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Demos gegen rechtsKleingeistig – und trotzdem super

Sanfter Städte-Chauvinismus, ärgerliche Aktivist:innen: Auch wenn nicht ganz klar ist, an wen sich Demos gegen rechts richten, haben sie doch Sinn.

Auf der richtigen Seite: Demonstration gegen Rechtsextremismus am Samstag in Bremen Foto: Carmen Jaspersen/dpa

Bremen taz | Dass die Bremer Demonstration am Sonntag gegen rechts sehr, sehr voll werden würde, war spätestens klar, nachdem am Freitag in Hamburg 50.000 Menschen auf der Straße waren. Oder 80.000 – je nachdem, ob man der Schätzung der Polizei mehr traut oder der der Veranstalter. Diese Zahl galt es zu überbieten – einmal besser sein als die größere, reichere Nachbarstadt und das bitte nicht nur beim Fußball.

Und tatsächlich kamen in Bremen mit 50.000 Teil­neh­me­r:in­nen, oder, laut Veranstalter, sogar 70.000 gemessen an der Einwohnerzahl deutlich mehr De­mons­tran­t:in­nen zusammen als in Hamburg und den meisten anderen Großstädten. Noch etwas höher war der Anteil in einigen kleineren Städten wie Flensburg, oder der 29.000-Einwohner-Gemeinde Henstedt-Ulzburg in Schleswig-Holstein: Dort demonstrierte sogar mehr als je­de:r Zehnte.

Bitte melden, wer nicht ein bisschen stolz auf seine Stadt oder ihr Dorf war und sich ein wenig kleingeistigen Städte-Chauvinismus erlaubte. Ich gestehe, mir liefen kleine Schauer über den Rücken, als ich aus dem Fenster die Ersten mit selbst gebastelten Schildern aus meinem Stadtteil in die Bremer Innenstadt aufbrechen sah, später gefolgt von großen Pulks wie bei Werder-Heimspielen.

Dabei haderte ich noch auf dem Domshof stehend mit der Selbstgefälligkeit, mit der ich und andere Bil­dungs­bür­ge­r:in­nen ihre rechte – also in diesem Fall linke – Gesinnung inszenierten. Endlich mal auf der guten Seite der Macht stehen, privilegiert, warm und in Sicherheit. Genauso hatte ich schon mit den Ukraine-Demos Anfang 2022 gefremdelt. Damals wie heute war mir der Adressat der Proteste nicht klar.

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Die Asyl­ver­schär­fe­r:in­nen demonstrieren mit

Ich ging am Sonntag trotzdem hin, wieder in der Hoffnung, es hilft irgendwie denen, die unmittelbar betroffen sind, dieses Mal, weil sie in Thüringen leben oder aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Familiennamens als Erste von einer AfD-Regierung aus dem Land gejagt würden – oder Schlimmeres.

An dieser Stelle wird es kompliziert, weil viele dieser Menschen auch heute schon des Landes verwiesen werden und in Zukunft noch viel mehr. So sie denn überhaupt noch hinein gelassen werden, wenn nämlich die Asylrechtsreform der Europäischen Union Gesetz wird. Und das mit Zustimmung nicht nur der konservativen Parteien, sondern auch von Grünen und SPD, die sich an den aktuellen Demonstrationen gegen rechts beteiligen. Darauf wies ziemlich wütend ein Bekannter hin, der sich an mir vorbei in die Menge schob. „Ist das hier eine Demo oder Karneval?“, fragte er noch.

Die Antwort fand ich erst ein paar Stunden später: Sowohl als auch. Menschen können sich nur aktiv für andere und eine gerechtere Gesellschaft einsetzen, wenn sie ihre Selbstwirksamkeit spüren. Auch Widersprüche lassen sich so besser aushalten und die Gewissheit, dass immer noch viel mehr und viel schneller passieren müsste. Wenn man die Demonstrationen der vergangenen Tage daran misst, dann haben sie viel gebracht.

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12 Kommentare

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  • Liebe Eiken, die von dir beschriebenen unguten Gefühle und Widersprüche habe ich auch erlebt. Aber vor deinem Text nicht so klar gehabt. Danke!!



    Was mich noch beschäftigt, ist das Dagegen-Sein, das auf der Demo so stark war. Natürlich war ich auch da, weil ich gegen den derzeitigen Rechtsruck bin. Und auch, weil ich gegen das feige und verlogene Wettern gegen die Ampel bin, das gerade überall zu hören ist. Aber es gab keine Sprechchöre FÜR etwas. Ich wäre lieber FÜR ETWAS.

  • Der Sinn dieser Demos ist hauptsächlich, dass die Menschen sich gegenseitig versichern, dass sie gegen Rechtsextremismus sind. Gemeinschaftsgefühl, Happening, Feier etc. Das ist alles. Ich war übrigens auch da, hatte aber meine Zweifel, dass es was bringt.

    Demos haben Sinn, wenn eine engagierte Minderheit der Mehrheit klarmachen will, dass ein Thema dringlich ist und sie davon überzeugen will. In diesem Sinne waren diese Demos kompletter Nonsense. Sie werden auch nicht einen AfD Wähler von irgendwas überzeugen. Schlimmstenfalls verhärten sie die Fronten noch weiter.

    Das die Übeltäter, also die etablierten Parteien sich hier wieder auf die Schulter klopfen und völkstümeln würden, war klar und ist eklig. Angesichts der menschenunwürdigen Asylpolitik, die sie alle gemeinsam umsetzen und sich dabei noch übertrumpfen, was man den Geflüchteten noch alles an Menschenrechten entziehen könnte. Widerlich. Hier wird längst AfD Politik von den selbsternannten Hütern der Demokratie umgesetzt.

    Demostrationen gegen die unsagbare Asylpolitik der Regierung oder gegen die fremdenfeindlichen polupistischen Hasstiraden eines Friedrich Merz wären viel viel wichtiger. Da würde ich mit deutlich weniger gemischten Gefühlen hingehen.

    Wenn wir schon von "politischem Kampf" gegen die AfD reden, wie es nun alle völlig inhaltslos tun - denn niemand nennt konkret, was er darunter versteht - dann sollte wir es auch angehen.

    Liebe PolitikerInnen (besonders im Osten), redet mit den Leuten! geht auf ihre Ängste und Sorgen ein, die verhetzten, die grundlos sind, aber auch die realen. Bietet vor Ort Lösungen an! Zeigt im Detail auf, dass das ÁfD Programm nichts besser, aber alles schlechter macht!

    • @Jalella:

      》Sie werden auch nicht einen AfD Wähler von irgendwas überzeugen. Schlimmstenfalls verhärten sie die Fronten noch weiter.《

      Mag ja sein, aber wichtig ist doch aktuell, dass die AfD in den Ländern nicht an die Macht kommt, eben auch nicht mithilfe der Union.

      Da sowohl Söder als auch Merz die Demos begrüßt haben, letzterer sogar mit seinem Drängen auf einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur Werteunion deren Abspaltung befördert haben dürfte, hat sich diese Gefahr ein Stück weit verringert.

      Und auch der Ampel könnten die Demos klarmachen, dass es sich vielleicht doch nicht lohnt, sich mit Sachen wie dem "Rückführungsverbesserungsgesetz" (eine Bezeichnung, die genauso daneben ist wie "Remigration"( AfD-Wähler*innen andienen zu wollen.

      Ganz vielleicht sogar gelingt es, den Bremsklotz (der "Fortschrittskoalition") FDP zu lockern, herauszuarbeiten, wie rechts die wirklich sind und sie so dann doch mal zum Mitmachen zu bewegen, wenn sie nicht mit unter 5% nächstesmal rausfliegen wollen.

      Mitorganisiert werden die Demos nämlich von FFF, Luisa Neubauer - da kann niewand mehr so tun, als sei Umwelt-, Klimaschutz was für eine verquaste Minderheit: das ist demokratisch anschlussfähig (vielleicht bei Porsche-Fahrern bzw. -Lobbyisten weniger, dann können sie sich ja mit Klaus Ernst zu einigen versuchen...)

      • @ke1ner:

        "Da sowohl Söder als auch Merz die Demos begrüßt haben, letzterer sogar mit seinem Drängen auf einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur Werteunion deren Abspaltung befördert haben dürfte, hat sich diese Gefahr ein Stück weit verringert."

        Und fast im selben Atemzug hat Merz es der CDU Thüringen freigestellt, sich im September ihren Koalitionspartner nach eigenem Ermessen zu wählen.



        (Rein rechnerisch können das nach dem letzten Umfragestand, der Merz da gerade druckfrisch vorlag, nur AfD und ggfs WU sein. Alles andere hätte momentan keine stabile Mehrheit.)

        Folgt man Merz' Aussage, dann bleiben an Optionen zumindest für 1 der 3 fraglichen Länder lediglich AfD-Ministerpräsident mit CDU-Unterstützung, oder CDU-Ministerpräsident mit AfD-Unterstützung.

        Den "Unvereinbarkeitsbeschluss" den Sie da erwähnen ibt es nicht. Es gibt nur seit Gründung der CDU eine *personelle* Unvereinbarkeit. Ein *verbindliches* Koalitions- oder Kooperationsverbot der CDU/CSDU gibt es weiterhin weder für die AfD noch für die WU, sondern nur für die Linkspartei. Und in den Stadträten in Ostdeutschland sind de-facto-Koalitionen zwiuschen CDU und AfD mittlerweile nicht die Ausnahme, sondern fast schon die Regel: es wird nur noch in besonders krassen Fällen über die Lokalpresse hinaus drüber berichtet, weil es einfach Alltag geworden ist, dass die CDU in der Kommunalpolitik von SN, ST, BB und TH für antisoziale, klimaschädliche oder rechtsideologische Verordnungen und Beschlüsse sich ganz "selbstverständlich" mit der AfD verpartnert.

  • 》Damals wie heute war mir der Adressat der Proteste nicht klar《

    Vielleicht lässt sich das auflösen, wenn wan Demos von Petitionen (AN die Politik, den Staat) unterscheidet - mit "Selbstwirksamkeit" haben Sie das ja im Grunde schon formuliert - der Adressat wären dann auch alle, die merken, dass sie sich viel zu lange und zu weit von der AfD haben treiben lassen.

    In diesem Zusammenhang auch spannend: Ihre Selbstreflektion zu "Städte-Chauvinismus" - wenn wan mal genauer hinsieht, gibt es an sehr vielen Stellen in der Gesellschaft eine Tendenz, offenbar ein Bedürfnis nach Abgrenzung, Grenzen.

    Da kritisch zu unterscheiden - HSV ./. Werder hat Ventilfunktion, ist ein Spiel¹, Identitätspolitik ./. Identitär finde ich schon schwerer, 'Cistem' ./. 'Schweinesystem' kaum noch nachvollziehbar, - kann ja eine gemeinsame Essenz herausarbeiten.

    Carolin Emcke in ihrer neuesten Kolumne in der SZ: "Wer glaubt, die Prinzipien des Grundgesetzes sein normalen Leuten nicht zuzumuten, ist nicht nah an den Sorgen der Menschen, sondern zelebriert lediglich die zynische Gleichgültigkeit einer bürgerlichen Mitte, die nur noch nicht begriffen hat, dass das Grundgesetz das Fundament dieser Republik ist." - wenn von Union bis zur Linken alle demokratischen Parteien und ihre Anhänger bei diesen Demos dabei sind, ist das ja vielleicht ein Zeichen - wie Demonstrationen sie ja setzen - dass ebenso alle, einschließlich der Mitte, ihre Gleichgültigkeit überwinden und sich klar vor Augen führen, wie ungeheuer breit das demokratische Spektrum ist und dass die faschistische Behauptung von der Diktatur der Demokratie ganz augenscheinlich widerlegt ist.

    ¹und was, wieviel haben Projektionen mit "Feinden", Projektionsflächen mit Schlachtfeldern und den verheerenden kriegerischen Auseinandersetzungen auch unserer Zeit zu tun?

  • Wenn ich die Taz-Überschriften zu den "Demos gegen Rechts" lese, wird mir klar, warum es keinen Grund gibt, bezüglich der Entwicklung unserer Demokratie, optimistisch in die Zukunft zu blicken.

    In den Artikeln spiegeln sich zum Teil vertraute Muster linker und bürgerlich/liberaler Besserwisserei wider, die zur Schwächung der eigenen Demokratischen Position beitragen.

    Das drückt sich unter anderem darin aus, dass die Relativierung der Wirksamkeit breiter Proteste , gleich mitgeliefert wird - nicht selten mit ironischem Unterton.

    Während Konservtive und Rechte trotz untereinander herrschender Konkurrenz eher dazu in der Lage sind Zweckbündnisse einzugehen um ihre Weltsicht nach Aussen geschlossen zu verbreiten, klingt bei linken und linksliberalen Schreiber*nnen häufig ein Nichternstnehmen der breiten Öffentlichkeit durch.

    Natürlich wäre es naiv anzunehmen, dass durch die Demonstrationen allein der Rechtsruck in Deutschland aufgehalten wird - aber so wird aus einem klaren JA zu den Demos schnell ein JA-ABER.

    Es gab Zeiten in Deutschland, da wäre ein gemeinsames Demonstrieren linker und bürgerlicher Kräfte gegen Feinde der Demokratie durchaus wünschenswert gewesen.

    • @Bürger L.:

      Weshalb sollte man nicht darauf hinweisen, dass plötzlich auch jene an den Demonstrationen teilnehmen und sie "begrüßen", die in den letzten Jahren nicht müde wurden den Bürger_innen einzubläuen, Migration sei unser größtes Problem, ja "die Mutter aller Probleme"

      und dass man jetzt in "großem Stil die abzuschieben" gedenke, die es trotz aller Bemühungen, zivile Seenotrettung zu sabotieren und zu kriminalisieren, lebendig übers Mittelmeer geschafft haben?

      Warum ist das Besserwisserei?

      • @Zecke:

        Möglicherweise liegen wir in der Kritik an der Migrationspolitik von CDUCSUFDPGRÜNENSPD garnicht so weit auseinander - und sicher kann darauf hinweisen.







        Wenn man dem Erstarken der Rechten Parteien, Gruppen und Tendenzen innerhalb der Bevölkerung wirksam entgegentreten möchte, wird das sinnvollerweise nur gemeinsam MIT den Genannten funktionieren.

        Grundsätzlich profitieren rechte Strömungen von der Uneinigkeit der demokratischen Parteien.

        Das heißt nicht eigene Grundsätze über Bord zu werfen, aber es gibt m.E. übergeordnete gemeinsame Interessen die es zu verteidigen gilt.

        Das gemeinsame demonstrieren gegen Feinde der Demokratie ist da nur eins von vielen Mitteln.

    • @Bürger L.:

      Die gleichen Fragen kamen mir auch in den Sinn, auch wenn sich erst in der Zukunft zeigen wird , ob das nur ein Strohfeuer ist. Warum werden so gerne jetzt von den " Verstehern " diese Demonstrationen infrage gestellt, genau so wie übrigens von den Faschisten, aber bei Demos der Braunblauen war bei jedem noch so kleine Auftritt die Presse alarmiert. Vielleicht hätte man diesen Teil des Volkes nicht ganz so viel Öffentlichkeit geben sollen und sich mehr damit beschäftigen sollen wie man rechtlich gegen diese Agitation vorgehen könnte.

  • Natürlich geht es hier um eine Selbstvergewisserung. Ein Effekt ist aber auch, dass die vielzitierte schweigende Mehrheit zumindest in Teilen zeigt, dass sie nicht die ist, als die sie von rechten Kräften gerne argumentativ in Stellung gebracht wird.



    Einer größeren Zahl von Menschen scheint bewusst zu werden, wie präsent, selbstwirksam und einflussreich die rechte Blase geworden ist. Vor einigen Jahren war der Gegenprotest gegen die "Kandel ist überall"-Montags-Fünf-Minuten-Hass-Treffen der AfD und Unterstützer:innen sehr, sehr viel kleiner.



    Die Demos in Zusammenhang mit den Berichten von Correctiv haben als anekdotische Evidenz in meinem Erleben zu folgender gestriger Szene geführt: Zwei biertrinkende Handwerker im Zug echauffierten sich über "die da oben", über kriminelle Ausländer (Kollege Ali erhalte trotz jahrelangem Arbeiten keine deutsche Staatsbürgerschaft). Sie kamen aber trotz allem zu dem Schluss, die AfD können mensch nicht ums Verrecken wählen. Es dürfe nie wieder soweit kommen, dass Menschen "abgeholt werden".

    • @Ijon Tichy:

      Danke, sehr wertvolle Anmerkungen!

      Auch anekdotische Evidenz ist Evidenz; n=1 ist zwar nicht groß belastbar, aber belastbarer als n=0 ist es allemal.

  • ich war aus verschiedenen gruenden nicht auf der bremer demo (ich war in den letzten 40 jahren sicher auf mehr antinazi-demos als 95% der anwesenden) aber ich habe mich gefreut, das ein guter teil meiner mitbuerger dieser echt ziemlich guten stadt dort waren. interessant wird, ob sich diese zivilgesellschaftliche praesentation aufrecht erhalten laesst.