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Vor den Midterms in den USAZu zaghaft gegen Putschisten

Dorothea Hahn
Essay von Dorothea Hahn

Die Demokraten haben der Radikalisierung der Republikaner in den letzten zwei Jahren wenig entgegengesetzt. Das könnte ihnen zum Verhängnis werden.

US-Amerikaner auf dem Weg zu einem Festival, das das Recht auf Waffenbesitz zelebriert Foto: Mark Peterson/Redux/laif

B is Dienstag können sie noch hoffen. Aber es würde an ein Wunder grenzen, behielten die Demokraten ihre knappen Mehrheiten im Kongress. Die Anzeichen für einen republikanischen Sieg mehren sich täglich, eine Zitterpartie wird es sowieso.

Den Demokraten droht zusätzlich der Verlust von Gouverneursposten quer durchs Land: von Washington bis Arizona, von Georgia bis New Hampshire. Selbst im traditionell demokratischen New York hat Trump-Republikaner Lee Zeldin gute Chancen.

Halbwegs sicher können sich die Demokraten nur dort fühlen, wo parallel Referenden über das Abtreibungsrecht stattfinden. Beispielsweise in Michigan, wo es auch um eine Verfassungsänderung für das individuelle Recht auf Schwangerschaftsabbruch geht.

Die sogenannten Midterms, die genau zwischen zwei Präsidentschaftswahlen stattfinden, sind für die Bevölkerung Gelegenheit, ihrem Unmut über die Präsidentenpartei Ausdruck zu verleihen. So ist Barack Obama 2010 und 2014 abgestraft worden, damals verlor seine Partei erst das Repräsentantenhaus, dann auch den Senat. In abgeschwächter Form erlebte das auch Donald Trump: 2018 verloren die Republikaner das Repräsentantenhaus.

Die „election deniers“ und ihre „big lie“

Doch die Republikaner, die sich am Dienstag um alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus, um die 35 frei werdenden Sitze im Senat, die 36 frei werdenden Gouverneursposten sowie den Einzug in die Parlamente der zahlreichen Bundesstaaten bewerben, sind anders als noch zu Zeiten Barack Obamas. Sie haben Putschistenmentalität.

Sie haben gezeigt, dass sie im Fall von Niederlagen nicht willens sind, sich an demokratische Regeln zu halten. Mehr als die Hälfte der republikanischen Kandidaten, die am Dienstag für Ämter irgendwo in den USA antreten, sind sogenannte „election deniers“. Sie sprechen Wahlen ihre Verbindlichkeit ab, halten gar an der „big lie“ fest, der „großen Lüge“, dem Wahlsieg Joe Bidens. Weiterhin propagieren sie, Trump sei der wahre Gewinner.

Dabei war die Präsidentschaftswahl 2020 eine der am sorgfältigsten beobachteten der US-Geschichte. Experten, Richter und Wahlhelfer (demokratische wie republikanische, US-amerikanische wie ausländische) haben ihre Rechtmäßigkeit bestätigt. Auch nach punktuellen Neuauszählungen blieb der Sieger Joe Biden.

Aber die „deniers“ blieben dabei. Weil sie Trumps Unterstützung für ihre Kandidaturen nur so bekommen, mögen es manche republikanischen Politiker aus Opportunismus tun. Trotzdem hat die Lüge irreparablen Schaden angerichtet: Sie hat zum gewaltsamen Sturm auf das Kapitol vom 6. Januar 2021 geführt und sie hat das Vertrauen der Wähler in Institutionen der Demokratie ausgehöhlt.

Die anstehenden Midterms könnten schlimmer werden als die vergangene Präsidentschaftswahl. Damals brauchte Trump Wochen, um seine Unterstützer auf die „big lie“ einzuschwören, jetzt haben die „deniers“ zwei Jahre Erfahrung.

Anfechtungen und Wutausbrüche vorprogrammiert

Ihre Anwälte haben von ihren Anfechtungen vor Gericht und den unausweichlichen Niederlagen gelernt. Und ihre Milizionäre, von denen manche sich auf einen „kommenden Bürgerkrieg vorbereiten“, könnten in manchen Bundesstaaten ihre Schusswaffen mit in die Wahllokale nehmen. Und es wäre sogar erlaubt.

Am Dienstag werden in den Lokalen zahlreiche Neulinge erstmals als Wahlhelfer arbeiten, nach den Präsidentschaftswahlen haben einige alteingesessene Wahlhelfer ihren Dienst quittiert. Der Grund: Wütende Trump-Anhänger haben ihnen teilweise noch Wochen nach der Wahl vor ihren Wohnhäusern aufgelauert oder haben sie auf sozialen Netzwerken beschimpft.

Am dramatischsten könnten die Stunden und Tage nach Schließung der Wahllokale werden. Das Wahlrecht ist in jedem Bundesstaat anders, an vielen Orten darf erst nach Schließung der Wahllokale mit der Auszählung begonnen werden.

Die ersten Wahlergebnisse des Abends werden vielerorts nur die am Wahltag abgegebenen Stimmen erfassen. Weil die Republikaner ihre Anhänger dazu auffordern, am Tag selbst wählen zu gehen, ist ein republikanischer Vorsprung sehr wahrscheinlich. Dagegen wählen viele Demokraten seit der Pandemie per Brief.

An Orten, wo sich das Wahlergebnis nach der Auswertung der Briefwahlstimmen von republikanisch zu demokratisch ändert, sind Anfechtungen und Wutausbrüche daher vorprogrammiert.

Das Recht auf Abtreibung als einzigen Wahlkampfinhalt

Dass es so weit kommen konnte, Trump möglicherweise gar kurz vor einer neuen Präsidentschaftskandidatur steht, obwohl ihm Betrug, Korruption und die Entwendung von Geheimdokumenten vorgeworfen wird, hat sich lange angebahnt.

Grund ist vor allem die Rückgratlosigkeit der Republikaner. Dem Machterhalt zuliebe hat die Partei auf Trump gesetzt und ihm die Definition ihrer Politik und ihrer Institutionen ausgeliefert.

Doch die regierenden Demokraten haben der Radikalisierung der anderen Seite erstaunlich wenig entgegengesetzt. Nach zwei Jahren im Amt hat Präsident Biden eine Bilanz, die besser ist als ihr Ruf: Dazu gehören milliardenschwere Konjunkturprogramme, Preiskontrollen bei manchen Medikamenten, zusätzliche Sozialleistungen für einkommensschwache Familien, Beinahe-Vollbeschäftigung, Rentenanhebungen, eine verbesserte Klimapolitik und diverse Änderungen im Waffenrecht.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Mit diesen Errungenschaften und weiteren konkreten Plänen in der Mache hätten die Demokraten vielerorts punkten können. Doch als das Oberste Gericht die Grundsatzentscheidung von 1973 strich, die Frauen in den USA das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gewährt, sprangen sie auf das Thema, als hätten sie sonst nichts zu bieten.

Ein paar Wochen lang schien dieses Kalkül aufzugehen. Die überwiegende Mehrheit der demokratischen und mehr als ein Drittel der republikanischen Wähler wollen nicht akzeptieren, dass Frauen in dieser Frage ihre Selbstbestimmung genommen wird. Das Recht, über den eigenen Körper zu entscheiden, ist ihnen wichtiger als die Angebote der Republikaner, mit „Härte“ gegen Immigration und Verbrechen vorzugehen. Die Umfragewerte der Demokraten stiegen. Doch gleichzeitig schnellten die Verbraucherpreise – insbesondere für Lebensmittel, Mieten und Benzin – rasant in die Höhe. Die Republikaner entdeckten die Zugkraft des Themas Inflation. Verantwortlich dafür machten sie Biden, als wäre die Steigerung der Lebenshaltungskosten ein isoliertes nationales Ereignis.

Die Inflation ist in den USA niedriger als in der EU. Und sie hängt mit dem gleichen Spannungsfeld aus Krieg, Pandemie und Spekulation zusammen. Aber für Millionen von Menschen in den USA, deren Löhne seit Jahren auf niedrigem Niveau stagnieren, ist sie existenzbedrohend.

Die Demokraten haben versäumt, die Menschen bei ihren ökonomischen Sorgen abzuholen

Dennoch blieben die Demokraten bei ihrem Ein-Punkt-Wahlkampf für das Recht auf Abtreibung. Sie ignorierten Mahnungen vom linken und rechten Parteiflügel. Und versuchten nicht, die Wähler bei ihren ökonomischen Sorgen abzuholen und ihnen Erklärungen und Lösungen zu bieten. Auch bei anderen Themen verhielten sie sich seltsam vorsichtig.

So brachten sie weder die Klimakrise noch die Außenpolitik in den Wahlkampf ein. Und überließen die Aufarbeitung der Gewalt vom 6. Januar einem Untersuchungsausschuss des US-Repräsentantenhauses. Gleichzeitig schickten sich republikanische Unterstützer der Gewalt an, die Abgeordnetensitze der Ausschussmitglieder zu übernehmen.

Erst kurz vor Ende des Wahlkampfes ging Biden mit einer Rede zur Verteidigung der Demokratie in die Gegenoffensive. Es könnte zu spät gewesen sein. Putschisten lassen sich nicht mit Zaghaftigkeit bremsen.

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Dorothea Hahn
Korrespondentin
Kommt aus Köln. Ihre journalistischen Stationen waren Mexiko-Stadt, Berlin, Paris, Washington und New York.
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7 Kommentare

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  • Michael Moore hatte sich vor den mid-terms allen Vorhersagen entgegengestellt und den Demokraten gute Chancen zugestanden (es lohnt sich, seine Begründung im Einzelnen zu lesen). "Mike's midterm tsunamy truth" auf michaelmoore.com -



    es stellt sich wirklich die Frage, ob die in diesem Fall für die Demokraten (in anderen Fällen für die Republikaner) negativen Meinungsumfragen nicht indirekt einen Trend verstärken. Klar, theoretisch sind die Wähler in ihrer Entscheidung unabhängig, aber konkret setzen viele doch gerne auf Kandidat*en, die gewinnen oder denen man es nachsagt. Manchmal gibt es auch die Gegentendenz: Die Aussicht auf eine Trump-Präsidentschaft lockt vielleicht auch den letzten hinter dem Ofen hervor.



    In manchen Ländern dürfen schlicht keine opinion polls eine gewisse Zeit vor den Wahlen mehr veröffentlicht werden. Ich halte das für die Meinungsfindung und die Stärkung der Unabhängigkeit der Wahlentscheidung für besser.

  • Wenn das so weiter geht wird es 2024 für Trump (bzw. einen repubikanischen Präsidenten) keinen Putsch mehr brauchen...

  • Das Kernproblem ist das in Amerika die meisten Menschen der Oberschicht und oberen Mittelschicht ein Kernanliegen haben: niedrige Steuern. Da sind dann super liberale die sich die Nase zu halten und Republikaner wählen. Weil die Demokraten es nicht hinkriegen die Unterschicht zu mobilisieren.

    Der Unterschichtenwähler der nur zu blöd ist und Republikaner wählt ist ein Mythos.

    • @Machiavelli:

      Dass die Dems ein massives Mobilisierungsproblem haben, dürfte klar sein … die Ursachen wurden in dem Essay von Dorothea Hahn ja auch zutreffend benannt.



      Die Crux scheint aber zu sein, dass die Dems selbst - zumindest das parteipolitische Establishment - tatsächlich aber auch überhaupt so kein Interesse an gesellschaftspolitischen Veränderungen bzw. angesichts der tiefgreifenden Gesellschaftskrise radikalen Reformschritten haben. Zumindest sieht es von außen stark danach aus.



      Das Abtreibungsthema dient wohl nur als kosmetisches Feigenblatt, um Progressivität vorzutäuschen … in Wirklichkeit weiß das Parteiestablishment, dass damit alleine bei den US-Wählern kein Blumentopf zu gewinnen ist. Reine Spiegelfechtereien.



      Aber warum ist man bei den Dems gewillt, die Macht so offensichtlich aus den Händen zu geben und das Land letztlich kampflos wieder dem Scharlatan Trump zu überlassen? Meine These: weil die Machteliten, die in den USA beide Parteien beherrschen, offenbar der Meinung sind, Trump habe seine Rolle noch nicht zu Ende gespielt … Biden ist da nur ein Zwischenspiel (vielleicht hatte man da anfangs wirklich mehr Hoffnung auf ihn gesetzt) und die Dems ständen jetzt vor der Entscheidung, sich an die Spitze einer sozialen Bewegung zu setzen, die das US-amerikanische Prekariat - und das ist keine Frage von Schwarz oder Weiß bzw. Ethnicity (wieder so eine Nebelkerze des woken Dems-Establishments) - aus den Krallen der Trumpisten oder ihrer politischen Apathie zu befreien und sie so zu Gestaltern ihrer eigenen Lebensentwürfe (wow, wie pathetisch!) zu machen. Dazu sind und waren die Dems allerdings nie in der Lage oder willens.



      Sich fortschrittlich zu geben, zugleich alles beim Alten lassen zu wollen, das funktioniert selbst in den Staaten nicht mehr. Neoliberalismus kaputt, würde ich sagen, falls Trump noch einmal durchkommt. Oder nur eine neue Stufe dieser alten Weltordnung, dann jedoch unter autokratischem (dystopischen?) Vorzeichen.

    • @Machiavelli:

      Derarte Interessenskonflikte um Steuern und staatliche Wohlfahrt gibt es andernorts ja auch, ohne dass das zu derartigen Auswüchsen kommt. Ich würde das Kernproblem eher in einem über 230 Jahre alten politischen System sehen, dass sich lediglich über sporadische Amendments entwickelt hat, aber nie ernsthaft reformiert wurde und inzwischen als sakrosankt gilt.



      Nehemen sie 'das Recht Waffen zu tragen', ursprünglich eingeführt um einer Rückeroberung durch das Britisch Empire zu begegnen ohne das Risiko eines Putsches durch ein stehendes Heer eingehen zu müssen. Inzwischen haben die USA aber eine Armee, bislang ohne Putschversuche, und Charles III scheint ebenfalls eher nicht geneigt Truppen in die abtrünninge Kolonie zu entsenden. Dennoch gilt die jederzeitige Bewaffnung als unantatbares Grundrecht und zwar obwohl es längst selbst zu einer massiven Gefährdung für das Gemeinwesen mit immensen Opferzahlen und perspektivisch als schwere Hypothek im Falle einer gewaltätig eskalierenden weiteren Spaltung des Landes.

      • @Ingo Bernable:

        Eine zutreffende historische Herleitung, was das Recht betrifft, Waffen zu tragen … und ich würde es nicht als „aus der Zeit gefallen“ belächeln. Vor allem nicht, wenn sich das gesellschaftspolitische Klima in den Staaten weiter so rasant in Richtung dystopischer Zustände verschlechtern sollte … dann kann es ganz nützlich sein, sein „Recht“ auf der Straße mit Waffengewalt durchzusetzen oder es zu verteidigen. Oder auch nur das nackte Leben.



        Damit sind wir wieder beim Thema: möchte Biden etwas tun, um das Abrutschen der USA in ein solches Szenario zu verhindern, hätte er innenpolitisch weitaus mehr unternehmen müssen … so bleibt seine Amtszeit eine Phase des Stillstandes, der vertanen Zeit.