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Martina Voss-TecklenburgImmer weiter performen

Kommentar von Johannes Kopp

Ex-Bundestrainerin Voss-Tecklenburg hat erstmals über ihre psychische Erkrankung gesprochen. Ihr Fall zeigt die Gnadenlosigkeit des Leistungssports.

Martina Voss-Tecklenburg im August in Brisbane Foto: Sebastian Gollnow/dpa

G ut gemeint hat es der Deutsche Fußball-Bund, als er vergangenen Sommer an Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg festhielt, auch als bekannt wurde, dass sie nach der verpatzten WM unter psychischer Erschöpfung leidet. Interimstrainer Horst Hrubesch sollte ihr den Rücken freihalten. Selbstverständlich ist das im Leistungssport keineswegs. Gut gegangen ist es trotzdem nicht. Von einem Kommunikationsdesaster war letztlich die Rede. Die Konsequenz daraus war Anfang November die Einigung zwischen DFB und Voss-Tecklenburg, den Vertrag aufzulösen.

Die Geschichte ist allerdings komplizierter. Denn eine Perspektive war bislang nicht bekannt, die der Betroffenen selbst. Die ehemalige Bundestrainerin äußerte sich am Wochenende erstmals in einem Interview mit der ZDF-Journalistin Katrin Müller-Hohenstein. Was ist nur schief gelaufen? Lange hörte man nur aus dem Munde von Hermann Tecklenburg, wie es um seine Frau bestellt ist. Gut gemeint war auch das, aber nicht gut. Das räumte Martina Voss-Tecklenburg nun freimütig ein. Ihr öffentliches Ansehen hat darunter gelitten. Es hat sie noch mehr geschwächt.

Jetzt spricht sie wieder selbst. Es benötigt eben enorm viel Kraft, um öffentlich über eigene psychische Problem reden zu können. Voss-Tecklenburg erobert sich die Erklärungshoheit über ihre eigene Geschichte zurück. Von Panikattacken und Schlaflosigkeit sei sie geplagt gewesen. Immer wieder hätte sie weinen müssen. Komplett zusammengebrochen sei sie nach der WM, berichtete die 55-Jährige. Und sie sei eben nicht in der Lage gewesen, darüber zu sprechen. Sie machte den immensen Druck spürbar, unter dem sie schon seit Jahren zu leiden hat. Häufig habe sie nicht viel mehr als drei, vier Stunden geschlafen. Es sind auch die äußeren Umstände des Leistungssports, die krank machen.

Dass sie nach ihrer Gesundschreibung im Erholungsurlaub vor bayerischen Zahnärzten eine Vortrag mit dem Titel „Formen, um zu performen. Mein Change Management im Frauenfußball“ hielt, war keine gute Idee. Dumm sei das gewesen, gestand Voss-Tecklenburg. Dies veranschaulicht aber gut, welch absurde Geschichten das Hamsterrad der Leistungsgesellschaft hervorbringt. Eine, die herausgeschleudert und nun wieder hineingeklettert ist, will anderen erzählen, wie man in diesem bella figura macht.

Nationalspielerinnen erbost

Die Nationalspielerinnen waren darüber erbost, weil sie sich von ihrer Ex-Trainerin im Stich gelassen fühlten. Die noch immer anstehende Aufarbeitung der misslungenen WM-Auftritte stand schließlich noch aus. Ihre Erwartung an die Trainerin: performen, bevor man Performance-Vorträge hält. Es ist die Gnadenlosigkeit des Leistungssports. Jeder verlangt vom anderen, was einem selbst abverlangt wird. Was auch Martina Voss-Tecklenburg nachvollziehbar findet.

Aus ihrer Sicht hätte eine bessere Kommunikation des DFB geholfen. Vor ihren Vorträgen wollte sie mit dem Verband eine Erklärung abgeben, die aus unterschiedlichen Gründen nicht zustande gekommen sei. Näheres dazu sollte der DFB erklären. Aber vielleicht sind das lediglich Detailfragen. Die Probleme sind grundsätzlicher Art und es spricht wenig dafür, dass sie bald besser gelöst werden.

Leistungssport tut sich schwer

Geredet wurde spätestens nach dem Suizid von Torhüter Robert Enke viel darüber, wie der Leistungssport ein menschlicheres Antlitz erhalten könnte. Und es ist noch nicht so lange her, dass Manager Max Eberl offen über seine Tränen und psychischen Probleme gesprochen hat. Seitdem er zum vielfach verachteten Konzernverein RB Leipzig wechselte und nach seiner Entlassung dort mittlerweile als Kandidat beim FC Bayern gehandelt wird, zählt er bei nicht wenigen Fußballfans zu den meistgehassten Funktionären in der Männer-Bundesliga. Die sozialen Netzwerke haben das reichlich dokumentiert.

Die Geschichte von Martina Voss-Tecklenburg erzählt so einiges darüber, wie schwer sich der Leistungssport selbst bei bestem Willen im Umgang mit Menschen tut, die nicht mehr „funktionieren“. Und wie schwer es für Menschen ist, die unbedingt wieder „funktionieren“ wollen, unbeschadet wieder zurückzukommen.

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taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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5 Kommentare

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  • So schwer ist das jetzt aber auch nicht. Nach der verkorksten WM hätte sie als Trainerin zurücktreten (ja, sowas gab es früher mal) und in Ruhe alles aufarbeiten können und überlegen, ob man in Zukunft weiterhin als Trainerin arbeiten oder lieber Vorträge vor Bayrischen Zahnärzten geben oder doch einfach mit dem Geld aus dem gutdotierten Salär der Trainerinnentätigkeit sich ein schönes Leben machen möchte.

    Was ich dagegen gut verstehe ist, wenn eine Krankenschwester keine Pause machen kann, weil sie dann ihre Familie ggf nicht mehr ernähren kann. Irgendwie beschäftigen wir uns in Deutschland allzu oft mit den Problemen der Reichen (siehe die ganzen Serien und Spielfilme auf ARD/ZDF), während wir von der Arbeiterklasse erwarten selbstverständlich zu performen.

    • @Edgar:

      Auch in der Arbeiterklasse klappt es nicht immer mit dem "performen". Da ist der Druck nur zugegebenermaßen noch höher, trotz Erkrankung einfach weiter zu machen. Und eine nervliche Krankheit wird so lange wie möglich verdrängt.



      Ob jemand vermögend ist oder nicht: Typisch ist, dass man bei einer psychischen Erkrankung meist gar nicht fähig ist, vernünftige Entscheidungen zu treffen.

  • Ist doch nicht nur im leistungssport so!!!



    Viele Menschen denken, es ist ganz normal sich abzurackern, keine zeit zu haben und alles, auch asoziales zu tun, damit man irgendwie reich und glücklich wird - obwohl die meisten gar nicht wissen, wie das mit dem glück genau funktioniert, abgesehen vom konsumieren / verbarrikadieren.

    Es fängt an bei der massengesellschaft, die seit 15.000 jahren zur entfremdung aller gemeinschaften beiträgt und die anonymität der bürger und auch deren spaltung und moralische konflikte fördert.



    die abschaffung der gemeinschaft durch den imperialismus hat tiefe psychische wunden hinterlassen die wir mit allerlei schwachsinn auffüllen. ideologien über ideologien, die irgendwann ganz vergessen lassen, wie das mit dem wissen eigentlich funktioniert.



    2000 jahre nach der gründung der philosophie ist die masse immer noch nicht bereit das ganze zu verdauen, weil sie psychisch und sozial am rande der glücklichen vor sich hinvegitieren.



    während die glücklichen sagen, geht halt nicht anders.



    da muss man ja wahnsinnig werden.

    egal in welcher branche, dieser effekt ist eigentlich allen bekannt.



    die produzenten fordern und der letzte in der kette hat die fehler aller vorhe am hals.



    weil kaum einer sich kümmert, wie alles zusammenläuft und das wird natürlich weiter gereicht.

    philosphie kenntnisse = 0%



    literatur = vlt grad mal 5%



    psychologie = je nach milieu höchstens 10%



    soziologie _ auch nicht mehr.



    Gemeinschaft = mangelhaft!

    während das familienmodell stark variiert und das gemeinschaftsmodell schon lange kaum spürbar ist außer bei WM und Krieg, jagen wir dem gespenst der nation hinterher und bekriegen uns in unseren kleinkarierten milieus und leistungsdebatten, obwohl genug für alle da wäre.



    das ist krank und das macht krank irgendwann, während man sein natürliches glück und potential, gegen die begrenzten vorstellungen des zeitgeistes verhandelt.

    es ist noch ein weiter weg, bis alle sehen was sache ist und was möglich ist!

  • Irgendwie fehlt mir die Selbstkritik im Artikel, da einer der unten verlinkten Artikel dem DFB und Frau Voss-Tecklenburg noch vor vier Wochen unprofessionelles Verhalten vorwarf. Es erwarteten also auch die Medien, auch die Taz genau jenes unbedingte Funktionieren, das hier nun als schädlich bezeichnet wird.

  • "... wie schwer sich der Leistungssport selbst bei bestem Willen im Umgang mit Menschen tut, die nicht mehr „funktionieren“."

    Trotz steigender Zahl psychischer Erkrankungen, trotz prominenter Fälle:



    Schwer tut sich nicht nur "der Leistungssport". Der überwiegende Teil der (Leistungs-)Gesellschaft tut sich nach wie vor schwer, wenn eine Krankheit nicht durch Krücken, Verbände und ähnliche sichtbare Zeichen "belegbar" ist.