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Arbeitsmigration nach DeutschlandImprovisiert euch

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Mehr Einwanderung allein kann den Personalmangel in Deutschland nicht lösen. Die Gesellschaft muss sich damit abfinden und flexibler werden.

Wir brauchen mehr Flexibilität: Pa­ket­zu­stel­le­r:in­nen werden vielleicht nicht fließend Deutsch sprechen Foto: Ralph Lueger/imago

S chon verrückt, welches Wackelbild sich ergibt, wenn man den Bundestag über Mi­gran­t:in­nen debattieren hört. Da gibt es den „schlechten“ Ausländer aus Nicht-EU-Staaten, der nur „in das Sozialsystem“ einwandern will, ein Schreckgespenst der Union, das es unbedingt abzuwehren gilt. Während der oder die „gute“ Aus­län­de­r:in hochwillkommen ist, wenn sie im Pflegeheim Windeln wechselt, auf dem Bau mitanpackt oder IT-Systeme wieder auf Vordermann bringt.

Das geplante neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das die Hürden für die Arbeitsmigration aus Drittstaaten absenkt, wird, und das weiß die Union, keineswegs dafür sorgen, dass über diese Schiene mehr Leute „in das So­zial­system“ einwandern. Dazu sind die Anforderungen, auch für die sogenannte Chancenkarte mit dem Punktesystem, zu hoch, und darüber erwirbt man auch keine Sozialstaatsansprüche.

Mit der Debatte über das Asylrecht hat das Fachkräfteeinwanderungsgesetz wenig zu tun. Wohl aber mit der Sorge um den demografiebedingten Personalmangel, der Deutschland auf eine Weise verändern könnte, die wir uns noch nicht vorstellen mögen. Die Arbeitsmigration aus Drittstaaten allein kann dieses Problem nicht lösen.

Wir müssen uns in Zukunft mit Arbeitskräftemangel abfinden und werden uns in eine Gesellschaft mit viel Improvisation verwandeln, in der alte Maßstäbe von „Qualifikation“ nichts mehr nützen. Schon jetzt arbeiten in einigen Schulen zunehmend Quer­ein­stei­ge­r:innen; in Kitas halten auch Hel­fe­r:in­nen den Laden am Laufen, in der Pflege setzt man zunehmend auf Assistenzkräfte.

In Japan arbeiten 80-Jährige, und auch in Deutschland wird es womöglich in Zukunft 70-jährige Elektriker geben, die sich in Teilzeit etwas zur Rente dazuverdienen, und 68-jährige Ruheständlerinnen, die gegen Bezahlung einmal am Tag bei der hochaltrigen Nachbarin vorbeischauen. Kell­ne­r:in­nen und Pa­ket­zu­stel­le­r:in­nen werden nicht fließend Deutsch sprechen. Wir brauchen mehr Flexibilität. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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16 Kommentare

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  • Was spricht eigentlich gegen Investitionen in die Bildung vor Ort? Was spricht gegen Ausbildungsplätze in der Region - im Handwerk und in der Landwirtschaft? Was spricht gegen einen funktionierenden Nahverkehr mit entsprechendem Personal? Was gegen Krankenhäuser im ländlichen Raum und gegen die Post um die Ecke? Was gegen eine ausreichende Bezahlung, sodass man sich eine Wohnung, etwas zu essen und ein kleines Sparguthaben für Besonderes leisten kann? Warum sollten qualifizierte Arbeitskräfte nach Deutschland kommen? Weil sie hier eine recht hohe Steuerbelastung haben, sich nichts aufbauen können und die Mietkosten immens sind? Ist eine anspruchsvollere Ausbildung der Kinder gewünscht, muss sie selbst finanziert werden. Vermögensaufbau ist kaum möglich. Warum sollte man das wollen? Wäre es da nicht sinnvoll in Infrastruktur und Bildung zu investieren, sodass tatsächliche Fachkräfte und Einheimische Chancen in Deutschland sehen?

  • werden vielleicht nicht fließend Deutsch sprechen - wieso "werden" ? Hier liegt auch die Garantie, dass entsprechend Beschäftigte dem Niedriglohnsektor auf ewig nicht davonlaufen werden. Deutschen Michels Pantoffeln bleiben warm und trocken (und sein SUV vordertür bleibt bezahlbar), weil Restderwelt die Drecksarbeit erledigt im Land.

  • Kurz und knackig: Wir müssen weniger Angebot, weniger Qualität und weniger staatliche Kontrolle hinnehmen.

  • Aktuelle haben wir offizielle 2,6 Millionen Arbeitslose. Eine Million Menschen in Schattenarbeitslosigkeit kann man wohl locker hinzurechnen.

    Kürzlich berichteten Handelsblatt und Spiegel über - laut Berufsbildungsbericht - 2,5 Millionen junger Menschen zwischen 20 und 34 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung.

    Eine Studie des OECD zeigte im Herbst 2022 auf, dass rund jeder zehnte Deutsche zwischen 18 und 24 Jahren weder einer Arbeit nachgeht noch eine Ausbildung absolviert. Das sind knapp 590.000 junge Menschen.

    Woran es laut dem Kofa-Bericht in absoluten Zahlen 2022 besonders mangelte: Fachkräfte mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung (Fachkräftelücke: 355.188).

    Diese Fachkräfte kommen jedoch nicht weil Deutschland uninteressant für sie ist. Keine Wohnungen oder sehr teuer. Dazu die die zweithöchsten Steuern und Abgaben der Welt.

    Gut qualifizierte junge Menschen verlassen Deutschland zu Hunderttausenden. Im Ranking der Industriestaaten für gut qualifizierte Arbeitskräfte kommt Deutschland an 14. Stelle und ist weiter auf dem absteigenden Ast. Und der Zustand der Schulen hier schreckt nur ab. So übrigens auch Lehrer.

    Wo also liegt das wirkliche Problem?

    Vielleicht sollten wir uns das japanische Modell mal genauer anschauen. Es hat seine Härten, doch die große Mehrheit der Japaner steht dahinter.

    Auch sollten wir nicht vergessen, dass mittel- bis langfristig Millionen repetitiver Jobs durch KI und seine Roboterheere verschwinden wird.

    www.handelsblatt.c...luss/29097882.html

    www.spiegel.de/sta...-813a-2d4884d6cd5e

    www.bmbf.de/Shared...ublicationFile&v=3

    www.wiwo.de/erfolg...ngel/28912718.html

    • @shantivanille:

      Das mit dem Hochsteuerland ist eine neoliberale Lüge (bestenfalls eine Viertelwahrheit). Deutschland wird unattraktiv durch fehlende Kita-Plätze, fehlende Homeoffice-Angebote, schlechte Verkehrssituationen, fehlende Grundfinanzierung in Bildung, Lehre, Forschung und Entwicklung sowie mangelndes Risikokapital. Insgesamt eine konservative Gesellschaftspolitik, die Etabliertenvorrechte schützt und nicht einmal klassische Stärken wie genossenschaftliche Kreditinstitute und den Sozialstaat entschieden dagegen setzen mag.







      Ausländische Arbeitskräfte als Ersatz einzuplanen für abwandernde Ärzte und Ingenieure wird aber nicht funktionieren, ohne an den o.g. Punkten etwas zu ändern.

    • @shantivanille:

      Das japanische Modell?

      Sie meinen mehr strukturellen Rassismus, Sexismus und die älteste Bevölkerung der Welt?

      Oder meinen Sie die Pflege von alten Menschen durch Roboter?

      Was soll bitte daran ein "Vorbild" sein?

  • Zumindest wäre es sinnvoll, zunächst einmal Potenziale auszuschöpfen. Dieser Punkt bleibt bei der zum Teil verqueren Diskussion um das Thema meist auf der Strecke. Bis heute hat es die Bundesrepublik nicht geschafft, sinnvolle Konzepte zu entwickeln, um die Möglichkeiten der Einwanderung auch nur halbwegs auszuschöpfen. Migration wird häufig negativ bewertet, statt die Chancen, die daraus erwachsen zu erkennen. Beispiel: eine GEW-Studie von 2021 geht von jährlich etwa 4000 zugewanderten ausgebildeten Lehrkräften aus, von denen lediglich ca.500 eine berufliche Anerkennung erhalten. Gleichzeitig senkt man das Einstiegslevel für Seiteneinsteiger an den Schulen. Wenn eine staatliche Kernaufgabe mit solchen Unzulänglichkeiten gespickt ist - denn hier hat man ja direkten Einfluss auf das Geschehen - wie mag es dann erst in Bereichen der Wirtschaft oder des Gesundheits- und Sozialwesens aussehen? Welche Möglichkeiten verschenken wir dort? Migranten erfahren sehr häufig eine berufsbiografische Abwertung was nicht zuletzt an der Diskussion um legale und illegale Zuwanderung liegt. Wer legt endlich den Finger in die Wunde?

  • Hilfreich wären Löhne, die auch Menschen im Land lebend, eine Zukunft für sich und die Familie garantieren. So ab 3000 Euro wären dann auch die Sizialsysteme gesichert, und man müsste nicht Billiglöhner importieren, die letztlich nur Hass auf "Ausländer" erzeugen. Es ist BESCHÄMEND, Arbeitermangel zu beklagen ohne die Lohndiskussion zu führen. Was bekommen wir denn am Ende? Städte die sich nur noch Ekeljuppies leisten können, und irre viel Verkehr der Wanderarbeiter. Wollen wir CHINA imitieren??

  • Ja gut was heißt flexibel sein? Mit 80 noch arbeiten wie die Japaner, wenn auch nur Teilzeit? Ich nehme eher wahr, dass jeder kürzer arbeiten will, am besten gar nicht mehr oder mit 40 ganz aussteigen, Stichwort Minimalismus und FIRE.



    Das gilt übrigens auch für mich! Flexibel bleiben heißt für mich eben viel selbst zu machen ohne Handwerker, vom Wand verputzen bis Handy reparieren. Aber Teilzeit arbeiten in der Schule, Pflege... mit Mutte 50 umschulen? Da bleibe ich doch lieber im eigenen Job.... da stimmt die Kohle, kenne mich aus. Oder ist gemeint mit 67 umschulen zum Lehrer und mit 68 denen die Welt erklären oder als Pfleger ältere Leute waschen helfen? Sorry, das ist vollkommen unrealistisch: Emotional nervlich (mit Schülern) wie körperlich (als Pfleger).

  • Wir brauchen auch höhere, fairer Löhne und bessere Anreize. Es gibt das idiotische SGB-II-System: Hier versauern selbst qualifizierte Arbeitskräfte, es ist gescheitert, aber die Politik will nicht davon ablassen. Es gibt ausreichend Arbeitskräfte, aber die kommen nicht an die richtige Stelle und oft liegt es daran, dass Arbeitgeber darauf setzen, maximierte Profitraten zu erzielen, in dem sie ausbeuten, unfair arbeiten. Und es gibt einen Exzess im Bereich €520-Jobs, d.h. viele Betriebe stocken sozialversicherungsfrei und kostengünstig einfach damit auf. Das drückt das Lohnniveau und andere Arbeitskräfte kommen nicht in Vollzeit. Und warum sind so viele Frauen fair in Teilzeit in skandinavischen Ländern beschäftigt: Weil da die Steuern höher sind und der Staat die direkt oder indirekt beschäftigt.

    Ich glaube, dass die bittere Wahrheit so ist, dass wir die Migration benötigen, um unsere unfaire Arbeitswelt zu erhalten. Um einen exzessiven Niedriglohnsektor zu behalten. Der kostet aber auch viel an Sozialleistungen und er schafft viele Nachteile, viele Kinder und Jugendliche wachsen in einer relativen Armut auf, kommen aus der Not nicht raus, weil die Eltern ins SGB-II gerutscht sind und dort schwarz ausgleichen müssen, weil dieses System nicht reicht. Der Anreiz dort wird auf Guerilla-Arbeiten gelegt, nicht auf einen echten Aus- und Aufstieg. Viele Staaten in der EU haben viel bessere Systeme, haben nicht so ein extrem unfaires Drittel auf dem Arbeitsmarkt.

    • @Andreas_2020:

      Eine sehr genaue Beschreibung der Situation.



      Es mangelt an der Bereitschaft, Arbeit anders zu organisieren. Und daran, diese Arbeit entsprechend zu entlohnen.

      Was von den Arbeitgebern und der Politik gefordert wird, sind Menschen, die für niedrige Löhne und zu schlechten Bedingungen arbeiten.

      Deshalb haben wir gerade im Dienstleistungssektor, in dem es keine Produktivitätssteigerung gibt, das Verlangen nach Arbeitsmigration, um die Löhne zu drücken.



      Das ist Schaffung und Erhaltung der industriellen Reservearmee.

  • Es ist wie bei vielen politischen Angelegenheiten, ob Energie oder Pflege. Ohne saubere Vorarbeit der Politik werden Bedingungen geschaffen, die die Bürger unten ausbaden müssen.



    Wer unvorbereitete Arbeitskräfte herbeiholt überlässt die Integrationsarbeit skrupellos den Mitarbeitern vor Ort. In der Pflege müssen die hinzugekommenen Arbeitskräfte von sowieso überarbeiteten Mitarbeitern eingearbeitet werden, nur mal so als Beispiel.



    Kein Wunder, wenn die dann AFD wählen, da sie sich sowohl von den „Idealistinnen“ der linken Gruppen wie den "Pragmatikerinnen" der sogenannten etablierten Parteien verarscht fühlen.



    .

  • Die Perspektive sehe ich nicht so negativ. Viele Berufe werden zukünftig durch KI/ Digitalisierung wegfallen. Beispielsweise können mindestens die Hälfte der Mitarbeiter in den Behörden mittelfristig freigestellt werden wenn chat gpt & Co. erst mal vollständig ausgereift sind. Im Übrigen wird sich auch der Bedarf an Journalisten in Zukunft verringern.

    Flexibilität ist eher im Umgang mit den Folgen gefragt. Die gesamten Mittelberufe werden wegfallen. Es wird nur noch hochpreisige und niedrigpreisige Lohnsegmente geben.

  • Die relevante Frage ist nicht, ob das Kapital bei der Auswahl der arbeitenden flexibler werden muss, sondern die Frage danach, welche und wie viep Arbeit wir eigentlich zum gesellschaftlichen Fortbestand brauchen.

    Und da fällt ganz schnell auf, dass wir extrem viele Bullshitjobs haben, auf die kein Mensch Bock hat. Dass wir in einer enorm hochgetakteten Gesellschaft leben, in der alles sofort verfügbar sein muss.

    Wir müssen weg vom Kapitalismus und hin zu weniger Arbeit für alle.

  • Ich glaube, wir sollten älteren Berufswechsler:innen mehr zur Seite stehen.



    In unserer Gesellschaft arbeiten viele Menschen in Jobs mit dem Ziel, irgendein Produkt zu verkaufen und um mehr Umsatz zu generieren. Die Frage, wie wichtig das Produkt ist, wird selten gefragt, eher: Wie gut lässt sich damit Geld verdienen?

    Dies bringt auch ein Gefühl der Sinnfreiheit mit sich. Wie gut wäre es, wenn diesen Menschen angeboten werden könnte, nochmal dort neu anzufangen, wo Fachkräfte, Handwerker:innen benötigt werden?

    Im aktuellen Ausbildungssystem fühlen sich viele ältere Menschen sicher erstmal wie Außerirdische, wenn sie mit 20 Jahre jüngeren Schulkindern zur Berufsschule gehen müssen. Daher wäre es gut, wenn wir ältere Akademiker:innen, die schon einige Berufsjahre hinter sich haben, auf Wunsch gezielt umschulen könnten.

    • @sk_:

      Dann schießen wieder diese dubiosen Umschulungsfirmen aus dem Boden, wo, die ersten Absolventen die Nachfolgenden ausbilden sollen und Fachwissensvermittlung Glückssache ist. Hauptsache war damals, man greift die Gelder vom Staat ab und die Arbeitslosen sind aus der Statistik raus.



      Das muss diesmal dann aber besser laufen ...