piwik no script img

Mitte-Studie der Ebert-StiftungDeutschland rückt nach rechts

Die neue Mitte-Studie zeigt: Jede zwölfte Person in Deutschland hat ein rechtsextremes Weltbild. Sechs Prozent wollen eine Diktatur mit Führer.

„Laut und selbstbewusst“: Anhänger der Jungen Alternative in Berlin Foto: Stefan Boness/Ipon

Berlin taz | Deutschland wird rechtsextremer und demokratiefeindlicher. Das geht aus der Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) hervor, die die Stiftung am Freitagvormittag mit den Haupt­au­to­r*in­nen Andreas Zick und Beate Küpper (beide Universität Bielefeld) in Berlin präsentiert hat.

Jede zwölfte Person in Deutschland hat demnach mittlerweile ein rechtsextremes Weltbild. Das ist eine deutliche Zunahme. Der Anteil an der Bevölkerung ist damit um mehr als sechs Prozent gegenüber der letzten Erhebung von 2021 auf heute acht Prozent gestiegen.

Im Graubereich befinden sich weitere 20 Prozent. Nur noch etwa 70 Prozent lehnen rechtsextreme Einstellungen klar ab. Mehr als sechs Prozent wollen die Errungenschaften der Demokratie aufgeben und eine Diktatur mit einem Führer wieder herstellen.

Für andere wiederum ist es sowieso schon so weit, 20 Prozent meinen: „Unser Land gleicht inzwischen mehr einer Diktatur als einer Demokratie“. Zum Vergleich: 2020/21 waren das 16 Prozent. Das Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen ist auf unter 60 Prozent gesunken. Auch andere Aussagen klingen düster. Fast sechs Prozent (2014-2021) meinen, es gäbe „wertvolles und unwertes Leben“. 16 Prozent gaben an, sie seien negativ gegenüber „Ausländern“ eingestellt.

Küpper merkt an, dass dem Rechtsextremismus vor einem Jahrzehnt noch mehr unter vorgehaltener Hand zugestimmt wurde. Jetzt werde er „laut und selbstbewusst“ vorgetragen.

Fast 40 Prozent verschwörungsläubig

Auch andere menschenfeindliche Einstellungen erhalten viel Zuspruch. 34 Prozent der Befragten sagen, Geflüchtete wollten nur das deutsche Sozialsystem ausnutzen. Mehr als je­de dritte Person ist der Ansicht, jüdische Menschen würden teilweise oder sicher ihren Vorteil aus der Vergangenheit des Nationalsozialismus ziehen wollen. Die Tendenz zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit übersteigt das bereits hohe Vor-Corona-Niveau von 2018/19.

„Populismus und antidemokratische und völkische Positionen sind auf dem Vormarsch“, so der Vorsitzende der FES, Martin Schulz. Das bezeugt die Studie. Ein erheblicher Teil der Befragten vertritt verschwörungsgläubige (38 Prozent), populistische (33 Prozent) und völkisch-autoritär-rebellische Positionen (29 Prozent). Das bedeutet einen Anstieg um rund ein Drittel im Vergleich zur Befragung während der Corona-Pandemie. „Diese Ergebnisse sind nicht nur erschreckend, sondern gebieten konsequentes Handeln – von der Politik, aber auch aus der Gesellschaft selbst“, so Schulz.

Bei der Klimakrise hat eine Mehrheit der Bevölkerung der Bevölkerung Verständnis für Proteste und Blockaden von Klimaaktivist*innen, über 50 Prozent findet diese mindestens teilweise nachvollziehbar. Generell halten 70 Prozent der Befragten den Klimawandel für eine „große Bedrohung“ für das Land.

Für die repräsentative Studie wurden über 2.000 Personen von 18 bis 94 Jahren befragt. Die Mitte-Studien geben Auskunft über die Verbreitung, Entwicklung und Hintergründe rechtsextremer, menschenfeindlicher und antidemokratischer Einstellung in Deutschland. Die FES gibt seit 2006 etwa alle zwei Jahre eine neue Ausgabe heraus.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • Ich hab Angst. Ganz dolle Angst. Wie weit geht das noch? In welches Land kann ich auswandern, wenn ich meine Meinung hier irgendwann nicht mehr sagen darf?

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Dirk Karstädt:

      Es handelt sich um eine Art Kollektivwahn der Verkennung.



      Wenn so viele, die es Kraft ihrer Position anderes machen könnten, sollten und müssten, nicht so viel Angst hätten, die sie verdrängen anstatt furchtlos tätig zu werden, bräuchten Sie deutlich weniger Angst zu haben.

  • Auf der Suche nach den Lehren der Geschichte:



    /



    www.spiegel.de/pol...-0000-000014022698



    /



    "Theoretisch gab es noch zwei andere Möglichkeiten, Hitler den Weg an die Macht zu verlegen. Man konnte die NSDAP verbieten und/oder die demokratischen Kräfte außerhalb des Parlaments zum entschiedenen Widerstand gegen den Nationalsozialismus aufrufen.



    Weshalb aber sollte die NSDAP verboten werden? Im Reichsinnenministerium lagen gehaltvolle Denkschriften, deren Verfasser nachzuweisen versuchten, daß die NSDAP eine revolutionäre Partei sei, die sich mithin des Hochverrats schuldig gemacht habe und aufgelöst werden müsse; die Partei wolle den gewaltsamen Umsturz.



    Das zeigte nur, wie wenig sie Hitler kannten; der hatte sich auf einen scheinlegalen Kurs festgelegt, von dem ihn bis zur Machtübernahme niemand abbringen konnte. Das Umsturz-Argument des Reichsinnenministeriums war sachlich falsch, sein Material außerdem so lückenhaft, daß sich kein Gericht in Deutschland gefunden hätte, daraufhin die NSDAP zu verbieten."



    /



    Es kann durch hocheffektive Katalysatoren schnell zu unkontrollierten Kettenreaktionen mit Kernschmelze kommen.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Martin Rees:

      40 Jahre seit diesem Artikel im Spiegel.



      Den meisten blaunen Zuwachs gibt es bei der Gruppe der 18-34-Jährigen.

      Ein Kern betreibt es, die anderen machen mit, aus welchen Gründen auch immer. Es müssen nur genug sein, dan klappt es. Und dann kann es nur gehalten werden, wenn es repressiv wird.



      Kahr will einen repressiven Staat. Da ist es doch schon.



      Was Höcke in Schnellroda sagte, wird demnach nicht "nur" für interne Gegner gelten sollen:



      „… Die, die nicht in der Lage sind, das Wichtigste zu leben, was wir zu leisten zu haben, nämlich die Einheit, das sind die, die allmählich auch mal ausgeschwitzt werden sollten“.

      Die eigentliche Frage lautet:



      Wer sind denn heute Katalysatoren?

  • ....Deutschland ruckt nach rechts....



    könnte man glatt meinen, wenn man Steinmeier " das Boot is voll " hört.



    Ein Herr Söder - Ehemann von Karin Baumüller-Söder Miterbin/Mitinhaberin der Baumüller Gruppe mit Sitz in Nürnberg & und Niederlassungen in über 20 Staaten - nach 10.000 den Grenzschützen ruft...



    Die deutsche Mehrheit der Bürger hat doch keine Veranlassung nach " rechts zu rucken " - wer die Geschichte noch nicht vergessen hat - wird sich hüten...

    • @Alex_der_Wunderer:

      Korrektur - die Baumüller Gruppe is in über 40 Staaten aktiv...

  • Der Staat tritt seit der Abschaffung der Wehrpflicht nur noch als Wohltäter auf, der nichts erwartet und nichts verlangt.



    Des Weiteren rennen jene, die früher bei der Bundeswehr "eingehegt" wurden, nun frei auf der Straße herum.



    Und nicht zuletzt haben die Leute, die früher jeden Abend in den Kneipen betrunken ihre geistigen Ergüsse zum Besten gaben, entdeckt, dass es tausende andere gibt, die dasselbe denken.



    Aber die wirklich entscheidende Frage ist: Was eigentlich haben die diversen Regierungen unter Merkel gegen diese sich seit mindestens 10 Jahren anbahnende Entwicklung getan? Ok, zugegeben, war eine rhetorische Frage. Die Antwort ist dieselbe, wie bei fast allen anderen Politikfeldern.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Was andere berichten:

    "... ein rechtsextremes Weltbild ...



    ... fällt die FDP auf, von deren Wählerschaft gut 15 Prozent solchen Einstellungen zuneigen, ..."

    www.fr.de/politik/...bnis-92532629.html

  • "Küpper merkt an, dass dem Rechtsextremismus vor einem Jahrzehnt noch mehr unter vorgehaltener Hand zugestimmt wurde. Jetzt werde er „laut und selbstbewusst“ vorgetragen."

    Passt. Laut und selbstbewusst ist der "gute Bürger" inzwischen in vielen Dingen. Beim Motor im Stand laufen lassen, beim Bäume fällen und Heckeentfernen zwischen April und Oktober. Beim Autowaschen in der Hofeinfahrt und beim Laubblasen um 20 Uhr.



    DAS sind ja nur "kleine Ordnungswidrigkeiten". Wird er erwischt, ist er ganz schnell wieder "der kleine Mann", der ja nichts darf, in diesem Polizeistaat. ("Und die anderen???")



    Erkennt für sich selbst keinerlei Autoritäten an, auch nicht jene, die unsere gemeinsamen Gesetze, - unsere Ordnung - hüten (ohne die es nunmal in keinem Gemeinwesen geht), will "andere" aber gerne drangsaliert sehen.



    Am Besten jene, die nicht in sein beschränktes Weltbild passen.



    Wenn man ihm widerspricht, ist er deshalb sauer und behauptet "Man dürfe ja nicht mehr alles sagen". Schuld sind immer andere, man selbst das Opfer, dem man "die Worte im Mund herumdreht".



    Und weil "der Polizeistaat" nicht durchgreift (bei anderen), tritt man auch schon mal selbst in einen "Klimakleber". Das sind die selben Leute, die bei einem Tumult vor einem Lokal nicht die Polizei rufen, weil a) "FÜR DIE rufe ich keine Hilfe" oder b) "Hinterher muss ich den Einsatz noch bezahlen."



    Klar muss ein Führer her. Dem kann man im Nachgang die ganze Schuld zuschieben und sich selbst reinwaschen. Hat ja schon einmal (fast) geklappt.

    • @Woodbine:

      Danke für diesen vor Zynismus triefenden Kommentar. Der hat mir gerade gut getan.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Woodbine:

      Dieser Waschgang hat dann doch gar nicht so schlecht geklappt - und wird deshalb aktuell gern wieder eingeschaltet. Wers noch kennt: "Weils nicht sauber sondern rein sein muss."

    • @Woodbine:

      anschließe mich Ihren Worten. Als Ergänzung vielleicht noch dieser Widerspruch, der das ganze Dilemma dieser Vollpfosten widerspiegelt.einerseits schimpft man über diese Diktatur, in der man gerade lebt, und in der man nicht sagen darf, was man denkt. Andererseits wünscht man sich aber eine Diktatur herbei......

      • 3G
        31841 (Profil gelöscht)
        @Klaus Waldhans:

        Da ist für diese Leute eben kein Widerspruch erkennbar. Sie wollen die richtigen Díktatoren an der Mancht.

        • @31841 (Profil gelöscht):

          Für ganz viele AfD-Wähler kann ich nur hoffen, dass sie sich das Parteiprogramm vor der Wahl in Ruhe durchlesen.

          Nichts schmerzt so sehr, wie die enttäuschte Liebe, - und sei es die zum "richtigen Diktator".

  • Ja, das ist eine bedenkliche Entwicklung, wenn zunehmend und mehr als 1% eher an einen Führer und andere rechte Ideale glauben. Die ganze Zeit heute ist aber aufgewühlt und etwas orientierungslos. Meiner Wahrnehmung nach glauben etwa 90% der Menschen an ein widerspruchsfreies Menschenbild, aus dem ein Ideal DER richtigen Werte folgt, das nicht verletzt werden darf und die Grundkoordinaten jeder Gesellschaft vorgeben sollte. Verletzungen dieses Ideals sind nicht zu diskutieren, sondern zu bekämpfen.

    Das macht es manchmal auch etwas schwierig, weil der Mensch nicht so widersprichsfrei ist und alle Ideale auch gegen Wände, gegensätzliche Vielfalt, mangelnde Kräfte und einiges mehr laufen können. Der Kampf gegen Rechts sollte sicher an erster Stelle stehen und bleiben, aber manchmal muss man auch aufpassen, dass das nicht die notwendigen (und schwierigen) Diskussionen verdeckt, die trotzdem bleiben.