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Abschiebung am Flughafen HamburgEin Beobachter reicht nicht aus

Manche Abschiebung hätte früher abgebrochen werden können, heißt es im Abschiebe-Monitor. Zudem gehörten Abholung und Flug künftig mitbeobachtet.

Ein bisschen Trost: Blick aus der Zelle auf den Beobachter Foto: Carl Philipp

Hamburg taz | Eine Abschiebung muss verhältnismäßig sein, darf nicht „Leib und Leben“ bedrohen. Am Donnerstag stellt Abschiebebeobachter Moritz Reinbach, der im Auftrag des Diakonischen Werks am Flughafen Hamburg darauf achtet, im Innenausschuss seinen Jahresbericht vor. Sein Fazit: Es ist gut für die Betroffen, dass es die Beobachtung gibt. Aber sie reicht nicht aus.

Insgesamt 427 „Einzelmaßnahmen“ fielen in den Berichtsraum vom 1. Februar 2022 bis 28. Februar 2023. Dabei übergeben die Ausländerbehörden der Länder Menschen am Flughafen an die Bundespolizei, damit die sie zum Flugzeug bringt. Reinbach sah sich stichprobenartig 157 Fälle an. In 82 Fällen fand die Abschiebung nicht statt – etwa weil es zu gefährlich wurde. „Keine Rückführung um jeden Preis“, heißt es in der Bestimmung für die Bundespolizei.

Gleich die erste von zehn Maßnahmen, die Reinbach schildert, hätte schneller enden können. Als er eintrifft, sitzt eine schwangere Mutter mit drei kleinen Kindern weinend im Warteraum, während nebenan ihr Mann von vier Polizisten am Boden fixiert wird, Hände und Füße bereits gefesselt. Der Mann schreit, ist auch mit in die Nase gesprühtem „Benzodiazepin“ nicht zu beruhigen und versucht, sich zu verletzen.

Die afghanische Familie soll nach Spanien, weil sie dort bereits einen Schutzstatus besitzt. Schließlich entscheidet die Bundespolizei den Abbruch. Der Mann kommt in eine Klinik. Die Mutter soll für die Rückfahrt in einen 150 Kilometer entfernten Ort in Schleswig-Holstein ein Taxi nehmen, das 380 Euro kostet. Zuvor hatte man der Familie bis auf 700 Euro alles Geld abgenommen.

Verletzliche Menschen allein gelassen

Der Fall gehört zu jenen 52, die Reinbach im „Flughafenforum Hamburg“ zur Sprache bringt. Das ist ein Gremium, in dem auch Behörden der Nordländer, die Bundespolizei und Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, Amnesty International und Kirchen vertreten sind.

Die NGOs äußerten Unverständnis, wieso die Familie bei dem schon früh gezeigten Verhalten des Vaters überhaupt zum Flughafen gebracht wurde, warum ein Kind übersetzen musste und es der Behörde nicht möglich war, Mutter und Kinder zurückzufahren?

Auch im Fall eines 21-jährigen Syrers, der nach Griechenland soll und sich auf der Toilette die Arme aufschneidet, wird die Abschiebung abgeblasen. Auch dieser verletzliche Mensch wird allein weggeschickt. Er soll zusehen, wie er nach Hause kommt.

Schließlich wollte Sachsen-Anhalt sogar einen 17-Jährigen nach Gambia abschieben. Er werde dort von der Caritas abgeholt. Die Bundespolizei bricht die Abschiebung ab, da er passiv Widerstand leistet. Ein Anruf bei der Caritas ergibt: Er war nicht angekündigt. „Das war die Ausnahme“, sagt Reinbach. „Weitere Abschiebungen unbegleiteter Minderjähriger gab von Hamburg aus nicht.“

Ein Mann trägt nur eine eingenässte Badehose und sagt, er habe nicht auf die Toilette gedurft

Ein weiteres Manko seien fehlende Information über Krankheiten. So sollte ein 24-jähriger Afghane von der Abschiebehafteinrichtung Glückstadt nach Schweden, obwohl er in einer Substitution war. Ihm seien weder Anlaufstellen für die Weiterbehandlung noch Dosen mitgegeben worden.

Problematisch sei auch, dass Menschen, die über Drittländer einreisten und dahin zurück sollen, ohne Geld losgeschickt würden. So hatte ein 22-jähriger Syrer, der aus der Hamburger Abschiebehaft nach Bulgarien sollte, nur drei Euro.

Ein Kritikpunkt ist, dass Menschen beim Termin in den Ausländerbehörden in Gewahrsam genommen werden. Ein 28-jähriger Türke, dem das passiert, schluckt aus Verzweiflung Benzin.

Für einen Beobachter allein schwer zu erfassen seien die vier Sammelabschiebungen. Für einen Charterflug nach Armenien etwa wird ein 57-Jähriger auf einer Liege fixiert im Krankenwagen aus Bayern gebracht. Er trägt nur eine eingenässte Badehose und berichtet, er habe nicht auf die Toilette gedurft.

Bundesweite Regelung gefordert

„Es wäre wichtig, auch die Abholungen und den Flug stichprobenartig zu beobachten“, sagt Reinbach. „Denn das sind die sensibelsten und risikoreichsten Momente.“ Seit diesem Jahr nutzt Hamburg den Abschiebegewahrsam in Glückstadt mit. Die schon vor einem Jahr gestellte Frage, ob Reinbach wie zuvor in Hamburg auch die Abholung beobachten darf, wird laut schleswig-holsteinischem Sozialministerium geprüft.

Nötig wäre eine bundesweite Regelung, sagt Reinbach, denn EU-rechtlich sind unabhängige Beobachter bei Abschiebeverfahren Pflicht. Doch außer in Hamburg gibt es die nur noch an vier Flughäfen. In Berlin, Düsseldorf und Frankfurt am Main gibt es sogar jeweils zwei. So eine zweite Person für diese Aufgabe wäre auch in Hamburg dringend nötig, sagt Reinbach, denn für einen allein sei diese Arbeit nicht zu schaffen und auch „emotional schwer auszuhalten“.

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