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Julia NawalnajaFür ein freies Russland kämpfen

Nach dem Tod ihres Mannes sagt Julia Nawalnaja in einer emotionalen Rede Putin den Kampf an. Sie nimmt damit eine neue politische Rolle ein.

„Ich werde die Sache meines Mannes fortführen“, sagte Julia Nawalnaja in einem YouTube-Video am Montag Foto: Yves Herman/reuters

Moskau taz | Sie sitzt dort, wo stets ihr Mann saß. Sie wirkt entschlossen, auch wenn ihre Stimme brüchig ist. „Hallo. Ich bin Julia Nawalnaja. Es hätte ein anderer Mensch auf diesem Platz sein sollen, aber diesen Menschen hat Wladimir Putin getötet. Putin hat mir das Liebste genommen, was ich hatte. Und ich weiß, ihr habt nicht weniger verloren als ich“, sagt die Frau des in Haft umgekommenen russischen Oppositionspolitikers Alexei Nawalny in ihrer emotionalen Videobotschaft am dritten Tag nach Bekanntwerden von Nawalnys Ableben.

In knapp neun Minuten macht die 47-Jährige auf dem Youtube-Kanal ihres Mannes deutlich, dass sie es nun ist, die seinen Kampf weiterführen will. „Indem Putin Alexei tötete, tötete er auch eine Hälfte von mir. Aber ich habe noch eine andere Hälfte, und diese sagt mir, dass ich kein Recht habe aufzugeben“, sagt Julia Nawalnaja im Studio des „Team Nawalny“.

All die Jahre hatte sich die Moskauerin geweigert, eine eigenständige politische Rolle einzunehmen. Sie war stets die kühl wirkende Frau an der Seite ihres Mannes. Nun hat das Schicksal Julia Nawalnaja in diese Rolle gedrängt. Und sie zeigt der Welt gerade, dass sie diese annimmt: „Ich werde die Sache meines Mannes fortführen, für ein wunderbares Russland der Zukunft, ein Land, wie Alexei sich das immer vorgestellt hatte“, sagt sie eindringlich, die Trauer ist ihr ins Gesicht geschrieben. Doch weinen, nein, weinen wird sie auch dieses Mal nicht, sie wird ihrem Wort, das sie vor mehr als zehn Jahren erstmals vor einem Gericht öffentlich aussprach, weiter treu bleiben: „Diese Schweinehunde werden unsere Tränen niemals sehen.“

Es war die Vergiftung Nawalnys mit dem Nervengas Nowitschok 2021, die sie erstmals ins Rampenlicht rückte. Sie betrat die öffentliche Bühne, weil er es nicht mehr konnte, und kämpfte, mit Sonnenbrille und in Lederjacke, wie eine Löwin für sein Überleben. Sie war es, die Putin bat, ihren Mann nach Deutschland ausfliegen zu lassen, sie forderte Dokumente von den Ärzten, gab zahlreiche Interviews. Die Stille war plötzlich laut geworden. „Du hast mir das Leben gerettet“, hatte Nawalny in seinem erstem Post nach seinem Koma bei Instagram geschrieben. „Ich liebe dich“, schrieb Julia Nawalnaja unter einem Bild der beiden nach seinem Tod, ebenfalls bei Instagram.

Seit 2010 in der Öffentlichkeit

Die beiden hatten sich 1998 im Urlaub in der Türkei kennengelernt, er, der Jurist aus Moskau, sie, die an der renommierten Moskauer Plechanow-Universität „Internationale Beziehungen“ studierte und später bei einer Bank arbeitete. 2000 heirateten sie, im Jahr, als Putin an die Macht kam. 2001 kam Tochter Darja zur Welt, 2008 Sohn Sachar. Die Nawalnys führten seit 2010 ein Leben in der Öffentlichkeit; bei seiner Kampagne zur Präsidentenwahl 2018, zu der er schließlich nicht zugelassen wurde, waren Julia, Darja und Sachar stets mit dabei. Auch seine Verhaftungen bekamen die Kinder oft hautnah mit.

Es waren auch sie, für die Nawalny gekämpft hatte, weil er wollte, dass seine Kinder in einem freien Land groß werden. Nun leben Julia und Sachar in Deutschland, Darja studiert in Kalifornien. „Ich spüre Zorn und Hass auf die, die es gewagt haben, unsere Zukunft zu töten. Es ist eine Schande, nun nichts zu tun“, sagt Julia Nawalnaja im Video, dessen letzte Bilder Alexei Nawalny zeigen, lächelnd, als wäre er noch am Leben.

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19 Kommentare

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  • Solange wir die nicht unterstützen, die für ihre Freiheit kämpfen wird die Welt nicht besser.



    Free people of ... & ... & ... & ... & ... & ... & ... & ... & ... & ... & ... & ... & ... & ...

    • @vjr:

      ..mit Taten unterstützen..

      ..Scholz & Co. inklusive..

  • Wenn wir (nicht nur in Russland) nicht aufpassen und Moral weiterhin gering- u. Gewalt überschätzen, werden wir uns in derselben Situation wie die Nawalnys wiederfinden.

  • Nein, das war die Mutter von Herrn Nawalny. Und sie ist immer noch dort, und wird wohl auch noch eine Weile bleiben. Sie hat vor dem Amtsgericht Salichard eine Untätigkeitsklage gegen die örtliche Staatsanwaltschaft erhoben, weil sie den Leichnam ihres Sohnes nicht sehen darf und ihr nicht mitgeteilt wird, wo er sich befindet. Der erste Verhandlungstermin wurde vom „Gericht“ schon mitgeteilt: 3. März.

    • @Barbara Falk:

      Antwort an @troll Eulenspiegel.

  • War Julia nicht zuletzt im tief verschneiten Russlands, minus 30 Grad in dicker Jacke, um die Herausgabe ihres Mannes zu fordern?

    Wenn sie laut Artikel in Deutschland lebt, habe ich die Befürchtung, sie wird es nicht mehr lebend dorthin schaffen. Sie will nämlich tapfer weiterkämpfen, was für den Kreml nicht willkommen ist.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Nein, das Nawalnys Mutter.

      Auch in Deutschland ist Julia Nawalnajas Leben nicht sicher. Putins Schergen morden weltweit.

  • Ist irgendwem sonst noch aufgefallen, dass die Meldung über den Tod Nawalnys ausgerechnet kurz vor dem Wochenende kam? Das ist ein inzwischen auch bei Firmen völlig üblicher Kniff, um schlechte Nachrichten im Wochenende versanden zu lassen, damit sie dann in der darauf folgenden Woche soweit wie möglich Schnee von gestern sind. Montag, Dienstag oder Mittwoch wäre das nachrichtentechnisch anders verlaufen. Das sind Mörder, aber sie sind auch eiskalte Profis.

    Ich wünsche Julia, Darja und Sachar viel Kraft und alle erdenkliche Hilfe.

    • @Mustardman:

      Es könnte auch sein, dass die Tötung Nawalnys ein Gruß von Putin an die Münchner Sicherheitskonferenz war.

      Da haben sich ja alle seine Feinde versammelt.

      Wer Gegner direkt vor dem Kreml erschießen lässt, oder mit Giften ermorden, über die nur Staaten verfügen, hat ein Händchen für derartige Symbolik.

      • @Jim Hawkins:

        Sage ich ja, eiskalte Profis. Die knipsen gut geplant Leute aus wie andere Zeilen in einer Tabelle löschen. Das sollte man immer im Auge behalten, das sind wirkliche Profis, die das professionell und systematisch planen und umsetzen.

        Deshalb darf man die auch gerne als "böse" bezeichnen, denn wer Menschen systematisch wie Dinge behandelt, ist halt die Ausgeburt des Bösen, das weiß man schon länger.

        • @Mustardman:

          „eiskalte Profis. Die knipsen gut geplant Leute aus wie andere Zeilen in einer Tabelle löschen. Das sollte man immer im Auge behalten, das sind wirkliche Profis, die das professionell und systematisch planen und umsetzen.“



          Sie überschätzen diese Leute. Den ersten Mordanschlag auf Nawalny hat ein bulgarischer Journalist (Christo Grozev) vor seinem Computer in Wien in drei Monaten aufgeklärt.

      • @Jim Hawkins:

        Wurde Anna Politkowskaja nicht auch an einem symbolträchtigen Tag ermordet, am Geburtstag Putins

  • Mit dieser Tat hat sich Wladimir endgültig übernommen. Russland ist reif für Freiheit, auch wenn die alten Kaderköpfe des kolonialen Kommunismus das immer noch nicht kapiert haben.

  • 6G
    663803 (Profil gelöscht)

    Russland kann Opposition vertragen -- die russische Bevölkerung muß dieses Maß der Repression nicht ertragen

  • Absoluter Respekt für Ihre Entscheidung und den Mut.



    Das ist nicht selbstverständlich, würde doch die Mehrheit der Menschen nach diesem Schicksalschlag den Kampf aufgeben. Mit der Fortführung hat Sie ihrem Mann sicherlich das schönste Geschenk bereitet und erhält gleichfalls all die investierte positive Energie und die Erinnerung an Ihn am Leben.



    Meine Unterstützung hat Sie, denn es wird höchste Zeit die Menschen dieses Landes nach Jahrhunderten der Unterdrückung endlich zu befreien und einen umfassenden Frieden zu verankern. An diesem sinnvollen Ziel arbeite ich gerne mit.



    Immer mehr Frauen rocken die Oststaaten des Kontinents in Richtung Demokratie und haben einen schweren Weg zu gehen. Lasst Sie uns gemeinsam unterstützen, damit die nächsten Generationen die Chance haben unseren Planeten zu erhalten.

    • 6G
      663803 (Profil gelöscht)
      @Sonnenhaus:

      und ich wünsche mir dass die belorussische Musikerin wieder auftaucht und noch dazu wieder frei kommt

      • @663803 (Profil gelöscht):

        Maria Kolesnikowa; Nennen wir ihren Namen, sie hat es verdient!



        Ja, daran wird gearbeitet. Helfen Sie mit, wir brauchen solche starken Frauen. Über das Netz Kontakt aufnehmen und sich einbringen. Hilft Leben retten und bringt uns alle eine bessere Zukunft. Viel Erfolg.

      • @663803 (Profil gelöscht):

        👍👍