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Protest gegen Rentenreform in FrankreichMachtprobe von unten

Am 6. Aktionstag gegen die Rentenreform mobilisieren Frankreichs Gewerkschaften mit harten Streiks und Blockaden noch mehr Menschen.

Viele Hunderttausende protestieren in ganz Frankreich, hier Marseille, gegen die Rentenreform Foto: Daniel Cole/ap

Paris taz | Im Unterschied zur Regierung, die scheinbar unbeirrt von der Kritik und unbeeindruckt von den Protesten an ihrer umstrittenen Rentenreform festhält, verfügen die Gewerkschaften, Jugendorganisationen und linken Oppositionsparteien, die diese Vorlage als ungerechte soziale Verschlechterung einhellig ablehnen, noch über Mittel und Kapazitäten für eine Eskalation in diesem Konflikt. Das hat die sechste Auflage der Aktionstage und Generalstreiks an diesem Dienstag bestätigt.

Das Motto lautete dieses Mal, das Land mit härteren Streiks, Blockaden und massiven Demonstrationen „zum Stillstand“ zu bringen. Mit einer solchen Radikalisierung hatten die Gewerkschaften der Regierung zuerst bloß gedroht, da diese aber auf dieses Ultimatum nicht reagierte, haben die vereinten Dachverbände der öffentlichen und privaten Ar­beit­neh­me­r*in­nen nun Ernst gemacht. Sie haben gezeigt, dass sie bereit sind, weiter zu gehen, um die Staatsführung zu zwingen, ihre derzeit im Senat debattierte Vorlage zurückzuziehen.

Effektiv lahmgelegt waren weder die Volkswirtschaft noch die öffentlichen Dienste, trotzdem war das Ultimatum keine leere Drohung: Der öffentliche Verkehr kam ab Montagabend tatsächlich weitgehend zum Erliegen. Sogar die Verbindungen der internationalen TGV-Züge, die sonst auch bei Bahnstreiks aufrechterhalten werden, waren dieses Mal fast ebenso stark betroffen wie der regionale Verkehr.

Oft war schon klar, dass streikendes Bahnpersonal auf lokalen Versammlungen die Fortsetzung der Arbeitsniederlegung für die kommenden Tage beschließen würde. Dasselbe gilt auch für die Transportbetriebe in Paris und mehreren anderen Städten.

Auch Seehäfen und Erdölraffinerien blockiert

Ein sichtbares und für die Verkehrsteilnehmer spürbares Zeichen der Radikalisierung des Konflikts waren zusätzlich die Straßenblockaden: Bereits am frühen Morgen errichteten Geg­ne­r*in­nen der Reform bei Rennes, Perpignan, Straßburg oder auch Amiens Sperren. Anderswo fuhren Lkw-Fahrer im Schneckentempo und provozierten damit Staus.

Auch die meisten Seehäfen und alle Erdölraffinerien waren von Streikenden blockiert. Viele Hochschulen und auch die Zugänge zu zahlreichen Mittelschulen wurden – oft mit Billigung der Leh­re­r*in­nen – von Studierenden und Schü­le­r*in­nen besetzt. Die Jugendorganisationen haben für Donnerstag weitere Kundgebungen angekündigt. Auch der 8. März soll als Tag der Frauenrechte in Frankreich dem Widerstand gegen eine besonders frauenfeindliche Reform dienen.

Über die Zahl der Teil­neh­me­r*in­nen an den Demonstrationen in mehr als 300 Städten variieren die Schätzungen wie immer. In Marseille beispielsweise waren es laut Gewerkschaften eine Viertelmillion und jedenfalls viel mehr als am 31. Januar, in Paris laut CGT 700.000, in Bordeaux 100.000 oder in Nantes 75.000, die Polizei dagegen zählte sehr viel weniger.

In Lyon kam es nach Sachbeschädigungen zu heftigen Zusammenstößen mit der Polizei, die schließlich zum Rückzug blasen musste. In Paris demonstrierten laut den Behörden mehrere zehntausend Menschen, laut den Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen mehrere hunderttausend.

Bereits am frühen Nachmittag zeichnete sich ab, dass dieser Aktionstag die bisher größte Mobilisierung im Kampf gegen die von Präsident Emmanuel Macron gewünschte Rentenreform war. Der Vorsitzende der CGT, Philippe Martinez, erklärte schon zu Beginn der Pariser Kundgebung den Medien, er erwarte, dass die Staatsführung mit den Gewerkschaften Verhandlungen über eine Lösung des Konflikts durch einen Rückzug der Reform aufnehme: „Macron hat nun die Entscheidung in der Hand. Wie kann er die Welt der Arbeit, die so geschlossen gegen ihn ist, ignorieren?“ Die Gewerkschaften haben dem Präsidenten in diesem Sinne einen gemeinsamen Brief geschickt, in dem sie verlangen, von ihm empfangen zu werden.

Laurent Berger, der Gewerkschaftsboss der CFDT, warnte ebenfalls die Regierung vor einer Wut der Arbeitnehmer*innen, die mehr denn je „stark und intakt“ sei und aufgrund der sozialen Unzufriedenheit wegen der Inflation leicht ausufern könnte. Wie für die Regierung geht es auf der Gegenseite für die Gewerkschaften inzwischen um viel mehr als eine strittige Reformvorlage: um ihre politische Glaubwürdigkeit und Legitimität der Repräsentation.

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11 Kommentare

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  • Und in den Deutschland wären die Streiks ein Gesetzesbruch und damit kriminell.....



    Gewerkschaften würden in öffentliche/staatliche Kontrolle überführt.........

    • @KielerSprotte:

      Das war auch mein Gedanke beim Lesen des Artikels.



      Man konnte es bereits an den Reaktionen auf die Allianz von FFF und Verdi beim Klimastreik vergangene Woche ablesen. Da wurde bereits mit Hinweis auf das Verbot politischer Streiks in Deutschland versucht, diese Allianz zu delegitimieren.

  • Soweit ich weiß, richten sich die Demos nicht nur gegen die Rentenreform. Mehr noch: Die Lebensarbeitszeit soll verkürzt und die Rente erhöht werden.



    Meines Erachtens kann diese Forderung an die Politik nur der zweite Schritt sein. Denn vorher sollte erstmal ein kreativer Mathematiker gefunden werden, dem es gelingt, die Gültigkeit der Formel: „Kürzere Lebensarbeitszeit ergibt höhere Rente“ zu beweisen!

  • Wahnsinn - gegen jede Vernunft soll ein völlig unbezahlbares System am Leben erhalten werden.

    Erinner ein wenig an Deutschland. Zwar halten die meisten Deutschen die Vorstellungen der Franzosen für völlig absurd aber auch hier ist die Rente mit 67 unter keinen Umständen mehr finanzierbar. Deutschland ist viel viel überalterter als Frankreich, bis 70 muss man dann das hilft nicht.

  • @NANSEN

    Auch ich beneide Frankreich um einiges. Aber nicht um Macron. Nicht um Rassemblement National. Nicht um Bolloré-

    • @tomás zerolo:

      Wir hatten einen Macron in persona Schröder ja schon.



      RN ist unsere AfD und die restlichen vergleichbaren Schamschnitten fänd ich auch noch.



      Aber die Franzosen wehren sich gegen einen Macron. Wir schreien nur, wenn Sprit/Gas zu teuer sind oder wenn ein paar Leute mit dunkleren Teint hier an der Grenze stehen und nicht einfach im Mittelmeer ersoffen sind, wie anständige Migranten das tun.

  • Vorweg geht’s ja um längere Arbeitszeit bis 64 Jahre (jetzt 62 Jahre) in dem Alter in dem man in Rente gehen kann. In Deutschland 67 Jahre.



    Ich sag’s jetzt mal ganz populistisch, die Franzosen sollen sich nicht so anstellen. Wenn man vor 64 Jahren in Rente will gibt’s halt Abschläge. Alles gut.

    • @Der Cleo Patra:

      Stimme Ihnen zu, dass ist das Problem, Abschläge zu respektieren. "Da die französische Regierung weder die Beiträge noch die Steuern erhöhen will, sollen die Franzosen dafür länger arbeiten." Und das ist der zentrale Streitpunkt der Reform.

  • Ich beneide Frankreich um diesen Widerstandswillen.

    • @Nansen:

      Ich schließe mich an.

      In Deutschland wäre so ein Szenario völlig undenkbar.

      Der deutsche Michel zetert eher über die faulen Franzosen, als sich mal im Klassenkampf zu üben.

    • @Nansen:

      ...auf jeden Fall - aber etwas grob sind die Franzosen schon unterwegs . ..so einige Autos haben arg leiden müssen...