Russische Atomwaffen in Belarus: Das Spiel mit den Drohungen

Moskau hat erste Atomsprengköpfe nach Belarus geschickt. Das behauptete der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko schon vor einigen Tagen.

Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko

Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko (l) am 9. Juni in Sotschi Foto: Pavel Bednyakov/imago

BERLIN taz | Sie ist wieder da – die Drohung mit Atomwaffen. Am Freitag teilte Russlands Präsident Wladimir Putin beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg mit, dass die ersten Atomsprengköpfe nach Belarus geschickt worden seien. Bereits vor drei Tagen hatte der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko im russischen Staatsfernsehen gesagt, dass die Verlegung russischer taktischer Atomwaffen nach Belarus begonnen habe. Kurz zuvor war Lukaschenko von seiner Präsidialverwaltung mit dem Satz zitiert worden, im Falle eines Angriffes werde er auch nicht zögern, diese Waffen einzusetzen.

Die Verlegung von Raketen mit taktischen Atomsprengköpfen nach Belarus hatte Russlands Präsident Wladimir Putin bereits im März angekündigt.

Begleitet wurde dieser Schritt nun von einem bemerkenswerten Aufsatz von Sergei Karaganow, dem Politikwissenschaftler und Leiter des Rats für Außen- und Verteidigungspolitik (Swop). Es gelte die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung wiederherzustellen, indem Russland die hohe Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen senke und die Abschreckungs-Eskalationsleiter immer schneller emporsteige.

Das könne sogar so weit gehen, dass Russen im Ausland geraten werde, Wohnorte in der Nähe von Objekten zu verlassen, die zum Ziel nuklearer Angriffe werden könnten, schreibt er in einem Beitrag unter dem Titel „Eine schwierige, aber notwendige Entscheidung“ für die Webseite der Zeitschrift Russia in Global Affairs.

„Der Feind muss wissen, dass wir bereit sind, einen präventiven Vergeltungsschlag für alle seine aktuellen und vergangenen Aggressionen durchzuführen“, schreibt Karaganow. „Dies ist eine moralisch schreckliche Entscheidung (…). Wenn dies jedoch nicht geschieht, könnte nicht nur Russland zugrunde gehen, sondern höchstwahrscheinlich die gesamte menschliche Zivilisation.“

Teil des Kreml-Repertoires

Derartige Drohungen gehören allerdings seit Monaten zum Repertoire des Kreml – genauso wie die Mär, der Westen sei in diesem Krieg der wahre Aggressor, gegen den sich Moskau verteidigen müsse. Bei der Ankündigung der Stationierung von Atomwaffen in Belarus hatte Putin gesagt, der Ausbau der notwendigen Infrastruktur solle bis zum 1. Juli abgeschlossen sein. Am 25. Mai unterzeichneten Russlands Verteidigungsminister Sergei Schoigu und sein belarussischer Amtskollege Wiktar Chrenin ein entsprechendes Abkommen. Dabei wies Schoigu auch darauf hin, dass Moskau die Kontrolle und Entscheidungshoheit über die A-Waffen behalte.

Wie auch die Ukraine hatte Belarus in den 90er Jahren sein Atomwaffenarsenal abgegeben – im Austausch gegen die Zusicherung, dass seine Souveränität sowie bestehende Grenzen geachtet würden. Das steht im Budapester Memorandum von 1994, das die USA, Großbritannien und Russland unterzeichneten.

Fünf Jahre später setzten Russlands damaliger Präsident Boris Jelzin und Alexander Lukaschenko ihre Namen unter einen Unionsvertrag. Das Dokument, jahrzehntelang ein Papiertiger, ist unter dem Druck Russlands und ob Lukaschenkos totaler Abhängigkeit vom Kreml seit der Niederschlagung der Massenproteste im Jahr 2020 zum Leben erwacht. Die feindliche Übernahme läuft.

Hinzu kommt: Als Folge eines sogenannten Referendums vom Februar 2022 wurden die strategische Ausrichtung auf einen neutralen Status sowie die Atomwaffenfreiheit des Staatsgebietes aus der belarussischen Verfassung gestrichen.

Offiziell nicht Kriegspartei

Sollten Lukaschenkos jüngste Äußerungen wahr sein, wäre es das erste Mal seit dem Ende der Sowjetunion, dass Russland Atomwaffen außerhalb seiner Landesgrenzen stationiert. Allerdings suggeriert seine Ankündigung einen Handlungsspielraum, den der belarussische Diktator gar nicht mehr hat.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Zwar ist Belarus offiziell nicht Kriegspartei, stellt Putins Truppen jedoch sein Territorium, Logistik und militärische Ausrüstung zur Verfügung. Russische Raketen, die in den ersten Kriegstagen auf Kyjiw niedergingen, wurden auch aus Belarus abgefeuert.

Laut Sergei Galaka, Spezialist für Atomwaffen und Professor an der Kyjiwer Universität, gebe es in Belarus noch keine Mobilisierung, weil Lukaschenko Angst habe, die Bevölkerung zu bewaffnen. Ihm sei klar, dass sich die Armee gegen ihn erheben könne. „Durch seine Zustimmung zur Stationierung russischer taktischer Atomwaffen ist Lukaschenko zur Geisel Putins geworden, und er wird den Krieg in sein Land bringen“, zitiert das ukrainische Nachrichtenportal focus.ua. Galaka. „Doch er hat keine Wahl mehr.“

Hat sich das Risiko, Putin könnte den roten Knopf drücken, jetzt erhöht? Das fragen sich derzeit viele. Dagegen spricht, dass Moskau in diesem Fall mit, wie es aus den USA hieß, „katastrophalen Konsequenzen“ rechnen müsste und die Unterstützung Chinas aufs Spiel setzte. Aber eine Versicherung ist das nicht.

Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels stand, Frankreich habe das Budapester Memorandum 1994 mitunterschrieben. Das trifft nicht zu. Wir haben die entsprechende Stelle angepasst.

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