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Wohnungsknappheit in Europas GroßstädtenBeten und den Friseur fragen

Tausende von Mails schreiben, im Gemüseladen fragen, den Namen eindeutschen: Die Verzweiflung von Wohnungssuchenden ist groß, nicht nur in Berlin.

Hausfassade in Berlin: Wohnunsgnot ist in allen Europäischen Großstädten inzwischen Realität

S echs Monate, 147 Anfragen für Wohnungsbesichtigungen, vier Besichtigungstermine. Mietverträge: Null. Das ist unsere Erfolgsbilanz bei der Suche nach einer größeren Wohnung in Berlin. Im Moment haben wir 45 Quadratmeter und 2 Zimmer.

Freunde sagen, man brauche mehr Geduld. Man soll ein paar Jahre lang suchen, Tausende von Nachrichten schreiben und im unerwartetsten Moment wird es eine Wohnung geben, sagen sie. Man nimmt sie, denn sie ist zwar zu teuer, zu weit weg, in einem zu hässlichen Haus, aber drei beengte Zimmer statt zwei sind eine räumliche Revolution.

Anstelle von „beten und arbeiten“ müssen wir in Berlin also beten und E-Mails schreiben, Freunde fragen, die Verwaltung anrufen. Man sagt, Menschen täten auch andere Dinge. Zum Beispiel sechs Monatsmieten im Voraus zahlen. Oder bestechen.

Als wir Kinder waren, gab es im kommunistischen Polen einen Kultfilm. Er hieß „Miś“ (Bärchen). Darin gibt es eine Szene über einen Schwarzmarkt, auf dem Fleisch verkauft wird, das man nicht in einem normalen Geschäft bekommen konnte. Die Verkäuferin wirft einen hartnäckigen Kunden hinaus, indem sie ihn anschreit: „Was denken Sie denn, hier ist ein Zeitungskiosk, ich habe Fleisch hier!“.

Arzt oder Anwältin sollte man sein

Unsere Generation wollte diesem System entfliehen. Nun haben wir das Gefühl, in Berlin hat es uns wieder. Es ist unmöglich, auf dem freien Markt eine Wohnung zu finden, es sei denn, man kann 3.000 Euro im Monat zahlen. Helfen soll angeblich ein Gespräch mit dem örtlichen Friseur. Auch an der Tür eines Gemüseladens in meiner Straße wurde kürzlich eine Wohnung inseriert. Freunde raten weiter: Eine Person mit einem deutsch klingenden Namen wird eher eine positive Antwort kriegen. Kein Kowalski oder Abdul – solche Namen haben keine Chance. Am besten ist es, Arzt oder Anwältin zu sein. Ist ein Philosoph etwa nicht in der Lage, die Miete pünktlich zu bezahlen?

In unserer Heimatstadt Warschau begann dieser Wahnsinn vor über einem Jahrzehnt. Die Preise stiegen von Tag zu Tag, und die schlechteste Wohnung mit Blick auf die Mülldeponie fand innerhalb von 15 Minuten einen Käufer. Heute kann man in Warschau keine Zweizimmerwohnung für weniger als 1.000 Euro mieten. Der Wohnungsmarkt wird eines der wichtigsten Themen des bevorstehenden Wahlkampfes sein.

In Warschau begann der Mieten-Wahnsinn schon vor einem Jahrzehnt

Die Blockade des Wohnungsmarktes ist ein gesamteuropäisches Problem. Als Gastwissenschaftler in Kopenhagen und Oxford hatten wir ähnliche Probleme. Die Universität Amsterdam teilte den neuen Studenten kürzlich mit, wer vor Studienbeginn noch keine Wohnung hätte, solle besser zu Hause bleiben. In Lissabon ist es nicht mehr möglich, eine Wohnung zu mieten oder zu kaufen, weil es für zu viele Menschen attraktiv wurde, sich dort in sicherer Entfernung vom aggressiven Russland niederzulassen.

Ein Grund für die Katastrophe auf dem europäischen Wohnungsmarkt ist, dass unsere Regierungen nicht weit genug gehen, um den Einwohnern und Neuankömmlingen zu helfen, obwohl wachsende Metropolen und Flüchtlingskrisen zur Normalität geworden sind. Es werden nicht genug neue Stadthäuser gebaut, in denen Menschen eine Wohnung mieten können, ohne 70 Prozent ihres Einkommens dafür auszugeben. In Berlin wurde die Bebauung eines kleinen Stücks des ehemaligen Flughafens Tempelhof aufgegeben, das den Komfort der Spaziergänger nicht gemindert, aber die Berliner, die mehr Wohnraum brauchen, entlastet hätte. Wir müssen uns also auf das verlassen, was ist: unklare Kriterien, mangelndes Vertrauen in den Staat und ineinander.

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16 Kommentare

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  • "Was legal ist, ändert sich aber nicht von alleine."

    Warten Sie's ab. Wir arbeiten daran, dass Sie unsere Lungen nicht mehr mit Ihrem Feinstaub beschädigen dürfen.

  • @BUDZYLEIN

    Zum Glück ändert sich das, was "legal" ist. Vor nicht so langer Zeit war es auch legal,halb besoffen zu fahren. Oder ohne Sicherheitsgurt. Oder mit bleihaltigen Zusätzen im Tank. Als (und wo) ich klein war, haben die Leute auch mal Reifen im Hinterhof abgefackelt.

    Und lass' uns nicht von noch früher reden.

    Ach... früher, ja früher war alles besser.

    Zurück zum Thema: hier und heute gehören Autos nicht in die Stadt. Mit den vernünftigen Ausnahmen.

    • @tomás zerolo:

      Was legal ist, ändert sich aber nicht von alleine. Dazu bedarf es politischer Entscheidungen. Das Autofahren grundsätzlich zu verbieten, ist eine andere Sache als Modifikationen wie die Senkung von Promillegrenzen, die Abschaffung von verbleitem Benzin oder die Gurtpflicht. Und es gibt zurzeit m. W. keine Partei, die das Autofahren verbieten will. Nicht einmal die Klimaliste, die in Berlin nur 0,3% bekommen hat, fordert das.

  • Es würde helfen, bei der Wohnungssuche auch mal den Horizont über den Stadtrand von Metropolen wie Berlin hinaus zu erweitern.



    Nach Medienmeldungen (heute früh z.B. im DLF) stehen in Deutschland rund 1,3 Millionen Wohnungen leer. Sicher nicht in Berlin, München, Köln, Hamburg ... aber auch in anderen lebenswerten Städten und Gemeinden.

    • @Trabantus:

      Ich stimme Ihnen zu, nur leider arbeitet die Klimapolitik, so wichtig und richtig sie auch sein möge, teilweise gegen das Leben in der "Peripherie" an. In einer Kleinstadt brauchen sie in den allermeisten Fällen ein Auto: die Kitas sind rar, die Einkaufsmöglichkeiten ebenso. Ebenfalls ist die Bausubstanz oftmals älter (Stichwort Energieverbrauch, Heizen) und die Jobs sind auch nicht so zahlreich in der Nähe vorhanden.

    • @Trabantus:

      Man muss eben seine Prioritäten setzen und bereit sein Opfer zu bringen.



      Ich habe meine 3-Zi-Wohnung in HH gerne gegen ein Haus mit Deichblick getauscht.

    • @Trabantus:

      Typischerweise sucht man sich erst den Job und dann dazu die Wohnung.

      • @rero:

        Die Autoren des Artikels scheinen europaweit recht mobil zu sein. "Gastwissenschaftler in Kopenhagen und Oxford" klingt nun auch nicht danach, als müsse man jeden Tag in Berlin am Fließband malochen. Dann darf der Wohnort auch gerne etwas weiter vom Zentrum entfernt sein.

        Klar ist es toll, zentral zu wohnen und das ganze Leben fußläufig erreichen zu können, aber dann sind auch die Kosten entsprechend hoch. in einer Klein- oder Mittelstadt vielleicht noch vertretbar, in Berlin wird's natürlich schwer.

      • @rero:

        Üblicherweise gibt es auch auf dem Lande Jobs. Und wer diese Hürde nicht nehmen muss, aus welchen Gründen auch immer, hat es noch leichter. Aber auch die wollen favorisiert in Metropolen leben. Weshalb ?

  • Wer kann da noch gegen Verstaatlichung sein? Und wer zuviel Wohnraum belegt, soll dafür eine extra Abgabe zahlen. Zweitwohnungen, Spekulation und Leerstand braucht kein Mensch, machen wir endlich Schluss damit.



    Kampf den Palästen, Frieden den Hütten.

    • @V M:

      Offenbar haben Sie es imArtikel überlesen:

      "Ein Grund für die Katastrophe auf dem europäischen Wohnungsmarkt ist, dass unsere Regierungen nicht weit genug gehen, um den Einwohnern und Neuankömmlingen zu helfen, obwohl wachsende Metropolen und Flüchtlingskrisen zur Normalität geworden sind. "

      "Wer kann da noch für Verstattlichung sein?" müsste man konsequenterweise fragen.

      Das Geld, das die "Verstaatlichung" kostet, müsste für Wohnungsbau ausgegeben werden.

    • @V M:

      Eben. 15qm pro Kopf reichen vollkommen aus. Kampf den Wohnungen, Frieden den staatlich zugeteilten WG-Zimmern für Jung und Alt.

  • Berlin, Warschau, Kopenhagen, Oxford, Amsterdam, Lissabon. Da bleibt ja auch nicht mehr viel Europa übrig. Wirklich ein gesamteuropäisches Problem.

  • Willkommen in den hohldrehenden Kapitalismus.

    Oh, was übrigens in den Städten in kurzer Zeit viel Raum freimachen könnte wäre, die Autos einfach rauszuwerfen. Das würde auch die Lebensqualität enorm erhöhen.

    Warum lassen wir uns das gefallen?

    • @tomás zerolo:

      Hätten Sie mal im Sozialismus gelebt, wüssten Sie, dass das kein spezielles Problem des Kapitalismus ist.

    • @tomás zerolo:

      Und dann wohnen die Leute, die keine Wohnung finden, alle auf den freigewordenen Parkplätzen, oder wie?

      Na ja, die Autos kann man sowieso nicht einfach so "rauswerfen", unabhängig von der Frage, ob dies die Lebensqualität erhöhen würde oder nicht (für die einen: ja, für die anderen: nein; da gibt es kein "Wir"). Autofahren ist legal in der BRD, und es gibt hier keine Partei mit realistischen Chancen auf Einzug in ein Parlament, die das Autofahren verbieten will.