Netanjahu in Berlin: Nur unter Protest
Israels Regierungschef bekommt bei seinem Berlin-Besuch viel Konter gegen die geplante Justizreform – auch vom Kanzler.
Politisch gesehen aber war der Zwischenstopp am Gleis 17 der bequemere Teil von Netanjahus Berlin-Besuch. „Deutschland hat sich verändert“, sagte der Regierungschef, der in seiner Heimat wegen einer umstrittenen Justizreform unter Druck steht und auf den im Laufe des Tages auch in Berlin noch Proteste sowie Kritik vonseiten der Bundesregierung warteten. Vor 75 Jahren sei der jüdische Staat gegründet worden, so Netanjahu. Juden hätten seitdem gelernt, „sich selbst zu verteidigen“. Es sei heute wichtiger denn je, „Anzeichen des Bösen frühzeitig zu erkennen“; die Bedrohungen für Juden seien heute andere.
Damit war Netanjahu bereits bei einem der Hauptthemen seines Berlin-Besuchs: der Bedrohung durch Iran. Darüber sprach er auch später noch einmal mit Scholz im Kanzleramt, wie die beiden am Nachmittag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz berichteten. Teheran will Israel von der Landkarte tilgen. Iranische Kernphysiker:innen sollen bereits Uran auf fast schon bombentaugliche 84 Prozent angereichert haben. Israel versucht, Deutschland zu einem härteren Kurs gegen Iran zu bewegen.
Das Thema sprach auch Scholz an: „Wir sind uns einig, dass Israel keine Atomwaffen besitzen darf“, sagte der Kanzler – ohne den offensichtlichen Versprecher zu korrigieren. Zuvor hatte Scholz betont, dass Israels Sicherheit „deutsche Staatsräson“ sei, worauf sich Israel verlassen könne.
Für Scholz ein wichtiges Thema war der mögliche Kauf des hochmodernen israelischen Raketenabwehrsystems Arrow 3. Wie weit jedoch die Verhandlungen gediehen sind, wollte Netanjahu nicht verraten. Scholz frohlockte lediglich, dass es ein ganz großer Fortschritt wäre, wenn Deutschland das System erhielte. Umgekehrt wolle man die militärische Zusammenarbeit mit Israel fortsetzen. Arrow 3 kann Langstreckenraketen bereits in einer Höhe von 100 Kilometern abfangen.
Das heikle Thema Justizreform kam in der Pressekonferenz der beiden Regierungschefs ebenfalls zur Sprache – zumindest hier auch sehr ausführlich. Man verfolge die Debatte aufmerksam, sagte Scholz. Die Unabhängigkeit der Justiz sei ein hohes Gut. „Als demokratische Wertepartner und enge Freunde Israels verfolgen wir diese Debatte sehr aufmerksam und, das will ich nicht verhehlen, mit großer Sorge“, sagte Scholz.
Ziemlich unmissverständlich stellte sich der frühere Fachanwalt für Arbeitsrecht hinter einen Kompromissvorschlag, den Israels Präsident Yitzhak Herzog am Mittwoch vorgelegt hatte. „Wir würden uns freuen, wenn über diesen Vorschlag das letzte Wort noch nicht gesprochen wäre“, so Scholz. Netanjahu hatte bereits vor seiner Abreise nach Berlin Herzogs Vorschlag zurückgewiesen.
Netanjahu steht in seinem Heimatland in der Kritik, wo ihn seine Gegner*innen beschuldigen, die lebendige Demokratie des Landes in ein autoritär-religiöses Regime umbauen zu wollen. Seit Amtsantritt der in Teilen rechtsradikalen Regierung im Dezember treibt sie kompromisslos eine Reform voran, die die Gewaltenteilung schwächen und vor allem das einflussreiche Oberste Gericht in seiner Macht beschneiden würde. Darüber hinaus hat Netanjahu der an der Koalition beteiligten israelischen Siedlerbewegung weitgehend freie Hand gegeben im besetzten Westjordanland, was den Konflikt mit der palästinensischen Bevölkerung verschärft hat.
Begleitet wurde Netanjahus Berlin-Besuch deshalb von Protesten – sowohl in Israel als auch in Berlin. Israelis in Deutschland hatten zum Brandenburger Tor mobilisiert, Palästinenser*innen versammelten sich unter „Free Palestine“-Rufen zu einer anderen Kundgebung vor dem Bundestag. „Netanjahus Politik ist sehr undemokratisch, zum einen weil er versucht, die Exekutive, Legislative und Judikative zusammenzuführen. Zum anderen möchte Israel die Todesstrafe einführen“, sagte der Deutsch-Palästinenser Nassiem Hijazi.
Demonstrantin Jamila, die ihren Nachnamen nicht nennen wollte, hob dagegen die Besatzung des Westjordanlands hervor. Die Bundesregierung ignoriere, dass im 21. Jahrhundert noch ein Land militärisch besetzt sei. Scholz habe Netanjahu nicht empfangen dürfen. „Er hätte ein Zeichen setzen müssen.“
Eine der wenigen Israelis, die nicht nur am Brandenburger Tor demonstrierten, sondern auch beim palästinensischen Protest dabei waren, war Yuval Gal Cohen aus Leipzig. „Ich will solidarisch sein mit den Leuten, die zu Hause gegen Bibi und sein korruptes Regime demonstrieren.“ Gleichzeitig, betonte die 27-Jährige, könne man nicht gegen die Justizreform protestieren, ohne das Ganze – die Besatzung und die Apartheid im Westjordanland – zu berücksichtigen.
Trotz der Proteste kommt der Empfang durch Scholz – und später am Nachmittag auch durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier – Netanjahu gelegen, verleiht er seiner Regierung doch Legitimität. Fotos mit US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus wären zwar effektvoller gewesen, doch der US-Präsident hat Netanjahu seit dessen Amtsantritt noch nicht eingeladen.
Dass der Berlin-Besuch für Netanjahu hohe Priorität hatte, zeigt die Tatsache, dass er trotz einer aktuell angespannten Sicherheitslage in Israel wie geplant nach Berlin reiste: Kurz vor seiner Abreise am Mittwoch wurde öffentlich bekannt, dass ein Attentäter es aus dem Libanon über die Grenze nach Nordisrael geschafft hatte. Mehrere Kilometer konnte der Mann ins Land eindringen, wo er am Montag einen Bombenanschlag verübte. Eine Person wurde verletzt. Bevor er sich wieder absetzen konnte – jedoch erst Stunden nach der Explosion –, wurde er erschossen. Von seinen Reiseplänen hielt das Netanjahu nicht ab, auch wenn er seinen Deutschlandtrip verkürzte und bereits am Donnerstagabend wieder abflog.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“