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Nach Angriff auf Politiker in DresdenWahlkampf um die Demokratie

Zuletzt hat es mehrere Angriffe auf Po­li­ti­ke­r:in­nen gegeben. Der Überfall auf den sächsischen SPD-Europapolitiker Matthias Ecke war der schwerste.

Tatort in Dresden: Hier griffen Unbekannte den SPD-Politiker Matthias Ecke an Foto: Robert Michael/dpa

Marcus Hetzel plakatiert seit Jahren für die Grünen in Dresden. „Früher ist man da entspannt losgezogen.“ Aber dieses Jahr, am vergangenen Freitag, habe er sich mit einem anderen Gefühl auf den Weg gemacht. Aus der Partei hieß es, am besten sollten die Wahl­hel­fe­r:in­nen zu dritt unterwegs sein, Gefahren aus dem Weg gehen und im Zweifel gleich die Polizei rufen.

Das hatte er im Kopf. Doch im beschaulichen Dresdener Stadtteil Striesen rechnete er mit nichts, so erzählt es Hetzel der taz. Doch als er mit zwei anderen um etwa 23 Uhr vor einem Späti ein Plakat aufhängte, sprach ihn eine Gruppe junger Männer an, schwarz gekleidet, manche mit dunklen Mützen. „Das Plakat wird nicht lange hängen“, hätten sie sinngemäß gesagt. Hetzel solle es abnehmen. Der sagte, falls es sie störe, sollten sie selbst das Plakat abhängen. „Dann hat einer von denen gedroht, wenn ich es nicht mache, könne es sein, dass mir dasselbe passiert wie den anderen vorhin.“ Hetzel rief die Polizei. Er ahnte schon, was mit der Drohung gemeint sein könnte: In einem internen Chat hatte er von Angriffen auf Wahl­hel­fe­r:in­nen gelesen.

An diesem Abend kam es zu mehreren Attacken. Ein 28-jähriger Wahlhelfer der Grünen wurde von vier Vermummten geschlagen und getreten, als er in der Schandauer Straße Plakate aufhängte. Etwas später, in der gleichen Straße, griffen mehrere Unbekannte den sächsischen SPD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Matthias Ecke, an und fügten ihm mehrere Knochenbrüche im Gesicht zu. Er muss operiert werden.

Matthias Ecke stammt aus dem sächsischen Meerane und lebt heute in Dresden. Der 41-Jährige rückte 2022 für die SPD ins Europaparlament nach, kümmerte sich um Regionales und Industriethemen.

In der Nacht zum Sonntag stellte sich ein 17-Jähriger und gab an, er habe den Politiker angegriffen. Laut Polizei war er vorher nicht mit den Behörden in Konflikt geraten. Weitere Täter waren bis Redak­tions­schluss noch nicht gefasst. Zeu­g:in­nen schätzten auch ihr Alter auf etwa 20 Jahre oder jünger. Sie seien schwarz gekleidet gewesen und mutmaßlich dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen. Laut Polizei ist der Hintergrund unklar. Die Ermittlungen laufen.

Andrea Hübler, Geschäftsführerin der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt RAA in Sachsen, sagt allerdings, sie habe das befürchtet: mehr Angriffe während des Wahlkampfs auf Helfer*innen. „Vor allem aus dem Neonazi-Spek­trum“, betont sie. Die Beratungsstelle hat im April ihre Statistik über Fälle rechter Gewalt veröffentlicht. Im vergangenen Jahr seien klassische Neonazi-Strukturen in Sachsen wieder stärker wahrnehmbar gewesen.

In der vergangenen Woche gab es auch an anderen Orten Übergriffe auf Grüne in Sachsen: In Chemnitz war es ebenfalls zu einem Angriff gekommen, in Zwickau, Freiberg und Penig seien Wahl­hel­fe­r:in­nen verbal bedroht worden. Der Angriff auf Matthias Ecke sei aber eine neue Dimension, sagt Hübler. „Bisher hat es noch nie zu solchen Verletzungen geführt.“

Für Hübler stelle sich vor allem die Frage: „Handelt es sich um einen spontanen oder geplanten Angriff?“ Die Brutalität und dass es an mehreren Stellen zu Übergriffen kam, spreche für eine abgesprochene Aktion. Ebenso, dass es die erste Nacht war, in der Wahlplakate in Dresden aufgehängt werden durften. Weil die Ermittlungen andauern, möchte die Polizei sich dazu nicht äußern.

Der SPD-Landesvorsitzende Henning Homann sagte gegenüber der taz, er sorge sich vor Nach­ah­me­r:in­nen. Dagegen fordert er konsequente Ermittlungen. Denn wie sich die Gewalt aktuell entwickle, sei er­schreckend. Homann wisse von etwa zehn Angriffen auf ­Plakatier-Teams verschiedener Parteien in der vergangenen Woche in Sachsen. Dabei hat der Plakat-Wahlkampf gerade begonnen.

Der Europaabgeordnete Matthias Ecke auf dem Landesparteitag der SPD Sachsen in Chemnitz Foto: Heiko Rebsch/dpa

Gewalt gibt es allerdings nicht nur in Sachsen. Eine Kleine Anfrage der AfD im Bundestag hat ergeben, dass politische Gewalt im vergangenen Jahr vor allem gegen die Grünen zugenommen hat. Registrierten Behörden 2020 noch 296 Angriffe auf Ver­tre­te­r:in­nen dieser Partei, waren es im vergangenen Jahr fast viermal so viele: 1.219. Auf AfD-Vertreter:innen, die 2020 die meisten Angriffe abbekamen, gingen die Zahlen in der gleichen Zeit von 782 auf 478 zurück. An diesem Wochenende wurde in Niedersachsen ein Landtagsabgeordneter mit Eiern beworfen und geschlagen.

„Es gibt Angriffe auf die AfD, unbestritten“, sagt Hübler. „Trotzdem hat das einen qualitativen Unterschied.“ Das eine seien ein Angriff auf alle demokratischen Parteien, das andere einer „auf eine Partei, die die Demokratie zerstören will, mit Remigration, Nationalismus, Rassismus und Faschismus.“

Zum aktuellen Angriff auf den SPD-Spitzenkandidaten Ecke schrieb der sächsische AfD-Chef Jörg Urban auf X, er verurteile den Angriff. „Allerdings muss sich die SPD fragen, inwieweit ihre ständige Hetze gegen politisch Andersdenkende zu solchen Eskalationen beiträgt.“ Eine Nachfrage der taz, welche Hetze er meine, ließ er unbeantwortet.

Homann sagt: „Das ekelt mich an und das ist heuchlerisch.“ Die AfD habe zum aggressiveren Klima in der Politik beigetragen. „Das sind keine Schlägertrupps der AfD. Aber durch ihre Worte schafft sie einen Raum, in dem sich diese Täter legitimiert fühlen.“ Insgesamt erfahre die SPD nun viel Solidarität. „Das tut gut.“ Seine Partei werde nach dem Angriff erst recht Plakate aufhängen und um Wäh­le­r:in­nen­stim­men kämpfen, sagt der Landesvorsitzende. „Aber es hat sich was verändert.“

Ähnlich klingt es beim Grünen-Wahlhelfer Marcus Hetzel. Er habe am Freitagabend Glück gehabt, glaubt er, weil es vor dem Späti hell war und noch andere Menschen in der Nähe standen. Die Polizei sprach mit den jungen Männern, Hetzel plakatierte weiter. Und er werde auch weiter Plakate aufhängen. „Aber es fühlt sich jetzt anders an.“

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8 Kommentare

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  • auch wenn ich mit den meisten inhalten auf den wahlplakaten nix amnfangen kann + die demokratie bei uns für mich einige mängel aufweist:

    mir wird einfach schlecht bei der eskalation, die jetzt passiert ist.



    weimar läßt ganz stark grüßen.



    loide, zieht euch trotzkis "was nun" zum thema rein:



    "In dieser Schrift analysiert Trotzki die politische Lage in Deutschland und bewertet die Strategien der Arbeiterparteien zur Bekämpfung des aufsteigenden Nationalsozialismus.



    www.marxists.org/d...2/wasnun/index.htm

  • „Es gibt Angriffe auf die AfD, unbestritten“, sagt Hübler. „Trotzdem hat das einen qualitativen Unterschied.“ Das eine seien ein Angriff auf alle demokratischen Parteien, das andere einer „auf eine Partei, die die Demokratie zerstören will, mit Remigration, Nationalismus, Rassismus und Faschismus.“



    Dito! "Küsst die Faschist*innen, wo Ihr sie trefft" (Tucholski)



    "Insgesamt erfahre die SPD nun viel Solidarität. „Das tut gut.“ Seine Partei werde nach dem Angriff erst recht Plakate aufhängen und um Wäh­le­r:in­nen­stim­men kämpfen, sagt der Landesvorsitzende."



    Ich bin solidarisch mit den Menschen der SPD, mit deren vorherrschenden Inhalten und (Regierungs)politik stimme ich aber so gut wie nicht überein. Wenn die SPD um Wähler*innenstimmen kämpfen will, sollte sie mal ihre Agenda2010-Kontinuitäten und jener anhängenden Politiker*innen hinterfragen.

    • @Uranus:

      Politische Stilblüten

      Zitat @URANUS: "Küsst die Faschist*innen, wo Ihr sie trefft" (Tucholski)"

      Das Originalzitat ist nicht von Tucholski, sondern von Tucholsky, und es lautet nicht: "Küsst die Faschist*innen, wo Ihr sie trefft“, sondern „Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft!“. Für Leute wie Kurt Tucholsky, die es wirklich wissen mußten, war der Faschismus eine durch und durch maskuline Angelegenheit militaristischer Observanz, bei dessen Benennung der modische Gendrian bei den Nachgeborenen nur zu einer verharmlosenden Assoziation führen kann, ungeachtet der stilblütigen Verknüpfung von „Faschistinnen und küssen“. Tucholsky würde sich im Grabe rumdrehen,

      Hier zur Klarstellung das ganze Gedicht:

      Rosen auf den Weg gestreut

      Ihr müßt sie lieb und nett behandeln,



      erschreckt sie nicht – sie sind so zart!



      Ihr müßt mit Palmen sie umwandeln,



      getreulich ihrer Eigenart!



      Pfeift euerm Hunde, wenn er kläfft –:



      Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft!

      Wenn sie in ihren Sälen hetzen,



      sagt: »Ja und Amen – aber gern!



      Hier habt ihr mich – schlagt mich in Fetzen!«



      Und prügeln sie, so lobt den Herrn.



      Denn Prügeln ist doch ihr Geschäft!



      Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft.

      Und schießen sie –: du lieber Himmel,



      schätzt ihr das Leben so hoch ein?



      Das ist ein Pazifisten-Fimmel!



      Wer möchte nicht gern Opfer sein?



      Nennt sie: die süßen Schnuckerchen,



      gebt ihnen Bonbons und Zuckerchen ...



      Und verspürt ihr auch



      in euerm Bauch



      den Hitler-Dolch, tief, bis zum Heft –:



      Küßt die Faschisten, küßt die Faschisten,



      küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft –!

      • @Reinhardt Gutsche:

        danke

  • Mich würde der qualitative Unterschied interessieren. Also Leute der AfD zu verletzen ist weniger schlimm?

  • "'Es gibt Angriffe auf die AfD, unbestritten' sagt Hübler. 'Trotzdem hat das einen qualitativen Unterschied.' Das eine seien ein Angriff auf alle demokratischen Parteien, das andere einer 'auf eine Partei, die die Demokratie zerstören will, mit Remigration, Nationalismus, Rassismus und Faschismus.'"

    Inhaltlich stimmt die Beschreibung der AfD zwar, aber das rechtfertigt keine Gewalt. Gewalt wäre als Notwehr/Widerstand erst dann zulässig, wenn die AfD das, was sie fordert, umsetzen könnte und würde. Aber bislang leben wir noch in einer Demokratie.

  • Plakate verbieten, von allen Parteien.



    Steht nichts sinnvolles darauf und verschandelt die Umwelt.



    Damit verschwindet auch die Wetbung für die Nazis.

    Die Parteien, die antreten, kennt jeder.

    Auf Sprüche wie,



    Politik mit Herz- SPD mit lächender Frau



    Politik für die Mitte - FDP - mit altem Mann



    Darunter steht - G F.machts.

    Ksnn man getrost verzichten. Hört sich eher nach Kindergarten an.

  • Jaja, das war sicher der berühmte "geistig verwirrte Einzeltäter" türlich ohne politischen Hintergrund...