syrien anders ist, aber dann sollen diese Leute die meinen das Verbot der Hetze sei einen unerträgliche Einschränkung der Meinungsfreiheit und gesinnungsdiktatur doch bitte dorthin gehen. Wäre ein richtige Win-win-Situation: Die einen können dort ungehindert ihrem Antisemitismus nachgehen und unser Land hat ein paar Idioten weniger.

      • @Ertugrul Gazi:

        Es geht doch nicht darum, Kritik an Israel zu verbieten.



        Es geht darum, dass es antisemitische Äußerungen gibt, die sich als Israelkritik tarnen.

        Den Angriff der Hamas als "revolutionären Tag" zu bezeichnen gehört dazu (mal ganz davon abgesehen, dass die Hamas definitiv keine revolutionäre Gruppe ist und Feind aller Linken sein muss).



        Was definitiv nicht antisemitisch ist: zu sagen oder zu schreiben, dass Israel in Gaza Verbrechen begeht und tausende Unbeteiligte in den Kämpfen getötet wurden. Und für diese Toten trägt Israel eine Mitverantwortung.

      • @Ertugrul Gazi:

        Warum gibt es eigentlich den festen Begriff "Israelkritik", aber nicht "Frankreichkritik" oder "Australienkritik"?

      • @Ertugrul Gazi:

        "Palästina spricht" bejubelt das Abschlachten von Juden am 7. Oktober.

        Wenn das bei Ihnen allen Ernstes noch unter "Israelkritik" läuft und nicht unter dem, was es tatsächlich ist, nämlich Antisemitismus, dann haben wir genau das Problem, das ich in meinem Kommentar benannt habe und was mir symptomatisch für die Debatte zu sein scheint: Selbst wenn einem der Antisemitismus geradezu ins Gesicht springt, wird er einfach abgestritten.

    • @Schalamow:

      Wie regen sich nicht ernsthaft darüber auf und nennen "das" Antisemismus?

      • @Jessica Blucher:

        Sie behaupten nicht ernsthaft, dass die Charakterisierung des größten Pogroms an Juden seit der Shoah als "Gefängnisausbruch" nicht antisemitisch sei?