piwik no script img

Ende der Münchner SicherheitskonferenzEine Bühne für die Ratlosigkeit

Barbara Junge
Kommentar von Barbara Junge

Die diesjährige Sicherheitskonferenz war eine Unsicherheitskonferenz. Dabei bräuchte es gerade jetzt ein Diskussionsforum für Frieden und Abrüstung.

Der ukrainische Präsident trat am Samstag bei der Münchner Sicherheitskonferenz auf Foto: Wolfgang Rattay/reuters

I n diesen bedrückenden Zeiten gebe es einen Silberstreif am Horizont, versprach der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, am Wochenende. Man müsse nur aufmerksam genug danach suchen. Heusgen wollte Mut machen. Aber seine Worte der Hoffnung konnten nur mühsam übertünchen, dass die Münchner Sicherheitskonferenz eine Unsicherheitskonferenz war.

Erkennbar war das Treffen auch entlang der drängenden Fragen des Globalen Südens konzipiert. Wie ein Tusch sollte wohl das Eröffnungspanel wirken, bei dem Christoph Heusgen mit den Präsidenten von Ghana und Kolumbien, mit UN-Generalsekratär Antonio Guterres und mit der Premierministerin von Barbados, Mia Mottley, über eine gerechtere Welt und die Bewältigung der Klimakrise sprach:„Growing the Pie: A Global Order That Works for Everyone“. Doch diese Aufbruchstimmung wurde überschattet.

Die Sicherheitskonferenz war dominiert von Nachrichten über Frontverläufe und den Tod unschuldiger Menschen: in der Ukraine, in Israel und Gaza sowie in Sibirien, wo pünktlich zur Konferenzeröffnung Alexei Nawalny verstarb, als hätte der Teufel Regie geführt. Am Wochenende sah der Teufel verdammt aus wie Wladimir Putin.

Der geopolitische Befund, diagnostiziert von 50 Staats- und Regierungschefs und -chefinnen, war weitgehend einheitlich: In der Ukraine ist die Lage düster, es fehlt an Munition, Soldaten und einer Perspektive. Da kann der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj noch so oft den Sieg über Russland beschwören, der irgendwann kommen wird (was soll er auch sagen). Amerika im Würgegriff von Donald Trump ist aktuell schon kein verlässlicher Partner mehr. Plötzlich steht Europa ziemlich nackt und alleine auf der Bühne.

Kein Mittel gegen die Eskalationitis

Daran muss man sich erst gewöhnen, wenn man sich vorgenommen hat, nach der Devise „Nie wieder Krieg“ alt zu werden. Der Fortschritt in Europa wird neuerdings in Millimetern gemessen: in 155 Millimetern genau genommen, dem Kaliber für die deutsche Panzerhaubitze. Die vornehmste Aufgabe der Politik scheint dieser Tage die Eröffnung neuer Waffenfabriken zu sein.

In dieser süßsauren Bedrückung gerät aus dem Blick, wie gefährlich die Welt am Virus der Eskalationitis erkrankt ist. Nichts scheint undenkbar: ein russischer Angriff aufs Baltikum und Polen, russische Atombomben im All, europäische Atombomben in Deutschland.

Schon klar, mit einem Mörder wie Putin ist kein ukrainischer Staat zu machen und kein dauerhafter Frieden, jedenfalls nicht ohne brutale Konzessionen – wenn überhaupt. Eine Alternative zu weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine und zur Verstärkung der europäischen Rüstungsindustrie scheint nicht in Sicht. Und trotzdem: Wo sind die Diskussionen über eine Welt ohne, weniger oder zumindest nicht mit noch mehr Waffen? Wer bietet eine Bühne für die Suche nach Ab-, nicht Aufrüstung? In München stand diese Bühne nicht.

Naiv? Bestimmt. Aber zugleich nötiger als je zuvor seit dem Ende des Kalten Krieges. Der Silberstreif, von dem Heusgen sprach: Noch ist er nicht sichtbar.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Barbara Junge
Chefredakteurin
taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.
Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis hat vor einem möglichen russischen Überraschungsangriff auf Nato-Staaten gewarnt.

    „Wir haben einen sehr aggressiven Nachbarn mit der Absicht, die Nato zu testen. Darauf müssen wir uns vorbereiten“,

    sagte der Chefdiplomat des baltischen EU- und Nato-Landes dem Nachrichtenportal zdf heute.de

    ==

    Der russische Krieg gegen die Ukraine erklärt eigentlich schon genügend über die militärische Motivation und das Eskalationspotential Russlands.

    Landsbergis als jemand der es wissen muß erklärt mit eindringlichen Worten wer hier eskaliert.

    Die Vergemeinschaftung des Wortes Eskalation - hat nichts mit der Realität zu tun. Noch nie war es klarer wer hier mordend durch benachbarte Länder zieht und ziehen möchte.

    Barbara Junge sollte sich mit den Fakten auseinandersetzen und nicht sprachlich Eskalation verteilen wo keine ist. Niemand will Krieg - aber Putin muß gestoppt werden.

  • "Eine Alternative zu weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine und zur Verstärkung der europäischen Rüstungsindustrie scheint nicht in Sicht. Und trotzdem: Wo sind die Diskussionen über eine Welt ohne, weniger oder zumindest nicht mit noch mehr Waffen?"

    Liebe Frau Junge,

    da stellen Sie eine Frage, deren Beantwortung (jenseits des derzeit Utopischen) sie im vorherigen treffsicher gegeben haben: In Wolkenkuckucksheim.

    Es hilft nichts, darüber zu schwadornieren, wie man eine weniger bewaffnete, stabilere, friedliche Welt bauen KÖNNTE, solange zwei der drei größten Militärmächte der Erde das genau NICHT wollen - also JEDENFALLS nicht abrüsten, und auch bitteschön KEINE Stabilität auf Basis des status quo (oder im Fall der Ukraine des status quo ante). Frieden mögen sie noch für erstrebenswert halten, aber nur unter den Bedingungen eines von ihnen dominierten internationalen Faustrechts.

    Was gibt es da also zu diskutieren, außer eventuell mit diesen (und anderen expansionswilligen) Mächten? WENN sie denn zuhören. Und ob sie zuhören, hängt leider dieser Tage massiv von dem Knüppel ab, den man auf den Tisch legen kann, bevor man überhaupt den Mund aufmacht.

  • " Wo sind die Diskussionen über eine Welt ohne, weniger oder zumindest nicht mit noch mehr Waffen?"

    Müsste diese Frage nicht an Russland gestellt werden? Ich verstehe ohnehin nicht wo das Problem oder die Unsicherheit besteht.



    Es wurde konstantiert, dass das faschistische Russland ein Problem darstellt und man den imperialen Bestrebungen des Diktators Einhalt gebieten muss, also müssen darauf Taten folgen. Rüstung hochfahren, Ukraine ausrüsten und eigwene Verteidigung stärken. Die schnellste und billigste Variante ist es die Ukraine mit allem auszurüsten was sie braucht, um die russischen Horden schnell und effizient auszuschalten. Egal wie viele Menschen Russland haben mag, irgendwann werden tausende von toten Männern dazu führen, dass das Land zusammenbricht. Das können auch Repressalien und Propaganda nicht verhindern.



    Die Lösung ist und war relativ einfach und trotzdem tut die EU viel zu wenig seit Kriegsbeginn. Auf die USA hoffen ist zwar nett, aber auch unmündig.

  • Dieser Text von Frau Junge kommt mir vor wie in einer Blase geschrieben: "Lasst und reden - Gut, dass wir geredet haben."

    Wer nur Gastgeber Christoph Heusgen mit dem chinesischen Außenminister Wang Li auf der Bühne gesehen hat (bei Phönix), dem wurde klar, dass Reden, Reden, Reden Wolkenkuckucksheim ist.

    Mir wurde bei den Lügen von Wang Li schlecht. Man kann Christoph Heusgen für seine Haltung nur bewundern.

    Aber wenn schon reden, dann bitte genau und treffend reden. Und bitte auf Buzzwords wie "globaler Süden" verzichten. Der globale Süden, das ist eben nicht das schnuckelige Barbados, dass sind allerschlimmste Diktaturen wie in Eriträa, Kongo oder Ägypten. Und nein, die sind nicht gut.

    Um der Eskalationitis Einhalt zu gebieten, gehört auch der Verzicht auf solche ungenauen Begriffe, verehrte Barbara Junge. Gewöhnen wir uns wieder eine faktenorientierte Sprache unter Verzicht auf politische Poisitonsbestimmungen in der Sprache selbst an. Die Faktenanalyse wird es danken.

  • "Wer bietet eine Bühne für die Suche nach Ab-, nicht Aufrüstung?"

    Wenn die Demokratien dieser Welt verhindern wollen, einzeln von Imperialisten oder anderen Fanatikern versklavt zu werden, dann können sie das (vielleicht abgesehen von den USA) nur gemeinsam. Darum müsste man aus der Nato eigentlich ein weltweites Verteidigungsbündnis (ausreichend!) demokratischer Staaten machen, das so stark ist, dass es jedem potentiellen Angreifer (zumindest konventionell) widerstehen kann. Dann würde gelten: Schreitet die Demokratisierung voran, können einzelne Mitglieder dieses Bündnisses ihre Rüstung in beschränktem Umfang zurückfahren, weil die Verteidigungsfähigkeit in der Summe erhalten bliebe. Gleiches würde gelten, wenn Diktaturen wie in Russland oder China scheitern.

    Eine andere Möglichkeit kann ich derzeit absolut nicht erkennen.

    "Nie wieder Krieg" ist ein Wunsch zu dem wir letzlich leider nur beitragen können, dass von uns selbst kein Krieg mehr ausgeht - jedenfalls, wenn wir in Freiheit leben wollen.

  • Putin ist nicht das einzige Problem, sondern auch die vielen Falken und Kriegstreiber, denen daran gelegen ist, dass die Kriege in der Ukraine und in Gaza weitergeführt werden und die Waffen nicht schweigen, ehe nicht der totale Sieg errungen ist.

    Dass die Mehrheit der Menschen das nicht wollen, haben viele von ihnen nicht nur bei der Friedensdemo gestern am Münchener Stachus, sondern auch in vielen anderen Protesten gegen den wahnwitzigen Militarismus der letzten Zeit deutlich gemacht.

    "Bereitschaft der Deutschen zur Unterstützung der Ukraine sinkt", Meldung vom 09.02.2024:

    www.welt.de/politi...Ukraine-sinkt.html

  • "Eine Alternative zu weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine und zur Verstärkung der europäischen Rüstungsindustrie scheint nicht in Sicht. Und trotzdem: Wo sind die Diskussionen über eine Welt ohne, weniger oder zumindest nicht mit noch mehr Waffen? Wer bietet eine Bühne für die Suche nach Ab-, nicht Aufrüstung? In München stand diese Bühne nicht." Wenn etwas alternativlos ist sind Diskussionen über Alternativen sinnlos. Wenn man die Wahl hat zwischen Aufrüsten und überrannt werden und letzeres nicht will muss man aufrüsten dann investiert man Zeit und Ressourcen lieber in die Frage wie und was.

    • @Machiavelli:

      Alternativlos ist die Welt nur, wenn man keine Alternativen kennen will.

      Eine Welt in Trümmern ist für niemanden lebendwert.

      Und reine Abschreckung? Einmal hat es einigermaßen funktioniert. Allerdings mit viel Glück. Wer den Kalten Krieg aus nächster Nähe erlebt hat, weiß, dass der kleinste Irrtum, das kleinste Missverständnis zum Inferno hätte führen können. Mehrmals war es fast so weit. Eine Zukunft, die auf "wird schon gut gehen" setzt, ist keine Zukunft.

    • @Machiavelli:

      Von wem haben Sie denn Angst überrannt zu werden?

      Ich habe das Gefühl, dass Sie Russlands Stärke überschätzen. Es ist nicht davon auszugehen, dass Russland seine militärische Produktion in den nächsten Jahren noch viel weiter erhöhen kann.



      Putin hat kein Interesse an einem Wettrüsten, dass es nicht gewinnen kann.

      • @Alexander Schulz:

        Putin hat ein massives Interesse daran, seine Gegenüber so lange in Sicherheit zu wiegen, dass sie dann nicht reagieren können, wenn er - trotz aller gegenteiligen Beteuerungen und weisen Prognosen Außenstehender - DOCH zuschlägt. Das und nichts anderes ist die Lehre aus den Ereignissen vor zwei Jahren, und jedes "Putin wird doch nicht..." sollte seinen Apologeten und Verniedlichern seitdem eigentlich im Hals stecken bleiben. Putin WIRD sehr wohl, sobald er die nächste Gegegenheit sieht. Und bis dahin arbeitet er mit allen Mitteln auf diese Gelegenheit hin.

        • @Normalo:

          Sie überschätzen Russlands Stärke massiv. Ich möchte nochmal darauf hinweisen welche Probleme bereits Russland in der Ukraine hat. Die russische Armee wird nachdem Krieg auf Jahre niemanden mehr gefährlich werden können. Da ist es unrelavant was Putin möchte oder nicht, sondern was er kann und was er nicht kann.

          • @Alexander Schulz:

            Umgekehrt UNTERschätzen Sie entweder die Möglichkeiten Russlands sich wieder zu bewaffnen, oder Sie ÜBERschätzen das Tempo, in dem sich eine westeuropäische Nation aufrüsten kann (mit Bedarfswermittlung, Vergabeverfahren, Rekrutierung und Ausbildung des Personals etc.). Unsere Probleme mit der Verteidungsfähigkeit werden also AUCH noch "auf Jahre hinaus" bestehen, selbst wenn wir jetzt die geforderten drei Gänge höher schalten. Putins Rüstungsindustrie läuft bereits auf Hochtouren, und er wird sie nach einem etwaigen (Teil-)Erfolg in der Ukraine nicht wieder runterfahren. Unsere dagegen kann auch nach 2 Jahren "Zeitenwende" immer noch nicht einmal mit dem mithalten, was allein die Ukraine an Nachschub braucht.

          • @Alexander Schulz:

            Die NATO geht von 5 Jahren aus nach Ende eines Krieges in der Ukraine danach wäre Russland für einen Angriff auf das Baltikum und eine Konfrontation mit der NATO bereit. Ohne die USA sind die europäischen Streitkräfte frühestens in den 2030er Jahren bereit für so einen Krieg es fehlt an Ersatzteilen, Munition, Drohnen und Drohnenabwehr. Der Bundeswehr fehlt bspw. die Heeresflugabwehr aber ohne die ist kein moderner Krieg zu führen.

      • 0G
        06438 (Profil gelöscht)
        @Alexander Schulz:

        In der Frage nach Putins Ambitionen gibt es leider nur eine Antwort: Dieser Verbrecher setzt einzig und allein auf militärische Stärke.

        Was glauben sie wie er diese Macht erreichen will? Mit der Produktion von Eierbechern?