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Landtagswahl in NiedersachsenDer Stresstest geht weiter

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Stephan Weil hat der SPD mit zukunftsorientierter Politik den Rücken freigehalten. Die Erleichterung in Berlin dürfte aber nur kurz währen.

Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident Niedersachsen mit seiner Frau Rosemarie Kerkow-Weil zur Stimmabgabe Foto: Julian Stratenschulte/dpa

E in Pflichtsieg für die SPD: beliebter Landesvater, Krise, blasser Gegenkandidat. Dennoch ist der Wahlsieg der Sozialdemokraten in Niedersachsen nicht selbstverständlich und dürfte mancher Ge­nos­s:in im Berliner Willy-Brandt-Haus heimliche Seufzer der Erleichterung entlockt haben. Uff. Stephan Weil hat der SPD gegen den Bundestrend und einen anschwellenden Populismus von rechts den Rücken freigehalten. Die Erleichterung in Berlin dürfte dennoch nur kurz sein.

Kann ich meine Rechnungen bezahlen, muss ich frieren, geht mein Unternehmen pleite, ist der Arbeitsplatz sicher? Diese Fragen bewegen aktuell die Menschen in Niedersachsen und in ganz Deutschland. Hätten die Nie­der­säch­s:in­nen vor allem über die Krisenpolitik der Ampel abgestimmt, dann hätte die SPD diese Wahl eigentlich verlieren müssen.

Doch erstens erweckt die Union im Bund auch nicht den Eindruck, sie könne es besser. Und zweitens hat Weil im Wahlkampf früh und konsequent auf das Thema Energie gesetzt, hat eigene Ideen ins Spiel gebracht, wie Preise gedeckelt werden können, und verkörpert generell nicht jene Rückwärtsgewandtheit, die Union und FDP derzeit ausstrahlen.

Während beide die Kernkraftdebatte wiederbeleben, eine Quelle, die derzeit noch 6 Prozent zum deutschen Strommix beiträgt, schaut Weil nach vorn, propagiert den Ausbau der Erneuerbaren, setzt auf grünen Wasserstoff und will Niedersachsen so zum Energieland Nummer eins machen. Eine ähnliche Strategie verfolgt übrigens Präsident Joe Biden in den USA, der mit dem Inflationsbekämpfungsgesetz 430 Milliarden Dollar in grüne Infrastruktur pumpt.

Doch wer glaubt, dass die Ampel diese Impulse aus Niedersachsen nun dankbar aufnimmt, irrt. Denn mit einer FDP, die das dritte Mal in Folge eine Landtagswahl verloren hat, bleibt das Regieren in Berlin ein zähes Geschäft. Die verzweifelt-aggressive Sinnsuche der Liberalen setzt sich fort, ihre Antworten lauten derzeit: Kernkraft und Schuldenbremse. Der Stresstest für die Ampel geht also weiter.

Ein Warnschuss für den schwindenden Rückhalt in der Bevölkerung für die Sanktionen gegen Russland ist der Erfolg der AfD. Dass die Rechtspopulisten trotz Krach und Skandalen viertstärkste Kraft werden, war leider erwartbar und ist auch der Selbstmarginalisierung der Linken geschuldet.

Wohin eine Gesellschaft driftet, entscheidet sich jedoch nicht an den politischen Rändern, sondern in der Mitte. Es wird darauf ankommen, welchen Ton die Union künftig setzt. In Niedersachsen steht sie vor dem Machtverlust. Dies und die jüngsten Äußerungen von Friedrich Merz lassen leider nichts Gutes erahnen. Es bleibt alles wacklig.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
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12 Kommentare

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  • Die "Sonstigen Parteien" steigern ihren Wahlanteil um 3,2 %.



    Normalerweise findet man wenigstens beim Landeswahlleiter (die Presse - auch die taz - unterschlägt immer eine Aufschlüsselung) am nächsten Morgen die genauen Ergebnisse dieser Parteien. Heute Morgen bin ich selbst dort gescheitert! Kann mir jemand weiterhelfen?

  • SPD schlägt AfD klar

    Dachte erst, eure Überschrift bezöge sich auf Niedersachsen. Noch wärs bittere Ironie - mal sehn in 5 Jahrn.

    taz.de/Oberbuerger...-Cottbus/!5886668/

  • "die Kernkraftdebatte wiederbeleben, eine Quelle, die derzeit noch 6 Prozent zum deutschen Strommix beiträg" - Wusste garnich, dass Debattieren soviel Energie umsetzt. Das Schöne, wie derzeit vorgeführt: solche Debatten sin ewig erneuer-bar.

  • Nachdem vor kurzem kritisiert wurde, dass aufgrund einer Besonderheit des italienischen Wahlrechts eine Minderheit die Mehrheit der Sitze erlangen konnte und dies erst unangenehm auffiel, als die Neofaschischsten davon profitierten, würde mich interessieren, wieso dies hier nicht thematisiert wird.

    33,4% SPD + 14,5% Grüne = 47,9%



    57 Sitze SPD + 24 Sitze Grüne = 81 Sitze = absolute Mehrheit mit 55%

    • @Martin Eugenio Restrepo:

      Das hängt an der 5%-Hürde: alle Parteien, die unter 5% der Stimmen bekommen, fallen komplett raus. Also nicht nur die FDP mit 4,7% und die Linke mit 2,x% der Stimmen, sondern auch noch andere, kleinere Parteien mit insgesamt gut 3% Stimmen. Es bleiben 90% der abgegebenen Stimmen, die im Landtag repräsentiert sein werden. Und von diesen 90% gehen in Summe 47,9% an Rot-Grün, das ist die absolute Mehrheit.



      Ohne diesen Mechanismus zu kennen, werden Sie keine einzige Wahl in Deutschland verstehen.

    • @Martin Eugenio Restrepo:

      Multiplizier das mal mit der WAHLBETEILIGUNG, und die Zahlen sind noch vielviel niedriger.

  • Ein erfreuliches Ergebnis.



    Die Linke scheint allerdings unter zu gehen.



    Wir sollten vielleicht mal beginnen statt permanenter Krittelei a la Meckermerzi die Ampel positiver zu betrachten . Linker wird es nicht mehr.



    Den " Stresstest Ampel" nennt man/frau einfach Demokratie.



    Was die Bewertung der Krisensituation betrifft, so hätten eigentlich die Grünen verlieren müssen.



    Schließlich zeichnet Habeck für das Durcheinander mit der Gasumlage verantwortlich.



    Die Problemlösung, der Doppelwumms, trägt eindeutig die Handschrift det SPD.

  • Jede Regierung kann von den Medien aufs Korn genommen werden, in diesen noch nie dagewesenen Zeiten. Ein Leichtes für die Schreibenden. Wo waren eigentlich die Medien, als es schwerer war, Merkel und Entourage, die die jetzige Situation wesentlich mitzuverantworten haben, konstruktiv zu kritisieren? Nichts. Spätestens nach 2014 - Putin war schon lange als Schlächter bekannt - hätte eine energische Energiewende hergehört, keine merkelsche Blockade, von den Medien toleriert. Hunderte von Milliarden in Putins Militärmaschinerie an Stelle eines Bruchteiles davon für die Erneuerbaren. Auf allen Ebenen: Solar, Wind, Wasser und insbesondere Speicherung usw.. Deutschland hat sowohl das wissenschaftliche als auch technische Potenzial.

  • Erstmal sehr gut und herzlichen Glückwunsch an Stephan Weil und SPD.



    Gute Wahl in schwierigen Zeiten.

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Es gibt vier Gewinner dieser Wahl



    Stefan Weil, die SPD, Julia Wille Hamburg, die Grünen.



    Es gibt vier Verlierer dieser Wahl:



    Die CDU in Niedersachsen, Friedrich Merz, die FDP im Bund und Christina Lindner.



    Die Fundamental-Opposition der CDU und von Friedrich Merz samt seiner populistischen Ausfälle haben auf beide (die Partei und den Chefs heftigst zurückgeschlagen.



    Und für die dauernden Sticheleien der FDP und ihres Chefs innerhalb der Koalition haben die Wähler denen das verdiente Zeugnis erstellt.



    Dabei war die mediale Unterstützung bis hin zu den seriösen Akteuren so offensichtlich wie selten.



    Dass Bild/INSA noch kurz vor der Wahl eine der CDU (und der FDP) genehme Umfrage präsentierten - geschenkt.



    Dass aber selbst die Tagesschau-Online-Redaktion am Samstag noch jubelte: "Rückenwind für Friedrich Merz aus Niedersachsen?" - das ist schon bemerkenswert.



    Es kam anders.



    Aber auf die gegenläufige Schlagzeile (z.B. "Gegenwind für Friedrich Merz aus Niedersachsen.") wartete und wartet man vergeblich.



    Selbst vor wenigen Minuten verstieg sich die Kommentatorin der Tagesthemen noch dazu, den SPD-Sieg als quasi regionalen Zufallstreffer zu diskreditieren.



    Also: SPD und Grüne sind nun wirklich nicht meine erste politische Wahl.



    Aber aktuell bin ich heilfroh, dass dieses Land nicht von CDU (schon garnicht Söders CSU) und FDP regiert wird.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Weil. Heil. Klingbeil. Geil.

  • Das sind gute Nachrichten für Niedersachsen !



    Rot - Grün wäre gut für das Land .