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Grünen-Klausur in WeimarVon nun an Klartext

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Das Vorgaukeln einer heilen Koalition hat die Grünen ihren Klimazielen nicht näher gebracht. Jetzt heißt es, den öffentlichen Druck zu erhöhen.

Gegensätze, die sich ganz wunderbar ergänzen? Justizminister Marco Buschmann (FDP) mit den Grünen Mi­nis­te­r:in­nen Annalena Baerbock und Robert Habeck Foto: Michael Kappeler/dpa

D ie Ampel hat sich ihrer Erzählung entledigt. Zur „Fortschrittskoalition“ hatten SPD, Grüne und FDP nach der Bundestagswahl ihre Koalition erklärt. Von großen Gemeinsamkeiten sprachen sie, von Dynamik mit Schubkraft und von Gegensätzen, die sich ganz wunderbar ergänzten. Dass es damit in der Praxis nicht immer weit her ist, hatte sich schon über die letzten Monate angedeutet.

Mit den Weimarer Wutreden der Grünen haben sich die PR-Formeln im Vorwort des Koalitionsvertrags endgültig erledigt: Während der Klausur der Bundestagsfraktion sparten Abgeordnete, Fraktionsvorstand und Vizekanzler nicht mit offener Kritik an den Koalitionspartnern – bis hin zum von Robert Habeck ausgesprochenen Vorwurf, innerhalb der Ampel würden vertrauliche Verhandlungen wegen „billiger taktischer Vorteile“ bewusst sabotiert.

Schöne Zustände sind das nicht. Das Ende der Fortschrittserzählung ist aber immerhin folgerichtig. Von Beginn an übertünchten die Koali­tionsfloskeln, was die Ampel eigentlich ist: ein aus der Not geborenes Bündnis, das zusammengefunden hat, weil für andere Konstellationen die Mehrheiten fehlten. Punktuell gibt es zwischen den Partnern zwar tatsächlich Gemeinsamkeiten.

In vielen Feldern trennt sie hinsichtlich ihrer Interessen und Werte aber einiges; hinsichtlich des politischen Anstands sogar Gewaltiges – man denke nur an den aktuellen Habeck-Putin-Vergleich von FDP-Vize Wolfgang Kubicki. Der realistische Blick auf die Ampel ermöglicht den Grünen immerhin einen Umgang mit den Koalitionspartnern, ohne den sie entscheidende Fortschritte beim Klimaschutz in dieser Legislaturperiode hätten vergessen können.

Appelle an Gemeinschaftssinn und Einsicht fruchten nicht, wenn Interessen und Überzeugungen so fundamental auseinanderliegen, wie sie es zumindest zwischen Grünen und FDP in Fragen der Energiewende tun. In diesem Fall geht es nicht anders, als über die Öffentlichkeit Druck aufzubauen – in der Hoffnung, dadurch ein Einlenken zu erzwingen. Optimal ist dieser Weg natürlich nicht.

Und es ist nicht sicher, dass er sein Ziel erreicht; dass es etwa schon beim Koalitionsausschuss am Sonntag die gewünschten Durchbrüche in der Verkehrspolitik oder bei Vorgaben für klimaverträgliche Heizungen gibt. Die Konfrontation macht die Zusammenarbeit in der Koalition kaum leichter. Von der Öffentlichkeit wird öffentlicher Streit noch dazu selten goutiert. Für die Grünen gibt es in der Ampel im Moment aber nur die Wahl zwischen zwei suboptimalen Optionen. Und eine davon – Nachsicht, Geduld und Gleichmut – ist fürs Erste erkennbar gescheitert.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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13 Kommentare

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  • Diese Koalition der Gegensätze muss ja nicht bis zum Ende weiter wursteln. Die Union hat sich ja jetzt gefunden. Merz sei Dank und ist bestimmt bereit, wieder eine GROKO zu bilden. (Berlin)

  • "Verbotsideologie, Klima blabla" ist FDP/CDU/CSU/BILD-Sprachgebrauch pur ohne Sachargument.

    Tja, wer mit der FDP koaliert muss Leidensfähig sein trotz des flotten Frühstart-4er-Selfies 🥂🙃

  • Druck von Außen?



    Die FDP vertritt in Sachen Verbrenneraus die Mehrheitsmeinung.



    Dass Elektromobilität der Wahrheit letzter Schluss ist, darf ebenfalls bezweifelt werden.



    Der Stil von den Grünen und der FDP läßt gerade sehr zu wünschen übrig.



    Es bleibt zu hoffen, dass der Kanzler wieder Kompromisse findet.



    Die Ampel ist zum Erfolg verdammt!



    Wir brauchen eine Zukuftsvision und Menschen, die daran arbeiten wollen.



    Alles, was mit CDU zu tun hat, geht nach hinten los, wie auch die Grünen allmählich feststellen sollten.



    Das permanente Schlechtreden und- schreiben der Regierung ist wenig zielführend.



    Linker wird's wohl nicht mehr.



    Und für die Grünen, die glauben , in der Mitte sei ein Plätzchen für sie frei geworden: CDU Wähler werden das auch bleiben! Wenn Ihr nicht als Sonnenblümchen im Knopfloch enden wollt und Inhalte noch nicht völlig irrelevant geworden sind, denkt mal wieder WIR, statt ICH!

  • Erfolgreich gescheitert. Alles Weitere verbieten Netti und der Anstand!

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    "Jetzt heißt es, den öffentlichen Druck zu erhöhen."



    Auf einen Nagel drückt ein Luftballon.



    Bevor er platzt, fliegt er davon.

    • @95820 (Profil gelöscht):

      schöööön - 🎈- Nancy - 👢 👢 - Go! -

      Nancy Sinatra "Up Up and Away" my 🎈



      m.youtube.com/watch?v=1FfyVkKxO7w



      &



      Wennste dann noch bedenkst - daß



      Frankie Boy - Mobsteraffin war! Woll 🥃



      Ist alles im Lot! Paschd scho •

  • Die Schlampel ist & bleibt ne D-Mannschaft •

    Wer anderes erwartet hat - glaubt auch an den Weihnachtsmann 🤶 🎅!



    Gellewelle&Wollnichtwoll - 🙀🥳🥴🤢🤮🤑 -

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Die Taktik der Grünen ist doch ganz offensichtlich:



    Sie haben sich durch ihre krasse neoliberale, fossile Politik von dem meisten politischen Weggefährten entfernt.



    Das Tischtuch mit FFF ist durch die Räumung von Lützerath und dem faulen RWE-Deal zerschnitten



    Die Anti-AKW Bewegung nimmt die Grünen nach der Laufzeitverlängerung kaum mehr als verlässlichen Mitstreiter war.



    Die Klimabewegung und Wissenschaft insgesamt wundern sich über fehlende Windkraftanlagen, quasi-Aussetzung des Pariser Vertrages und eine starke Rekarbonisierung anstelle der versprochenen Energiewende.



    Umweltschützer und Biolandwirte sind entsetzt über die Zulassungsverlängerung von Glyphosat und die Aussetzung der EU-Landwirtschaftsreform durch Hrn. Özdemir.

    Jetzt muß schnell ein Narrativ gefunden werden, das all dies schlüssig erklärt:



    Schuld an allem sollen jetzt die FDP und SPD sein.

    Keine Frage: Letztere sind keinen Deut besser und haben auch ihre Wähler in der Friedens-, Wohnungs- und Strukturpolitik verraten.

    Aber Schuld an der 180°-Kehrtwende der Grünen hin zur Atom-, Fracking-, Kohle- und Pestizid-Partei tragen allein die Grünen selbst.



    Nicht ein grotesker FDP-Verkehrsminister.



    Das wissen die Wähler übrigens auch.

    • @48798 (Profil gelöscht):

      Ganz meine Meinung! Ohne eigene Mehrheit kann Grün keine Grüne Politik machen. Die Regierungsbeteiligung war ein Fehler. Ich habe daher auch dagegen gestimmt. Wenn es um Klimawandel und Kipp-Punkte geht, hilft kein "Kompromiss". Die Naturgesetzes sind nicht verhandelbar.

    • @48798 (Profil gelöscht):

      Eine beeindruckend lange Liste.

  • Die FDP (Kubicki) drängt es raus aus der Regierung. Mal sehen wann Lindner folgt....



    Und was könnte danach passieren. Klimaschutz ade mit SPD CDU und FDP?????

  • Von der FDP kommt weiterhin nur blabla: "FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai dem Spiegel. "Ich kann nicht erkennen, dass die Grünen den Fortschritt beschleunigen, sie blockieren ihn an vielen Stellen", kritisierte er. Als Beispiele nannte er den Ausbau der Infrastruktur oder einen "technologieoffenen Ansatz in der Klimaschutzpolitik". Es ist mir unverständlich, wie man mit dieser Ignoranz zusammenarbeiten und sinnvolle Regierungsarbeit zum Thema Klimakatastrophe machen soll. Für mich verbirgt sich hinter der "technologieoffenheit" der FDP das Thema Geoengineering, nur traut sich die FDP noch nicht das offen anzusprechen und wartet bis die Zeit reif dafür ist. Deshalb ist mein Rat an die Grünen, keine Kompromisse mehr und falls erforderlich Ampel beenden und raus auf die Straße zur Unterstützung einer APO.

    • 6G
      659554 (Profil gelöscht)
      @ThomLa:

      Technologieoffenheit heißt auf die lange Bank schieben indem man auf eine Wundertechnologie hofft, die es nie geben wird.