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Ökonomin Veronika Grimm4 gegen 1 bei den Wirtschaftsweisen

Es kriselt bei den wichtigsten ökonomischen BeraterInnen der Bundesregierung: Die Ökonomin Veronika Grimm soll das Gremium der Wirtschaftsweisen verlassen.

Schwierige Angelegenheit: Veronika Grimm ist Wirtschaftsweise und wird Aufsichtsrätin bei Siemens Energy Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

BERLIN taz | Sie findet die Schuldenbremse richtig, hat nichts gegen Rentenkürzungen, den Weiterbetrieb stillgelegter Atomkraftwerke und kritisiert die „schwache Transformationspolitik“ von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne): Wenn nun vier Mitglieder des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung dem fünften Mitglied Veronika Grimm den Rücktritt bei den „Wirtschaftsweisen“ nahelegen, ist das auch eine hochpolitische Angelegenheit.

Im Dezember erfuhren die Mitglieder des wichtigsten ökonomischen Beratergremiums der Bundesregierung offenbar aus den Medien von der Nominierung der Erlanger Wirtschaftsprofessorin als Aufsichtsrätin bei Siemens Energy. Und waren „entsetzt“, wie aus dem Gremium zu hören ist: Der Energietechnik-Konzern habe Staatsbürgschaften in Höhe von 7,5 Milliarden Euro erhalten und buhle um Aufträge durch die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung.

Deshalb sei die Nominierung für den Siemens-Posten zwar eine „Auszeichnung“ für Grimm, aber auch eine „Herausforderung“ für den Rat, heißt es in einer Mitteilung der „Wirtschaftsweisen“ Monika Schnitzer, Achim Truger, Ulrike Malmendier und Martin Werding. Mögliche Interessenskonflikte berührten „die Arbeit des Sachverständigenrates in Kernbereichen“.

Das Sachverständigenratsgesetz von 1963 schließe zwar die Wahl eines Ratsmitglieds in einen Aufsichtsrat nicht aus. Jedoch habe die „öffentliche Sensibilisierung für Compliance-Themen stark zugenommen“. „Wenn wir Veronika in Zukunft von Beratungen über grünen Wasserstoff oder Windenergie ausschließen müssen, wäre das eine Katastrophe, das ist ja ihr Fachgebiet“, lässt sich die in den USA tätige Ökonomin Malmendier zitieren. „Wenn sie andererseits das Problem selbst nicht sieht und sagt, nee, ihr müsst mich gar nicht ausschließen, haben wir noch ein größeres Problem.“

„Weise“ schon in Aufsichtsräten

Grimm sieht das anders – und will sich in der kommenden Woche auf ihren neuen Posten wählen lassen: Sie will die Doppeltätigkeit vom Habeck-Ministerium und vom Bundeskanzleramt prüfen lassen. Was nun? Aus dem FDP-geführten Finanzministerium hieß es am Donnerstag, es sehe keine Gründe für einen Ausschluss der Ökonomin.

FDP-Wirtschaftspolitiker Reinhard Houben meinte gar, es sei „perfide“, einen Interessenkonflikt zu konstruieren, auch frühere „Weise“ hätten in Aufsichtsräten gesessen. Dass Grimm vergleichsweise häufig in den Medien auftaucht und konservative Standpunkte vertritt, sei auf jeden Fall nicht der Grund gewesen, die Sache öffentlich zu machen, heißt es unisono aus Ratskreisen.

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7 Kommentare

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  • "Aus dem FDP-geführten Finanzministerium hieß es am Donnerstag, es sehe keine Gründe für einen Ausschluss der Ökonomin." - hahahaha, natürlich nicht. Denen muss diese Forderungen vorkommen, als würde man Frau Grimm das Atmen verbieten wollen.



    Im Übrigen steht Frau Grimm für eine Politik, die Deutschland als Wirtschaftsstandort schwächt, seiner Bevölkerung schadet, die Gesellschaft kaputt macht.

  • Wundert es eigentlich irgendjemanden, dass es ausgrechnet Grimm ist? Also die, die immer den maximal neoliberalsten und arbeitnehmer - freundlichsten Standpunkt in jedes ihr hingehaltene Mikro diktiert? Mich jedenfalls wundert´s nicht.

  • Eigentlich eine schöne Sache: Eine Lobbyistin und Managerin definiert die Wirtschaftsanalyse einer Regierung. Wer Marx schätz, den wunder das alles nicht. Warum denn nicht gleich so. Natürlich geht das dort drunter und drüber, natürlich hat die FDP damit keine Schwierigkeiten, das entspricht deren Selbstverständnis. Und was sind schon ethische Standards in einer pluralen Demokratie?



    Vielleicht zeigt das auch nur auf, was da sowieso passiert, dass solche Experte auch Experten der mächtigsten Interessen sind. Seit etlichen Jahren fordern nur sehr wenige Wissenschaftler im Wirtschaftsbereich einen besseren Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die verbreitete Armut in Deutschland und der starke Niedriglohnsektor sind kein Problem für die meisten 'Experten', die von der Bundesregierung angehört werden. Ebensowenig arme oder verarmende Rentner - auch die sind für die meisten Experten keine besondere Herausforderung. Am Ende geht es um die Gewinne der Unternehmen, wenn die hergestellt werden, ist für die meisten Wirtschaftsweisen die Welt in Ordnung. Die Regierung hört sich dann im Sozialwesen Experten an, die andere Dinge fordern und analysieren, aber die können sich meist gar nicht durchsetzen. Insofern liegt diese Dame auf Linie und vielleicht ist das sogar gut, wenn sie bleibt, dann sieht jeder, was dieses Gremium wirklich für einen Wert hat und worum es dort geht, wahrscheinlich ja auch schon immer ging. Nur eben nicht so direkt.

  • was meint den die memorandum-gruppe zu diesem "problem"?

  • Nachdem gerade das FDP geführte Verkehrsministerium mit der "Wasserstoff-Affäre" (www.lobbycontrol.d...st-weiter-113952/) Schlagzeilen machte, darf man sich ein bisschen wundern, wenn ein FDP-Politiker Interessenskonflikte, wo sie so offensichtlich wie bei einer Besetzung von Grimm im Aufsichtsrat von Siemens sind, als "konstruiert" negiert. Aber genau deshalb, weil bei Verantwortlichen offenbar die Wahrnehmung dieses Problems komplett abgeht, fordert Lobbycontrol seit der "Graichen-Affäre" von der Bundesregierung neue Compliance-Regeln für die Chefetagen der Bundesministerien. Auch die Chefberater:innen der Regierung sollten, wenn sie schon nicht selbst die Weisheit besitzen, Interessenskonflikte zu vermeiden, durch neue Compliance-Regeln dazu verpflichtet werden. Wer 120.000 Euro jährlich von einem Großkonzern für die Tätigkeit im Aufsichtsrat erhält (vermutlich mehr als das Professorinneneinkommen und die Aufwandsentschädigung im Rat der Wirtschaftsweisen zusammen) neigt dazu, das Interesse dieses Großkonzerns auch bei der "unabhängigen Beratung" (Jobbeschreibung von Wirtschaftsweisen) der Bundesregierung mitzudenken, und zwar selbst dann, wenn es keine Aufforderung von Siemens geben sollte, die Bundesregierung nun direkt im Interesse von Siemens zu beraten.

  • Ja, das ist ein möglicher Konflikt.



    Auf konservativer Seite mag man sich zuweilen als "oben" sehen und so etwas als normal - ist es aber nicht.



    Dass verschiedene Meinungen im Gremium existieren, halte ich dagegen selbst bei einer von mir oft schwer nachzuvollziehenden Grimm-Position für richtig.

  • Bei den bisherigen Statements der Frau wundert es nicht, dass ihr der Posten bei Siemens angeboten wird. Unabhängigkeit geht aber anders! das die FDP hier eine andere Meinung hat, verwundert nicht, da eine enge Freundschaft der FDP-Mitglieder mit Industrie und Mittelstand die Basis Ihres Schaffens darstellt. Das zeigt sich regelmäßig an den politischen Beiträgen dieser Partei. Von allein kommen die Damen und Herren auf die selbst geäußerten Zusammenhänge nicht. Das ist auffallend, wenn fachbezogene Detailfragen gestellt werden, ist das abrufbare Wissen schnell versiegt.