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AfD und Friedrich MerzWas sind „normale Leute“?

Früher wollte keiner normal sein, auch unser Kolumnist nicht. Heute ist er normaler, als die AfD erlaubt.

„Grüne Heizideologie“: Friedrich Merz im Wahlkampfmodus Foto: Chris Emil Janssen/imago

F rüher wollte ich alles, nur nicht „normal“ sein. Normal waren die anderen. Normal war scheiße. Wenn jemand (Mutter, Lehrer, Trainer, CDU-Ortsvorsteher) rief, ich sei „doch nicht normal“, dachte ich: Genau. Super. Darum geht’s im Leben. Ich wählte sogar eine machtlose Partei im kulturellen Widerstand zur Normalität, um auf keinen Fall normal zu sein.

Yada-yada-yada … und heute bin ich normal. Eine Frau, zwei Kinder, kein Auto, ab und zu ein Schnitzel und für mehr Waffenlieferungen an die Ukraine. Hunds- und strunznormal. Und hey, das ist total schön. Eine intellektuelle Aufstiegsgeschichte. Wenn jetzt Politiker kommen und sagen, sie wollten Politik für „normale Leute“ machen, dann kann ich nur sagen: Supi, Jungs, die sozialökologische Transformation braucht euch.

Seriously: „Normal“ war eine Kategorie für eine homogene und patriarchale Gesellschaft in der bundesdeutschen Industriegesellschaft, von der immer mehr sich mit eigenen Kulturen und fortschreitendem Individualismus abgrenzen wollten und mussten. In einer pluralistischen, diversen und emanzipatorisch fortgeschrittenen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts sind Unterschiede und Unterschiedliche normal.

Ein Auto zu haben ist normal. Kein Auto zu haben ist auch normal. Wurst zu essen ist normal. Keine Wurst zu essen ist auch normal

Diese Normalität der kulturellen Vielfalt muss in alle Richtungen akzeptiert werden – solange sie auf der Anerkennung von Grundgesetz und geltender Ordnung basiert. Konkret: Ein Auto zu haben ist normal. Kein Auto zu haben ist auch normal. Wurst zu essen ist normal. Keine Wurst zu essen ist auch normal.

Prügelstrafe für Kinder? Galt mal als normal

Kinder zu schlagen war in der alten Bundesrepublik normal. Eltern, Lehrer, Pfarrer, patsch. Jetzt ist es absolut nicht mehr normal und außerdem verboten. Das Beispiel zeigt, dass die kulturelle Normalität sich – regulatorisch verankert – entwickelt hat. Gas- und Ölheizungen waren eben noch normal. Künftig sind sie es nicht mehr. Das ist keine „grüne Heizideologie“, wie Union, FDP und Focus Online fürchten, das ist bloß eine weitere Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes, die notwendig geworden ist durch das Klimagesetz der inzwischen abgewählten Regierung aus CDU, CSU und SPD, das wiederum aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts folgt. Alles hat seine institutionelle Ordnung, alles läuft ganz normal.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Was wir Bundesdeutsche haben – und ich bin sehr dankbar dafür –, ist die Normalität einer pluralistischen Gesellschaft, die von liberaldemokratischen Institutionen geführt und geschützt wird. Nicht normal ist nur die Verabsolutierung einer partikularistischen Normalität, in der einer von vielen Lebensstilen und Kulturen als Maß aller Dinge gesetzt wird und andere herabgesetzt werden. Das gilt in Abstufungen auch für manche liberalkonservative Politiker, Linkspopulisten, Superwokies, grüne Identitätspolitiker und spaltende Klimaaktivisten, aber in erster Linie für die AfD.

Es gibt nämlich bei der Frage der Normalität einen zentralen Punkt, an den man sich im Zweifel halten kann: Friedrich Merz ist Oppositionsführer, Markus Söder ist im Wahlkampf, beide überziehen populistisch, sind aber, Stand jetzt, Liberaldemokraten und Europäer. Die AfD dagegen will die Demokratie und freie Gesellschaft der Bundesrepublik, die Eu­ro­päi­sche Union und jede Form von zukunftsorientierter Wirtschafts- und Klimapolitik zerstören.

Das sind keine normalen Leute. Und es sind auch keine guten Deutschen.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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18 Kommentare

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  • "Die AfD dagegen will die Demokratie und freie Gesellschaft der Bundesrepublik, die Eu­ro­päi­sche Union und jede Form von zukunftsorientierter Wirtschafts- und Klimapolitik zerstören."

    Letztlich ist auch das normal und Teil einer pluralistischen Gesellschaft. Der in Deutschland gelebte großzügige Pluralismus ist in diesem Sinne doch eher unnormal, verglichen mit anderen Ländern auf dieser Welt. Vieles was uns normal erscheint, ist in vielen anderen Ländern längst nicht normal.

    Ich hoffe nur, das die Menschen in Deutschland diese unnormale Normalität in ihrem besonderen Wert erkennen und für deren Erhalt einstehen.

    Eine spannende Betrachtung Herr Unfried.

  • "Kinder zu schlagen war in der alten Bundesrepublik normal."



    Während die Kandidierenden anderer Parteien zur körperlichen Züchtigung von Kindern eine geschlossene und klare Haltung vertraten war man dazu in der AfD schon 2017 zumindest bemerkenswert unentschlossen. ("Ein Klapps auf den Hintern wird hier immer gleich als halber Totschlag angeprangert.", " Und welches Kind verklagt seine Eltern? Das ist ein realitätsfremdes Gesetz, das Eltern ggf. kriminalisiert und ein gutes Beispiel für Überregulierung.")



    www.wen-waehlen.de...tworten/3245/3008/

  • "Friedrich Merz ist Oppositionsführer, Markus Söder ist im Wahlkampf, beide überziehen populistisch, sind aber, Stand jetzt, Liberaldemokraten und Europäer."

    Catastrofe la bază, superbii la vârf. Das Volk spendet seinem Tribun großzügig 120.000 Euro für einen Fototermin in feudaler Kulisse. Normaaaaaal!



    www.dw.com/ro/cata...la-vârf/a-54190604

    TIL: Peter Unfried sieht Brandmauern, wo keine sind.

    • @Ajuga:

      ...die Photos sollte Soder sich von seiner Ehefrau Karin bezahlen lassen.



      Zudem meine ich, in einer wahren Demokratie, sollten nach spätestens 8 Jahren Berufspolitker kein Dauerrecht mehr haben sich wieder zur Wahl zu stellen. Demokratie lebt von Innovationen, Weiterentwicklungen, dazu braucht es frische, gesunde Köpfe und keine alt Herren-/Damengarde , die einen bis zum umfallen - Lebenslang " begleiten "....

  • Na Servus - Scheunen Sündach.



    & Däh -



    Booey. Peter Unfried - Voll normal ey.

    Unser aller le petit cheflereporter -



    Der seine Sicht auf aktuelle kriegerische Verwicklungen auf das - 1.x Schland Kriegspartei - post WK II! Woll.



    Auf die verfassungs&völkerrechtswidrige Teilnahme Schland - Kosovo-Bombardierung via NATO - eines



    🤥Joseph Fischer (“Wir haben auch gesagt 'Nie wieder Auschwitz‘“)& Co. ableitet! Gellewelle&Wollnichtwoll •



    Reklamiert - ER - sei voll normal! - 🙀🥳 Newahr. Ach was! ©️ Loriot -



    Na aber Si’cher dat. Dat wüßt ich ever.



    Liggers. Da mähtste nix.



    Normal.

    Na Mahlzeit

    ps ansonsten gilt auch hier - sicher anders als von PU gedacht - der gute alte Gestaltsatz der Herr! Gellewelle.



    “Was mann bekämpft - wird mann auch!“ •



    (pps Immer gern & always at your servíce;)

  • Ist es 'normal', zuzuschauen, wie die Klimakatstrophe weltweit zuschlägt ? Ist 'Normalität' ein Maß, mit dem frau/man sich in dieser Gesellschaftsform durchschlagen kann, ohne aufzufallen ? Ist es normal, sich in einem 'Wohlfahrtsstaat' pampern zu lassen und wer nicht gepampert wird, Pech gehabt hat ? Es ist noch gar nocht solange her, dass Sarah Wagenknecht, deren Eskapaden ich heute verabscheue, in einem Bestseller ('die Selbsgerechten', 2021 ) darauf aufmerksam machen konnte, wie ein großer Teil der Bevölkerung systematisch ausgesteuert wird durch minimale Löhne, Chancenlosigkeit, grausame Mittelschichts-TV-Programme etc. und in der Wahrnehmung in einer populistischen Parteienlandschaft quasi nicht mehr vorkommt. Das ist nicht (mehr) normal und da dürfen wir uns nicht wundern, wenn sich immer mehr Nichtberücksichtigte abwenden. Besonders gefährlich ist dabei, dass sich hier eine Gegenkultur herausbildet, die auch Jugendliche erreichtund die (auch) keine Normen (mehr) akzeptiert.

  • Wurst sein oder nicht sein...



    www.cinema.de/site...d59e&itok=bZHMThdA

  • Da ist viel Wahres dran.



    Klar sieht man/frau mit zunehmender Weisheit Dinge



    ( hoffentlich) etwas objektiver.



    Eine Abgrenzung zur "AfD" sollte in einer pluralistischen Gesellschaft ebenfalls normal sein.



    Hier endet die Übereinstimmung mit dem Autor, denn mit solchen "Schmuddelkindern" und deren Ansichten spielt man/frau nicht, auch nicht als Wahlkämpfer.



    Sicherlich ist Merz Demokrat, doch ich erinnere daran, dass er gegen die Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand stimmte.



    Eine solche Person ist so jenseits einer pluralistischen Gesellschaft, dass sie für mich auf ewig indiskutabel bleibt.



    Was das Gebäudeenergiegesetz betrifft, so liegt der Ursprung in den Ölkrisen der 70er, wurde fortlaufend novelliert und erhielt gelegentlich neue Namen.

    • @Philippo1000:

      👍👍

  • Ein karer Kommentar, danke. Ergänzend möchte ich anmerken, dass der Begriff immer eine normative (logisch!) Botschaft transportiert, im Sinne von moralisch richtig. Tatsächlich ist das Normale in vielen Fällen lediglich das Gewöhnliche, Althergebrachte, Nicht-(Über/Heraus--)Fordernde. Der erweiterte Begriff der pluralistischen Normalität erfordert Training am Ungewohnten. Dieses Training findet in den ländlichen Räumen in weit geringerem Umfang statt, wo immer noch nur Wurst essen als normal gilt. Die Demokratie beschert dem Hausbesitzer auf dem Dorf in dessen Sicht vor allem eines: höhere Energiekosten. Es gibt hier kaum ein wichtigeres Thema. Damit lassen sich eine Menge Wählerstimmen mobilisieren.

  • ...tja, möchte ich sofort so unterschreiben....



    ✍️



    ...nur " normal " - oder so wie alle, möchte ich mich dennoch nicht sehen...😉

  • Hurra, endlich normal!

    Und, im feinen Umkehrschluss, auch noch guter Deutscher.

    Lang hat es gedauert, aber irgendwann kommt man offensichtlich da an. Man muss sich nur Mühe geben und seine Auffassungen so schnell es eben geht, sodass es noch als Ergebnis aufwendiger Reflexionen durchgeht, den Gegebenheiten anpassen.

    Danach kann nichts mehr kommen.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Jim Hawkins:

      Wer kein Auto hat, kann natürlich nicht wissen, dass schon lange Super das neue Normal ist.

      • @95820 (Profil gelöscht):

        fein beobachtet ! Und Raider is twix, und twitter is X, und wir sind Schland (na ja, waren's, bis vor 14 Tagen).

  • Da ist ein Komma zu viel im Untertitel. Als leitet hier keinen Nebensatz ein.

    • @Weltweit:

      Alsoooo ... Mittlerweile (?) tut's das aber schon: nen Nebensatz einleiten:



      "als (es) die ... erlaubt".

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Weltweit:

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