Mietergenossenschafter über Berlin: „Es waren skurrile Gespräche“

Pit Weber ist Vorstand der Genossenschaft SelbstBau. Ein Gespräch über den Prenzlauer Berg, Gentrifizierung in Brandenburg und Berliner Windräder.

Porträt eines Menschen, der zwischen Schornsteinen auf einem Dach steht

Der mit den Bilanzen: SelbstBau-Geschäftsführer Peter Weber Foto: Amélie Losier

wochentaz: Pit, wir kennen uns aus der Zeit der Wende, als in Ostberlin viele Häuser besetzt wurden. Deshalb duzen wir uns auch. Wichtig war damals, möglichst laut zu sein. Du dagegen hattest wahrscheinlich schon immer im Stillen kalkuliert, was diese oder jene Sanierung kosten könnte?

Peter „Pit“ Weber: Ich habe damals Volkswirtschaft studiert, erst noch an der Hochschule für Ökonomie in der DDR, dann an der Freien Universität in Westberlin. Tatsächlich war ich bei den Hausprojekten einer der wenigen, die wussten, was eine Bilanz ist. Aber Häuser zu besetzen hatte ich mich nicht getraut. Ich hab eher überlegt, wie wir sie mit wenig Geld mit den Bewohnerinnen und Bewohnern kaufen können.

Du bist in Berlin-Weißensee geboren, aber im beschaulichen Rosenthal aufgewachsen.

Da gab es Maisfelder und Einfamilienhäuser. Im Westen konnte ich das Märkische Viertel sehen und hörte die Polizeisirenen. Ich dachte immer, die armen Menschen im Westen, die müssen in diesen Betonburgen leben. Verrückt, aber ich war ja nie in Marzahn oder Hellersdorf.

Und dann kamst du in den Prenzlauer Berg.

Das war das ganze Gegenteil von Rosenthal. Bunt, lebendig, Kultur, Partys. Ich konnte es kaum glauben, als ich später hörte, dass vor der Wende geplant war, in der Ryke- und in der Oderberger Straße Altbauhäuser abzureißen und durch Plattenbauten zu ersetzen.

Dagegen hatte sich schon 1987 heftiger Widerstand geregt. Oppositionelle übernahmen den Wohn­be­zirks­ausschuss und konnten den Abriss verhindern. Gleich nach der Vereinigung bekamen zwei Häuser in der Rykestraße Fördermittel aus dem Selbsthilfetopf des Senats. Das war der Anfang der Mietergenossenschaft SelbstBau, deren Vorstand du seit fast 30 Jahren bist.

Damals traf es sich ganz gut, dass ich nicht nur Bilanzen konnte, sondern auch gelernt habe, Fördermittelanträge zu schreiben. Das war eine Zeit, in der wir es sogar mal geschafft haben, für eine Mietendemo 500 Trillerpfeifen aus Senatsmitteln gefördert zu bekommen.

Aus welchem Fördertopf?

Spielzeug für Hoffeste und Veranstaltungen. Wir staunten, was da alles möglich ist. Ich dachte, es ist schon komisch, dass der Staat seinen eigenen Protest finanziert: ob Trillerpfeifen oder hohe Zuschüsse für die Sanierung von besetzten Häusern.

Damals war im Gegensatz zu heute sehr viel möglich. Die Fördermittel für die beiden Häuser in der Rykestraße flossen, obwohl die Eigentumsverhältnisse noch nicht geklärt waren.

Das hatte auch mit den Bewohnerinnen und Bewohnern zu tun. Dort lebten die Aktivisten, die erfolgreich gegen den Abriss protestiert haben. Das war eine richtige Aufbruchstimmung, nach dem Motto „Die Kommunisten konnten uns nicht aus unseren Häusern vertreiben, dann schaffen es die Kapitalisten auch nicht.“

Und eine Genossenschaft sichert das alles ab.

Ja, das wurde damals als die geeignetste Rechtsform für bezahlbares und selbstbestimmtes Wohnen gesehen. Wer mitmachen wollte, musste 1.000 D-Mark als Genossenschaftsanteil einbringen und selbst mit anpacken. Von diesem Selbsthilfeförderprogramm kommt auch unser Name SelbstBau, obwohl heute keiner mehr Selbsthilfe macht.

Mit dem Geld hat der Senat nicht nur den Protest finanziert, sondern die Leute auch beschäftigt.

Es war auch eine Art Befriedung.

Das alles war vor 30 Jahren, und im Grunde hat sich gerade erst so ein Kreis geschlossen. Mit der Kastanienallee 12 habt ihr Ende des Jahres eines der letzten nicht sanierten und nicht gentrifizierten Häuser in Prenzlauer Berg übernommen. Wie geht es dir eigentlich, wenn du durch den Kiez gehst? Ich sage mir immer, als Tourist würde ich mich hier wohlfühlen. Tatsächlich aber ist die Mischung, das Bunte, das Anarchische verschwunden.

Besonders für mich schließt sich da der Kreis. Ich wohnte damals in der Oderberger Straße 50, das war das erste Haus, das die SelbstBau e.G. nach den beiden in der Rykestraße übernommen hat. Ähnlich wie die Menschen in der Kastanienallee 12 heute hätten wir 1993 unser Haus niemals kaufen können. Und nun ist die Kastanie unser 30. Wohnprojekt. Bis heute scheint es, als sei die Zeit da etwas stehen geblieben, während sich drumherum alles verändert hat.

Wie hat diese Veränderung angefangen?

Ebenfalls in der Kastanienallee 12. Da sind ganze Busladungen ausgestiegen, um die vielen Hinterhöfe zu bewundern. Über den Hirschhof sind sie dann zur Oderberger Straße gepilgert, wo wir vor unserer Nummer 50 saßen und das bestaunt haben.

Der Tourismus als Beginn der großen Umkrempelung?

Es ist ein wenig wie eine einsame Insel, die irgendwann von den Backpackern entdeckt wird. Die erzählen zu Hause, wie toll es auf der Insel ist, und 30 Jahre später hast du dort die Hotelburgen.

Die wenigen Hausprojekte sind dann die letzten Strohhütten zwischen den Hotelburgen.

Es gibt immerhin noch ein paar Strohhütten, und zum Teil sind die auch ganz schick. Dort, wo der Staat versucht hat, die Insel mit Förderprogrammen für private Eigentümer zu schützen, ist es gescheitert. 20 Jahre Bindungen sind schnell vorbei. Und ab 2000 war gar kein Geld mehr da für Förderprogramme.

Die SelbstBau-Genossenschaft ist inzwischen auch in Brandenburg aktiv. Letztens habe ich mir den Hof Prädikow bei Strausberg angeschaut. 700 Euro pro Quadratmeter Genossenschaftseinlage, dann noch eine Miete von 10 Euro den Quadratmeter: Das kann sich nicht jeder leisten.

Peter Weber wurde 1965 in Berlin geboren. Er studierte Ökonomie in Ostberlin und Volkswirtschaft in Westberlin und ist seit 1996 Vorstand der Mieter-Genossenschaft SelbstBau. Weber lebt mit seinem Mann in einem SelbstBau-Haus in Berlin-Prenzlauer Berg.

Die Genossenschaft: SelbstBau hat mit Häusern im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg angefangen. Heute hat die Genossenschaft 30 Hausprojekte mit 650 Wohn- und Gewerbeeinheiten. Dazu gehören unter anderem in Berlin eine ehemalige Schule in Karlhorst und die Regenbogenfabrik in Kreuzberg sowie in Brandenburg der Vierseithof in Prädikow und das Stadtgut Blankenfelde.

Das Bündnis: SelbstBau gehört zum Bündnis junger Genossenschaften, in dem sich vor allem nach der Wende gegründete Genossenschaften zusammengeschlossen haben. Dazu gehören auch die Bremer Höhe in Prenzlauer Berg und der Möckernkiez in Kreuzberg.

Jedes einzelne unserer Hausprojekte muss sich selbst rechnen. Das war eine Grundsatzentscheidung der Mitglieder, als wir uns entschieden haben zu wachsen. Das heißt, neue Projekte werden von der Genossenschaft zwar zwischenfinanziert, aber nicht subventioniert.

Und so ein leerstehender Vierseithof ist teuer.

Die Baukosten in Prädikow betrugen 10 Millionen. Das führt dazu, dass wir in unseren Projekten sehr unterschiedliche Quadratmetermieten haben. Von 3,50 Euro in der Rykestraße bis zu 10 Euro in Prädikow. Dort ist es die freie Entscheidung von Menschen, sich einem solchen Projekt anzuschließen. Das ist etwas anderes als in der Stadt, wo es auch darum geht zu verhindern, dass Menschen ihre Wohnung verlieren.

In der Stadt seid ihr immer die Guten. Gibt es in Brandenburg auch die Kritik, dass ihr zur Gentrifizierung des Landes beitragt, indem ihr die Preise hochtreibt?

Einen Mietwohnungsmarkt, wo wir die Preise hochtreiben könnten, gibt es in Brandenburg kaum. Fast alles, was gebaut wird, ist Eigentum und wird in der Regel für ein Drittel mehr verkauft, als der Bau kostet. In Prädikow sehen wir uns als Teil der Dorfgemeinschaft. Das ehemals volkseigene Gut stand leer. Früher haben dort über 100 Menschen gearbeitet. Es war das Zentrum im Dorf. Nun ist es wieder ein Treffpunkt. Neben den 33 Wohnungen ist auch eine Gemeinschaftsscheune mit Café und ein Dorfwohnzimmer entstanden. Das wird auch von den Altbewohnern des Dorfes gut angenommen.

Du hättest mit deinem Mann auch nach Brandenburg ziehen können. Aber ihr seid im Prenzlauer Berg geblieben.

(Lacht) Nach Rosenthal brauche ich keine ländliche Idylle mehr, und außerdem hasse ich Gartenarbeit.

Was ist denn der Prenzlauer Berg für euch? Ein Stück Heimat?

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Normalität. Vielleicht auch eine Nische. Wir brauchen nicht viel. 70 Quadratmeter reichen uns. Aber der Prenzlauer Berg bedeutet für uns auch Freunde, Gleichgesinnte, Menschen, die aus der ganzen Welt kommen und hier mit uns leben. Das ist Heimat.

Wenn du aus dem Bad eurer Wohnung schaust, siehst du das Windrad, das du 2008 hast bauen lassen. Es war das erste Windrad in Berlin überhaupt. Wie bist du auf diese verrückte Idee gekommen?

Ich bin ein furchtbarer Optimist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Sache, von der ich überzeugt bin, nicht funktioniert. In der Rykestraße haben wir 1993 eines der ersten Blockheizkraftwerke in Prenzlauer Berg gebaut. Die Frage, wo grüner Strom herkommt, hat uns von Anfang an beschäftigt. 2002 habe ich Brandenburger Ingenieure kennengelernt, die Windkraftanlagen geplant und betrieben haben. Wir haben darüber gesprochen, welche Flächen in Berlin dafür infrage kämen.

Da gab es bereits eine Studie.

In dieser Studie wurden nur einige wenige Standorte identifiziert. Unter anderem an der A114 am Autobahnkreuz Pankow.

Wie bist du dazu gekommen, bei denen einzusteigen?

Die Ingenieure hatten zwar das Knowhow, aber wenig Kontakte zu den Entscheidern in Politik und Verwaltung. So haben wir zusammen den Plan entwickelt, möglichst schnell die erste Berliner Windenergieanlage zu bauen.

So schnell ging es dann doch nicht. Was ist in den sechs Jahren zwischen 2002 und 2008 alles nicht passiert?

Wir haben sehr viele skurrile Gespräche geführt. Teilweise wurden wir behandelt, als würden wir das höchste Bordell Deutschlands bauen wollen. Der damalige Senatsbaudirektor Hans Stimmann hat uns vorgeworfen, das höchste Bauwerk zwischen Berlin und Moskau errichten zu wollen. Als wir gesagt haben, andere Stadtstaaten wie Bremen und Hamburg bauen sehr wohl Windenergieanlagen, hat er geantwortet: Wir vergleichen uns nicht mit Bremen und Hamburg, sondern mit Paris und London.

Mit der Berliner Großkotzigkeit der damaligen Zeit war nicht zu spaßen.

Auch nicht mit den Bezirksämtern. Die Zeit, in der nach der Wende vieles möglich war, war schnell vorbei. Im Bezirk haben sie uns gesagt, zahlen Sie erst mal drei Millionen an Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Wegen der Eingriffe ins Landschaftsbild. Dabei standen gleich daneben Windkraftanlagen auf Brandenburger Gebiet. Also blieb uns nichts übrig, als den Abgeordneten immer wieder auf die Nerven zu gehen. Am Ende war es eine politische Entscheidung von Rot-Rot, die ihre Senatoren gezwungen haben, es zu genehmigen.

Damit war das Windrad noch nicht gebaut.

Der Umweltschutz war bei der Linkspartei, der Naturschutz bei der SPD. Für die Genehmigung war der Umweltschutz zuständig, der Naturschutz durfte nur eine Stellungnahme abgeben. Als wir dann den ersten Spatenstich gemacht haben, flatterte uns eine Klage des Nabu ins Haus. Die war wortgleich mit der Stellungnahme der Naturschutzabteilung der SPD-Senatorin. Es kam zu einem Baustopp.

Ihr hattet schon 400.000 Euro ins Gießen des Fundaments investiert.

Wenn die Klage durchgekommen wäre, wären wir in die Privatinsolvenz gegangen. Zum Glück hatten wir ein Eilverfahren. Wenn es ein normales Verfahren gegeben hätte, hätten wir nach zwei Jahren recht bekommen, wären aber pleite gewesen.

So ging es schneller.

Das Verwaltungsgericht kam mit einem VW-Bus auf den Acker gefahren. Der Nabu wurde gefragt, was er gegen die Brandenburger Anlagen unternimmt. Die waren näher dran am Horst des Rotmilans, um den es ging. Antwort: Für Brandenburg sind wir nicht zuständig. Darauf hat das Gericht den Baustopp aufgehoben.

Als das Windrad dann fertig war, wurde die Eröffnungsfeier abgesagt.

Das hab ich am Morgen der Eröffnung auf Radio eins gehört. Der Grund war wieder so unglaublich skurril: Eine Woche vorher wollten zwei Frauen vom Arbeitsschutz den Feuerlöscher auf 140 Metern Höhe untersuchen. Weil da aber noch am Aufzug gearbeitet wurde, war das in dem Moment nicht möglich. Daraufhin hat die Senatsverwaltung für Umweltschutz die Veranstaltung abgesagt. Wir haben dann ein Windfest veranstaltet.

Das hört sich heute so absurd wie lustig an. Aber was ist, wenn du in diesem Moment in so einer Situation steckst? Wird man da nicht verbittert?

Letztlich ist es doch toll, was wir alles hinkriegen.

Andere geben auf der Strecke auf.

Das haben wir aber nicht gemacht. Darauf sind wir auch ein bisschen stolz. Aber manchmal denke ich, dass das auch Zufall ist, dass es geklappt hat. Politisch gewollt war es nicht.

Offenbar gab es auch keinen Lernprozess. Im Grunde hat sich dieses Berliner Absurdistan bei euren weiteren Windrädern wiederholt.

Einen Lernprozess gab es tatsächlich nicht. Als wir das zweite Windrad beantragt haben, kam die Senatorin und meinte zu mir: Ihr habt doch gesagt, ihr wollt nur eins bauen. Da stehst du da und fragst dich, was du sagen sollst. Weil wir grünen Strom brauchen? Weil wir aus der Atomkraft aussteigen? Weil wir keine Kohle verstromen wollen? Also haben wir zwei Jahre lang beim Verwaltungsgericht einen Rechtsstreit gegen das Land Berlin führen müssen, um die Genehmigung für die zweite Windenergieanlage zu bekommen. Wenn es mal so knapp mit dem Strom wird, dass er rationiert werden muss, wüsste ich ganz genau, wen ich auf die Liste setzen würde, der dann von uns keinen Strom bekommt.

Politik und Verwaltung eher als Verhinderer statt Ermöglicher. Anders war es beim Berliner Mietendeckel, der dem Wahnsinn auf dem Berliner Wohnungsmarkt ein Ende bereiten sollte. Allerdings haben sich viele Genossenschaften, auch die SelbstBau, gegen den später vom Verfassungsgericht gekippten Mietendeckel gewehrt. Das kam teilweise gar nicht gut an bei den Mieten-Aktivisten.

Jede Genossenschaft hat unterschiedliche Schwerpunkte. Die einen fühlen sich prinzipiell nur ihren Mitgliedern verpflichtet, haben in den meist abbezahlten Beständen sehr günstige Mieten und machen Bestandsverwaltung. Die Berührungspunkte mit dem Mietendeckel waren da eher gering. Ich fühle mich hingegen nicht nur den Mitgliedern verpflichtet, sondern auch den Menschen in den neuen Projekten, die auf das hoffen, was wir in der SelbstBau haben: eine sichere und bezahlbare Wohnung.

Auch wenn die Mieten dann steigen?

Wir haben Häuser übernommen, in denen die Mieten bei 3 Euro lagen. Oft waren es sehr soziale Eigentümer, die die Mieten nicht erhöhten. Nur war dann auch der Zustand des Gebäudes nicht besonders gut. Bei Auszügen mussten wir erst mal die Wohnungen sanieren. Wenn der Mietendeckel Bestand gehabt hätte, hätten wir diese Häuser nicht bewirtschaften können, da wir nur zur alten Miete neu vermieten hätten können.

Das kann ich gut nachvollziehen. Auf der anderen Seite wäre es vielleicht fahrlässig gewesen, ein neues Ins­tru­ment wie den Mietendeckel nicht auszuprobieren, denn alles, was zuvor versucht wurde, hat die Mietenexplosion nicht gestoppt.

Aber für uns muss es möglich sein, ein Haus aus den Erträgen, die es gibt, zu bewirtschaften. Es sei denn, wir bekommen die Differenz zwischen Ertrag und dem, was politisch gewollt ist, aus Steuergeldern. Anders geht es nicht. Für mich liegt die Ungerechtigkeit aber nicht in unserer Ablehnung des Mietendeckels, sondern ganz woanders.

Wo nämlich?

Wir müssen uns auch unserer eigenen wohnungspolitischen Verantwortung stellen. Nicht nur in diesen politischen Debatten, sondern auch gegenüber unseren Mitgliedern. Zum einen gibt es auch bei uns die Diskussion, ob jetzt nicht langsam mal Schluss ist mit der Erweiterung, da neue Projekte immer auch ein neues Risiko bedeuten. Wenn es um den Kauf und die Förderung des eigenen Wohnprojekts geht, wird immer Unterstützung und Solidarität gefordert. Wenn dann das eigene Projekt läuft, ist das mit der Solidarität schnell wieder vergessen.

Auch Genossinnen und Genossen kann das Hemd näher sein als die Hose.

Zum Beispiel bei der Untervermietung. Wir haben keine Möglichkeit, es zu unterbinden, wenn unsere Mitglieder ihre Wohnungen untervermieten, und zwar zu einem deutlich höheren Mietpreis, als sie selbst zahlen. Auch ich bin ja Mieter in der Genossenschaft, und als solcher finde ich das Mietrecht gut. Uns als Genossenschaft aber bindet es an manchen Stellen die Hände, wenn mit unseren Wohnungen auch noch Geld verdient wird.

Ihr habt in der Rykestraße mit zwei Häusern angefangen. Nach zwei Jahren kam dann in der Oderberger 50 das dritte dazu. Jetzt habt ihr zehnmal so viele. Wie weit wollt ihr noch wachsen?

Es geht uns nicht um Masse, sondern um jedes einzelne Projekt. Um eine jeweils konkrete Aufgabe, die wir lösen müssen. Manchmal kommen Menschen zu uns, für die sich niemand anderes findet. Von uns weiß man, dass wir auch schwierige Häuser bewirtschaften können. Die Kastanienallee 12 ist so ein Haus, da fühlten wir uns verantwortlich, den Leuten zu helfen. Aber das kostet viel Kraft, vor allem dann, wenn wir auch hier gegen politische Windmühlen kämpfen müssen. Aber wir können nicht sagen, das Boot ist voll, tut uns leid. Es sind in Berlin vielleicht fünf kleine bis mittelgroße Genossenschaften, die wie wir solche Bestandshäuser übernehmen könnten.

Viele Vorstände dieser Genossenschaften gehören wie du der Boomergeneration an. Gibt es überhaupt welche, die euch mit diesem Engagement und der Kraft, die das kostet, nachfolgen können?

Gute Kaufleute, gute Techniker, gute Architekten gibt es. Aber du brauchst da auch Leute mit Visionen und Idealen. Es wäre schade, wenn das dann nur noch verwaltet würde. Dann würde es wohl auch keine neuen Projekte mehr geben.

Du bist Jahrgang 1965. Wie lange wirst du das noch machen?

Ich würde gerne meine Erfahrung weitergeben, um jemanden einzuarbeiten. Da schauen wir uns auch um, ob es Leute gibt, die bereit wären, Verantwortung zu übernehmen. Und die so Spaß haben an Bilanzen wie ich.

Seit zehn Jahren leidest du an Parkinson. Manche nehmen eine solche Diagnose auch zum Anlass, kürzer zu treten.

Es hat sich noch nicht so ergeben. Ich habe auch nicht das Gefühl, so eingeschränkt zu sein, dass ich mich schonen müsste. Aber jetzt fliege ich mit meinem Mann einen Monat auf die Kanaren.

Mal so richtig abschalten?

Beach-Office. Aber es ist ein erster Schritt. Das mit der Kastanienallee war schon anstrengend. Fast 100 Menschen im Haus, die ihre ganze Hoffnung auf den Erhalt ihrer Wohnungen in die SelbstBau und ihren Vorstand setzten. Das musste klappen. War aber auch drei Monate Dauerstress. Und in solchen Phasen wird auch der Tremor stärker.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.