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Die Baustelle des Total-Ölfelds im ugandischen Murchison-Falls Nationalpark Foto: Robin Letellier/Sipa Press/action press

Finanzmarktregulierung in der EUDas Risiko-Geschäft

Kredite für Fossilenergie-Projekte sind eine Gefahr für die Welt. Der Bankenlobby gelang es, überfällige Regulierungen der EU abzuwehren.

V on Ugandas Ölfeldern an den Großen Seen zum tansanischen Hafen Tanga am indischen Ozean soll die East African Crude Oil Pipeline (EACOP) führen. Die Ölfelder liegen teils im ugandischen Murchison-Falls-Nationalpark, nicht weit von dort, wo eine der größten Schimpansen-Gruppen weltweit lebt. Und große Teile der 1.445 Kilometer langen Pipeline führen durch oder vorbei an Natur- und Landschaftsschutzgebieten.

Im Januar wurden am Albertsee die ersten Bäume gerodet. Ugandas Präsident Yoweri Museveni gab nach über zehn Jahren Verhandlungszeit den Startschuss für den Bau durch ein australisch-chinesisches Konsortium. Ab 2025 soll dann Öl fließen, 246.000 Barrel pro Tag, aufgeheizt auf 70 Grad, sonst wäre es zu zäh. Alles in allem werden dadurch bis 2050 rund 380 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente in die Atmosphäre gelangen, schätzt das Climate Accountability Institute. Rund 5 Milliarden Dollar soll der Bau kosten. 2 Milliarden bringen die Regierungen von Uganda, Tansania, der französische Energiekonzern Total und die China National Offshore Oil Corporation selber auf. Den Rest sollen externe Kreditgeber beisteuern.

Die EACOP ist nur eines von hunderten Projekten, mit denen Energiekonzerne die noch verbleibenden globalen Fossilvorkommen ausbeuten wollen. Sagenhafte 857 Milliarden Dollar wollen sie dafür allein bis 2030 ausgeben, so eine Studie der NGOs Global Witness und Oil Change International. Die Summe kommt zu den 4,6 Billionen Dollar hinzu, die internationale Banken nach Zahlen der Banking-on-Climate-Chaos-Studie zwischen dem Abschluss des Pariser Abkommens 2015 und 2021 schon an Krediten für fossile Projekte bereitgestellt haben. Kaum etwas trägt so viel dazu bei, die Ziele des Pariser Abkommens zu verfehlen, wie die Allianz aus Finanz- und fossiler Energiewirtschaft.

„Ermöglicher des Klimawandels“

„Die Banken sind die Ermöglicher des Klimawandels“, sagt Thierry Philipponat. Er war einst Manager bei der Eunext-Börse in Brüssel und der Londoner Future-Börse LIFFE. Heute ist er der Chefökonom der NGO Finance Watch in Brüssel. Dass sich ein womöglich einmaliges Zeitfenster öffnen würde, um das klimazerstörende Fossilbusiness einzudämmen, wurde Philipponat am 29. Januar 2020 klar.

Serie Klima-Sabotage

Wir wissen alles Nötige über die Klimakrise. Was fehlt, sind echte Konsequenzen – Entscheidungen, die wirklich etwas Verändern. Doch es gibt Saboteure und Blockierer, die dem Wandel im Weg stehen: Menschen und Organisationen, die ohne Gewissen die Interessen klimaschädlicher Industrien vertreten oder am ‚Weiter so‘ schmutziges Geld verdienen.

Wer sabotiert notwendige Entscheidungen? Wer blockiert, was wichtig ist – und warum? Wer führt uns wirklich in die Krise? In dieser neuen Serie suchen und finden wir die Klima-Saboteure.

An jenem Tag veröffentlichte die EU-Kommission ihr „Arbeitsprogramm“ für das angebrochene Jahr. Im Anhang, unter Punkt 21, findet sich darin ein unscheinbarer Eintrag: „Überprüfung der Rechtsvorschriften über Eigenkapitalanforderungen“ steht dort. Es geht, kurz gesagt, darum, die Lehren aus der Finanzkrise von 2008 in aktuelle Regeln für Banken zu gießen – unter anderem mit Blick auf die Folgen des Klimawandels. Das Schlagwort lautet „Basel III“ – ein internationales Regelwerk, um Bankenpleiten zu verhüten, das die EU in eigenes Recht umsetzen muss.

Nur Fachleute erkannten, welche politischen Möglichkeiten das dröge Reformvorhaben bot. Wie Philipponat. „In Anbetracht der kurzen Zeit, die zur Verfügung steht, ist spätes Handeln leider gleichbedeutend mit Nichtstun.“ Und so handelt Philipponat schnell. Vier Monate bevor die Kommission ihren Gesetzentwurf präsentiert, bringt er ein Papier heraus. Der Name: „Breaking the Climate-Finance-Doom-Loop“.

Sinngemäß soll das so viel heißen wie: „Den Teufelskreis zwischen Klimawandel und Finanzierung stoppen“. Die Annahme: Wenn Banken weiter Geld für klimaschädliche neue Fossilprojekte verleihen, gefährden sie dabei nicht nur das Klima – sondern auch sich selbst. Denn erstens drohen die Fossilprojekte durch die grüne Transformation ökonomisch zu scheitern, die vergebenen Kredite deshalb auszufallen. Zweitens gefährden die durch die Nutzung fossiler Energiequellen angeheizten Extremwetterereignise die Wirtschaft insgesamt. Und drittens drohen den Banken zunehmend Haftungsklagen.

Proteste gegen die East African Crude Oil Pipeline in Paris, März 2022 Foto: Zuma Press/action press

Philipponats Vorschlag lautete: Die sogenannte Risikogewichtung für neue Fossilprojekte soll all das berücksichtigen – und deshalb drastisch angehoben werden. Vereinfacht gesagt: Wer Geld für neue Öl- und Gasfelder verleiht, soll künftig pauschal die gleiche Summe an Eigenkapital vorhalten müssen. Das soll die Bank bei Zahlungsausfall schützen. Bislang sind es teils nur 1,6 Prozent.

Der Energiekonzern Total, der Hauptbetreiber der East African Crude Oil Pipeline, etwa wird von der Ratingagentur Fitch in der zweithöchsten Kategorie AA- und damit auch von der Finanzaufsicht als „sichere Anlage“ eingestuft. Unter der heute geltenden Regelung müsste eine europäische Bank, die Total die 3 Milliarden für die Pipeline leiht, deshalb gerade einmal 48 Millionen Euro an Eigenkapital dafür vorhalten. Philipponats Vorschlag folgend müssten es bei neuen Projekten wie der Ostafrika-Pipeline künftig 3 Milliarden sein. Die Kreditvergabe würde so höchstwahrscheinlich unrentabel werden.

Viele Bemühungen um eine effektive Emissionsbegrenzung, vor allem durch einen höheren CO2-Preis, waren politisch bisher nicht durchsetzbar. Philipponats Vorschlag ist eine Chance, die Weiternutzung fossiler Energien trotzdem effektiv einzudämmen. „Ich war sehr enttäuscht, dass die Kommission sich in ihrem Entwurf nicht mit dem wohl größten Risiko für Finanzinstitute befasst hat“, sagt er – eine verpasste Gelegenheit. „Unsere Empfehlungen sind weit weniger radikal und viel billiger als die Maßnahmen, die als Reaktion auf die Covid-19-Krise ergriffen wurden. Aber sie zielen auf eine weitaus größere Bedrohung ab.“

Harte Maßnahmen waren nicht vorgesehen

Das leuchtete auch Parlamentariern ein. Nachdem Philipponat sein Papier an EU-Institutionen und Fachpolitiker verschickt hatte, brachten immerhin fünf MEPs auf seinen Vorschlägen fußende Änderungsanträge ein. Für die Grünen war das der Finne Ville Niinistö, für die Liberalen die Franzosen Pascal Canfin und Gilles Boyer und für die Sozialdemokraten Aurore Lalucq aus Frankreich und Paul Tang aus den Niederlanden. „Der Kommissionsvorschlag war schwach in Bezug auf den Klimaschutz“, sagt Tang. Denn im Gesetzentwurf der Kommission ist zwar ausführlich von der grünen Transformation die Rede. Harte Maßnahmen gegen das „Klimarisiko“ hatten von der Leyens Beamte aber nicht vorgesehen. Stattdessen sollte die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA bis 2027 Vorschläge machen, wie das Klimarisiko für die Banken berechnet werden soll.

Die Verhandlungen im Ausschuss sind schwierig. „Die beiden Liberalen hatten ihre eigene Fraktion nicht hinter sich, die Konservativen und die extreme Rechte waren gegen die Klimarisiko-Aufschläge“, sagt Tang. Am 24. Januar 2023 lehnt der Ausschuss alle Änderungsanträge zu den Klima-Aufschlägen ab. Philipponats Vorschlag ist damit vom Tisch. „Er hatte im Ausschuss keine Chance“, sagt Tang. Der Entwurf geht nun in die sogenannte Trilog-Beratung von Rat, Parlament und Kommission. Dass dabei noch ein fester Klimarisiko-Zuschlag eingebaut wird, glaubt Tang nicht. „Da wird jetzt nichts mehr kommen.“

Die Chance, auf diese Weise zumindest europäische Kredite für klimazerstörende Energieprojekte in aller Welt zu erschweren, ist perdu. „Sehr enttäuschend“ sei das Votum des Ausschusses, sagt Thierry Phi­lip­ponat. „Der Bankensektor tut alles, was er kann, um sich gegen eine Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen zu wehren.“

Die NGO Finanzwende hat untersucht, wie. „Der sogenannte Basel-III-Kompromiss ist das Ergebnis einer jahrelangen, intensiven Lobbykampagne von Banken und ihren Verbänden“, heißt es in einer Stellungnahme der NGO Finanzwende. „Banken und ihre Interessenvertreter gingen bei EU-Parlamentariern und der EU-Kommission ein und aus.“ So hätten sie zentrale Kapitalregeln für Banken verwässern können. „Gut für die Profite der Banken, schlecht für ihre Krisenfestigkeit.“

Zwischen November 2021 und dem Tag der Abstimmung, am 24. Januar 2022, gab es nach Transparenzangaben des EU-Parlaments 190 Treffen der Abgeordneten mit „Interessenvertretern“. Vier dieser Treffen waren mit NGOs: Der deutsche Grüne Rasmus Andresen traf sich einmal mit Fridays for Future, zwei Abgeordnete trafen sich insgesamt dreimal mit Finance Watch. Die übrigen 186 Treffen waren mit Vertretern von Banken, Bankenverbänden und Vermögensverwaltern, vereinzelt auch von Kammern und öffentlichen Körperschaften.

368 Lobbytreffen

Bei den Lobbytreffen mit der EU-Kommission, die den ursprünglichen Entwurf formuliert hatte, sieht es fast genauso aus. Nach Zählung von Finanzwende gab es zum Thema Basel III seit Amtsantritt von Ursula von der Leyen 178 Treffen mit Interessenvertretern – davon ganze zwei mit Vertretern der Zivilgesellschaft, also NGOs. 176-mal hingegen sprachen von der Leyens Kabinett, EU-Kommissare und Generaldirektoren in Sachen Bankenregulierung mit der Finanzindustrie.

Die Treffen an sich sind völlig legal und politisch legitim. Das Missverhältnis, welche Stake­holder, wie es so schön heißt, sich aber in welchem Maß Gehör zu verschaffen vermögen und welche nicht, ist eklatant – und schlägt sich zweifellos in den Beschlüssen nieder.

Vor allem zwei Abgeordnete hatten sich nach taz-Informationen gegen die Klima-Aufschläge starkgemacht: der Ausgburger CSUler Markus Ferber und der österreichische ÖVP-Abgeordnete Othmar Karas.

„Kapital ist der Lebenssaft der europäischen Wirtschaft. Wir müssen sehr genau aufpassen, dass die neuen Eigenkapitalvorschriften für Banken den europäischen Unternehmen nicht die Kreditversorgung abdrehen“, hatte Ferber, ein ehemaliger Siemens-Ingenieur und Vorsitzender der Hans-Seidel-Stiftung, während der Beratungen auf seiner Webseite geschrieben. „Das Bankenaufsichtsrecht ist nicht der richtige Ort für Klimaschutzdebatten.“ Es ist exakt das Argument, das auch die Banken selbst immer wieder vortragen werden.

Schon die zahnlosen Vorschläge der EU-Kommission für eine stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten hatte Ferber vehement abgelehnt: „Die Bankenaufsicht muss sich allein am Risiko orientieren, andernfalls droht sich eine Finanzkrise wie im Jahr 2008 zu wiederholen – nur diesmal mit grünem Vorzeichen. Der Weg in die nächste Krise ist gepflastert mit guten Vorsätzen“, sagte Ferber 2021.

„Let's talk Finance“

Ein Interview lehnt er ab – und verweist an den für das Thema zuständigen Berichterstatter Karas. Auch der will sich nicht öffentlich äußern. Sein Mitarbeiter verweist darauf, dass die EU-Bankenaufsicht nun bis 2025 Vorschläge für die Behandlung der Klimarisiken machen soll.

Karas hat 14 Jahre in der Bank- und Versicherungswirtschaft gearbeitet, bevor er Vollzeitpolitiker wurde. Heute ist er Vorsitzender des European Parliamentary Financial Services Forum, einer Arbeitsgruppe aus EU-Parlamentariern und Vertretern der EU-Finanzwirtschaft. „Let’s talk Finance“ ist das Motto. Auch Markus Ferber ist hier im Vorstand. „Chair“ der Gruppe ist der Niederländer Wim Mijs, der Manager des Europäischen Bankenverbandes EBF. Und der hat eine tragende Rolle dabei gespielt, die schärferen neuen Bankenregeln zu verhindern.

Gewiss ging es bei den Lobbytreffen auch um andere Aspekte der Regulierung als nur um die Klima-Aufschläge. Doch die zu kippen war den Banken wichtig. Mindestens vier Positionspapiere zur Eigenkapitalrichtlinie brachte der Bankenverband EBF heraus. Unter anderem heißt es darin: „Auch wenn die Banken die EU-Ziele unterstützen und von ihnen erwartet wird, dass sie ihre Strategien daran ausrichten, müssen Geschäftsmodell und Geschäftsstrategie in der Verantwortung der Leitungsgremien der Banken bleiben.“ Soll heißen: An Gas- und Ölverfeuerung weiter mitzuverdienen, ist unser Recht. Weiter schreibt der EBF: Jegliche Kapitalzuschläge, die die EU allein beschließt, würden „die Wettbewerbsfähigkeit sowohl der EU-Industrie als auch des Finanzsektors gegenüber den Volkswirtschaften außerhalb der EU untergraben“.

Beim EBF leitet Gonzalo Gasós die Abteilung für Bankenaufsicht. Gasós nannte strengere Eigenkapitalanforderungen für Banken durch die EU schon 2016 einen „Schuss in den eigenen Fuß“. In öffentlichen Auftritten wandte er sich mehrfach gegen die Risiko-Aufschläge beim Eigenkapital, unter anderem bei einem Podium der Florence School of Finance and Business im Juni 2022. Höhere Eigenkapitalanforderungen für bestehende Fossilkredite würden die Banken zu höheren Rücklagen zwingen. Die Folge sei fehlendes Geld zur „Finanzierung des Übergangs europäischer Unternehmen zu kohlenstoffarmen Produktionsmethoden“, behauptete Gasós dort. Der Übergang würde schließlich rund 500 Milliarden Euro kosten. „Wir brauchen also alle unsere Mittel, um dieses ehrgeizige Projekt zu finanzieren.“

Fossile Kredite „sehr stark mit Risiken behaftet“

Gleichzeitig hält der EBF aber daran fest, dass die Banken weiter günstig Geld für Fossilprojekte verleihen dürfen sollen. Von „Lobby-Mythen“ sprach Finance Watch nach der Veranstaltung. „Viele Argumente sind technisch unsinnig, werden aber so oft wiederholt, dass sie geglaubt werden und als Argumente des öffentlichen Interesses erscheinen“, sagt Thierry Philliponat dazu.

Eine Interviewanfrage lehnt auch Gasós ab. Über eine Sprecherin lässt er ausrichten, dass es nicht Ziel der Bankenaufsicht sei, „eine Klimapolitik festzulegen, und auch nicht der Wunsch, bestimmte Unternehmen unrentabel zu machen“, eine Rolle spielen dürfe. Zudem sei ein erhöhter Risikoaufschlag innerhalb der EU unwirksam, weil dann Banken von außerhalb der EU das Geschäft machen.

Laura Mervelskemper ist bei der GLS Bank in Bochum für „Wirkungstransparenz & Nachhaltigkeit“ zuständig. „Fossile Energien sind sehr stark mit Risiken behaftet, die aktuell wenig eingepreist werden“, sagt sie. Müssten die Risiken angemessen eingepreist werden, würde sich „vieles nicht mehr lohnen.“ Das Risikomanagement auszuweiten sei deshalb richtig. Dass dies nicht geschehe, „könne an einem Lobbying liegen.“ Mervelskemper sagt, dass Beratungen und Lobbyismus natürlich stattfinden dürfen. „Aber die Meinungen, die eingeholt werden, sollten möglichst objektiv, faktenbasiert und auf jeden Fall divers sein und nicht nur die Meinung weniger.“

Viele Positionen der konventionellen Banken deckten sich nicht mit jenen der Wissenschaft zu ökologischen Fragen – sonst gäbe es einen „ganz anderen Blick auf die Risiken, die wissenschaftlich bereits großflächig erfasst wurden und erwartbar sind“, sagt Mervelskemper. Dann würde viel stärker dafür gesorgt werden, dass „diese Risiken auch integriert werden – dazu sprechen wir auch mit anderen Finanzinstitutionen und der Politik.“ Doch noch werde „viel zu viel außerhalb transparenter und geregelter Formate abgesprochen, was nicht dem gesellschaftlichen Zweck dient“. Allzu oft gehe es dabei um finanzielle Interessen zu Lasten von Umwelt und Gesellschaft. „Das darf nicht passieren.“

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