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Carola Rackete zu Klimaprotesten„Mehr Beteiligung generieren“

Fridays For Future und Letzte Generation erreichen zu wenig für die Klimapolitik, sagt Carola Rackete. Sie plädiert für einen breiteren Protest.

Will auch ÖPNV-Beschäftigte oder VW-Mitarbeiter in den Klimastreik einbeziehen: Carola Rackete Foto: Thilo Schmuelgen/reuters

taz: Frau Rackete, das Jahr 2022 war klimapolitisch für die Tonne. Kann 2023 das Jahr sein, in dem wir zu einer ernsthaften Klimapolitik übergehen?

Carola Rackete: Dafür sehe ich momentan keine Anzeichen. Olaf Scholz reist gerade um die Welt, um neue Abhängigkeiten von Gas zu schaffen. Vielerorts wird neue fossile Infrastruktur gebaut. In Deutschland und Europa ist eine völlige Überversorgung mit LNG-Terminals geplant.

Oliver Berg/dpa
Im Interview: Carola Rackete

34, ist Aktivistin und Naturschutzökologin. Sie wurde international bekannt, als sie 2019 als Kapitänin des Seenotrettungsboots Sea-Watch 3 mit 53 aus Libyen stammenden Flüchtlingen gegen den Willen der italienischen Behörden den Hafen von Lampedusa anlief. Derzeit ist sie mit einem Forschungsprojekt über Finnwale in der Antarktis unterwegs.

Was müsste passieren, damit es anders kommt?

Wir bräuchten mindestens einen Gas-Ausstiegsplan, der Bundesverkehrswegeplan müsste überarbeitet werden. Leider ist da von der Bundesregierung nichts zu erwarten. Das ist absolut skandalös. Wenn es Veränderung geben soll, muss sie von den Menschen auf der Straße kommen.

Was kann die Klimabewegung tun?

Wir müssten es schaffen, wieder mehr Beteiligung zu generieren. Dafür brauchen wir aber eine breitere gesellschaftliche Verankerung.

Wie kann das gelingen?

Indem wir Schnittstellen finden, wo Klimaschutz und soziale Themen zusammen passen. Wenn wir konkrete sozial-ökologische Projekte unterstützen, können wir mehr Menschen motivieren, mitzumachen. Die Erfolge sehe ich dann eher auf lokaler oder regionaler Ebene.

Wie könnte so ein Projekt aus­sehen?

In Wolfsburg ist zum Beispiel eine Kooperation zwischen Klimagruppen und der Belegschaft von VW geplant, wo es um die Transformation der Automobilindustrie geht. Oder wenn sich Gruppen wie Fridays for Future mit Beschäftigten des ÖPNV zusammen organisieren und streiken. Das passiert ja gerade. Oder in Regionen, wo man sagt: Hier werden Hunderte von Menschen arbeitslos – was kann da hergestellt werden, was wir für eine sozialökologische Transformation brauchen?

An diesem Freitag startet Fridays for Future seinen 12. globalen Klima­streik – viele Schü­le­r*in­nen und Student*innen, die draußen protestieren. Warum hat sich die Klima­bewegung bislang nur selten mit ­Ar­bei­te­r*in­nen auf lokaler Ebene zusammengetan?

Ich glaube, wir haben uns zu sehr auf Waldbesetzungen oder Aktionen zivilen Ungehorsams fokussiert und uns zu wenig mit Basisarbeit und Konzepten auseinandergesetzt, die aus der klassischen Linken kommen.

Derzeit ist die Letzte Generation in der ­Öffentlichkeit dominierend in Sachen Protest. Ist das gut fürs Klima?

An sich ist es richtig, in den Medien Aufmerksamkeit für den Klimaschutz zu schaffen. Aber das Problem ist ja, dass sonst fast gar nicht über Klimaschutz gesprochen wird. Die Aufmerksamkeit, die durch Straßenblockaden für das Thema generiert wird, ist begrenzt. Die Aktionen der Letzten Generation bleiben nur kurz in den Köpfen der Leute hängen. Ich glaube, wenn wir wirklich etwas verändern wollen, müssen wir mit konkreten Anliegen in die Gesellschaft rein und Gerechtigkeitsthemen finden.

Dann ist eine Radikalisierung der Bewegung hin zu Sabotageaktionen der falsche Weg?

Ich glaube nicht, dass eine kleine Gruppe ultraradikaler Menschen gesamtgesellschaftliche Veränderungen anstoßen kann, wenn sie keine breite Basis hat. Ich kann und will jetzt nicht einzelne Aktionen pauschal beurteilen. Sabotageaktionen können Sinn machen an bestimmten Stellen, aber es kann nicht die einzige Taktik sein. Natürlich haben solche Aktionen eine hohe Sichtbarkeit. Aber ohne eine breite gesellschaftliche Verankerung des Gedankens von Klimagerechtigkeit wird es nicht reichen.

Was soll dann passieren?

Wir müssten stärker auf Organizing setzen, also dass Menschen, die etwa am selben Ort wohnen oder arbeiten, zu bestimmten Themen zusammenkommen. Wie bei Deutsche Wohnen & Co enteignen oder der Krankenhausbewegung. Damit will ich aber auch nicht sagen, dass ziviler Ungehorsam und Demos am Freitag nicht weiterhin wichtig sind.

Auf Augenhöhe mit Leuten zu arbeiten, die vielleicht keine Erfahrung im Aktivismus haben und Szenecodes wie diskriminierungssensible ­Sprache nicht benutzen, kann mühsam sein. Ist die Bewegung bereit dazu?

Ich habe den Eindruck, dass aus den vereinzelten Momenten, wo es so etwas bereits gab, mittlerweile mehr ­geworden ist. Die Krankenhaus­bewegung war wahnsinnig motivierend für Leute, genau wie der große Streik der Beschäftigten im Hafen von Hamburg. Der war vergangenes Jahr zum gleichen Zeitpunkt wie das Aktionswochenende von Ende Gelände, das ebenfalls den Hafen lahmlegen wollte. Da kann man nur sagen: Die Ha­fen­ar­bei­te­r*in­nen waren wesentlich besser darin.

Rührt die Klimaszene zu sehr in ihrer eigenen Suppe und scheut sich, Menschen außerhalb ihrer Bubble anzusprechen?

Ja, auf jeden Fall. Die Fortsetzung des 9-Euro-Tickets ist ein Beispiel für ein gutes sozial-ökologisches Anliegen, das wir versäumt haben zu nutzen. Das 9-Euro-Ticket hatte eine extrem breite Unterstützung in der Gesellschaft, eine Mehrheit der Bevölkerung war für die Fortsetzung. Denn was könnte es Besseres geben als einen einfachen und günstigen Zugang zu Mobilität und die Chance, Stau, Luftverschmutzung und Emissionen zu reduzieren?

Woran lag es, dass die Klima­bewegung diese Chance nicht genutzt hat?

Einerseits waren wir da nicht organisiert genug. Andererseits ist auch der Widerstand aus dem Verkehrsministerium extrem stark.

Lässt sich die Bewegung davon abschrecken?

Das Verkehrsministerium ist sicher einer der Hauptgegner des Klimaschutzes in Deutschland im Moment. Die Bewegung muss dieses Thema in diesem Jahr gezielt angehen. Außerdem müssen wir neue fossile Abhängigkeiten verhindern, auch wegen der Menschen an den Orten der Ausbeutung. Ich war vor wenigen Wochen in Argentinien, in einem Gebiet, wo gefrackt wird.

In Vaca Muerta, einer der weltgrößten Ölschiefer-Reserven.

Ja. Es ist katastrophal. Einige Gegenden sind vergleichbar mit dem Alten Land in Deutschland, das heißt: es gibt Obstanbau und sonst nichts. Aber das Grundwasser dort ist komplett verseucht. In der Stadt Allen in der Provinz Río Negro haben uns die Menschen erzählt, sie hatten mal 35 Lagerhäuser, in denen gepackt, sortiert und exportiert wurde. Von denen sind noch vier offen. 5.000 Leute haben dort ihre Jobs im Obstanbau verloren.

Wegen des Frackings?

Ja, weil das Wasser eben verseucht ist. Die Leute, die es sich leisten können, kaufen nur noch Flaschenwasser. Die Krebsraten sind in den vergangenen Jahren extrem hochgegangen. Viele haben auch Silikose, eine Krankheit, die du sonst nur kriegst, wenn du im Bergbau arbeitest.

Was passiert da?

Wenn du an einem sehr staubigen Ort arbeitest wie zum Beispiel im Berg, setzen sich diese Giftstoffe über die Zeit in deiner Lunge fest und zerstören sie. Silikose ist eine anerkannte Berufskrankheit. Aber die Menschen in Vaca Muerta kriegen das einfach so, egal was sie arbeiten, weil sie dort leben. Und das Frackinggebiet soll noch ausgebaut werden. Deshalb war Olaf Scholz ja dort mit dem Wintershall-Chef unterwegs. Argentinien ist einer der Märkte, die Russland ersetzen sollen.

Wie sinnvoll ist es, die Hauptfeinde des Klimaschutzes, seien es Kanzler, Minister, CEOs oder Konzerne, in den Fokus der Kritik zu stellen?

Aufzuzeigen, wer die Pro­fi­teu­r*in­nen der Klimakrise sind, ist fundamental, um von dem Gedanken wegzukommen, dass wir alle gleichermaßen zur Klimakrise beitragen. Eine durchschnittliche Person in Deutschland trägt bei Weitem nicht das Gleiche bei wie der Chef von Wintershall, der den fossilen Ausbau vorantreibt. Man muss sich das mal vorstellen: Im Jahr 2023 eine Firma zu leiten, die immer noch plant, mehr Gas und Öl auszubeuten. Das ist kriminell!

Unternehmen agieren meistens innerhalb gesetzlicher Grenzen. Entlastet man nicht die Politik, indem man Firmen und einzelne Ak­teu­r*in­nen zu Schuldigen erklärt?

Beide Seiten sind schuld. Aber der Lobby-Einfluss der Un­ter­neh­me­r*in­nen auf Po­li­ti­ke­r*in­nen ist massiv. Die Lob­by­is­t*in­nen sind sich der Folgen ­ihres Handelns für das Klima völlig ­bewusst. Seit den 70er Jahren sind die Folgen des Klimawandels ­bekannt! Aber vielerorts sind die wirt­schaftlichen ­Abhängigkeiten sehr stark. Wir ­müssen weg von jedem Lobby-Einfluss in der Politik. Den Fokus auf die ­Unternehmen zu legen, ist wichtig – was hingegen falsch ist, ist hauptsächlich den einzelnen ­Verbraucher ­anzugehen.

Das heißt: Nach Thailand zu fliegen ist okay?

Moralisch und ethisch muss jeder selbst verantworten, was er macht. Aber man hat natürlich auch eine Vorbildfunktion. Wenn wir schauen, welche Flüge am meisten Emissionen verursachen und wer am häufigsten fliegt, sehen wir: Es sind Privatjets und Leute, die beruflich viel fliegen.

Darüber hält sich die öffentliche Aufregung aber in Grenzen.

Ich glaube, das Potenzial der Menschen, sich für Gerechtigkeit einzusetzen, steigt. Viele sehen ja einen Mangel an Demokratie, sie sehen die schlechte Verteilung von Geld, dass Gerechtigkeitsprobleme überall aktuell sind. Manchmal muss es erst sehr schlecht werden, bis Menschen bereit sind, sich für ihre Rechte einzusetzen.

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18 Kommentare

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  • "... der Bundesverkehrswegeplan müsste überarbeitet werden. Leider ist da von der Bundesregierung nichts zu erwarten. Das ist absolut skandalös. "

    Der Bund setzt lediglich den angemeldeten Bedarf der Bundesländer um.

    "Grundlage dieser Bedarfsplanung [des Bundesverkehrswegeplans] ist aber keine selbstständige Verkehrsnetzkonzeption des Bundes, sondern Grundlage sind im Wesentlichen die Bedarfsanmeldungen der Bundesländer." (Umweltbundesamt, Seite 8: www.umweltbundesam...arfsplanung_v2.pdf )

    Die Klimabewegung hat bis heute nicht die Bedeutung und Rolle der Bundesländer beim Ausbau und Bedarfserstellung der Bundesverkehrswege realisiert. Landesverkehrswegeplanungen und kommunale Verkehrswegeplanungen scheinen dort ebenfalls nicht wahrgenommen zu werden.

  • Die Generation, die am wenigsten Probleme hatte, keine Kriege und Entwicklungspotentiale ohne Ende auf Kosten anderer Länder, und Geld verdienen konnte ohne Grenzen, jammert jetzt über den Verlust ihrer hart erarbeiteten Kohle?



    Ja auch Gas ist in der Menge wie es verbraucht wird schlecht.



    Es sollte schon über Verzicht nachgedacht werden, Rückführung der Zuwachstendenz in eine Verteilungspolitik weltweit, was dann ja wirtschaftlich insgesamt kein Verlust wäre, sondern eher eine Ausweitung über Herunterstabilisierung von Spitzen von Kapitalanhäufungen in stabilisierende Breitenfundierung begrenzter Ressourcen. Das befriedigt weltweit lebensnitwendige Bedürfnisse. Wäre gerecht und kriegsvermeidend, denke ich...

  • Ich kann es bald nicht mehr hören, dass die ältere Generation für alles verantwortlich gemacht werden soll.

    Wir (69 + 63 J. alt) kommen gerade von der FFF-Demo. Wir haben dieses Mal sehr darauf geachtet, welche Altersgruppen bei dieser Klima-Demo vertreten waren.



    Es waren selbstverständlich die jungen Menschen. Aber gut ein Drittel waren wir Alten.



    Die Generation so zwischen 40 - 50 ist selten dabei - auch nicht, wenn die Demo an einem Sonnabend stattfindet. Das Argument der arbeitenden Bevölkerung lasse ich nämlich nicht gelten. Wenn mir etwas wichtig ist, kann ich auch am Freitag um 11.00 h demonstrieren.

  • 0G
    04405 (Profil gelöscht)

    "Auf Augenhöhe mit Leuten zu arbeiten, die vielleicht keine Erfahrung im Aktivismus haben und Szenecodes wie diskriminierungssensible ­Sprache nicht benutzen, kann mühsam sein."

    Oh ja, und zwar vorwiegend für eben diese Leute, die keine Szenecodes kennen. Das ist der Grund, warum die letzte Generation kein breites Bündnis hinkriegt. Kann man auch schon hier im Forum beobachten: Da werden böse, konservative Rentner als Feindbild ausgemacht, denen man am besten sofort jedes Stimmrecht entziehen sollte.

  • Mir fehlt die Frage wie die Senioren ins Boot geholt werden sollen. Die Wahlen der nächsten 30 Jahre werden mit Ansage von dieser Gruppe dominiert werden. Wir bekommen ein Neobiedermeier in dem versucht werden wird, je nach Himmelsrichtung entweder die BRD der 70er oder 80er oder eben die DDR zu reenacten.



    Keine progressive Politik der nächsten Zeit wird gegen diese Gruppe von Besitzstandwahrern gemacht werden können. Mit welcher Strategie soll denn diese Klientel zukünftig angesprochen und mitgenommen werden?

    • @Šarru-kīnu:

      am besten mit dem Enkel-Trick!

    • @Šarru-kīnu:

      Da stimme ich dir als Rentner voll zu! Jeder progressive Ansatz muss mit uns abgestimmt werden. Alt heisst i.d.R. konservativ. Das wiederum heisst Priorität hat finanzielle Absicherung (Rentenerhöhung). Daran werden einige Ansätze scheitern. Deshalb bin auch dafür, dass Rentner in ihrem Stimmrecht eingeschränkt werden sollten. Anders wird die Republik mehr und mehr heimlich von uns regiert......

      • @Heiner Petersen:

        Es ist aber nicht unbedingt eine Frage des Alters, sondern wesentlich auch der Bildung. Es gibt sehr viele, die sich um die Umwelt sorgen und sei es nur für die Enkel.



        Und Inkonsistenz gibt es überall:



        "meisten Emissionen verursachen [...] Es sind Privatjets und Leute, die beruflich viel fliegen."



        Frau Rackete war gerade in Argentinien und ist jetzt in der Antarktis.... Sehr viele RentnerInnen waren noch so weit.

        • 0G
          04405 (Profil gelöscht)
          @fly:

          es ist ganz gewiss keine Frage des Alters, denn "die Rentner" sind alles andere als eine sozial homogene Gruppe. Und es ist möglicherweise eine Frage der Bildung, aber vielleicht anders als gedacht:

          Offensichtlich hängt verfügbares Einkommen mit Konsum, und damit mit dem persönlichen CO2-Abdruck zusammen. Das sagen jedenfalls entsprechende Studien. Gut situierte Rentner und gut ausgebildete Mittelschichtler sitzen in dieser Frage in einem Boot, oder ist es doch eher ein Flugzeug? Armutsrentner hingegen gehören nicht zu den Vielfliegern.

          Das eine Illustration, warum es kontraproduktiv ist, Schuldige zu benennen und Probleme zu Personifizieren, anstatt Herausforderungen zu benennen und zu lösen. Es ist vielleicht emotional verständlich, auf Gruppen mit Fingern zu zeigen. Das führt aber im Zweifelsfall dazu, dass man auf die Bali-Urlauber bei der letzten Generation hingewiesen wird.

          Und das ist eben kein Einzelfall: Die Vielflieger sind genau die Einkommensstarken, egal welchen Alters.

  • "Wir müssten es schaffen, wieder mehr Beteiligung zu generieren. Dafür brauchen wir aber eine breitere gesellschaftliche Verankerung."



    Wie wahr gesprochen, doch sollte man Verankerung nicht mit Kleben verwechseln. Nicht alles, was Menschen bemerken, erreicht sie auch.

  • Stattdessen gibt es in der tagesschau mitfühlende Berichte über ein paar hundert AKW-Beschäftigte, die demnächst Rückbau betreiben müssen.



    Von den zigtausenden entlassenen solarfabrikisten sprach niemand.



    Die Anti-Lobby ist einfach viel besser aufgestellt...

  • Ja, wir brauchen ein Zusammengehen von Sozialen und Ökologischen Kämpfen.



    Dreh- und Angelpunkt ist für mich das Bedingungslose Grundeinkommen, welches u.a. durch ökologische Lenkungsabgaben finanziert werden muss. Ein Schritt in diese Richtung wäre das "Klimageld", das im Koalitionsvertrag der Ampel steht, aber jetzt scheinbar doch nicht umgesetzt wird. Erbärmlich.



    Hörenswert dazu ist lagedernation.org/...ung-nachgebessert/ (ab 43:30min bis 1:13:35min)

    Interessant ist auch der Vorschlag eines "Klimasolidarischen Grundeinkommens" (KSG) von Brüne Schloen, sein aktuelles Buch "Zivilisationsrettung jetzt!" ist lesenswert.



    Ein weiterer Aspekt ist die Besteuerung von sehr großen Vermögen oder/und Erbschaften. Denn die Überreichen zerstören mit ihrem Konsum- und ihrem Investitionsverhalten sehr viel mehr als Leute aus der Mittelschicht oder die Armen. Dem gehört ein Riegel vorgeschoben und auch diese Einnahmen gehören per BGE/KSG an alle ausgeschüttet.

    Wir müssen aber auf jeden Fall weg vom Erwerbszwang und der Ideologie, dass Erwerbsarbeit einen Wert an sich darstellt. Erwerbsarbeit macht unglaublich viel kaputt, während die Leute, die (notwendige!) unbezahlte Arbeit machen, heute spätestens im Alter mit Armut rechnen müssen.

    Man muss auch ohne Erwerbsarbeit ein Recht auf Existenz und grundlegende gesellschaftliche Teilhabe haben. Wenn das gegeben ist, werden die Leute nicht mehr für Fossile Industrien arbeiten, sondern sich sinnvolle Aufgaben suchen. Außerdem dürfte sich das Konsumverhalten ändern, "Frustkonsum" und dergleichen fällt weg und die Leute können ihr Leben wieder genießen und über ihre eigene Zeit souverän verfügen.

    • @Eric Manneschmidt:

      Hmm...ich bin nicht überzeugt. Zwar kenne ich viele Menschen, die viel und gern arbeiten, aber ich kenne auch viele, die jede Gelegenheit nutzen, um möglichst gar nichts zu tun. Es wird also einen großen Haufen Menschen geben, die sich aus der Erwerbstätigkeit verabschieden und nur noch ihren Spaß wollen. Meine Prognose wäre, dass die Arbeitsunwilligen etwa 25% der Bevölkerung ausmachen und viele davon dann hedonistisch unterwegs sein werden. Straftaten werden ansteigen, weil die sich ihre Stütze mit schnellem Geld aufstocken werden. Spaß ist teuer, aber warum dafür arbeiten? Bildungsferne Schichten haben noch bessere Gründe, ihre Kinder nicht zur Bildung zu bringen. Die Kluft zwischen arm und reich wird schnell und deutlich breiter werden. Man muss bei solchen Experimenten immer den Worst Case im Auge haben. Die gut integrierten, gut gebildeten, sozial engagierten Menschen, die gerne ihre Projekte ohne Zwang durchziehen wollen...sind die Ausnahme. Leider sehen die Befürworter dieses Klientel deutlich mehr...weil es ihr Klientel ist. Wenn der soziale Zwang wegfällt, Geld zu verdienen, fehlt vielen der Grund, sich überhaupt mit der beruflichen Zukunft zu beschäftigen. Ich würde mal schätzen, dass auch ca. 25% der Menschen hochmotiviert sind und sowieso arbeiten werden. Bleiben noch 50% die nicht so recht wissen was Phase ist. Ich glaube nicht, dass Bürgergeld bei uns funktioniert. Das ist eher im Bereich Sozialromantik zu suchen. So wie auch Kommunen oder Kommunismus schlicht nicht funktionieren, sobald eine Person nicht auf der gleichen Welle schwimmt. Nette Utopie, aber nicht alltagstauglich.

      • @Hefra1957:

        Ich glaube nicht, dass es ein Problem wäre, wenn 25% der Bevölkerung nichts mehr arbeiten würden. Wahrscheinlich haben wir das heute schon, jedenfalls wenn man die, die nichts tun, und die, die destruktiv sind, (also alle "Bullshitjobs") zusammenrechnet. Wobei unser heutiges System ja Anreize setzt, Arbeit nur vorzutäuschen oder auch ganz sein zu lassen (letzteres im Niedrigeinkommensbereich, weil Erwerbseinkommen auf heutige Sozialtransfers stark angerechnet wird).



        Warum Leute, die gut behandelt werden und keine finanzielle Not kennen, eher kriminell werden sollten, erschließt sich mir nicht. In mindestens einem Pilotprojekt zum BGE (in Namibia) ging die Kriminalität drastisch zurück: bignam.org/



        Zur Bildung verweise ich auf den Ansatz von Dr. Manuel Franzmann, das BGE als "Demokratisierung der Muße" (www.youtube.com/watch?v=C1B3cfgQWGY ). Es ist höchst fraglich, ob man Bildung durch wirtschaftliche Not erzwingen kann.

        Sie schreiben immer von "arbeiten", ohne zwischen erwerbsförmiger und unbezahlter Arbeit zu differenzieren. Zu letzterer können wir ja sowieso niemanden zwingen, dennoch ist sie notwendig für das Gemeinwesen (Sorge-, Demokratie- und schöpferisch-kreative Arbeit).

        Selbst wenn nur 25% der Bevölkerung erwerbstätig wären, hätten wir vermutlich kein Versorgungsproblem. (Es gab schon Prognosen, dass es weniger Leute braucht, mir fällt gerade nicht mehr ein, welche/r Wissenschaftler*in das geschrieben hat.)



        Das BGE braucht im Gegensatz zum Kommunismus (wie wir ihn kennen), keinen "neuen Menschen" oder so. Denn wer erwerbsarbeitet, hat mehr Einkommen als die, die nichts (oder nur unbezahlte Arbeit) machen. D.h. das BGE funktioniert sowohl für Egoisten als auch für Altruisten.

        • @Eric Manneschmidt:

          Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben für die Erläuterung.

          Es gibt bereits Menschen mit BGE, manche nennen es auch "Mieteinnahmen".

          Die meisten privaten Vermieter arbeiten ja trozdem weiter, auch wenn Sie es sich in Thailand gut gehen lassen könnten von dem Geld.

    • @Eric Manneschmidt:

      Sorry, das ist eine vage Hypothese.



      Viele Beschäftigte der fossilen Industrie sind voll davon überzeugt.



      Tun prägt das Bewußtsein: Kaum jemand hält es aus, lange gegen seine Überzeugung zu arbeiten, dann muss sich die Überzeugung eben nach und nach anpassen...

  • Ziemlich gewagt, nach dem Atomausstieg, dem Kohleausstieg und dem Aus für Verbrenner nun auch das Aus für Gas zu fordern. Fracking will man auch nicht, und viele Leute wollen am besten auch überhaupt nichts,was irgendwie blöd die Landschaft verschandelt und/oder Insekten schadet (Windräder, Solar)...aber hey, Strom kommt halt aus der Steckdose, wahrscheinlich zum doppelten Preis von maroden französischen Meilern oder polnischen Kohlekraftwerken - aber Hauptsache in D wird das Weltklima gerettet.