Israel nutzt KI-System Lavender in Gaza: 20 Sekunden für Leben oder Tod
Die israelische Armee setzt für die Suche nach Hamas-Kämpfern auf eine KI. Sie agiert fast autonom, nimmt zivile Opfer in Kauf und verdächtigt Zehntausende.
A ktuelle Recherchen veranschaulichen die Dystopie des Krieges im Gazastreifen. Laut dem israelisch-palästinensischen Onlinemedium +972 Magazine wendet das israelische Militär ein KI-Programm namens „Lavender“ an, um Hamas-Ziele zu finden. Insgesamt hat die KI mindestens 37.000 Menschen als „Terroristen“ abgestempelt und zum Abschuss freigegeben.
Den Informationen zufolge, die auf Whistleblowern basieren, werden zivile Opfer dabei bewusst in Kauf genommen. So seien bei Hamas-Kämpfern mit niedrigem Rang 15 bis 20 zivile Opfer tolerabel. Bei hochrangigen Kommandanten werden gar über 100 zivile Todesopfer toleriert.
Ebenso schockierend ist der Umstand, dass Wohnblocks mit Familien gezielt bombardiert werden, weil laut dem Militär die Erfassung der Ziele einfacher sei, wenn diese sich bei ihren Familien aufhielten.
„Lavender“ handelt fast gänzlich autonom. Eine Quelle berichtet, sie wende für einen Menschen, den die KI als verdächtig einstuft, etwa 20 Sekunden auf, um die Einstufung zu verifizieren. In der Zeit überprüfe sie lediglich, ob das Ziel männlich ist.
Weitere, durchaus schockierende Erkenntnisse erinnern an andere Konflikte, etwa an den „War on Terror“ der Amerikaner in Afghanistan und anderswo. 2012 wurde bekannt, dass Washington jede „männliche Person im wehrfähigen Alter“ („military-aged male“) im Umfeld eines Drohnenangriffs per se als „feindlichen Kombattanten“ betrachtet, solange Gegenteiliges nicht bewiesen wird. Auch „Lavender“ macht nicht vor minderjährigen Palästinensern halt.
Tatsächlich ist der Massenmord mittels KI eine direkte Folge des „Tods per Knopfdruck“, der im Zuge der Antiterrorkriege der letzten zwei Jahrzehnte etabliert wurde. Jegliches Verständnis von Ethik, Moral und Rechtsstaatlichkeit fällt bei dieser Art der Kriegsführung weg.
Hinzu kommt, dass sie keineswegs zu einem Erfolg führt, neue Terroristen züchtet und nicht verlässlich ist. Auch dies macht der desaströse Ausgang des Krieges in Afghanistan deutlich: Viele der Taliban-Führer, die in den letzten Jahren nach Drohnenoperationen vermeintlich getötet wurden, regieren heute in Kabul und sind stärker denn je zuvor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wirtschaftspolitik der FDP
Falsch und verlogen
Israelische Fans angegriffen
Gewalt in Amsterdam
Auflösung der Ampel-Regierung
Drängel-Merz
+++ Nach dem Ende der Ampel +++
Scholz lehnt Vertrauensfrage vor Januar ab
Trumps Sieg bei US-Präsidentschaftswahl
Harris, Biden, die Elite? Wer hat Schuld?
Schönheitsideale in der Modewelt
Zurück zu Size Zero