Grüne in Thüringen: Wo es leider nur um Köpfe geht
Die Grüne Anja Siegesmund will lieber für einen Lobbyverband arbeiten, als Ministerin zu sein. Das verrät viel über die Krise der Landespolitik.
A us „persönlichen Gründen“, so sagte sie es, legte Thüringens grüne Umweltministerin Anja Siegesmund Ende vergangenen Jahres ihr Amt nieder, um eine „Auszeit“ ging es, und man mochte denken: Kann ja schon mal vorkommen, dass so ein Landesministerium jemanden nicht mehr erfüllt.
Doch dann fand die regionale Qualitätspresse heraus, dass die persönlichen Gründe doch eine berufliche Note hatten. Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft hatte Siegesmund offenbar bereits als nächste Präsidentin ausgesucht.
Diesen Job kann die grüne Spitzenkraft allerdings nicht so schnell wie geplant antreten. Vielleicht ist Siegesmund entgangen, dass die rot-rot-grüne Koalition, der sie angehörte, sich eine „Karenzzeit-Regelung“ gab. Demnach sollen ausscheidende PolitikerInnen erst eine ganze Weile ins Abklingbecken, bevor sie ihre Kontakte und Kenntnisse zum Beispiel in Unternehmensverbänden einbringen. Ein großes grünes Thema übrigens – auch in Thüringen warben die Grünen für „Je länger, je lieber“.
Siegesmund könnte nun dagegen klagen, dass diese Regelung für sie gilt. Ich für meinen Teil bin nicht nur gespannt, wann Anja Siegesmund und der Bundesverband der Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft zusammenkommen. Gern nehme ich auch Wetten entgegen, wie sich die Sache – zumal, wenn das alles noch dauert – auf die Landtagswahlen in Thüringen in etwas über einem Jahr auswirkt.
Der Goebbels-Imitator steht bei 28 Prozent
In Thüringen steht die AfD in Umfragen derzeit bei 28 Prozent. Um sie von der Macht fernzuhalten, arbeitet Ministerpräsident Bodo Ramelow schon jetzt mit einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung in einer Art Darf-so-aber-nicht-heißen-Kooperation mit der CDU. Unglaubwürdige Grünen-Politikerinnen schaden in solchen Situationen nicht nur der eigenen 5,2-Prozent-Partei.
In den Bundesländern, in denen die AfD stärkste Kraft im Landtag zu werden droht, geht es demokratisch gesehen um alles. Die Thüringer AfD-Truppen rings um Goebbels-Imitator Björn Höcke schlachten angreifbare Personalien aus, wo es nur geht. Wie es sich halt für eine Partei gehört, die nur aus Ressentiments besteht.
Nun lässt sich der Mechanismus „Hurra, wir können uns auf Personalgeschichten stürzen, dann fällt niemandem auf, dass wir keine Vorschläge in der Sache haben“ natürlich derzeit auch im Bund und bei anderen Parteien beobachten. Doch hege ich bei Habeck/Graichen die Hoffnung, dass die schiere Wichtigkeit des Klimathemas bald dafür sorgt, dass wir wieder darüber reden dürfen, wie die Energiewende beim Wohnen funktionieren kann, und was eben noch so ansteht.
Das Problem in der Landespolitik ist dagegen ihre schiere Bedeutungslosigkeit. Die Länder gestalten praktisch nichts. Relevante Bildungspolitik – genau, „Ländersache“ – haben fast alle aufgegeben. Landeskrankenhäuser ließ man erst verfallen und hat sie dann verkauft. Profiliert haben sich die Bundesländer zuletzt nur durch sorgfältiges Verhindern – man denke an die Pandemiepolitik. MinisterpräsidentInnen werden offenbar auch zu Hause dadurch bekannt, dass sie mit entschlossener Mimik mehr Geld vom Bund fordern. Mehr scheint es nicht zu brauchen, um wiedergewählt zu werden.
Wo aber keine Themen, sondern nur noch Köpfe eine Rolle spielen, wo auch nicht mehr erkennbar ist, wofür welcher Kopf steht – außer dass man ihn halt schon kennt –, schrumpft Politik auf Personaltheater. Und eine Karriereentscheidung einer Landesministerin gerät zu anhaltend giftigem Schlagzeilenmaterial.
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