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Netflix-Serie über Missbrauch an MännernEhrlich, mutig, verletzlich

„Rentierbaby“ ist eine einzigartige Geschichte, gespielt von dem, der sie wirklich erlebte. Es geht um sexuellen Missbrauch an Männern.

Wer stalkt hier wen? Foto: Ed Miller/Netflix

Martha (Jessica Gunning) hat krauses Haar, ist seltsam geschminkt und stark übergewichtig, sie lügt über ihren angeblichen Job als Anwältin und kann sich kein Getränk im Pub leisten.

Sofort hat Donny (Richard Gadd) Mitleid mit ihr. Und doch weiß er, dass das unfair ist. Wie immer steht er hinterm Tresen des Heart-Pub im Londoner Stadtteil Camden und zapft ein Bier, als Martha reinkommt. Donnys Mitleid ist es, das die beiden in ein Gespräch verwickelt.

Martha verliebt sich bald in ihr „Rentierbaby“, wie sie Donny nennt. Er genießt ihre Aufmerksamkeit und dass sie über ihn lacht. Denn Donny ist erfolgloser Comedian. Und auch wenn Donny es nicht ist, so ist die Serie doch zum Schreien komisch. Was zunächst harmlos scheint, nimmt bald eine dramatische Wendung: Es dauert nicht lange, bis sich Martha als gnadenlose Stalkerin entpuppt. Dennoch wird es Donny nicht gelingen, sich von ihr zu lösen. Zu verstrickt miteinander sind die beiden mittlerweile.

Richard Gadd, der Donny verkörpert, liefert in „Rentierbaby“ nicht nur schauspielerisch ab, sondern schrieb auch das Drehbuch für die Miniserie. Denn die basiert auf seinem eigenen Leben, wie die Schrift „This is a true story“ auf dem Bildschirm verrät. So sei er selbst mehrere Jahre lang von einer Frau gestalkt worden, die ihn „baby reindeer“ nannte.

Verwirrte Sexualität, geplatzte Träume

„Rentierbaby“

sieben Folgen auf Netflix

Die Serie ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Sie fesselt die Aufmerksamkeit mit einem spannenden Plot, untermalt den mit einem tollen Soundtrack und überzeugt mit fantastischen schauspielerischen Leistungen von Gadd und Gunning.

Donnys eindringliche Erzählstimme trägt dabei durch die Handlung, ohne vor Themen wie Trauma, verwirrter Sexualität, geplatzten Träumen und sexuellem Missbrauch an Männern zurückzuschrecken. Besonders Letzteres wird mit einer Ernsthaftigkeit besprochen, die es in der Serien- und Filmwelt bisher selten gegeben hat.

„Rentierbaby“ ist eine verletzliche und zugleich mutige Darstellung von Männlichkeit. Die Serie verführt das Publikum mit großen Lachern, nur um ihm im nächsten Moment mit roher Trauer in den Magen zu treten.

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9 Kommentare

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  • Gut, dass dieses Thema Aufmerksamkeit erhält.

  • Wichtiges Thema!

  • Ich schaue sie gerade.

    Die Serie ist Bombe.

    • @Jim Hawkins:

      Empfehle -



      Größter Neinsager sagte zu



      Entwarf ein unvergleichliches Bestiarium der Hippiezeit: Der Zeichner Robert Crumb musiziert heute mit seiner Familie und präsentiert morgen im 3001 Terry Zwigoffs Doku „Crumb“



      VON VOLKER HUMMEL



      taz.de/Groesster-N...-sagte-zu/!786899/



      “Interessanter als diese Standardfloskeln vieler Künstlerdokus sind die autobiographischen Abgründe, in die Zwigoff hineinblickt. Crumbs ältester Bruder Charles thront wie ein depressiver Buddha im Hause seiner Mutter, das er seit Jahren nicht verlassen hat, und murmelt mit bitterem Lächeln vom sadistischen Vater und einem nicht existenten Sexleben. Dem jüngeren Bruder Maxon begegnen wir auf einem Fakirbrett sitzend, wie er auf einem endlosen Seil kaut, das seine Eingeweide reinigen soll, und Anekdoten von Chinesinnen erzählt, denen er im Kaufhaus die Höschen runtergezogen hat. Die Mischung aus selbstzerstörerischem Hass und Selbstironie scheint in der Familie zu liegen.



      Anders als seine beiden Brüder schaffte es Robert Crumb Mitte der 60er Jahre jedoch, mit Hilfe seiner Comics den Pathologien seines Alltags eine verwertbare Form zu geben. Wie er im Film erklärt, beschloss er nach Ablauf seiner Highschool-Zeit, durch Comics berühmt zu werden, damit die Frauen endlich auch bei ihm Schlange stehen. Ein Plan, der wunderbar funktionierte.“



      Lose Erinnerung - das Teil gesehen zu haben! Das obige - kotz würg übel - !



      & naturellement - unschlagbar -



      “Denk immer daran, daß ich dich unter Schmerzen geboren habe!“



      Na wer wohl? F. K. Waechter



      images.app.goo.gl/EoZ2gSDXe1bwT28Y8



      &



      Niemals auf Wolke sieben



      taz.de/Aromantik-im-Alltag/!5864368/



      in der e-kommune die üblichen verdächtigen - naturellement -

      ps Wg Trick Familienzusammenführung Ost/West und anschließend fehlendem Wohnraum habe ich mit Mutter und Großmutter von 1949 bis 1955 allein gelebt! Erst in der Analyse nach Psychocrash hab ich die vglw milde aber doch Übergriffigkeit kapiert - mir eingestanden! Woll

  • 8G
    81283 (Profil gelöscht)

    Spielt das Gewicht hier wirklich eine Rolle? Anders gefragt, was bringt die Information? Der männliche Darsteller wird auch nicht als extrem durchschnittlich gewichtig charakterisiert ...

    • @81283 (Profil gelöscht):

      Einer der Gründe für sein Mitleid, evtl auch sein Interesse an ihr. Also höchst relevant.

    • @81283 (Profil gelöscht):

      Mal aus Neugier: Was bringt die Information dass sie krauses Haar hat?

      btw: Ich glaube der Begriff "extrem durchschnittlich" ist ein Widerspruch in sich

    • @81283 (Profil gelöscht):

      Nun ja, das ist ein sehr auffälliges und augenscheinliches Merkmal dieser Figur.

      Warum sollte man das nicht sagen dürfen?

      • @Jim Hawkins:

        Geewe geht wohl davon aus, daß die Aussage "stark übergewichtig", die über die Person in Wirklichkeit gar nichts aussagt, in einer Aussagenreihe von anderen eher negativ gelesenen Ausdrücken eine Aversion gegen Übergewichtige darstellt, oder diese zumindest verstärkt.

        Ansonsten hätte Catil ja auch schreiben können:

        Martha (Jessica Gunning) hat lockiges Haar, ist auf individuelle (ihre eigene) Art geschminkt und gleicht figürlich einer Rubensschönheit, sie schützt ihr Privatleben, indem sie sich fremden Gegenüber bei Erstkontakt als Anwältin ausgibt und kann sich (im Moment) kein Getränk im Pub leisten.

        Ergo: Der Ton macht hier die Musik.

        Geewe wird wohl weiterhin die Tatsachen miteinander verknüpfen, daß einerseits 2022 mehr als 40 Prozent der VSAmänner und -frauen adipositös gewesen sind, andererseits aber übergewichtige Menschen in dortigen Spielfilmen so gut wie nur die Auswahl zwischen herzlich-humorvollen Rollen (himmelhoch jauchzend) oder sozial abgehängtes Milieu (zu Tode betrübt) darstellen dürfen.