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Historikerin über Nato-Osterweiterung„Die Ukraine im Stich gelassen“

Putin begründet den Angriff auf die Ukraine auch mit der Nato-Osterweiterung. Historikerin Mary Elise Sarotte rekonstruiert, wie das damals genau war.

Auch Tupolev Tu-22M3 Bomber wurden in Absprache mit den USA 2006 verschrottet Foto: imago
Jan Pfaff
Interview von Jan Pfaff

wochentaz: Frau Sarotte, Sie haben sich als Historikerin intensiv mit der Geschichte der Nato-Osterweiterung und dem Zerbrechen des Warschauer Pakts beschäftigt. Gibt es etwas, das sie dabei besonders überrascht hat?

Bild: Harvard University
Im Interview: Mary Elise Sarotte

ist Professorin für Geschichte an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies in Washington, D.C. Ihr Buch „Nicht einen Schritt weiter nach Osten“ (C. H. Beck) ist gerade auf Deutsch erschienen.

Mary Elise Sarotte: Die Bedeutung der Ukraine. Als ich anfing, an meinem Buch über die Nato-Osterweiterung zu arbeiten, habe ich zunächst gedacht, dass es sich um Polen, Ungarn, Tschechien, die baltischen Staaten drehen werde. Die sind jetzt auch alle drin. Aber die Mächtigen haben damals ganz früh gesagt, sinngemäß: Der Frieden in Europa hängt von der Ukraine ab. Aus heutiger Sicht ist es verblüffend, diese Einsicht in den historischen Quellen zu lesen.

Damals ging es vor allem um die Atomraketen, die in der Ukraine stationiert waren.

Als die Ukraine 1991 unabhängig wurde, war sie auf einmal die drittgrößte Atommacht der Welt. Mehr als 1.000 nukleare Sprengköpfe lagerten dort. US-Außenminister James Baker ist im Dezember 1991 Hals über Kopf nach Kiew geflogen, um zu fragen: Wer hat, bitte schön, die Kontrolle über diese Raketen? Es hieß, die Kontrolle sei noch in Moskau – aus technischen Gründen, weil die Waffen zu Sowjetzeiten ja aus Moskau kontrolliert wurden.

Was aber nicht so bleiben musste.

Es war klar, dass die Ukraine die Ingenieure hat, das zu ändern. Baker kam zurück und sagte seinem Freund und Präsidenten George H. W. Bush: Es gibt keine wichtigere Herausforderung als die Sicherung der ehemaligen sowjetischen nuklearen Waffen, die außer in Russland hauptsächlich in der Ukraine lagerten. Er hat dann sehr viel dafür getan, das Land und auch Belarus und Kasachstan zu überzeugen, diese Waffen zu zerstören oder abzugeben. Bush hat aber 1992 überraschend die Präsidentschaftswahl gegen Bill Clinton verloren, Baker musste gehen und hat seinem Nachfolger das dringend zu lösende Problem hinterlassen. Es ging dabei um die Quadratur des Dreiecks.

Wie meinen Sie das?

Man musste eine Lösung finden, mit der die Ukrainer, die Russen und die Länder in Mittel- und Osteuropa leben konnten, die auf eine schnelle Aufnahme in die Nato drängten. Die Idee war dann: Statt viele Länder sofort in die Nato aufzunehmen, müssen wir eine Zwischenstation schaffen, zu der alle dazugehören können. Das ist gesichtswahrend für Moskau, es ist eine Zwischenlösung für die Ukraine, damit sie nicht außen vor bleibt – und es hilft den Mittel- und Osteuropäern, sich technisch an die Nato-Standards anzupassen. So entstand 1994 die „Partnerschaft für den Frieden“, der auch Russland beigetreten ist. Das schaffte Handlungsmöglichkeiten.

Inwiefern?

Die mittel- und osteuropäischen Staaten konnten an die Nato herangeführt werden und kurz vor der Mitgliedschaft stehen bleiben – wenn es mit der Demokratisierung in Russland schlecht laufen sollte, könnten sie schnell beitreten. 1994 arbeiteten die USA und Russland aber eng in der nuklearen Abrüstung zusammen. US-Verteidigungsminister William Perry warnte deshalb Präsident Bill Clinton, wenn er bei der Nato-Erweiterung zu schnell vorgehe, würde das die Abrüstung gefährden.

Worauf sich Clinton zunächst einließ. Er wollte keine neue Trennlinie durch Europa ziehen.

Ja, später hat er dann aber aus verschiedenen Gründen seine Meinung geändert und ist bei der Nato nach der Alles-oder-nichts-Methode vorgegangen. Die Ukraine wurde dabei im Stich gelassen. Ich persönlich halte die Partnerschaft für den Frieden in der damaligen Zeit für eine sehr gute Lösung. Ich wünschte mir, es wäre dabei geblieben. Es kam anders. Ich werde manchmal als Gegnerin der Nato-Osterweiterung dargestellt. Das bin ich nicht. Die mittel- und osteuropäischen Länder hatten jedes Recht, ihr Bündnis frei zu wählen, die Nato hatte das Recht, sie aufzunehmen. Ich kritisiere nur die Methode, es war zu schnell und zu konfrontativ.

Das lag aber nicht nur an Clinton.

Nein, der russische Präsident ­Boris Jelzin sollte eigentlich der große Demokrat sein, hat dann aber wieder mit dem Blutvergießen angefangen. Im Oktober 1993 hat er sein eigenes Parlament beschießen lassen, 1994 hat er den ex­trem blutigen ersten Tschetschenienkrieg begonnen. Da haben die Polen und Ungarn gesagt: Die Methode kennen wir – und drängten auch deshalb, umso vehementer auf die Nato-Mitgliedschaft.

Mit dem Budapester Memorandum hat die Ukraine 1994 dann auf ihre Atomwaffen verzichtet. Dafür wurde ihr von den USA, Großbritannien und Russland zugesichert, ihre Souveränität und ihre bestehenden Grenzen zu achten. Eine Vereinbarung, die Wladimir Putin dann 2014 mit der Annexion der Krim erstmals gebrochen hat.

Ich bin überzeugt, dass wir im Westen viel schärfer auf die Annexion der Krim hätten reagieren sollen. Das Budapester Memorandum heißt aber Memorandum, weil es kein Vertrag ist. Es ist nicht wie Artikel 5 der Nato, der alle Mitgliedstaaten zum Beistand im Falle eines Angriffs auf ein Nato-Land verpflichtet. Das Memorandum war eine Anerkennung, die die Ukraine dafür bekam, ihre Waffen abzugeben. Als es hart auf hart ging, war es dann aber nur ein Stück Papier.

Heute gibt es zur Nato-Osterweiterung zwei Erzählungen. Auf russischer Seite heißt es, 1990 sei als Preis für die deutsche Wiedervereinigung versprochen worden, die Nato nicht weiter nach Osten auszuweiten. Das sei nur nicht schriftlich fixiert worden. Auf westlicher Seite heißt es, ein solches Versprechen habe es nicht gegeben und am Ende von Verhandlungen zähle das, was im Vertrag steht.

Ob es ein Versprechen gab oder nicht, hängt stark davon ab, was man unter einem Versprechen versteht. Insofern ist das eher eine psychologische Frage. Laut den Quellen ist eindeutig klar: Das Thema Nato-Osterweiterung kam in den Verhandlungen auf. Ende 1989, Anfang 1990 hat man auf westlicher Seite überlegt: Was kann man Michail Gorbatschow anbieten, damit er der Wiedervereinigung zustimmt? Vielleicht will er, dass wir ihm versprechen, dass die Nato sich nicht ausdehnt? Dann haben US-Außenminister Baker und BRD-Außenminister Hans-Dietrich Genscher beide mit ihm darüber gesprochen. Gorbatschow meinte: Ja, hört sich gut an, wir werden weiter darüber sprechen.

Wie ging es dann weiter?

Nach seinem Treffen mit Gorbatschow im Februar 1990 kam Baker zurück nach Washington und hat Präsident Bush von den Gesprächen berichtet. Bush sagte, er sei schwer enttäuscht. Das sei ein Fehler gewesen, er sei nicht der Ansicht, dass über die Zukunft der Nato verhandelt werden solle. Baker solle das zurücknehmen. Baker meldete sich daraufhin schriftlich beim Auswärtigen Amt, er schrieb Folgendes – ich paraphrasiere, die genauen Zitate und Quellennachweise stehen in meinem Buch –: Tut mir leid, ich habe für Verwirrung gesorgt; ich habe eine klare Linie vom Chef, wir verhandeln nicht über das zukünftige Ausmaß der Nato-Jurisdiktion. Genscher hat diesen Brief aber mehr oder weniger ignoriert.

Und Helmut Kohl?

Als Kohl Bush in Washington traf, sagte er zu ihm, wenn man Gorbatschow keine Zugeständnisse bei der Nato mache, müsse man ihm etwas anderes anbieten. Dann werde es eine Frage des Geldes. Bush antwortete: Na und, Sie haben tiefe Taschen. Kohl akzeptierte das. Genscher sprach unterdessen aber immer weiter über die Nato. Kohl hat sich dann mehrmals bei Genscher gemeldet und ihn sinngemäß aufgefordert: Hören Sie damit auf. Es ging sogar so weit, dass er ihm einen offiziellen Brief schickte. Kohl schrieb: „[…] möchte ich Dir in aller Form mitteilen“, dass er Genschers Position nicht teile und nicht unterstütze. „Darüber hinaus bin ich nicht bereit zu akzeptieren, daß die Bundesregierung in diesen Fragen ohne jede Rücksprache festgelegt wird.“

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Wie wurde das dann gelöst?

Als es im September 1990 darum ging, den Zwei-plus-Vier-Vertrag zu unterzeichnen und schon Politiker für die Zeremonie nach Moskau reisten, gab es richtig Streit zwischen den westlichen Alliierten und Genscher. Am Ende einigte man sich auf eine Protokollnotiz. Sie legte fest, dass ausländische Nato-Truppen die frühere deutsche Grenz­linie überschreiten durften, sofern dies nicht eine Verlegung genannt würde. Was als solche definiert werde, sollte die Regierung des vereinten Deutschlands entscheiden. Das gilt heute noch.

Was die russische Seite ein Versprechen nennt, war also nur ein Gedankenspiel, das durch Uneinigkeit auf westlicher Seite in den Verhandlungen aber ein langes Leben hatte?

So kann man das sagen. Ich bin der Meinung, was am Ende im Vertrag steht, ist wichtig. Wir reden hier nicht von unerfahrenen Menschen oder Kindern. Wir reden von internationalen Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen, es ging um sehr viel, um die Einheit Deutschlands, des ehemaligen Nazideutschlands. Die sowjetischen Diplomaten haben das damals nicht vergessen aufzuschreiben. Moskau hat den Vertrag unterschrieben, ratifiziert und die Überweisungen dafür erhalten. Sie bekamen ja 15 Milliarden D-Mark. Auf Englisch würden wir sagen: They cashed the cheque. Das vergisst Putin immer.

Putins Umgang mit der Nato-Ost­erweiterung hat sich im Laufe der Jahre stark verändert. 2004, bei der zweiten Runde der Erweiterung, als mit den baltischen Staaten auch frühere Sowjetrepubliken dem Bündnis beitraten, hat er noch gesagt, es gebe keine Probleme in den Beziehungen zwischen der Nato und Russland.

Putin hat sich radikalisiert. Je mehr Gewalt er angewendet hat, um so nützlicher war dieses Thema für ihn als Rechtfertigung für Gewalt. Er begann mit dem Tschetschenienkrieg und den Morden an Journalisten wie Anna Politkowskaja. Dann gab es seine Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007, worin er sich beklagte, dass die Nato mit ihrer Osterweiterung angeblich gegebene Garantien nicht eingehalten habe. Genauso beschwerte er sich über den angeblichen Verrat in seiner Rede zur Annexion der Krim 2014 und in seinen Äußerungen Ende 2021 vor dem großflächigen Überfall auf die Ukraine.

Jetzt stellt sich Europa darauf ein, dass der Konflikt mit Russland auch lange nach einem möglichen Kriegsende in der Ukraine weitergehen wird.

In meinem Buch geht es um die Wechselwirkungen deutscher, russischer, amerikanischer Politik und jener der mittel- und osteuropäischen Staaten. Und da sieht man, dass es am Ende eine Tragödie war, dass das Fenster der Möglichkeiten nicht besser genutzt wurde. Kalte Kriege sind nicht kurzlebig, sie halten lange an. Und wenn es Tauwetter gibt, muss man das schätzen. Das haben wir damals nicht genug getan. Jetzt sind wir wieder da, wo wir sind.

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49 Kommentare

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  • Schon süß wie die selben Leute, die meinen dass Deutschland bis heute kein souveräner Staat sei, in der NATO-Erweiterungs-Frage wirklich zu glauben scheinen, dass die unabgestimmten, zwischen Zigarettenpause und Häppchen entwickelten Gedankenspiele eines dt. Außenministers, unmittelbare Bindungswirkung für die gesamte NATO haben sollten.

    Hans-Dietrich Genscher - der Gott-Kaiser von Europa. Margret Thatcher war bestimmt begeistert. Und das alles vor dem 4+2-Vertrag wohlgemerkt.

  • "Die mittel- und osteuropäischen Staaten konnten an die Nato herangeführt werden und kurz vor der Mitgliedschaft stehen bleiben – wenn es mit der Demokratisierung in Russland schlecht laufen sollte, könnten sie schnell beitreten. "

    "der russische Präsident ­Boris Jelzin sollte eigentlich der große Demokrat sein, hat dann aber wieder mit dem Blutvergießen angefangen. Im Oktober 1993 hat er sein eigenes Parlament beschießen lassen, 1994 hat er den ex­trem blutigen ersten Tschetschenienkrieg begonnen. Da haben die Polen und Ungarn gesagt: Die Methode kennen wir – und drängten auch deshalb, umso vehementer auf die Nato-Mitgliedschaft." Damit ist alles gesagt, man hat Russland ein Angebot gemacht, Russland hat sich etnschieden. Danach galt es als oberste Priorität Osteuropa zu schützen, leider wurde die Ukraine hier verraten.

  • Wollte Russland eine NATO Osterweiterung?

    Russlands Präsident Jelzin hatte einst eine NATO Mitgliedschaft Russlands als „langfristiges Ziel“ seiner Politik bezeichnet 1). Da Russland im Osten liegt, hat Jelzin somit eine Erweiterung der NATO nach Osten gefordert, denn natürlich hätte sich die NATO durch einen Beitritt Russlands nach Osten erweitert (es gab aber keinen formalen Beitrittsantrag). Wenn es jemals eine „NATO nicht nach Osten erweitern“-Vereinbarung gegeben haben sollte, die auch für Russland gültig ist, kann sie durch Jelzins Äußerung als gebrochen und somit aufgehoben betrachtet werden?

    Außerdem hat es - wenn überhaupt - eine Vereinbarung mit der Sowjetunion gegeben und diese hat sich aufgelöst. Sind die Vereinbarungen dann nicht automatisch nicht mehr gültig? Oder wie ist das mit der „Rechtsnachfolge eines Staates“? Wenn Russland also selbst der NATO beitreten wollte, mit welchem Recht will es dann anderen Staaten einen Beitritt verwehren? Von Putin wurde ein möglicher Beitritt Russlands zur NATO 2001 auch noch einmal ins Gespräch gebracht 2).

    Und was wäre mit den Sicherheitsinteressen Chinas gewesen? Wenn Russland der NATO beigetreten wäre, hätte sich die NATO dadurch bis an die chinesische Grenze ausgedehnt. Hat Russland das berücksichtigt, dass sich China dann vielleicht bedroht gefühlt hätte, so wie sich Russland heute angeblich bedroht fühlt?







    1) Quellen:



    www.faz.net/aktuel...hung-17345639.html

    2) www.welt.de/print-...t-auf-Skepsis.html

  • Vielleicht konnte man VOR dem Überfall auf die Ukraine noch naiverweise meinen, dass es irgendwo ein "Fenster der Möglichkeiten" gab.

    Der gesamte Ablauf (Lügen,Lügen, Lügen von Lawrow und Putin) bis zum Überfall und dann die zynische Brutalität, mit der jeden Tag und jede Nacht allein auf dem Territorium der Ukraine Ukrainer*innen gemordet und zerstört werden - das alles zeigt doch glasklar, dass es NIEMALS irgenein Fenster gab, dass nicht westliche Naivität gewesen wäre...!

    Das belegt auch auch die irre und völlig maßlose antiukrainische ("Nazis") und insbesondere auch die antiwestliche Propaganda, die das russische Staatsfernsehen schon Jahre vor dem Überfall und seither ebenfalls täglich verbreitet. Der Krieg wurde immer schon damit vorbereitet, dass behauptet wurde, der Westen, die Nato wolle Russland zerstören. Diese für jeden Menschen von Holland bis Portugal, von Litauen bis Rumänien völlig abstruse Verschwörungstheorie wurde und wird bewusst, gezielt und ohne jeden Skrupel verbreitet.



    Und auch tausende von Krankenhäusern, Schulen, Kindertagesstätten, Altenheime oder Kulturdenkmäler werden nicht aus "verpassten" Gesprächen heraus bombadiert - sondern aus einer grausamen imperialen Ideologie, mit der die aktuellen Machthaber ihren Arr... h zu retten versuchen!



    Putin brauchte immer schon den Krieg - auch das ist ja wohl glasklar, wenn man sich die Liste der Unterdrückungskriege ansieht, die er geführt hat.

    Es ist mir vollkommen schleierhaft, wie man sich dieser Erkenntnis durch die von Ruzzland geschaffenen täglichen Tatsachen verweigern kann...

    • @agtaz:

      Hmm, mag alles sein, aber dieser Kommentar ist irgendwie am Thema vorbei. Oder wollen Sie sagen, die Historikerin hat unrecht mit ihrer Darstellung, dass Putin sich radikalisiert hat. Das bestätigen aber auch alle Beobachter, die irgendwie an ihm dran waren. Natürlich war das irgendwie auch von vornherein in seiner Persönlichkeit, seiner Ideologie und den mafiösen Macht- und Gewaltstrukturen angelegt, durch die er an die Macht gekommen und sie für sich gesichert hat. So weit kann ich Ihnen folgen. Aber das ändert nichts an der Beobachtung, dass er sich radikalisiert hat und dass das nicht notwendig so weit kommen musste.



      Wie Sie da von "Tatsachenverweigerung" reden können, ist mir vollkommen schleierhaft. Die Forschungen von Sarottte drehen sich doch gerade darum, die Tatsachen genau zu rekonstruieren und die Narrative beider Seiten in diesem Punkt richtigzustellen. Das ist ein sehr wertvoller Beitrag. Gerade jetzt, wo viele Osteuropahistoriker (Paradebeispiel Snyder) ihre Profession verraten und Geschichtspolitik der einen oder anderen Seite betreiben, ist es wichtig zu wissen, dass es auch seriöse Historiker:innen gibt.

      • @Günter Picart:

        Putler begann seinen Aufstieg mit einem Völkermord in Tschetschenien. Ich finde, er war schon damals "radikalisiert". Dann folgte eine von ihm inszenierte Menschenschlächterei in Syrien, diverse (hybride) Kriege, zB. in Georgien und schliesslich in der Ukraine.



        Nur weil viele im Westen, so wohl auch Sie, weggeschaut haben, macht das aus Putler nicht einen harmlosen Politiker, der im Laufe der Zeit irgendwie verhärtete.

        PS: Leute, die sich auskennen, neben Timothy Snyder vor allem auch Karl Schlögel, warnten schon sehr lange vor dem russischen Imperialismus und seinen verheerenden Folgen, in denen höchst unseliger Tradition Putler paradigmatisch steht.

        • @Sebastian Kreibig:

          Darum geht es doch nicht. Dass Putin ein brutaler Autokrat ist, weiß jeder natürlich schon lange. Radikalisiert hat sich sein Verhältnis zum Westen, mit dem er ursprünglich zusammenarbeiten wollte und sich dann immer mehr in sowjetnostalgische Feindbilder und Verschwörungsmythen hineinsteigerte, vielfach gedrängt von seiner engsten Umgebung, die noch schlimmer tickt als er. Das ist gut dokumentiert. Am Ende hat er einen irrationalen Krieg begonnen, der weder in seinem persönlichen noch im russischen Interesse liegt.



          Diese Irrationalität ist ebenfalls neu, bis zur Coronakrise hielt man ihn allgemein für ein geniales Mastermind.



          Der Westen hat Putin nicht als Gefahr wahrgenommen, weil man ihn für zwar brutal aber rational hielt. Noch im Jugoslawienkrieg stand Russland aufseiten der Groß- und Ordnungsmächte. Dann kam der 11. September 2001, der alles andere überlagerte. In Tschetschenien und auch noch in Syrien war man zumindest insgeheim froh, dass Putin effektiv durchgriff, und betrachtete ihn nicht astreienen aber notwendigen Partner im Krieg gegen den Islamismus.

      • @Günter Picart:

        Und noch was: Das Buch, von dem Historikerin hier schreibt, war lange vor dem Überfall in seinen wesentlichen Zügen fertig - sie hat dazu veröffentlicht, das hört sich alles ähnlich an.

        Um so schlimmer, dass sie die Geschichte, die sie erzählt, nicht im Lichte der Tatsachen der letzten zwei Jahre überprüft!

        Der ganze Ansatz ist einer, der allein Russland und den USA zugesteht, über die "kleineren" Länder der ehemaligen Sowjetunion zu bestimmen. Kein Wort zum Recht von einem Dutzend ehemaliger Staaten, sich nicht der Logik des kalten Krieges zu unterwerfen. Kein Wort dazu, dass sich die Welt verändert hat und weiter verändert!

        Kein Wort zu der Jahre langen Politik der Spaltungsversuche im Westen, den Versuchen, die Rechte (und Teile der Linken) aufzuhetzen, stark zu machen, um Unregierbarkeit zu erzeugen. Kein Wort dazu, wo man Putin einfach nicht trauen hätte dürfen oder wo man ihn völlig verharmlost hat.

        Undsoweiterunsofort.

        Lebenslügen bestimmter Teile der Linken - das kommt auch hier wieder zum Ausdruck.

        Keine Selbstkritik, sondern wieder das Narrativ Putins in abgeschwächter Form:

        Die Nato hätte, müsste, sollte - das heißt nichts anderes als Relativierung!



        Putin wollte ja eigentlich nicht, hat sich aber "radikalisiert".

        Beim Faschismus hat dieser Teil der Linken großangelegte System- und Kapitalismus-"Analysen" - bei Putin Verständnis bis zum Erbr...en und als Sündenbock, was sie immer schon hatte: Die Nato, der Westen...

        Das reicht nicht mehr, hinten und vorne reicht es nicht mehr. Die Partei die Linke geht daran zugrunde!

      • @Günter Picart:

        Ja, wenn die Historikerin einfach per Job recht hätte, dann dürften wir hier alle den Mund halten.

        Es gibt unter renommierten Fachleuten zum Thema recht unterschiedliche Einschätzungen.



        Dazu kommt, dass es hier um ein "wenn man hätte, ... hätte man doch..." geht -



        nicht gerade das Feld, auf dem Historikerinnen einfach über Fakten sprechen...

        Und konkret: Welche "Möglichkeiten" sehen Sie denn, bei jemandem, der seit Jahrzehnten Krieg gegen den Westen als reale Möglichkeit verkauft hat, bevor er - eindeutig - völkerrechtswidrig - angreift?



        Möglichkeiten - bei einem der lügt wie gedruckt, Verträge bricht, von seiner lange geschürten Lüge lebt (im wahrsten Sinne des Wortes!), nämlich einen angeblichen Angriff (!) des Westens abwehren zu müssen - das ist die hier die Frage!

        In dieser Frage kommen andere zu anderen Ansichten, als diese eine Historikerin.

        Mehr noch: Sie spricht die Frage nicht mal an, ob nicht Putins Taten, seine Kriege bisher absolut dagegen sprechen, dass man ihn an irgendeiner Stelle mit Verhandlungen hätte einhegen können.

        Und Sie gehen ja auch nicht darauf ein. Was spricht denn gegen die Schlussfolgerung, dass Putin durchzog, was er wollte und sich nicht von friedlichen Gesten oder Verhandlungen hätte abhalten lassen vom Krieg?



        Tatsachen, die wirklich klar sind: Der Angriffskrieg, das Durchziehen dieses Kriegs ohne Rücksichten über zwei Jahre - im Gegensatz zu dem "hätte, hätte, Fahradkette..." des Interviews, sind das die Tatsachen.

        Genauso wie die bisherigen Kriege - oder auch die Besuche westlicher Staatsleute, denen am Mormortisch ins Gesicht gelogen wurde - zwei Tage vor der Invasion.

        Und die angebliche "Radikalisierung" - Entschuldigung, aber seit wann ist der Agressor von Tschetschenien, Syrien, Georgien, Kasachstan, der Lukaschenko-Folterfreund und Oppositionelle das Resultat eines Fehlverhaltens oder eines Versäumnis?

        Also, Butter bei die Fische, bitte...

      • @Günter Picart:

        Ich denke nicht, dass der Kommentar am Thema vorbeigeht.



        Die Autorin legt in ihrem durchaus wertvollen Artikel ihre Sicht dar, dass sie meint, es habe eine verpasste Chance gegeben, das Ganze in einer günstigen Phase ("Tauwetter") besser zu gestalten; Putin/Russland sei damals quasi ~"zugänglicher" und ~"konstruktiv positiver" gewesen, so dass man eine bessere gemeinsame Lösung/"Welt" hätte schaffen können (ich fasse das mal grob so zusammen).







        AGTAZ greift das an genau diesem Punkt auf und meint, eine solche Chance habe seiner Meinung nach nie bestanden und verweist dafür auf seine Einschätzung zu Putin mit entsprechender Begründung.

        Ob man die beiden Standpunkte teilt oder nicht, jedenfalls ist der Kommentar definitiv nicht am Thema vorbei.

        Wes Geistes Kind Sie wiederum sind, dass Sie hier eine Themaverfehlung thematisieren, zeigt sich an Ihrem (ironischeerweise in Ihrem Sinne "themaverfehlenden") Hieb auf den "Verräter" Snyder.



        Bei dem Zeigefinger, mit dem Sie ohne Veranlassungauf den ~"politisierten" Snyder deuten, deuten zugleich drei Finger auf Sie selber zurück.



        Ihre "politisierte" Brille mag auch die Erklärung sein, warum Sie hier AGTAZ dahingehend falsch lesen, er habe von "Tatsachenverweigerung" geschrieben.



        Hat er nicht.



        Er spricht von "Erkenntnisverweigerung".



        Ein Unterschied.

      • @Günter Picart:

        Wie ich unten schon geschrieben habe, halte ich es für unredlich "uns" eine Mitschuld an der Radikalisierung Putins zuzuschreiben. Das ist Sache der Russen.



        Die russische Zivilgesellschaft hat nachweislich kein geignetes Mittel gefunden um zu verhindern, daß so ein Typ die Geschicke des Staates lenkt.

        • @Fritz.S:

          Wer tut denn sowas Abwegiges ("uns" eine Mitschuld an Putins Radikalisierung zuschreiben)? Es ging hier nur darum, dass einige diese Radikalisierung leugnen wollen, um "uns" den Vorwurf machen zu können, Putin nicht von Anfang an verteufelt zu haben.

  • Ein sachlicher Artikel der ohne die üblichen moralischen Blendgranaten auskommt. Sehr gut.

  • Richtig, aber man bekommt dieses Argument ja ständig um die Ohren von Menschen, die keine Waffen an die Ukraine liefern wolle, nach dem Motto Putin hatte ja einen Grund, blabla, die Nato-Osterweiterung... Und hiermit kann man das schön aufdecken, was dran ist und was nicht. Tausend Dank für den Artikel!

    • @Echtmal:

      Ich fürchte, diese Klientel (Reichsbürger-Coronalleugner-Putinapologeten - Querschwurbler) ist immun gegen Sachargumente, logische Überlegungen und gesunden Menwschenverstand. Da wird auch dieser an sich gut gemachte lesenswerte Artikel nichts ändern.



      Bzw werden diese den Artikel selektiv so lesen, dass er ihre verquere Weltsicht stützt.

  • Es ist schon erstaunlich, wie man entscheidende Ereignisse einfach ignorieren od. den zeitlichen Ablauf verdrehen kann. Nachdem entgegen späterer Aussagen zu den 2+4-Verhandlungen Videos vom Tag der Unterschrift von allen Beteiligten auftauchten, fanden Historiker in London sogar nicht vernichtete Dokumente zur NATO-Osterweiterung. In Welt-Online und im Spiegel v.18.2.22 stand unter "Neuer Aktenfund ... stützt russ. Vorwurf". Nur 4 Tage vor dem russ. Überfall. Jetzt dauert es wohl wieder 32 Jahre bis diese Dokus erneut gefunden werden? Hat keiner damit gerechnet, dass mal so ein Putin an die Macht kommt und einen Weltenbrand auslösen könnte?

    • @teuer2020:

      "Ich weigere mich zu glauben, dass wenn man damals anders gehandelt hätte, dass Putin dann ein besserer Mensch geworden wäre."

      Genau auf das läuft es hinaus ( es schrieb ein anderer Kommentator...). Und genau das ist extrem unwahrscheinlich, wenn man sich die Latte an Menschenrechtsverletzungen, Kriegen, Morden und Lügen dieses Mannes ansieht...

      • @agtaz:

        Nur weil jemand ein schlechter Mensch ist und Kriege anfängt, bedeutet das nicht dass er zwangsweise einen bestimmten anderen Krieg anzetteln wird. Bush war noch ein viel schlimmerer Verbrecher als Putin (zumindest stand heute), aber er hat trotzdem keinen Krieg mit z.B. Mexiko angefangen.

        Außerdem vergisst du dass es hier nicht nur um Putin geht sondern auch um Jelzin, vielleicht wäre in seiner Zeit deutlich mehr möglich gewesen. Mal ganz abegsehen davon dass er 1993 gegen das Parlament geputscht hat und die Verfassung danach massiv in eine autokratische Richtung verändert hat und der Westen ihn dabei unterstützt hat und damit die Grundlage für Putins Diktatur geschaffen hat.

  • "Und da sieht man, dass es am Ende eine Tragödie war, dass das Fenster der Möglichkeiten nicht besser genutzt wurde."



    Ich weigere mich zu glauben, dass wenn man damals anders gehandelt hätte, dass Putin dann ein besserer Mensch geworden wäre.



    Russland trägt allein die Verantwortung für den Konflikt in der Ukraine, und könnte jederzeit die Truppen wieder abziehen. Klingt nicht kompliziert, weil es eben auch nicht komplizierter ist.

  • Nur so nebenbei: Bei der damals diskutierten Natoosterweiterung von Genscher und Baker ging es um das Staatsgebiet der DDR. Die Idee von Genscher und Baker war, dass die Natogrenze weiter durch Deutschland verlaufen solle. Also dass das Staatsgebiet der DDR nicht zum Natogebiet gehören solle.



    Bush fand dies -nachvollziehbar- für blanken Unfug. Gorbatchow war ebenso der Meinung, dass Deutschland nicht gleichzeitig in der Nato, und im Ostblock sein kann. Um anderes Terrain ging es nicht und konnte es auch nicht gehen. Schließlich gab es da noch die Sowjetunion....

    • @Fritz.S:

      Nein !



      Es wird ja ausdrücklich gesagt: "Wir waren uns einig, dass nicht die Absicht besteht das Nato Verteidigungsgebiet auszudehnen nach Osten. Das gilt nicht nur für die DDR sondern ganz generell!"

      • @Murmillo:

        Ganz im Gegenteil. Weder Baker noch Genscher hatten irgendeine Legitimation für die Statements. Und Bakers Chef hat ihn wenige Tage später zurückgepfiffen.

      • @Murmillo:

        Sie müssen sich das von Ihnen verlinkte Video nochmals genauer zu Gemüte führen. Das war eine Aussage in Washington an die USA gerichtet.



        Übrigens wenn Sie jedes einzelne Wort eines Aussenministers als Gesetz ohne Abstimmung gelten lassen würden, wären wir jetzt laut Baerbock mit Russland im Krieg. Ich bin froh, dass das nicht so ist.

    • @Fritz.S:

      Völlig richtig.



      DAS ist der entscheidende Punkt, der leider im Artikel völlig fehlt.

    • @Fritz.S:

      Genau. Ich habe oft den Eindruck, dass viele Kommentatoren die Chronologie durcheinander bringen:

      - Nov. 1989 Mauerfall



      - Frühjahr/Sommer 1990 Verhandlungen über die Einheit



      - Sep. 1990 4+2 Vertrag



      - Okt. 1990 Einheit



      - Jul 1991 Ende Warschauer Pakt



      - Dez. 1991 Ende der UdSSR

      Mit der deutschen Einheit wurde NICHT gleichzeitig das Ende der UdSSR oder des Ostblocks verhandelt. Das war über ein Jahr später und nach den Aussagen der Beteiligten (Gorbatschow z.B.) auch noch nicht absehbar.

  • Für mich gilt, was Baker und Genscher dazu gesagt haben und man hier: www.youtube.com/watch?v=aiF9dFNnrE8 anschauen kann.



    Jegliche neue Interpretationen haben für mich keinen Belang !

    • @Murmillo:

      @Murmillo

      Das war und ist alles unverbindlich!

      Zwischenstaatlich verbindlich ist nur, was in völkerrechtlichen Verträgen verbindlich vereinbart wird.

      Und im übrigen hatte Genscher recht: Damals bestand keine diesbezügliche Absicht. Es wurde aber NIE verbindlich vereinbart, dass dies für alle Ewigkeit tausende Jahre bis zum Weltuntergang so sein muss.

      Im Grundstücksgeschäft gilt nur, was notariell beurkundet ist. Im Völkerrecht gilt nur, was zwischen 2 oder mehr Staaten in völkerrechtlichen Verträgen vereinbart und je nach Landesrecht von den Parlamenten ratifiziert ist, aber keine bloßen Presseerklärungen einzelner Minister zwischenTür und Angel.

    • @Murmillo:

      2004, beim Beitritt der baltischen Staaten zur NATO hat Putin noch gesagt, dass es diesbezüglich keine Probleme mit Russland gibt.



      Und bis 2007 kam der Term Osterweiterung im offiziellen Sprachschatz der russischen Regierung gar nicht vor.



      Die schlichte Wahrheit dürfte sein, dass Putin das, was nun in der Ukraine passiert, schon beim Amtsantritt geplant hat. Als der Mann seine berüchtigte Rede vor dem Bundestag gehalten hat, lief die gigantische Aufrüstung Russlands schon mehr als ein Jahr. Der wollte sich mit seinem Verhalten Zeit kaufen für die Aufrüstung der russischen Streitkräfte. Und das ist ihm trefflich gelungen, selbst heute gibt es immer noch Leute, die auf die Agitprop aus Russland hereinfallen. Die alles nachplappern, was man sich in Olgino ausdenkt.

      • @Kaboom:

        Gigantische Aufrüsung Russlands? Träumen Sie weiter. Der Militäretat der USA ist 10mal größer.

        • @Geronymo:

          Ist vollkommen irrelevant, wie der Dollarbetrag ist. Denn in Russland kostet das Material weniger, und die Arbeitsstunde ebenfalls. Die Dollarbeträge zu vergleichen (so wie Spiri das tut) ist Volksverblödung.



          Bei der Methode sinkt der Rüstungsetat Russlands, wenn der Rubel gegenüber dem Dollar an Wert verliert. Das ist einfach nur lächerlich.



          Achja: Russlands Rüstungsetat hat sich seit 2000 mehr als verdreifacht.

        • @Geronymo:

          Immer dieser Mythos. Selbst wenn man unterstellt das Rußlands veröffentlichte Zahlen stimmen, gibt es ein großes Problem:



          Die (SIPRI-)Zahlen sind nicht kaufkraft- oder wechselkursbereinigt, sondern stumpf in Dollar umgerechnet.

          Wieviel Dollar verdient ein US-Soldat und wieviel Dollar ein russischer Soldat?



          Würden beide Armeen nur aus einem einzigen Soldaten bestehen, hätte die USA trotzdem (nominal) einen 10mal so großen Militäretat, einfach weil der Sold in Dollar viel höher ist.

          Relativ zum BIP gibt Russland mehr als die USA aus (5% vs 3,5%, allerdings ältere Zahlen).



          Wenn man die alles dominierende Rohstoffindustrie außen vor lässt, dreht sich Russlands Rest-Industrie mehrheitlich um die Produktion von Waffen oder "dual use"-Güter.

          Was anderes außer Rohstoffe, Agrarprodukte oder Waffen können die garnicht.

    • @Murmillo:

      Genscher war nicht autorisiert, das zu sagen. Außenminister zu sein ist kein Freifahrtschein

  • Es war doch alternativlos, dass die Ukraine keine Atommacht bleiben (werden) konnte.



    a) ansonsten wäre daraus der Freifahrtschein oder auch militärische Pflicht (wie man es sieht) für sämtliche Länder auf der Erde geworden selber Atommacht zu werden



    b) die anderen ehemaligen Sowjetrepubliken (Belarus, Kasachstan) sind auch keine Atommächte geblieben (geworden).

    • @Luxusverschmäher:

      So ein Quatsch. Natürlich hätte die Ukraine Atommacht bleiben können. Wer hätte das verhindern können? Und das mit dem "Freifahrtschein" ist auch Unsinn, denn Länder strebten (und streben) Atomwaffen an unabhängig davon ob der Ukraine aus historischen Gründen Atomwaffen zugefallen wären oder nicht. "Andere auch nicht" ist hier kein Argument, sonst hätten Israel, Indien usw. auch keine Atomwaffen.



      Irrerweise zeigt der Ukrainekrieg, mit den von Russland gebrochenen Sicherheitsgarantien, jedem Staat wie wichtig Atomwaffen sind. Russlands gegenwärtiges Vorgehen verstärkt international den Wunsch nach Atomwaffen (und Aufrüstung allgemein).

      • @Clark:

        Der zweite Abschnitt stimmt.



        Der erste Abschnitt ist dagegen ahistorisch. Es war damals vollkommen unmöglich, dass die Ukraine ihre Atomwaffen behalten haben könnte. Die Ukraine von damals war auch nicht die von heute (sie war damals ein an Russland orientierter Nachfolgestaat der SU, wo russische Geheimdienste und Netzwerke den Ton angaben und von der Bevölkerung auch getragen wurden).

        • @Günter Picart:

          Hrn Eibert und Picart darf ich ohne Ironie oder Hintersinn ganz ehrlich das Buch "The Ten Thousand" von Harold Coyle als kurzweilige "what-if" Lektüre empfehlen. Basis des Romans ist eine damals 1990+ "böse" Ukraine, die die Atomwaffen unter ihrer Gewalt hat, Amerikaner und Russen kooperieren, um hier militärisch einzugreifen und die Atomwaffen zu "entreißen". :-)

  • Genscher wird als große historische Figur gezeichnet, die aber nicht war. Er hat die Wende nicht im geringsten kommen sehen. Die Vermittlung des Mrd Kredites an die bankrotte DDR hat das Ende nur hinausgezögert. Und wenn ich den Artikel richtig verstehe, hat Genscher eigenwillig "Geschenke" nach Moskau tragen wollen, obwohl Moskau gar nicht mehr in der Lage war irgendwelche Preise zu verhandeln. Alles sehr ungeschickt und provinziell.

    Mal noch eine Frage: es wird kolportiert, dass Kaliningrad an Deutschland hätte zurück fallen können und /oder an Litauen angegliedert würde. Das wäre z.B. eine Möglichkeit gewesen mit Geld etwas gutes zu tun eine langfristige Basis für ein stabiles Osteuropa zu legen. Jetzt hat man einen russischen Atomstützpunkt mitten in Europa und eine baltische Flotte vor der Nase.

    • @ganzjahres Reichweite:

      Kaliningrad an Deutschland wäre problematisch geworden.

      Einerseits hätte man die dort lebenden Russen integrieren müssen, und auf Forderungen der Vertriebenen reagieren müssen.

      Andererseits hätten die Vertriebenen aus jetzt polnischen Gebieten auch wieder Stunk gemacht.

      Das bindet man sich nicht ans Bein...

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    "Die mittel- und osteuropäischen Staaten konnten an die Nato herangeführt werden und kurz vor der Mitgliedschaft stehen bleiben – wenn es mit der Demokratisierung in Russland schlecht laufen sollte, könnten sie schnell beitreten."

    Welche Rolle spielte der Einfluss von westlichen Regierungen und Wirtschaft auf den Verlauf der angestrebten Demokratisierung?

    P.S.. Meine erste spontane Reaktion auf den Verzicht der Ukraine auf A-Waffen damals war ein ungläubiges Erstaunen darüber, wie viel Vertrauen die Ukraine aufbringt? Woher nehmen sie diese Zuversicht gegenüber Russland, wie sichern sie sich ab?

  • Die 15 Milliarden waren aber wohl nur ein Kredit von de BRD an die Sowjetunion.

    de.m.wikipedia.org...-plus-Vier-Vertrag:



    “Ein Gentlemen’s Agreement oder ein Quid pro quo über einen Verzicht auf eine NATO-Osterweiterung habe es nie gegeben. Dies hätten Schewardnadse und Gorbatschow auch im Rückblick bestätigt. Dennoch sei die westliche Politik nicht ehrlich gewesen, denn sie „täuschte die Sowjetunion gleichzeitig mit vagen Versprechen einer kooperativen, inklusiven europäischen Sicherheitsordnung, während die Bush-Regierung bewusst die exklusive NATO (ohne die UdSSR) ins Zentrum der neuen Sicherheitsarchitektur in Europa rückte.“[102]”

    • @Lebenslauf:

      Tja, die Geschichte war im Fluss. Sogar in einem reissenden.



      Wer hätte gedacht, dass es massgeblich Russland unter Jelzin war, der der Sowjetunion den Todesstoss versetzte ? Damals ging es um die Etablierung eines eigenständigen Russland und um die Abkehr von einer supranationalen Organisation. Eine mögliche Natomitgliedschaft ehemaliger Staaten des Warschauer Paktes oder gar von Nachfolgestaaten der SU hatte niemand ernsthaft auf dem Schirm.



      Auch das vergisst Putler, wenn er im Zusammenbruch der SU die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts sieht.

    • @Lebenslauf:

      Nein, es waren 12 Milliarden DM Finanzhilfe plus 3 Milliarden DM zinsloser Kredit

      books.google.de/bo...REAAAQBAJ&pg=PA134



      "Erneut ignorierte Kohl diesen Rat im Interesse seines Ziels der Einheit und bot Gorbatschow am Montag 12 Milliarden DM für Abzug und Neuansiedlung der sowjetischen Truppen an, dazu einen zinslosen Kredit von drei Milliarden. Der Präsident stimmte zu, aber es gab noch keine Einigung über die militärischen Fragen."

  • Zahlen und Fakten, auch zu Motiven und Maßnahmen, in der Gesamtbetrachtung nicht nur geografisch einzuordnen oder militärstrategisch intendiert wahrzunehmen, verlangt auch den Blick auf die "basalen ökonomischen Fragen":



    Wer bekommt was?



    Wer zahlt was?



    Wem steht noch etwas zu?



    Wer wurde übervorteilt?



    Die Kontexte sind sehr ambivalent, da historisch auch unterschiedliche Rechtssysteme berücksichtigt werden müssen.



    Daher der Hinweis: Auch Devisen, Auslandsschulden, Auslandsvermögen und Kredite haben Indikatorenfunktion.



    /



    www.dw.com/de/ukra...C3%B6gen/a-5634585



    /



    www.spiegel.de/wir...den-a-1070158.html



    /



    Der früh sich anbahnende "postsowjetische Imperialismus" vor und seit der Ära Putin wird aus westlicher Sicht wohl immer ein Menetekel sein.



    /



    dgvn.de/meldung/uk...onalen-gerichtshof

  • Zu dem Versprechen um die NATO-Osterweiterung: nsarchive.gwu.edu/...tern-leaders-early



    Vielleicht- und das ist die Realpolitische Analyse- hatte er mit Staaten ohne Grenzen zum russischen Kernland keine Problem. Die Baltenstaaten waren und sind kaum von der NATO zu verteidigende Zwerge im Vergleich (es sind z.B. mehr Menschen aus der Ukraine geflohen als sie Einwohner haben).



    2001 hoffte er auch noch selbst auf die NATO-Mitgliedschaft: www.welt.de/print-...t-auf-Skepsis.html



    Die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine indessen - und hier zitiere ich Bill Burns, damals US-Botschafter 2008 in Moskau und heutiger CIA-Chef (in seinem Buch "The Back Channel") sei in der gesamten russischen Elite "Die hellste aller roten Linien" ("The brightest of all red lines").



    Zur Ukraine muss man auch sagen, dass schon Brzesinski, einer der US-Vordenker 1997 schrieb, man müsse unbedingt die Ukraine in die NATO bringen, de facto einen Keil zwischen beide Staaten treiben, um die Russen als Großmacht auszuschalten und



    nach Asien abzudrängen. Nachzulesen in "The Great Chessboard". Die NATO-Osterweiterung dient laut ihm speziell dazu, die US-Machprojektion nach Osten tief nach Eurasien zu ermöglichen. Ziel: USA als einzige Großmacht etablieren.

    • @Kartöfellchen:

      Und ich zitiere mal Außenminister Lawrow in einem Interview mit dem Handelsblatt (erschienen am 02.01.2005):

      "Bedeutet das Recht auf Souveränität etwa für Georgien und die Ukraine auch, dass Russland nichts gegen deren Beitritt zur EU und zu Nato hätte?

      Lawrow: Das ist deren Wahl. Wir achten das Recht jedes Staates – unsere Nachbarn eingeschlossen –, sich seine Partner selbst zu wählen, selbst zu entscheiden, welcher Organisation sie beitreten wollen. Wir gehen davon aus, dass sie für sich überlegen, wie sie ihre Politik und Wirtschaft entickeln und auf welche Partner und Verbündete sie setzen."

      Die Sowjetunion hat darüberhinaus 1975 die Schlussakte der KSZE-Konferenz in Helsinki, Gorbatschow hat sich im Mai 1990 explizit zum Helsinki-Prinzip bekannt, nach der jedes Land die Freiheit hat, seine Bündnisse selbst zu wählen. Im November 1990 unterzeichnete die SU die Charta von Paris, 1994 Russland das Budapest Memorandum, 1997 und 2003 ein Grenzabkommen mit der Ukraine.

  • 15 Milliarden DM hat die BRD an Russland für die Wiedervereinigung bezahlt? Das nenn ich mal ein Schnäppchen!

    • @Lebenslauf:

      Das erste Wort welches mir dazu einfiel war "Taschengeld". Ein 15 Milliarden DM Pacifier, und dann noch als Kredit, uiuiui. Obwohl, wer weiß ob dieser Kredit je beglichen wurde. Wir vergessen oft das Russland ein vergleichbares BSP auf der Höhe Italiens hat.



      Auch wenn das Thema missbräuchlich als Rechtfertigung für Angriffskriege dient; In diesem Punkt und bei dem ganzen unklaren hin und her während des Verhandlungsfensters, kann ich die Unzufriedenheit auf russischer Seite zum ersten Mal wirklich verstehen.

  • Na, ich denke mal, Putin hat einen Plan und dafür werden Memoranden gebrochen und alternative Fakten geschaffen. Seine Schuldzuweisung an den Westen dient dazu, dort für Unruhe und Missgunst zu sorgen. Verfängt am Besten im linken Lager und wird auch von den dt. Faschos gerne aufgegriffen, weil es spaltet.



    Danke für den Artikel und den Hinweis auf Sarottes Buch …

  • Hm ... das wird den Putinfreunden aber nicht gefallen.

    Gute Einordnung - danke, Frau Sarotte !