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Unsicherheit von PrognosenDa hilft nur noch Gelassenheit

Bald gibt es zu viele Grundschullehrer, sagt eine neue Prognose. Vorhersagen zur Demografie sind meistens falsch, aber dadurch nicht überflüssig.

In Zukunft zu wenige oder zuviele? Grundschullehrer mit Schü­le­r:in­nen in Essen Foto: Kerstin Kokoska/Funke Foto Services/imago

E s klingt erstaunlich: In ganz Deutschland fehlen Arbeitskräfte, aber für die Grundschulen soll es demnächst einen Überschuss an LehrerInnen geben. Die Bertelsmann-Stiftung hat kürzlich prognostiziert, dass in den Jahren 2023 bis 2035 insgesamt 45.800 GrundschulpädagogInnen zu viel ausgebildet werden.

Das ist eine enorme „Fehlallokation von Ressourcen“, wie Betriebswirte diesen Überhang nennen würden. 2035 werden in ganz Deutschland nämlich nur 180.000 GrundschullehrerInnen gebraucht. Die überflüssigen 45.000 entsprechen also satten 25 Prozent.

Trotzdem müssen Abiturienten nicht panisch werden, falls sie bisher davon geträumt haben, künftig einmal Grundschüler zu unterrichten. Sie sollten weiterhin auf Lehramt studieren. Denn auf Prognosen ist kein Verlass, wie eine andere Studie zeigt. Die Kultusministerkonferenz rechnet im gleichen Zeitraum nur mit einem Überhang von 6.300 Lehrkräften für die Grundschulen.

Dass Schätzungen extrem fehleranfällig sind, musste auch die Bertelsmann-Stiftung erleben. Im November 2019 prognostizierte sie nämlich noch, dass bereits im Jahr 2025 etwa 26.300 AbsolventInnen für das Lehramt an den Grundschulen fehlen würden. Nur vier Jahre später ist aus diesem extremen Mangel ein Überhang geworden.

Ein Grund ist, dass sich nur schwer vorhersehen lässt, wie viele Kinder geboren werden. In den vergangenen drei Jahren war ein enormer Einbruch zu verzeichnen, den niemand erwartet hat. 2021 kamen 795.500 Babys zur Welt, 2023 waren es nur noch 689.300. Wer weiß, ob sich dieser Trend wieder umkehrt – und es zu mehr Geburten kommt.

Vor allem aber: Der Überschuss an LehrerInnen wird aktuell nur für die Grundschulen prognostiziert. An Gesamt- und Stadtteilschulen wird weiterhin Personal fehlen. Auch in den naturwissenschaftlichen Fächern herrscht großer Mangel. Wer LehrerIn werden will, kann sich diesen Wunsch unverändert erfüllen.

Andere Prognosen liegen auch oft daneben

Bei den Grundschulen zeigt sich im Kleinen, was sich bei der Demografie generell beobachten lässt: Vorhersagen sind meistens falsch. Eine beliebte Frage ist beispielsweise, wie viele Erwerbsfähige es in Deutschland 2050 insgesamt geben wird. Denn ohne Arbeitskräfte bleibt die Arbeit liegen.

Vor zwanzig Jahren lautete die Prognose, dass bis 2050 etwa 12 Millionen Erwerbsfähige fehlen werden, weil die Babyboomer in Rente gehen, aber kaum Jugendliche nachwachsen. Jetzt könnte diese Lücke nur noch 7 Millionen betragen. Das ist immer noch ein erhebliches Problem, aber erstaunlicherweise hat es sich fast halbiert. An der Einwanderung kann es übrigens nicht liegen, denn sie war immer einkalkuliert.

Nicht nur in der Berufsforschung liegen die Prognosen regelmäßig falsch. Berühmt-berüchtigt sind auch die Vorhersagen zum Konjunkturverlauf, die die Wirtschaftsforschungsinstitute regelmäßig abgeben. Für 2024 liegt die Spanne aktuell zwischen einem Plus von 0,9 Prozent und einem Minus von 0,5 Prozent. Das entspricht immerhin einem Unterschied von fast 60 Milliarden Euro, wenn man diese Prognosen auf das Volkseinkommen hochrechnet.

Trotzdem sind Prognosen nicht überflüssig. Sonst ließe sich gar nicht planen. Aber wie soll man die Zukunft gestalten, wenn es immer anders kommt als gedacht? Wahrscheinlich hilft nur Gelassenheit. Der berühmte Ökonom John Maynard Keynes prognostizierte schon vor fast hundert Jahren, dass die Zukunft prinzipiell unsicher ist.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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11 Kommentare

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  • Im November 2019 prognostizierte sie nämlich noch, dass bereits im Jahr 2025 etwa 26.300 AbsolventInnen für das Lehramt an den Grundschulen fehlen würden. Nur vier Jahre später ist aus diesem extremen Mangel ein Überhang geworden.

    So so, wir haben also aktuell keinen Lehrermangel mehr. Warum schreiben die Gazetten denn immer noch davon, das aktuell Lehrermangel besteht?

    www.mdr.de/nachric...rtelsmann-100.html oder www.butenunbinnen....rsonalnot-100.html oder oder www.tagesschau.de/...video-1232438.html oder oder oder ...

    Also nein. Lehrermangel gibt es aktuell immer noch. Aber der Gamchanger der demographischen Entwicklungführ schlicht zu immer weniger Grundschülern in der Zukunft. Was ist daran so schwer zu verstehen

  • Statistik und Lüge, eine Antwort:



    Kann ich gar nicht besser als der Altmeister, der auch LehrerInnen und den Lehrkräfte-Mangel bereits vor (!)einigen Jahrzehnten auf dem Plan hatte. Berechtigt und erwiesen! Damals das Problem: Kein Geld in den Kassen.



    /



    "Ich persönlich hätte gern Statistiken über den Ausfall von Schulstunden wegen fehlender und kranker Lehrer in NRW. Dann könnte man den Druck für mehr Geld für Bildung erhöhen. Und wenn wir Flüchtlinge in Europa gerecht verteilen wollen, brauchen wir für alle Länder die Daten über Bevölkerungszahl, wirtschaftliche Stärke und Arbeitslosigkeit. Schon wieder drei Statistiken. Oder denken Sie an Inflation, Wahlergebnisse, Schadstoffausstoß, Entwicklung der Armut in Deutschland, alles wichtige Statistiken."



    Bei aller berechtigten Skepsis gegenüber vielen Statistiken, ein Lügen ohne Zahlen ist noch viel leichter als ein Lügen mit Zahlen. Bei Letzterem können wir die Täter erwischen, die Ergebnisse geraderücken."



    Live brennt er fast ein Feuerwerk ab, der Herr der Zahlen.



    /



    taz.de/Zahlentrick...tistiker/!5241422/

  • Mit den Viertklässler:innen von 2035 sind deren Mütter gerade schwanger oder soeben niedergekommen. Die Abiturient:innen von 2035 sind heute in der Grundschule und damit schon im System erfasst. Natürlich kann man bei bereits eingeschulten Kindern besser schätzen, wie viele davon das Abitur ablegen wollen als bei denen, die in naher Zukunft erst noch gezeugt werden müssen. Den Satz, Prognosen seien immer schwierig, aber besonders, wenn sie die Zukunft betreffen, wird übrigens gerne auch Niels Bohr zugeschrieben.



    Was Bertelsmann angeht: @Mondschaf 👍🏼

    • @Zangler:

      Müsste man halt alle Daten zentral erfassen dann kann man ziemlich präzise errechnen wie es aussieht. Aber dafür müsste man halt einen digitalen Staat haben der versucht gut zu arbeiten.

  • Wann ist zuviel? Wenn die Klassenstärken unter 20 fallen?

    Nur her damit, das ist unsere Zukunft!

    Diese Spardosenköpfe haben offensichtlich nicht den Begriff Investition verstanden.

  • Anscheinend hat cer allwissende und omnipräsente "Bertelsman" noch nichts davon mitbekommen, das inR die Ausbildung für Grund- und Hauptschulen bzw Oberschulen dieselbe ist..... Wie da vor einen Lehrer*innenschwemme gewarnt werden kann, zeugt nicht grad von Expertise....

  • "Bald gibt es zu viele Grundschullehrer, sagt eine neue Prognose."

    Da sage ich als Nicht-Fachfrau ganz keck, wir können nie zu viele Grundschullehrer haben. Dann verkleinern wir die Klassen, bilden mehr Förderklassen, führen zusätzliche Fächer ein, machen mehr Ausflüge mit den Kindern, musizieren mehr, ermöglichen den Schulbesuch auf Wunsch bereits mit vier oder fünf Jahren und bieten flächendeckend in der gesamten Republik Ganztagsschulen an.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @*Sabine*:

      „Dann verkleinern wir die Klassen, bilden mehr Förderklassen, führen zusätzliche Fächer ein, machen mehr Ausflüge mit den Kindern, musizieren mehr,"



      Das wäre nicht gut. Dann kommt womöglich den Zyniker*innen in GT das RTL2-Publikum abhanden. [/Sarkasmus]

      • @95820 (Profil gelöscht):

        Daran habe ich nicht gedacht. Allerdings meine ich, dass auch die bereits länger regierenden Parteien gemerkt haben müssten, dass Bildung wichtig ist, weil sonst der politische Gegner die Wahlen gewinnt ... ebenso bleiben dann Steuerzahlungen aus, die die Gehälter und Pensionen der Politiker absichern.

    • @*Sabine*:

      Ich habe öfter in Grundschulen mit den Kindern Workshops über z. B. Steinzeit, Mittelalter, Indianer usw. mit Anschauungsmaterial und Mitmach-Selbermachaktionen ehrenamtlich abgehalten, wenn Lehrer fehlten. Die Lehrer!! sind jetzt nicht mehr aktiv, die neuen -innen gehen nicht darauf ein - zu viel und anders zu planen und zu organisieren, dann lassen sie lieber halbe Schultage ausfallen.



      Die Rückmeldungen waren auch bei den Eltern immer sehr positiv, aber das spielt auch keine Rolle.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Prognosen der Bertelsmann-Stiftung sind immer Mittel zum Zweck. Zu viele Grundschul-Lehrkräfte stören die Geschäfte von Bertelsmann im Nachhilfesektor.