Vorstellung der neuen Corona-Kampagne: Schicksale statt Studien
Gesundheitsminister Lauterbach setzt bei der neuen Corona-Kampagne auf lebensnahe Geschichten. Darunter auch die von Long-Covid-Betroffenen.
Wer Stokowski sonst von Lesungen oder Talks auf Buchmessen aus den letzten Jahren kennt, erschrickt bei ihrem Auftritt. Auf ihren Social-Media-Kanälen teilt sie seit zehn Monaten Auszüge über das Leben mit der Krankheit. Sie live über ihre Long-Covid-Symptome wie Brain Fog, Herzrasen, „täglich krasse Kopfschmerzen“ oder Wortfindungsstörungen sprechen zu hören, gibt einen schmerzhaften Eindruck der Folgen einer Covid-19-Erkrankung.
Um abzuschrecken und um aufzuklären, dass Long Covid eben nicht bedeutet, „ein bisschen müde zu sein“, dafür hat sich Stokowski bereiterklärt, öffentlich zu sprechen. Denn auch viele sonst gut informierte Menschen wüssten wenig über Long Covid oder hätten völlig falsche Vorstellungen von der Erkrankung, so Stokowski.
Neben ihr sitzt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Zum Start der neuen Corona- und Impfkampagne „Ich schütze mich“ seines Ministeriums fasst er zusammen, wie sich die Wahrnehmung der Pandemie in Deutschland verändert hat. Es „bestürze“ ihn, dass inzwischen viele Leute bei den Coronasterbezahlen kritisch nachfragten, ob das nicht ohnehin „nur“ alte oder kranke Leute gewesen sein. Ob diese denn wirklich „an – oder nur mit Corona“ gestorben seien. So hätten zu Beginn der Pandemie die meisten nicht gedacht. Doch statt Solidarität gebe es jetzt Defätismus. Maßnahmen zur Eindämmung? Das bringt nichts mehr.
Nur Daten erreichen die Menschen nicht
Statt nur mit „komplizierten Studien“ zu versuchen, Menschen zu erreichen, setzt Lauterbach mit der neuen Coronakampagne auf reale Geschichten. 84 Personen erzählen stellvertretend für 84 Millionen Menschen in Deutschland, warum sie sich vor Corona schützen. Mit TV-Spots, Plakaten und Social-Media-Posts will Lauterbachs Ministerium für die Impfung mit dem Omikron-Impfstoff werben, aber auch für das Tragen von Masken.
Erneut wiederholte er seinen Appell an die Bundesländer, von der Maskenpflicht in Innenräumen Gebrauch zu machen, wie es das Infektionsschutzgesetz vorsehe. Das sei eine niederschwellige Maßnahme und könnte später stärkere Einschränkungen verhindern: „Die Richtung, in die wir unterwegs sind, ist keine gute“, mahnte Lauterbach. Aber trotz steigender Zahlen und einer Dunkelziffer bei Neuinfektionen, die nach Lauterbachs Einschätzung etwa drei- bis viermal höher seien, sehe er eine nationale Notlage aktuell „überhaupt nicht begründbar“.
In den Erzählungen der Impfkampagne sind auch Long-Covid-Betroffene dabei. Margarete Stokowski selbst aber nicht: „Wenn man mit mir gerade einen Termin macht, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass ich wieder absage“, sagt Stokowski. Und: Sie kritisiert die schlechte Versorgungslage von Long-Covid-Patient*innen in Deutschland. Manche Ärzt*innen würden Betroffene nicht ernst nehmen, die Sprechstunden seien in ihrer Wahrnehmung überlaufen. Zu spät sei die Forschung zu Long Covid in Angriff genommen worden, sodass sie selbst für viel Geld verschiedene Sachen ausprobiert habe, um zu schauen, ob sie helfen. Das könnten sich viele Menschen nicht leisten.
Omikron-Impfstoff und Paxlovid
Stokowski war dreifach geimpft, als sie sich mit Corona infizierte. Trotzdem setzt die neue Kampagne besonders auf den angepassten Impfstoff. Diese würden das Risiko, an Long Covid zu erkranken, um die Hälfte verringern, so Lauterbach. Auch eine Infektion sei dadurch unwahrscheinlicher. Aussagen über mögliche neue Virusvarianten, wie BQ.1 und BU.1.1, und zur Wirksamkeit der vorhandenen Impfstoffe darauf wollte er jetzt noch nicht treffen. Stattdessen betonte er erneut die gute Wirksamkeit des Coronamedikaments Paxlovid und dass man insgesamt gut für den „schweren Herbst“ vorbereitet sei.
Eine Zielquote für neue Impfungen setzt sich das Gesundheitsministerium mit der Kampagne nicht. Insbesondere wolle man aber für die vierte Impfung bei den über 60-Jährigen werben, wie sie auch die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt. Wie gut die insgesamt 32 Millionen Euro plus 700.000 Euro für die kreative Entwicklung der Kampagne – nach Aussage Lauterbachs also rund 40 Cent pro Bundesbürger*in – investiert sind, wird sich erst zeigen.
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