Kritische Schnitzelanalyse: Der Deutschen liebste Mehlspeise

Ums Fleisch geht es bei einem Schnitzel hierzulande am allerwenigsten. Wir sollten nach Osten schauen: Von Japan lernen heißt panieren lernen.

Ein großes Wiener Schnitzel liegt neben einem Stück Zitrone auf einem Teller

Ist da überhaupt Fleisch drin? Foto: David Carreno Hansen/plainpicture

Es gibt einige Erklärungen über die Herausbildung regionaler Küchentraditionen. Die knappste stammt von Heinz Bösel. Er vertritt die Theorie, dass das Essen stark mit der Landschaft in Verbindung stehe. „Dort wo sie eher karg ist, gibt es viel Gegrilltes. Bei uns ist die Landschaft etwas üppiger, deswegen die vielen Mehlspeisen.“

Heinz Bösel ist Österreicher, Schnitzelinspektor und eine Figur aus „Indien“, einem Roadmovie, das Anfang der 1990er herauskam. Bösel und sein Kollege Kurt Fellner, gespielt von den Kabarettisten Josef Hader und Alfred Dorfer, reisen im Auftrag des Fremdenverkehrsamtes durch die niederösterreichische Provinz und überprüfen Gasthäuser. Der eine ist ein misanthropischer Gemütsmensch (Bösel), der andere ein hypochondrischer Ehrgeizling (Fellner). Zwischen beiden entwickelt sich eine Männerfreundschaft, die am Schluss selbst der Intensivstation standhält.

„Indien“ wurde seinerzeit zu einem Kultfilm in Deutschland. Er war auch ein wichtiger Beitrag zur Allgemeinbildung über die österreichische Küche. Er half immens bei der Verbreitung der Kunde, dass das Original Wiener Schnitzel „koibarn“ sein muss, wie Bösel sagt, also vom Kalb. Ein paniertes Schweineschnitzel dagegen darf sich nur Schnitzel Wiener Art nennen. Dass das die inzwischen bräuchliche „Verkehrsauffassung“ auch in Deutschland ist, darüber wurde sogar gerichtlich befunden, 2009 vom Verwaltungsgericht Arnsberg.

Aber egal, welches Fleisch auch immer unter der Kruste steckt: Das Schnitzel bleibt unangefochten das Topgericht – der deutschen Mehlspeisenküche. Was ich damit meine, versinnbildlicht folgende Restaurantszene, die ich nicht nur einmal erlebt habe. Da sitzt ein Kind vor einem den Tellerrand überlappenden Schnitzel, seziert mit Konzentration die Kruste, isst sie mit Genuss auf, zeigt schließlich der Mutter den Teller, auf dem nur noch ein unappetitlicher dünner Lappen liegt, und fragt: „Willst du das?“

Ein pappdeckelgrauer Strich

In der deutschen Schnitzelküche wird dem, was dem Schnitzel seinen Namen gibt – dem inneren Wert, einem dünnen Stück mageren Fleisch – am wenigsten Aufmerksamkeit zugedacht. Es geht allein um die Umhüllung. Deshalb Mehlspeise. Das Fleisch wird bis zur Carpaccio-Dünne geklopft und plattiert, bevor es in Mehl, Ei und Unmengen von Semmelbröseln gewendet wird. Schneidet man das Schnitzel, enthüllt sich das Kalbfleisch als pappdeckelgrauer Strich, ein totes ledriges Etwas, das man am liebsten in die Küche zurückgehen lassen möchte, meist aber als Kollateralübel mit hinunterkaut.

Aber nicht nur wegen der Kruste sage ich Mehlspeise. Es gibt noch eine weitere Dimension. Denn während man in Wien nur das schlichte Wiener Schnitzel serviert und höchstens Zitrone, Sardelle und Preiselbeermarmelade dazu reicht, hat sich in Deutschland ein ganzes Genre rund ums Schnitzel etabliert. Klassischerweise findet man auf deutschen Speisekarten entsprechender Etablissements folgende Variationen: Schnitzel mit Jägersauce (mit Dosenchampignons), Berliner Schnitzel (mit Zwiebelsauce), auf Balkan-Art (mit Letscho oder Paprikasauce) oder Schnitzel mit Pfeffer- oder Bratensauce. Grundlage solcher Tunken ist meist – die klassische Mehlschwitze.

Die Frage, die sich nun stellt, ist natürlich: Warum überhaupt sollte man Fleisch panieren? Zum einen aus kochtechnischen Gründen, nämlich um das Schnitzel davor zu schützen, in der Pfanne auszutrocknen. Denn dazu neigt vor allem mageres Fleisch sehr schnell. Also versiegelt man es mit Ei und Brotkrumen. Sie bilden eine ähnliche Hülle wie der Salzmantel oder die Tasche aus Backpapier in der Fischküche. Alle haben dieselbe Aufgabe: das Gericht saftig zu halten. Beim Schnitzel schmeckt der Mantel auch noch gut.

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Gleichzeitig ist Fleisch in Brot zu wickeln weltweit eine verbreitete und beliebte Kulturtechnik. Ein Stück Fleisch zu panieren, ist nur etwas raffinierter. Ein Verfahren, das die Fleischstulle vom Imbiss und Abendbrottisch in die Welt des Restaurants überführt. Insoweit lassen sich Wurstbrot, Hamburger und das Wiener Schnitzel gleichsetzen, mit dem hauptsächlichen Unterschied, dass der Fleischanteil der Erstgenannten viel höher ist.

In Japan steht das Fleisch im Mittelpunkt

Fleisch zu panieren, das hat auch in der japanischen Küche eine große Kultur. Bei jedem Gericht, das den Bestandteil Katsu im Namen trägt, hat man dort ein Schnitzel auf dem Teller. Tonkatsu ist ein Schweineschnitzel, Torikatsu wird mit Hühnchen zubereitet, hat man Gyukatsu bestellt, steckt unter der Panierung Rind oder Kalb. Doch begegnet einem hier eine völlig andere Sicht auf das Gericht, nämlich die Perspektive auf das Fleisch.

Es gibt deswegen drei große Unterschiede bei der Zubereitung. Das fängt beim Paniermehl an, das in Japan Panko heißt. Während hierzulande viele Kochbücher dazu raten, Semmelbrösel selbst aus altem Brot herzustellen, gern mit der Rinde und auch dunkles, rösches Landbrot zu verwenden, wird Panko nur aus der trockenen Krume von Weißbrot zubereitet, ist also ganz hell und im Vergleich völlig geschmacklos.

Dann wird das Fleisch in Japan nicht geklopft oder andersartig behauen. Dieses Verfahren zerstört die Struktur, was dazu führt, dass das Fleisch noch schneller austrocknet. Ganz im Gegenteil, und das ist der dritte große Unterschied, wird Fleisch in den meisten Katsu-Rezepten mariniert, damit es noch saftiger bleibt.

Ich habe neulich ein wirklich sehr gut gemachtes japanisches Schweineschnitzel auf dem Teller gehabt, ein Tonkatsu also. Man kann dabei schmecken, was für einen ausgezeichneten Eigengeschmack ein Kotelett haben kann. Es war so köstlich, das ich direkt an ein anderes Zitat von Heinz Bösel denken musste. Der sagt in „Indien“ nämlich auch: „Ich bin ja an sich kein Beilagenesser.“

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