Münchner Sicherheitskonferenz: Trauer und Wut in München
Der Tod von Alexei Nawalny überschattet die Münchner Sicherheitskonferenz. Seine Witwe Julija Nawalnaja ruft dazu auf, das Putin-Regime zu bekämpfen.
Angesichts der fürchterlichen Meldung über den Tod ihres Mannes in russischer Haft stand Julija Nawalnaja nicht mehr der Sinn danach, über ein besseres Russland zu sprechen. Aber sie hatte trotzdem etwas zu sagen. Abweichend von der Tagesordnung wurde ihr die Gelegenheit gegeben, nach der US-Vizepräsidentin Kamala Harris am Freitagnachmittag das Wort zu ergreifen.
Wladimir Putin und seine Helfershelfer sollten wissen, „dass sie nicht straflos ausgehen“, sagte Nawalnaja mit traurig-wütender Stimme. Der Tag werde bald kommen, dass sie für all die Gräueltaten, die sie verübt hätten, persönlich zur Verantwortung gezogen würden. Die internationale Gemeinschaft rief die 47-jährige Wirtschaftswissenschaftlerin dazu auf, „dieses furchtbare Regime zu bekämpfen“.
Auch US-Vizepräsidentin Kamala Harris reagierte bestürzt. „Das ist eine schreckliche Nachricht“, sagte sie in ihrer Rede im Hotel Bayerischer Hof. Falls sie sich bestätige, dann sei das „ein erneutes Zeichen der Brutalität des Diktators Putin“.
Vor dem Hintergrund der jüngsten Wahlkampfäußerungen Donald Trumps bekannte sich Harris klar und deutlich zum US-amerikanischen Engagement in der Nato. „In diesen unruhigen Zeiten ist es klar, dass Amerika sich nicht zurückziehen kann“, sagte sie. Alles andere wäre „töricht“. Die Nato sei in den Augen der derzeitigen US-Regierung zentral für die globale Sicherheit. „Isolation ist kein Schutz“, sagte Harris.
Zugleich warnte sie die US-Republikaner, im Repräsentantenhaus die milliardenschwere Militärhilfe für die Ukraine abzulehnen: „Dies wäre nur ein Geschenk an Putin.“ Mit Blick auf die Verbündeten in Europa sagte Harris: „Sie haben deutlich gemacht, dass Europa an der Seite der Ukraine stehen wird. Und ich werde deutlich machen, dass Präsident Joe Biden und ich an der Seite der Ukraine stehen.“
Guterres besorgt um globale Ordnung
Vor Harris hatte sich UN-Generalsekretär António Guterres in seiner Ansprache zum Start der dreitägigen Konferenz äußerst besorgt über den desolaten Zustand der globalen Ordnung gezeigt. Die Weltgemeinschaft sei mit existenziellen Herausforderungen konfrontiert, jedoch immer mehr gespalten. „Selbst die Ära des Kalten Krieges war – in mancherlei Hinsicht – weniger gefährlich“, sagte er. Denn damals sei es den Großmächten immerhin gelungen, Vereinbarungen zu treffen, um die Gefahr eines Atomkriegs zu reduzieren. „Wir müssen alles tun, um der Herrschaft des Rechts wieder Geltung zu geben“, appellierte Guterres.
Mit klaren Worten verurteilte Guterres den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Der Verlust an Menschenleben sei entsetzlich. „Wir brauchen unbedingt einen nachhaltigen und gerechten Frieden für die Ukraine“, sagte er. Grundlage dafür müsse der Respekt vor der territorialen Integrität souveräner Staaten sein.
Deutliche Worte fand er auch zum Gaza-Krieg. Die skrupellosen Terrorangriffe der islamistischen Hamas vom 7. Oktober seien „durch nichts zu rechtfertigen“. Alle israelischen Geiseln müssten umgehend ohne Bedingungen freigelassen werden. Auch nicht zu rechtfertigen sei allerdings die militärische Antwort Israels, die eine „kollektive Bestrafung des palästinensischen Volkes“ sei. Es brauche jetzt dringend eine humanitäre Feuerpause. „Das ist der einzige Weg, um die Hilfslieferungen nach Gaza massiv hochzufahren“, sagte Guterres.
Die Auftritte von Julija Nawalnaja, des UN-Generalsekretärs und der US-Vizepräsidentin waren die Höhepunkte des ersten Kongresstages. Für Samstag wird der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erwartet, der am Vormittag unmittelbar nach Bundeskanzler Olaf Scholz sprechen soll. Mit Spannung wird auch auf den Auftritt des chinesischen Außenministers Wang Yi am Mittag geblickt. Nach ihm diskutiert die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock mit ihren Kollegen aus den USA und Indien, Antony Blinken und Subrahmanyam Jaishankar.
Die Münchner Sicherheitskonferenz ist die weltweit größte Tagung zu internationaler Sicherheitspolitik. Insgesamt nehmen mehr als 50 Staats- und Regierungschef:innen, rund 60 Außenminister:innen und mehr als 25 Verteidigungsminister:innen sowie zahlreiche weitere politische und militärische Repräsentant:innen an dem Event teil, das entweder nach seiner englischen Bezeichnung MSC abgekürzt wird oder auch – vor allem von den Kritiker:innen – Siko genannt wird.
Demos am Rande
Wie üblich gibt es an diesem Wochenende jenseits des Kongressgeschehens auch ein umfangreiches Demonstrationsgeschehen. Argwöhnisch beäugt von rund 5.000 im Einsatz befindlichen Polizist:innen sind rund 20 Versammlungen angemeldet. Die beiden größten Demonstrationen finden am Samstag statt.
Zuerst trifft sich um 13 Uhr das traditionelle linke Anti-Siko-Bündnis am Stachus, um von dort durch die Innenstadt zum Marienplatz zu ziehen. Dann will ab 14 Uhr das aus der Querdenker:innen-Szene stammende Bündnis „München steht auf“ vom Königsplatz aus durch die Maxvorstadt und wieder zurück ziehen. Eine dritte größere Kundgebung, die sich gegen den Krieg in der Ukraine richtet, findet stationär am Odeonsplatz statt.
Dort versammelten sich bereits am Freitag mehrere hundert Exiliraner:innen, um gegen das Mullahregime zu protestieren. Weder der Iran noch Russland sind mit offiziellen Vertreter:innen auf der MSC vertreten. Wie schon in den vergangenen Jahren wurden die Regierungen beider Länder nicht eingeladen.
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