Lokalpolitiker über Kur­d:in­nen in Iran: „Mehrfache Unterdrückung“

In Iran werden Kur­d:in­nen als ethnische Minderheit, als Sunniten und als sozial Unterschicht diskriminiert. Das meint der Aktivist Civan Akbulut.

Protestierende mit iranischen Fahnen und dem Porträt von Mahsa Amini

Protest mit Bild der mutmaßlich getöteten kurdischstämmigen iranischen Studentin Mahsa Amini bei einer Demonstration in Washington D.C. am Samstag Foto: Jose Luis Magana/ap

taz: Die derzeitigen Proteste in Iran begannen in den kurdischen Gebieten. Fand die Islamische Revolution 1979 auch unter Kur­d:in­nen Unterstützung?

Civan Akbulut: Unter der Herrschaft des Schahs wurden die Kur­d:in­nen brutal unterdrückt: Sie wurden nicht als eigenes Volk anerkannt, das kurdische Siedlungsgebiet wurde heruntergewirtschaftet und militarisiert. Das damalige Regime fürchtete sich vor den Kur­d:in­nen und handelte auch entsprechend. Deshalb begrüßten die nach so vielen Jahren Leid, wie viele andere auch, die Revolution – in der Hoffnung, dass damit die Unterdrückung ein Ende finden würde. Ursprünglich war das auch keine islamische Revolution, sondern eine Bewegung der breiten Masse, an der auch Progressive beteiligt waren. Es war eine Revolution gegen den Schah, die von allen getragen wurde, die unter ihm litten.

Wann kam das böse Erwachen?

Nachdem der Schah vertrieben wurde, ging es ganz schnell. Schon in den ersten Tagen wurden die kurdischen Parteien verboten, die Zwangsverschleierung wurde verkündet. Dagegen gab es Widerstand, aber der wurde brutal zerschlagen. Damals hätte man bereits sehen können, in welche Richtung das geht. Aber auch progressive Kräfte schauten erstmal weg. Auch Linke und Liberale versuchten etwa Frauen mundtot zu machen. Denn der Kampf gegen den Imperialismus, gegen die USA, schien ihnen damals wichtiger als die Rechte von Minderheiten und Frauen – ein Trugschluss, diese Haltung rächte sich schnell. Kri­ti­ke­r:in­nen wurden verhaftet, vertrieben, ermordet – bis heute.

ist kurdischer Aktivist und Lokalpolitiker aus Essen. Seit zwei Jahren sitzt er im Integrationsrat Essen und ist Delegierter des Landesintegrationsrat Nordrhein-Westfalen.

Weshalb wendeten sich Linke so gerne diesen anti-imperialistischen Ideen zu?

Die Revolution und vor allem die Strukturen, die hinter dem heutigen Regime stecken, haben diese Idee propagiert. Der Schah stand für den Imperialismus, für den Westen, und die Menschen wollten eine andere Lösung, eine Alternative. Da ging die Mehrheit mit. Aber als die Revolution dann erfolgreich war, füllten die iranischen, radikal-schiitischen Strukturen, die damals schon sehr stark waren, sofort das Macht-Vakuum.

Immer wieder gab es danach Aufstände der Kur­d:in­nen gegen die Islamische Republik. Woran sind sie gescheitert?

Schon zu Zeiten des Schahs waren die kurdischen Gebiete in Iran extrem militarisiert. Alles wurde überwacht – selbst wenn man nur die Familie besuchen wollte. An dieser Militarisierung wurde auch nach der Islamischen Revolution festgehalten, weil die Unzufriedenheit dort ja nicht abgenommen hatte. Das Regime war sich dieser Dynamik bewusst und sorgte sich um seine Stabilität. Nicht ohne Grund befinden sich einige der wichtigsten Gefängnisse des Iran in den kurdischen Gebieten. Immer wieder werden kurdische Ak­ti­vis­t:in­nen und politische Personen getötet, im In- und Ausland. Wer die kurdische Sprache lehrt, muss mit extremen Repressionen rechnen. Andererseits ist es auch so, dass es verschiedene politische Akteure in Ost-Kurdistan – dem kurdischen Teil des Iran – gibt, die untereinander zerstritten sind.

Die Diskriminierung der Kurden äußert sich auch in der Bürokratie: Etwa, dass Mahsa Amini offiziell nicht ihren kurdischen Namen, Jina, tragen durfte.

Der Staat ist bewusst stark zentralistisch organisiert – alles läuft über Teheran, man schafft bewusst eine ständige Abhängigkeit. Es geht darum, die kurdischen Gebiete so unattraktiv wie möglich zu machen, sie in allen Lebensbereichen weitestgehend zu isolieren. Iran verfährt nach dem Motto: Du darfst kurdisch sein, aber sobald du dich als eigenständiges Volk definierst, hast du ein Problem. Iran sieht sich als Vertreter Gottes auf Erden und da ist das Verständnis von Rechten ein ganz anderes: Die Kämpfe der Kur­d:in­nen werden als unislamisch gesehen – denn sie schwächen ja den Staat, der sich als Sprecher Gottes auf Erden versteht. Iran möchte erst gar keinen Anschein von Rechtsstaatlichkeit wahren.

Ein Grund, weshalb die Proteste gerade in den kurdischen Gebieten so stark sind?

Kur­d:in­nen werden im Iran mehrfach unterdrückt. Einerseits, weil sie eine Minderheit sind, aber auch, weil sie mehrheitlich dem sunnitischen Islam angehören. Es ist aber auch eine Klassenfrage: Kur­d:in­nen gehören zu den ärmsten Gruppen des Landes. Als kurdische Person ist man immer von dieser Mehrfach-Diskriminierung betroffen und kann sich dieser kaum entziehen. Deshalb ist vor allem in den kurdischen Gebieten der Hass, die Abneigung gegen das Regime besonders groß ist. Im Fall von Jina Mahsa Amini kommen diese Faktoren zusammen – als Kurdin, Frau und Studentin vereint sie jene, die mit dem Regime brechen wollen. Denn es ist in seinen Grundfesten unterdrückerisch, frauenfeindlich, queerfeindlich und anti-kurdisch.

Die Islamische Republik ist also nicht reformierbar?

Ja, und genau deshalb geht es den Protestierenden aktuell nicht darum, einige wenige Zugeständnisse zu bekommen. Die Menschen wollen endlich selbst über sich bestimmen können. Das Regime steht und fällt zum Beispiel mit der Zwangsverschleierung, weil sie symbolisch für diese Unterdrückung steht.

Was können westliche Staaten tun, um die Protestierenden zu unterstützen?

Es reicht nicht aus, Iran nur mit Sanktionen zu fluten – diese erreichen das Regime ohnehin kaum. Stattdessen müssen wir im Westen ernsthaft solidarisch sein mit den Protestierenden. Wir müssen uns darum bemühen, die Kämpfe, die aktuell in Kurdistan und ganz Iran geführt werden, zu verstehen. Wir dürfen nicht wegschauen, wenn das Regime in Deutschland und Europa Politik macht. Wir dürfen nicht wegschauen, wenn das Regime im eigenen Land Menschen ermordet, nur weil sie eine andere Meinung haben. Leider war Iran lange Zeit kaum relevant, auch bei Linken.

Es gab einen sehr verschwommenen Diskurs über den „Globalen Süden“, der Kritik an islamischen Staaten kaum zuließ. Dieser Diskurs hat dazu geführt, dass Solidarität fehlt. Es hat lange gedauert, bis viele im Westen verstanden haben: Gegen das iranische Regime zu sein, ist legitim. Gegen Zwangsverschleierung zu sein, ist legitim. Und es ist ein Skandal, dass das im linken Kontext lange Zeit ignoriert wurde. Es ist wichtig, genau darüber jetzt zu reden.

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