piwik no script img

Abstimmung über Pestizid-ZulassungEU-Staaten stoppen Glyphosat nicht

Eine EU-Abstimmung fand keine ausreichende Mehrheit gegen eine Zulassung des Pestizids. Berlin enthält sich – entgegen dem Koalitionsvertrag.

So wirkt Glyphosat: Die grünen Pflanzen (links) sterben ab und ihre Blätter werden gelb Foto: Axel Seidemann/dpa

Brüssel/Berlin taz | Die EU-Kommission ist mit ihrem Vorschlag, die Zulassung von Glyphosat zu erneuern, vorerst gescheitert. Ein Vorschlag, den Einsatz des Pestizids für weitere 10 Jahre zu erlauben, fand unter den 27 EU-Staaten bei einer Abstimmung am Freitag nicht die erforderliche Mehrheit. Deutschland hat sich enthalten. Es kam aber auch keine ausreichende Mehrheit gegen die Vorlage zustande, die sie gestoppt hätte.

Österreich und Luxemburg stimmten gegen den Vorschlag der EU-Kommission. Frankreich hatte sich für Änderungen ausgesprochen. Nach Ansicht der Regierung in Paris müsse Glyphosat verboten werden, sobald es Alternativen gebe, sagte Landwirtschaftsminister Marc Fesneau. Die EU-Kommission hatte jedoch nur vergleichsweise milde Bedingungen für die erneute Nutzung formuliert.

Glyphosat, das unter anderem vom deutschen Chemiekonzern Bayer vertrieben wird, ist der weltweit meistverkaufte Herbizidwirkstoff. Die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation bewertete ihn 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ – mit Glyphosat gefütterte Säugetiere hatten Tumore entwickelt. In den USA verurteilten daraufhin mehrere Gerichte Bayer zu hohen Schadenersatzzahlungen an KlägerInnen, die ihre Krebserkrankung auf den Unkrautvernichter zurückführen. Der Konzern beruft sich dagegen auf verschiedene Zulassungsbehörden, die Glyphosat als sicher einstufen. Das Gift tötet so gut wie alle nicht gentechnisch veränderten Pflanzen und damit auch Nahrung für Vögel und Insekten. Deshalb gilt es Umweltschützern als Gefahr für die Artenvielfalt.

Nun soll ein Berufungsausschuss der EU-Länder im November über den Vorschlag der Europäischen Kommission entscheiden. Dann braucht es wieder eine qualifizierte Mehrheit von 55 Prozent der EU-Mitgliedstaaten, auf die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung entfallen, um die Zulassung zu genehmigen – oder um sie endgültig abzulehnen. Wenn sich die EU-Staaten nicht einig werden, behält die Kommission das letzte Wort. Sie muss dann bis zum 14. Dezember entscheiden. Am 15. Dezember läuft die aktuell gültige Genehmigung für Glyphosat aus.

Bayer hofft weiter auf genügend Unterstützung

Bayer erklärte, der Konzern bleibe zuversichtlich, „dass im nächsten Schritt des Genehmigungsprozesses genügend weitere Mitgliedsstaaten die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Erneuerung der Genehmigung von Glyphosat unterstützen werden“. Das Unternehmen sei weiter von der Sicherheit des Mittels überzeugt. Die Grünen im Europäischen Parlament werteten die Abstimmung dagegen als Etappensieg auf dem Weg zu einem Verbot.

Ihr agrarpolitischer Sprecher, Martin Häusling, räumte jedoch im Gespräch mit der taz ein, dass es im Berufungsausschuss wohl ebenfalls keine qualifizierte Mehrheit gegen die Zulassung geben werde. Die EU-Kommission werde dann die Erlaubnis allein in Kraft setzen.

Über die deutsche Enthaltung sagte er: „Ich bedauere das“. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) habe sich klar gegen den Vorschlag der EU-Kommission ausgesprochen, aber der Koalitionspartner FDP habe quergeschossen. Wenn sich die Regierung nicht einig ist, muss sie sich nach ihrer Geschäftsordnung enthalten.

Grünen-Abgeordneter: „FDP geht mir gewaltig auf den Senkel“

„Wir haben es klar in den Koalitionsvertrag geschrieben“, ergänzte Häusling, der selbst an den damaligen Verhandlungen zwischen den Ampelparteien beteiligt war. „Da gibt es eigentlich keine Diskussion.“ Im Vertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es: „Wir nehmen Glyphosat bis 2023 vom Markt.“ Nun sagt der Abgeordnete: „Die FDP geht mir langsam gewaltig auf den Senkel. Es reicht mir langsam.“

Olaf Bandt, Vorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), kritisierte nicht nur die FDP, sondern auch die Sozialdemokraten: „Wir sind über das Schweigen der SPD zu diesem wichtigen Verbraucherschutz- und Umweltthema enttäuscht.“ Die Umweltorganisation WWF teilte über das deutsche Abstimmungsverhalten mit: „Das ist eine Enthaltung gegen den Koalitionsvertrag, gegen die Menschen und gegen die Natur.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • Die Kommission wird die Zulassung von Glyphosat verlängern.



    Aktuell sind 18 Länder dafür und 3 dagegen.



    Ist zwar keine qualifizierte aber einfache Mehrheit. Bezogen auf die Bevölkerung sind das 55% zu 3%.



    Selbst wenn die 6 Länder die sich enthalten haben noch umschwenken bleibt es bei der deutlichen Mehrheit dafür.



    Und da alle unabhängigen Prüfinstitute die sich über Jahre mit Glyphosat beschäftigt haben, es für unbedenklich halten wüsste ich nicht warum die Kommission das nicht verlängern sollte.



    Selbst die WHO (JMPR) sagt es ist gesundheitlich unbedenklich so wie es in Europa angewendet wird. Das wird nur in den Medien nie erwähnt.

  • Wenn Insekten, Vögel und andere Lebewesen durch Ackergifte sterben, sind auch Menschen betroffen. Die Gesundheitskosten sind inzwischen astronomisch gestiegen und steigen weiter. Eine gesunde Natur ist auch unsere Lebensgrundlage.

    • @Brigitte Weichholz:

      Es gibt keine Form der Landwirtschaft, die ohne Ackergifte auskommt.

  • Die Causa "Blei im Benzin" (de.wikipedia.org/wiki/Tetraethylblei) zeigt sehr anschaulich wie diese Mechanismen funktionieren.

    Letztlich war die Giftigkeit des Bleis für den Menschen nicht der Hauptgrund sondern der, dass durch TEL die Kathalysatoren kaputt gehen.

    TEL ist Schätzungen zu Folge für 120 Millionen Tote weltweit verantwortlich.



    Und man wusste die ganze Zeit über von der Giftigkeit.

    1924 wurde erstmals TEL verwendet und es hat bis 2021 gedauert bis es aus dem Kraftstoff verschwunden war.



    Also knapp einhundert Jahre.

    Glyphosat ist seit ca 1970 auf dem Markt... wir brauchen also noch einen langen, einen sehr langen Atem.

  • Es ist schön das es in Europa noch Länder gibt welche die Arbeit der Landwirte schätzen und nicht wie in Deutschland ( Grüne ) Ideologie einfach durchsetzen. Der Weg unseres Landwirtschaftsminister möglichst alles auf Bio umzustellen würde genauso scheitern wie der Deutsche Alleingang bei der Energie. Noch haben wir in Deutschland mit die billigsten Lebensmittel, aber nur weil unsere ( Konventionellen ) Landwirte so effektiv Arbeiten und dazu gehört auch ein Chemischer Pflanzenschutz.

  • Ackerbau in Zeiten des Klimawandels benötigt Glyphosat, die Alternative, der Pflug, schädigt zunehmend unsere Böden. Derzeit gibt es (noch) keine Alternative zu Glyphosat.

  • Martin Häusling hat Recht! Können sich die Koalitionäre nicht einigen, schreibt die Geschäftsordnung Enthaltung vor. Cem Özdemir ist daher kein Vorwurf zu machen und er ist ein weitaus größerer Ehrenmann als es Christian Schmidt je war. Alles weitere hat Analogien zu einem selbsttätigen Regelkreis. Die in moralischen Aspekten höchst anspruchsvollen Grünen würden keinen Tag länger mit der FDP zusammenarbeiten, wenn die Liberalen so fies wären, wie verschiedentlich kolportiert wird. Dann würde Habeck die Koalition platzen lassen und Christian Lindner auf harte Oppositionsbänke schicken. Olaf Scholz würde Friedrich Merz zum Vize-Kanzler ernennen und Robert Habeck bekäme einen neuen Job als Vize-Vorsitzender des Energie-Ausschusses des Bundestags. Umgekehrt kann die FDP doch nicht so schlimm sein, wenn die Grünen weiterhin mit ihnen koalieren. Tertium non datur. Habeck und die Grünen haben das Heft des Handelns in der Hand.

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Wir müssen den Tatsachen ins Auge schauen:



    Aktuell gibt es im Bundestag außer der verschwindenden Linkspartei keine politische Vertretung für einen Klima- und Umweltschutz, der seinen Namen verdient.

    Grüne und SPD praktizieren eher das genaue Gegenteil ihrer diesbezüglichen Versprechen aus dem letzten Bundestagswahlkampf.

    Und von AfD, Union und FDP ist ohnehin nur die Fortschreibung des mörderischen Status Quo zu erwarten.

    Die Niederlande zeigen immerhin, das auch außerparlamentarischer Widerstand durchaus erfolgreich sein kann.

    taz.de/Podcast-klima-update/!5966258/

  • Bekommt die FDP jetzt ein Verfahren wg. (Koalitions-)Vertragsbruch?



    Damit hat die kleinste Partei immer Veto-Recht! Wer hat das zugelassen?



    Bei dieser Partei kann man sich nur auf eines verlassen: Sie dient ihrem Klientel und nicht der Bevölkerung ...

  • Die Lobbytruppe (aka FDP) zeigt ein weiteres Mal ihr unredliches, heuchlerisches Gesicht. Wenn die alles torpedieren was auch nur entfernt an Umwelt- und Kilmaschutz dringendst nötig ist OBWOHL sie dem in dem Koalitionsvertrag zugestimmt haben, das ist das nicht anderes als Betrug. Nur frage ich mich ein weiteres Mal, warum die Grünen nicht mit den gleichen Waffen kämpfen? Ach ja, ich vergaß: die SPD ist ein Wabbelhaufen, wie Pudding und "nicht an die Wand zu nageln".



    Oh weia - was soll man denn noch wählen???

  • Ein weiteres Brüsseler Lobbytrauerspiel.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Fritz Lang:

      Freitag, der 13., für die Gesundheit und Biodiversität

    • @Fritz Lang:

      Das ist so. Daß die sich nicht schämen, inkl. FDP ! Widerliche Lobbyvereine, das.

  • Wieso kann die Fdp den Koalovertrag in diesem Punkt nicht einhalten?



    Wäre schön gewesen, dazu etwas im Artikel zu lesen.

  • Glyphosat in der Landwirtschaft einzusetzen macht im wesentlichen nur Sinn im Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Denn das killt nämlich alles was zur Flora gehört. Und gegenüber anderen Herbiziden ist das deutlich unproblematischer für den Menschen bzw der Gruppe Fauna.