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Proteste in IranAb in die historische Mülltonne

Kommentar von Bahman Nirumand

Das iranische Regime ist nicht reformierbar und gehört abgelöst. Es braucht eine überzeugende Alternative und die Ausweitung der Proteste.

Ihre Zeit ist abgelaufen: Ayatollahs Khamenei und Khomeni Foto: Jens Jeske

D ie landesweiten, seit fünf Wochen andauernden Proteste in Iran stellen einen weiteren Höhepunkt des jahrzehntelangen mühsamen Kampfes für Freiheit, Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit dar. Sie bilden im Vergleich zu den Protesten der letzten Jahre einen qualitativen Sprung. Jetzt geht es nicht mehr um einzelne wirtschaftliche oder soziale Forderungen, sondern um das gesamte System, um einen Regimewechsel.

Die schreckliche Geschichte der vergangenen 43 Jahre zeigt, dass dieses durch und durch korrupte Regime nicht nur nicht willens ist, den Bedürfnissen und Nöten der Bevölkerung entgegenzukommen, es beharrt auch auf die Fortsetzung der ideologisch verbrämten und religiös getarnten Irrwege. Wie oft sind die Menschen, hoffend auf grundlegende Reformen, geduldig zur Wahl gegangen, wie oft haben sie auf den Straßen, in den Fabriken, an den Universitäten für die Durchsetzung ihrer Forderungen protestiert.

Doch alle ihre Rufe und Schreie stießen auf taube Ohren. Dieses Regime ist nicht reformierbar ist. Es gehört in den Mülleimer der Geschichte. Können nun die vorwiegend jungen Frauen und Männer, die mit bewundernswertem Mut, Tag für Tag ihr Leben riskieren, diese historische Entwicklung vorantreiben? Die Proteste sind spontan, es gibt noch keinen klaren Plan, keine Organisation, keine Führung.

Die Rebellierenden können ihr Ziel nur erreichen, wenn sie landesweit von Werktätigen, staatlichen Angestellten, vom Basar und anderen Bevölkerungsgruppen unterstützt werden, und wenn es ihnen gelingt, das Militär, die Revolutionsgarden, ja sogar Teile des Regimes zu spalten. Das ist bisher nur sporadisch geschehen. Zudem müssen sie eine für die Mehrheit der Bevölkerung überzeugende Alternative bieten.

Noch hat das Regime alle Hebel der Macht in der Hand und ist bereit, sie skrupellos einzusetzen. Es kann sogar – noch dazu mit Hilfe eines deutschen Unternehmens – das Internet und die sozialen Netzwerke sperren. Fest steht, dass es nicht freiwillig das Feld räumen wird. Fest steht aber auch, dass im Gebälk des Gottesstaates schon starke Risse sind. Das Regime, das einst über eine breite Basis in der Bevölkerung verfügte, steht wie eine fremde Besatzungsmacht einem Volk gegenüber, das jegliches Vertrauen verloren hat.

Gerade die Jugendlichen, die sich in diesen Tagen mit leeren Händen den bewaffneten Schergen entgegenstellen, die frei sein und selbstbestimmt leben wollen, haben dem Regime einen harten Schlag versetzt, von dem es sich nicht mehr erholen wird. Mag sein, dass dies noch nicht der letzte Schlag ist. Aber der Gottesstaat steht am Abgrund. Seine Tage sind gezählt.

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25 Kommentare

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    Die Moderation

    • @Mr Plagiārius:

      Einen roter Onkel (Trotzki) kam dem schon mal zuvor.

  • es wäre zu schön um wahr zu sein



    Ein so großes Volk befreit sich von ihren Unterdrückern, finden neue Führer die an das Volk und Land denken und nicht nur an sich und ihre Vasallen. Ein Volk erblüht wie dieses Volk es möchte. Aufwachen . . . .



    Verbrecher verstecken sich hinter der Religion. Wer sie angreift atakiert die Religion und begeht damit eine unverzeiliche Straftat. Dieses System schützt, da die Konservative Bevölkerung immer die Religion zu schützen weiß, egal was die Person tat die sich hinter diesem Schild versteckt. Funktioniert bei den Christen genauso

    • @Ramaz:

      Die christlichen Religionen haben den Machtstreit mit den weltlichen Strukturen sehr deutlich (auch blutig) verloren. Eine vergleichbare Entwicklung hat es im Islam nicht gegeben, was mit Blick an die Situation im Iran ein relevanter Punkt ist.

      • @alterego:

        In den USA und in Südamerika sehe ich faschistische Evangelikale auf dem Vormarsch. Also kannst Du mal, mit Ausnahme von Polen, Ungarn und Russland, die Aussage auf Europa einschränken. Zwotens, Zusammenbruch des osmanischen Reiches ein Begriff?



        Beste Grüße

      • @alterego:

        Nur als Anmerkung: der Vergleich Christentum/Islam geht nicht ganz auf, weil der Islam keine "Kirche" in unserem Sinne kennt. Es ist also wenig zielführend, europäische Geschichte (noch dazu in einer allzu schematischen Deutung!) als Muster für die Entwicklung Irans und anderer nicht-europäischer Staaten zu verwenden. Es mag die hiesige Eitelkeit kränken, aber Europa ist nicht die historische und soziale Blaupause für den Rest der Welt.

        • @O.F.:

          Der Schlusssatz ist super, danke dafür!

    • @Ramaz:

      Ja, aber sagte nicht Baebock vor zwei Wochen im Bundestag, der Terror gegen die Frauen im Iran habe nichts, aber auch gar nichts mit der Religion zu tun?

    • @Ramaz:

      Und bei den Kommunisten. Und den Faschisten. Also: bei den Arschlöchern.

  • Der Aufruf ist nachvollziehbar. Es mangelt aber an tiefergehenden Analysen zur aktuellen Entwicklung.



    Die Unruhen haben unterschiedliche teils gegensätzliche Motive (religiöse, separatistische, liberale, feministische….) - wie entsteht daraus eine starke, mehrheitsfähige Gemeinsamkeit?

    • @alterego:

      Da haben Sie genau die richtige Frage gestellt … und das ganze Drama für die iranische Gesellschaft ist, dass sie zurzeit nicht beantwortet werden kann. Nach 43 Jahren Mullah-Herrschaft ist eben ein gesellschaftspolitisches Vakuum entstanden, das nicht so schnell durch eine dissidente politische Kraft gefüllt werden kann und das, obwohl die Protestbewegung im Iran dieses Mal breiter aufgestellt ist als je zuvor.



      Es ist zugleich offenkundig, dass die bisherigen Machthaber abgewirtschaftet haben … vielleicht können sie sich durch brutale Repression noch einige Zeit an der Macht halten.



      Diejenigen im Westen, die glaubten, es wäre mit der Formel „Wandel durch Handel“ ein evolutionärer Weg der Demokratisierung des Iran mit den Mullahs möglich, sehen sich ebenfalls einer Illusion beraubt … und ich muss eingestehen, dass ich zu letzteren gehörte.



      Was also sind die Perspektiven? Umsturz mit der Aussicht, am Ende einem weiteren fail state in der Region gegenüberzustehen? Einen aktiven Regime Change von außen zu betreiben … und welchen Erfolg sollte das bringen mangels organisierter Opposition?



      Steht am Ende die kulturpessimistische (und rassistische) Prognose solcher selbsternannten Nahost-Experten wie einst Scholl-Latour, dass die Iraner leider auch nicht „demokratiefähig“ seien und alles in Mord und Totschlag enden würde? Man soll sich nicht täuschen, so denken viele unserer Mitbürger hierzulande über die politischen Prozesse im globalen Süden.

    • @alterego:

      Auch die iranische Revolution 1979 hat sehr heterogene Gruppen erfolgreich gegen den Schah vereint. Das Problem, dass dann allerdings folgte: dass diese Vielfalt dann nicht an der neuen Staatsführung beteiligt wurde, sondern sehr schnell der religiöse Führer Chomeini seine Vorstellungen eines Gottesstaates durchsetzte.

  • Der 3. undemokratisch bestimmte PM in Großbritannien, eine Faschistin in Italien, im Osten glühende Nationalisten, also scheint die iranische Diktatur just in time zu sein. Ein Ende sehe ich nicht.

    • @Kappert Joachim:

      Tut mir leid, ich muss widersprechen … Sie rühren hier politische Prozesse zusammen (GB, Italien, Osteuropa, Iran), die bei Lichte betrachtet einfach nichts miteinander zu tun haben.

  • Die Islamische Republik ist ein Irrweg, es ist eine Warnung an die Menschheit, kaum ein anderer Staat auf dieser Erde hat derart gefoltert, getötet und Menschenrechte verletzt wir seit 1979 in Iran.

    Die Menschenrechtsverletztungen des Shah-Regimes wurde um ein zigfaches überboten, aber bisher wurde das Regime nicht gestürzt. Leider nicht.

    Der Iran verpulvert auch Mrd. an US-Dollar, um sich außenpolitisch zu behaupten. Die Menschen selber werden schrittweise immer ärmer, die geförderte Öl-Menge erzteugt immer weniger ausreichend Devisen, um Wohlstand für eine breite Masse zu finanzieren. Das war mal anders.

    Aber es ging von Anfang an darum, mit Gewalt und durch Gewalt an der Macht zu bleiben. Die breite religiöse Basis reichte nie aus, es musste mit sehr harter Hand regiert werden. Legendär auch Mykonos und die Ermordung von Dr. Qhassemolu im Ausland. Dieses Regime war extrem im Umgang mit den Kurden. Viele sind heute im Exil, es gibt kaum Überlebensmöglichkeiten unter den Bedingungen. Auch die Belutschen, auch sie Sunniten, haben die harte Hand aus Teheran kennen gelernt.

    Dazu kommt noch eine ungeheure Korruption. Beim Shah sagte man 10.000 Familien besitzen 90 Prozent des Irans, inzwischen sind es wahrscheinlicht nicht mal 1.000 Familien, die über verschlungene Wege Mrd. besitzen.

    Wo so viel Reichtum gebündelt wird, da müssen Menschen auch verarmt werden, um arme Menschen in Schach zu halten, muss man sie immer härter unterdrücken, muss man vor allem Frauen im Schach halten, damit die Männer wenigstens noch etwas unter sich haben.

    Es wäre zu schön, wenn dieses Regime verschwinden würde. Ob es klappt, das hängt davon ab, wie viel Blut und Tote die Bewegung hinnehmen kann. Dieses Regime wird nur unter sehr hohen Opfern aufgeben. Sie haben auch nichts, sie können nur dort sterben oder kämpfen bis zum Schluss, selbst im Irak will sie keiner haben. Die Schiitten dort hassen die Mullahs aus Teheran.

    • @Andreas_2020:

      Sehr guter Kommentar, Andreas_2020.

      Wie sich die Mullahs und ihre sog . Revolutionären Garden die Wirtschaft Irans unter den Nagel gerissen haben, ist schon erstaunlich.

      Perfide bis zum Abwinken:

      Das System existiert in seinen Grundlagen etwa seit 1979, aufgebaut von einem der größten Demagogen des letzten Jahrhunderts, Khomeini.

      Wirtschaftliche Systemanalysen existieren seit einer Reihe von Jahren:

      2008



      www.handelsblatt.c...e-4/2949070-4.html

      2018



      www.handelsblatt.c...-nie/23970116.html

      Interessant auch ein Artikel des Schweizer Tagesanzeigers von 2018, der vermehrt auf die von den Mullahs verschuldete Wasserknappheit im Iran eingeht.

      Grund für den Wasserraubbau sind der Bevölkerungsanstieg (von 18 Millionen in 1950 auf 84 Millionen in 2020) und eine Landwirtschaft, die auf Wasserfresser wie Reis und Pistazien setzt. Hinzu kommen viel zu viele Staudämme zur Energiegewinnung: Gab es im Iran vor der Revolution 18 Sperren, sind es heute 647.

      "Wenn das Volk hungert"

      www.tagesanzeiger....ngert-576975527321

    • @Andreas_2020:

      Naja Nordkorea China Eritrea und ein paar andere fallen mir noch ein, die deutlich übler sind. Eins davon will sich in Hamburg einkaufen. WTF.

    • @Andreas_2020:

      "kaum ein anderer Staat auf dieser Erde"



      Ehrlich gesagt fallen mir etliche Staaten einen, die noch wesentlich undemokratischer und repressiver sind - und nicht wenige davon sind unsere Verbündeten (und hier denke ich nicht nur an das Klischee-Beispiel Saudi-Arabien).



      Dass man im Iran das Böse schlechthin sehen will, dürfte also mehr mit geopolitischen Konflikten zu tun haben, als mit den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort (die wesentlich nuancenreicher sind als hier oft wahrgenommen wird).

      • @O.F.:

        Na dann beschreiben Sie doch einmal ein paar dieser Nuancen.

        Was fällt ihnen denn so an positivem ein?

        • @Jim Hawkins:

          Nuancen, damit sind bestimmt die tollen Markthallen gemeint wo die Touri's für wenig Geld super shoppen können. " Ist ja alles so schon bunt und lecker hier." Sich aber keinen Kopf über die Zustände in ihrem Reiseland machen. Immer schön die dunkle Sonnenbrille vor den Augen...

  • Strategisch wäre es sinnvoll, wenn die Regierung in Tehran abgelöst werden würde, Assad ggf äh entfernt, dann wird es gleich auch für Moskau enger. Blieben Putin noch die AfD, Berlusconi, lePen, Orban und die liebe Sarah Double-U.

  • Es zeigt sich in der Tat in erschütternder Weise, dass das jetzige Regime weder willens noch fähig zur Reform ist. Nur zeichnet sich auch keine politische Alternative ab und man kann nur hoffen und dem Iran wünschen, dass ein Sturz des Regimes nicht wie in Libyen oder im Irak ins Chaos führt. Nicht hoffnungsfroh stimmt einem, wenn von den letzten "43 Jahren" "schrecklicher Geschichte" die Rede ist: das Schah-Regime als Erwartungshorizont? Wohl kaum. Mossadegh wurde (with a little help of the CIA-friends) 1953 gestürzt; dem Iran ist zu wünschen davor und nicht bei den Pahlavi anknüpfen zu können.

    • @HRM:

      Leider gibt es derzeit immer mehr iranische Stimmen, die eine Monarchie unter Reza Pahlavi befürworten statt einer demokratischen Republik.

      Das liegt vielleicht daran, daß es nach über 40 Jahren klerikaler Diktatur keine Gruppierungen mehr gibt, die eine überzeugende Alternative anbieten könnten. Also holt man den ehemaligen Thronfolger aus der Abstellkammer...

  • Vielen Dank für diesen Kommentar aus mehr als berufenen Munde.

    Was natürlich auch wichtig ist, das ist die internationale Solidarität.

    Morgen findet ab 15:00 Uhr am Großen Stern in Berlin die "Freedom Rally for Iran" statt.

    Ein Pflichttermin für alle, für die es machbar ist.

    • @Jim Hawkins:

      Ja, heute, Samstag, 15:00 Uhr Großer Stern Ecke Hofjägerallee!

      www.openstreetmap.org/way/30194724

      Die Demo wird dem iranischen Regime total egal sein, aber die Bilder werden über soziale Medien die Protestierenden im Iran erreichen. Und für die ist es überlebenswichtig zu sehen, daß man sie im Ausland nicht vergißt!