piwik no script img

Israels Regierungschef in DeutschlandKritik an Netanjahus Berlin-Besuch

Israels Regierungschef kommt nach Berlin. 1.000 kulturschaffende Israelis fordern eine Absage des Besuchs. Auch aus Deutschland kommt Protest.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Foto: Hannibal Hanschke/dpa

Berlin taz | Es regt sich Protest gegen den geplanten Besuch Benjamin Netanjahus in Berlin. Der israelische Regierungschef, der in seinem Heimatland wegen einer Justizreform und einer Verschärfung des Konflikts mit den Palästinensern in der Kritik steht, will am Mittwoch nach Berlin reisen. Für Donnerstag ist unter anderem ein Besuch des Holocaust-Mahnmals Gleis 17 am Bahnhof Grunewald sowie ein Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz geplant. Später in diesem Monat will Netanjahu auch nach London reisen.

Rund 1.000 israelische Künst­le­r*in­nen und Aka­de­mi­ke­r*in­nen haben nun in einem Schreiben an die Botschafter Deutschlands und Großbritanniens die Absage der Besuche gefordert. Haaretz berichtete am Dienstag, zur Begründung hätten sie geschrieben, Israel befinde sich in der schwersten Krise seiner Geschichte und „auf dem Weg von einer lebendigen Demokratie zu einer theokratischen Diktatur“. Zu den Un­ter­zeich­ne­r*in­nen gehören der Schriftsteller David Grossman und die Bildhauerin Sigalit Landau.

Weiter heißt es: „Angesichts der gefährlichen und zerstörerischen Führung Benjamin Netanjahus und angesichts des Widerstands vieler israelischer Bür­ge­r*in­nen gegen die Gesetzgebung und den von ihm betriebenen Abbau staatlicher Institutionen fordern wir von Deutschland und Großbritannien, den Angeklagten Netanjahu über die sofortige Absage seiner geplanten politischen Besuche bei ihnen in Kenntnis zu setzen.“ Netanjahu steht wegen mehrfachen Korruptionsverdachts vor Gericht.

Auch in Deutschland haben sich am Dienstag etliche jüdische und israelische Intellektuelle in einem Schreiben gegen den Besuch Netanjahus gewandt – ohne allerdings eine Absage zu fordern. In der gemeinsamen Erklärung fordern sie die Bundesregierung auf, „sich klar und öffentlich von der antidemokratischen und rassistischen Politik der Regierung Netanjahus zu distanzieren“.

Die Bundesregierung müsse Stellung beziehen zur Justizreform, die das Ziel verfolge, die demokratische Gewaltenteilung in Israel abzuschaffen. Außerdem müsse sie sich klar aussprechen gegen den von der Netanjahu-Regierung erhobenen Anspruch Israels auf das gesamte Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer. Damit ist unter anderem das palästinensische Westjordanland gemeint. Die Regierung, die Ende Dezember ihre Arbeit aufnahm, hat in ihrem Koalitionsvertrag als erste israelische Regierung einen exklusiven Anspruch auf das gesamte Gebiet festgehalten.

Die Unterzeichnenden der deutschen Erklärung, zu denen Publizist*innen, Kulturschaffende und Intellektuelle wie Micha Brumlik, Eva Menasse und Hanno Loewy gehören, rufen Jü­d*in­nen und jüdische Gemeinschaften in Deutschland zudem dazu auf, Netanjahu während seines Besuchs keine Bühne zu bieten.

Dass sie als Jü­d*in­nen in Deutschland gegen den Besuch von Israels Regierungschef protestieren, begründen sie damit, dass „die jüdische Gemeinschaft in Deutschland – zu der auch Israelis gehören – sich dem Staat Israel Zeit seines Bestehens eng verbunden fühlt.“ Viele hätten berufliche Verbindungen, Familie und Freunde in Israel. „Wir können und wollen nicht tatenlos zuschauen, während Netanjahus Regierung im Eiltempo die Demokratie zerstört und die Gewalt zwischen Israelis und Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen anheizt.“ (mit dpa)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • aber es gibt eine Hoffnung. Bibi unternimmt alles um in die Annalen einzugehen als derjenige, der die Einstaatenlösung unumkehrbar gemacht hat. Das Staatsmodell dafür steht jetzt schon mal bereit. Mal sehen wie viele jüdische Israelis es damit lang aushalten. Die Palästinenser werden vielleicht irgendwann noch mit großem Dank auf ihn zurückblicken.

  • Israels Rechte ist seit Jahren inspiriert von Ungarns Verhältnissen und schweigt zum Russischen Krieg.



    Der Präsident Israels möchte das Gesetz nicht unterzeichnen, die Deutsch-Israelische Gesellschaft bringt mehrere zoom-Krisengespräche über die Lage. Die ist sehr polarisiert zwischen Säkularen und anti-Säkularen.



    Der Nationalismus grassiert überall auf der Welt und auch in Israel glauben die Rechten, sie könnten ihr Ding so durchziehen.

  • deutschland wird sich hüten, netanjahu und den staat israel zu kritisieren. deutschland hofft nach wie vor, dass die deutsche schuld dadurch verschwindet—oder sich zumindest verringert—dass zu allem was israel verbricht, lächelnd geschwiegen wird.

    • @Nafets Etnep:

      "deutschland" hat den Staat Israel auch nicht zu kritisieren oder abzustrafen dafür, was Israel "verbricht". So etwas machen unter demokratischen Staaten die dafür gewählten Politiker. Und diese kritisieren nach diplomatischen Gepflogenheiten auch nicht, sie "drücken ihre tiefe Besorgnis aus". Und da hat sich die deutsche Aussenministerin auch nicht gehütet, sondern es lägst getan:



      www.sueddeutsche.d...li-cohen-1.5759979

      • @Henriette Bimmelbahn:

        Also dürfen wir nie wieder andere Länder kritisieren die sich selbst als demokratisch bezeichnen?

        • @Karim Abidi:

          Welches Land hat der deutsche Bundeskanzler während eines Staatsbesuchs in Deutschland kritisiert? Ich meine, ohne Diplomatensprech, wie "besorgt".

    • @Nafets Etnep:

      Ich glaube nicht, dass deutsche Regierungen auf Kritik an Israel verzichten, weil sie dadurch die Schuld für den NS kompensieren wollen. Denn seien wir ehrlich: Israel ist hier keine Ausnahme; mit Kritik an Verbündeten hält man sich generell zurück; der Verweis auf deutsche Schuld ist in diesem Fall wohl eher eine bequeme Methode, dieses allzu strategische Verhältnis zu Recht und Moral zu verschleiern.

  • Demokratiebewegungen

    Bei den wöchentlichen landesweiten Protesten in Israel gingen jüngst den Organisatoren zufolge wieder eine halbe Millionen Menschen auf die Straße. Man stelle sich vor, in Rußland würde man regelmäßig in den vergleichbaren Proportionen gegen Putin auf die Straße gehen: Das wären dann 7 Millionen. Schon bei einem Tausendstel davon in Moskau jagt ein ZDF-Spezial das nächste. Das Thema Demokratiebewegung in Israel gegen das theokratische Netanyahu-Regime wird dagegen eher mit spitzen Fingern behandelt, als wolle man sich daran dieselben nicht verbrennen.

    Für den morgigen Mittwoch haben die Protestierer angekündigt, den Flughafen zu blockieren, um den Abflug Netanyahus nach Berlin zu verhindern. Auf einer der zahlreichen Demonstrationen erklärte der Oppositionschef Yaïr Lapid, Israel stehe vor seiner „größten Krise seit seiner Gründung“. Für kommenden Donnerstag haben die Organisatoren neue Massendemonstrationen angekündigt. Diese Woche sei „eine der kritischsten im Kampf um die Rettung der israelischen Demokratie gegen jene, die sie zerstören wollen“, erklärten sie in einem Kommuniqué. Jeder Israeli, der die Unabhängigkeitserklärung in seinem Herzen trage, ist aufgerufen, „sich kraftvoll und mutig“ dem Kampf zur Verteidigung des Staates Israel anzuschließen. (Quelle: "Times of Israel", 12. 3. 2023)

    Ist die Demokratiebewegung bislang grosso modo eher links zu verorten, so scheint sie inzwischen bis in rechte Milieus vorzudringen. So hat sich ihr Rabbi Mosheh Lichtenstein angeschlossen, der Direktor des pretigeträchtigen religiösen Seminars Har Etzion in Alon Shvut, einem Zentrum des religiösen Zionismus‘. („Times of Israel“ von heute)

  • "1.000 kulturschaffende Israelis fordern eine Absage des Besuchs" - Bestimmt alles Antisemiten. Ironie Off.

    Die BRD hat sich mit geheuchelter (und ehrlicher) Reue zu einem Freund Israels machen wollen, was begrüßenswert ist. Nur nimmt man Freunde auch mal zur Seite, wenn sie Scheiße bauen, wie die isr. Regierung in der Palästina-Frage. Das hat Deutschland sich mit vorauseilendem Gehorsam nicht getraut, die USA genausowenig. Jetzt haben nicht wir den Salat, sondern die Mütter und Väter exekutierter palästinensischer Jugendlicher.