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Betreuung im Alter wird teurerLuxus Pflege

Die Mutter unserer Autorin lebt seit einem Schlaganfall in einem Pflegeheim. Die Betreuung hat ihren Preis – und dieser ist erneut gestiegen.

Die Pflegefrage ist auch eine soziale Frage Foto: Anthony Bradshaw/getty images

Jetzt liegt sie nur noch im Bett. Auf dem Rücken, den Blick – wenn sie nicht schläft – an die Zimmerdecke gerichtet. Trete ich an ihr Bett, hebt sie kurz eine Hand – ein Zeichen, dass sie merkt, dass jemand da ist. Meine Mutter hatte vor zehn Jahren einen Schlaganfall, seitdem ist sie halbseitig gelähmt und kann nicht mehr sprechen, sie ist komplett auf Hilfe angewiesen. Sie muss gewindelt, gewaschen und seit Längerem auch gefüttert werden. All diese Dinge tun Mitarbeiter:in­nen in dem Pflegeheim am Rande Berlins, in dem meine Mutter seit neun Jahren lebt. Ich könnte all das nicht leisten, ohne meinen Job als Journalistin aufzugeben.

Dieser „Luxus“ der Fremdbetreuung hat seinen Preis. Ein Heimplatz kostet dem Vergleichs­portal 24h-Pflege-Check zufolge insgesamt bis zu 4.000 Euro im Monat. Die Pflegeversicherung übernimmt je nach Pflegegrad zwischen 1.000 und 2.000 Euro, den Rest müssen die Be­woh­ne­r:in­nen selbst zahlen. Der „Rest“ kann – abhängig vom Zustand der pflegebedürftigen Person und dem Standard des Heims – bis zu 3.000 Euro und mehr betragen.

Jetzt steigen die Kosten erneut, laut des Verbands der Ersatzkassen durchschnittlich um rund 350 Euro monatlich. Das liegt vor allem an den höheren Löhnen des Pflegepersonals. Job- und Gehalts­portalen zufolge verdienen Pflegekräfte 3.000 bis 4.000 Euro brutto – für einen Vollzeitjob. Viele Mit­ar­bei­te­r:in­nen reduzieren wegen der physischen und psychischen Belastung ihre Arbeitszeit.

Früher, als meine Mutter noch aufstehen konnte, musste sie aus dem Bett gehoben und in den Rollstuhl gesetzt werden. In einem Ruck, sonst wäre sie der Pflegekraft aus den Armen gerutscht. Die Pflegekräfte können sie halten, sie haben das gelernt. Trotzdem brauchen sie Kraft dafür. Auf der Station meiner Mutter haben sie rund um die Uhr zu tun: Waschen, Essen zubereiten, Bettlägerige windeln und auf die Seite drehen, Bettwäsche wechseln, Tee kochen. Dazwischen telefonieren, mit Angehörigen sprechen, Formulare ausfüllen, Patientenakten aktualisieren.

Die Pflegelücke schließen

Immer weniger Menschen wollen diese Arbeit tun. Aber immer mehr Menschen werden auf Hilfe angewiesen sein. Aus den aktuell 5 Millionen Pflegebedürftigen werden laut dem Wissenschaftlichen Institut der Privaten Krankenversicherung 2030 schon 5,75 Mil­lionen Pflegebedürftige, 2050 könnten es 7,25 Millionen sein. Man muss keine Prophetin sein, um zu ahnen, dass Pflege immer teurer wird – für alle Seiten, also für Pflegeeinrichtungen und Pflegebedürftige, aber schon jetzt auch für alle Bei­trags­zah­le­r:in­nen der Pflegeversicherung.

Der Beitragssatz wurde gerade von 3,05 Prozent auf 3,4 Prozent angehoben, für Kinderlose auf 4 Prozent. Manchen mag es nicht gefallen, dass sie jetzt 20 oder 30 Euro mehr für etwas bezahlen müssen, das für sie gefühlt in weiter Ferne liegt. Für Nor­mal­ver­die­ne­r:in­nen ist das aber nicht viel Geld. Und es ist – um es salopp zu sagen – eine Investition in die eigene Zukunft.

Dem Kölner Institut der deutschen Wirtschaft zufolge werden bis 2035 rund 307.000 Pflegekräfte fehlen. Arbeitsminister Hubertus Heil wirbt gerade in Indien um Pflegekräfte, die in Deutschland arbeiten sollen. Bislang kommen sie von den Philippinen, aus Vietnam, Indonesien, Bosnien. Der SPD-Politiker versucht, die Pflegelücke wenigstens ein bisschen zu schließen. Aber die abwandernden Fachkräfte fehlen dann in ihren Heimatländern.

Wieso nicht Asylbewerber:innen, die bereits hier sind, zu Pflegekräften ausbilden? Und beispielsweise Sprachhürden dafür senken. Seit einigen Wochen bekommt meine Mutter von einem jungen Mann aus Ghana Essen gereicht, wird von ihm gewaschen und gekämmt. Er kann sich mit ihr verständigen – nonverbal.

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10 Kommentare

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  • Bitte nicht die Sprachhürden senken.

    Mein Vater ist gerade mal wieder im Krankenhaus.

    Er versteht die Krankenschwestern sehr schlecht. Sie ihn auch nicht gut.

    Die Frage, ob er Tee oder Kaffee möchte, kann da schnell eine gewisse Komik entwickeln

    Wenn es um Krankheit und Behandlung geht, verliert sich die Komik schnell.

    Zumal ältere Menschen bei Problemen oft schnell nicht mehr klar sind.



    Vieles muss man indirekt raushören.

    Ich habe selbst mehrere Gespräche gehabt, in denen ich die Schwestern nach dem aktuellen Gesundheitszustand meines Vaters gefragt habe.

    Von der Antwort habe ich deutlich weniger als die Hälfte verstanden.

    Mein Vater, der auch noch schwer hört, versteht regelmäßig gar nichts.

    Wer sich in einer hilflosen Situation befindet und nicht das Gefühl hat, mit denjenigen, die ihm helfen, vernünftig kommunizieren zu können, fühlt sich noch hilfloser.

  • Ja Frau Schmollack, 20 oder 30 Euro sind für Normalverdiener nicht viel Geld - nur bleibt es i.d.R. nicht bei 20 - 30 Euro. 2024 kommt dann noch die Erhöhung bei der Krankenkasse, die CO2-Steuer steigt etc. und für das eigene Alter soll man auch noch Vorsorge treffen. Die Beiträge summieren sich dann halt doch ganz schön auf. Man kann letztlich nur feststellen, dass die aktuelle Rentnergeneration das Maximum für sich rausgeholt hat und die Kosten den Nachkommen überbügelt. Und soll mir jetzt keiner was von der Erbengeneration erzählen, hinterlassen wird eine desolate Infrastruktur, ein Schuldenberg und von der Umwelt fangen wir besser gar nicht erst an.

  • Lösungen sind da schwierig, was ich mich allerdings frage, wenn die Alten immer aktiver sind und bei den ganzen tollen Gesundheitstrends, warum sich dadurch der Anstieg an Pflegebedürftigen nicht etwas abbremst.



    Wird da zuwenig präventiv getan, leben wir alle zu ungesund?

    • @Axel Schäfer:

      Das ist Demographie, je älter Menschen werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, einer gesundheitlichen Beeinträchtigung. Das gilt für Krebs, das gilt für Demenz. Zwischen 65 und 69 trifft das 2 von 100, bei 90 33 von 100.

      www.alzheimers.org...s-risk-of-dementia

      Einige Risiken lassen sich durch eine entsprechende Lebensweise verringern, viele nicht. Natürlich gilt auch hier, wer mehr Geld hat, lebt länger, da weniger Belastung, besserer Zugang zu Informationen und Behandlung. Die "fitten" Alten sind also nicht nur die mit der besseren Genetik, sondern auch häufig die mit den besseren Lebensbedingungen.

      Unsere medizinische Versorgung sorgt dafür, dass die Menschen nicht sterben, sie werden aber auch nicht gesund. Es ist eine Existenz bis das Maß der Multimorbidität, die Widerstandskraft des Körpers überwindet.

      Wir brauchen wesentlich mehr Forschung, damit die Menschen nicht nur älter werden, sondern länger gesund bleiben.

  • Die Idee, das Defizit an Pflegepersonal mit der Asylproblematik zu verbinden scheint mir typischer (linker) Aktionismus zu sein. Es klingt pathetisch, aber der Satz: "Pflege ist kein Beruf sondern Berufung", entbehrt nicht jeglicher Grundlage. Um diesen Beruf zu ergreifen, benötigt es einer Vielzahl an Kompetenzen nicht nur sozialer und medizinischer Natur. Belastbarkeit, Fähigkeit zur (selbst-)Organisation und Zeitmanagement, Empathie, Geduld, etwas Psychologie, zügige Dokumentation, Ruhe und Gelassenheit im Umgang mit schwierigen Menschen etc., etc. Nicht unterschätzen sollte man einen ausreichenden Level an Deutschkenntnissen (was derzeit nicht immer gegeben ist), Nonverbale Kommunikation ist eher die Ausnahme. Für viele Patienten ist das Pflegepersonal Hauptbezugsperson, nicht nur in sozialer, vor allem auch in medizinischer Hinsicht. Ich erlebe es immer wieder, dass Schmerzen und Leiden der Patienten nicht dokumentiert und behoben werden, da das Personal aus Bosnien, Syrien oder sonst wo die Klage der Patienten nicht versteht und als Stimmung missinterpretiert. In Krankenhäusern ist derzeit schon ein kritischer Zustand erreicht, da manche Aufklärungsgespräche vor Operationen in gebrochenem Deutsch nicht dem rechtlichen Standard entsprechen. Laut den Gerichten hat ein gültiges Aufklärungsgespräch in "verständlicher und dem Patienten nachvollziehbarer Weise" stattzufinden, andernfalls ist die Unterschrift auf der Einverständniserklärung als ungültig anzusehen und der Arzt begeht eine Körperverletzung.

    Würden Asylsuchende in den Pflegeberuf gedrängt, ohne sich selbst dafür zu entscheiden, wäre dies eine ganz schmutzige Angelegenheit - sowohl den Asylsuchenden gegenüber, vor allem aber eine geradezu menschenverachtende Art, sich um Pflegebedürftige zu kümmern. Aber die Menschenwürde im Pflegeheim wird bei Weitem nicht allein von Großunternehmen gebeugt, dies zieht sich scheinbar durch die ganze Gesellschaft...

    • @Cerberus:

      Meinem Verständnis nach ging es ja auch nie darum da eine unterschiedslose Zwangsrekrutierung zu betreiben. Und wenn bis 2035 rund 300.000 Pflegekräfte fehlen, sollte es doch durchaus realistisch machbar sein zumindest einen Teil dieser Lücke dafür zu nutzen Geflüchteten mit persönlicher Eignung und Interesse eine berufliche Perspektive zu eröffnen, während andere vielleicht eher das Zeug dazu haben beispielsweise in MINT-Jobs oder im Handwerk einzusteigen.

    • @Cerberus:

      Das mit der Berufung ist ein immer wieder bemühter Mythos und dazu noch der allergrößte Quatsch den ich in diesem Zusammenhang je gehört habe. Die s.g Boomergeneration, welche in den nächsten Jahren in Rente geht, ist damals in den 80zigern auch in Scharen auf den Ausbildungsmarkt gedrängt. Was glauben Sie wohl wie unendlich viele von uns rein zufällig in der Pflege gelandet sind? Die meisten von uns haben über 100 Bewerbungen geschrieben für etliche Berufe. Man war am Ende froh, irgendwas zu bekommen. Millionen von uns sind nicht in ihrem Traumberuf gelandet. Schicht- und Nachtarbeit , familienfeindliche Wochenend- und Feiertagsarbeit mochten die Menschen damals auch nicht lieber als heute.



      Ich (und viele andere) wollte NIE in die Pflege und das Geseier über Berufung kotzt mich an.



      Man lernt etwas und dann macht man das . Punkt. Das einzige was gegen Fachkräftemangel hilft sind anständige Löhne und attraktivere Arbeitsbedingungen. Dann kann fast jeder diesen Job machen, auch ein Asylsuchender .

    • @Cerberus:

      Danke für diesen wohltuend sachlichen Kommentar. Pflege ist eben doch viel mehr als nur pflegen.

  • Guten Abend,



    das Problem sind NICHT die Menschen die gepflegt werden müssen, sondern wie so oft: Das Kapital. Pflegeheime dürfen KEIN Spekulationobjekt mehr sein. Die Verwaltung soll gemeinnützig bzw. in staatlicher Hand liegen. Das gleiche gilt für die Bahnen, Strom-, Heizungs-, Wasserversorger. Wann werden die es endlich kapieren? Auch ist eine allgemeine Bürgerversicherung uns längst überfällig, sonst werden die Beiträge ungeheuerlich steigen.

    • @xeiner:

      Menschen, die Hilfe benötigen, zum Spekulationsobjekt zu machen - das ist menschenverachtender Kapitalismus pur.

      Nichts dagegen, dass man privatisiert und "rationalisiert". Aber profitorientierte "Hilfe", egal in welchem Bereich, ist genauso gut, wie der hilflosen Oma auf der Strasse die Handtasche klauen.

      Soziale Bereiche müssen vom Staat unterstützt werden. Das ist das Wesen des Sozialen.

      Tesla kann sich schon allein helfen.

      Und das mit der Berufung ist eine schöne Sache. Aber wieviele von uns sind gezwungen, sich selbst um ihre "Berufung" (wer ruft da eigentlich?) zu kümmern?

      Auch ohne das kann man, auch als Asylant, sich in andere Bereiche einarbeiten und einen guten Job machen, zumal es hier um schlichte Menschlichkeit geht.

      Man muss da ja nicht arbeiten, schließlich geht es ja nicht um Arbeitsdienst. Man sollte es aber dürfen.