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Experte über die Wahl in Niedersachsen„Kalte FDP, warme AfD“

Nach der Klatsche in Niedersachsen stehen die Liberalen unter Druck. Hält die Ampel das aus? Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder sagt ja – mangels Alternativen.

Für die Liberalen lief es schon mal besser: FDP-Chef Christian Lindner am Montag in Berlin Foto: Mauersberger/imago
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz: Herr Schroeder, hält die Ampel bis 2025? Oder sind die Zentrifugalkräfte zu stark?

Wolfgang Schroeder: Die FDP kann anders als 1982 in kein anderes Boot umsteigen. Die CDU hat ihre Vergangenheit nicht aufgearbeitet und gegenwärtig keinen Kandidaten, der das Vertrauen der Bevölkerung genießt. Kurzum, es gibt aktuell keine Alternative zur Ampel.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai klagt, man habe „nach wie vor große Probleme mit der Ampel“.

Die FDP beharrt zu sehr auf alten Positionen. Nach dem 24. Februar ist kein Weiter-so möglich. SPD und Grüne haben daher frühere Gewissheiten über Bord geworfen, die SPD bei der Verteidigungspolitik, die Grünen bei AKWs und Kohle. Die FDP macht das zwar implizit auch bei der Verschuldung. Aber das reicht in dieser Lage nicht.

Welche Möglichkeiten hat die FDP?

Ich sehe drei Möglichkeiten. Erstens, weiter so und hoffen, dass man irgendwie durchkommt. Oder zweitens, zu sagen: Wir werden in der Ampel über den Tisch gezogen; was angesichts der vielen Positionen, die die FDP durchsetzt, den Fakten widerspricht. Trotzdem: Rien ne va plus.

Die dritte Möglichkeit wäre, nicht nur pragmatisch und situationsbezogen zu handeln, wie es Lindner derzeit tut, sondern zu signalisieren: Wir haben verstanden. Nach dem 24.2 muss auch eine neokonservative, neoliberale Partei temporär ganz anders handeln. Nur damit kann die FDP ihre Stammklientel halten und neue Wähler gewinnen.

privat
Im Interview: Wolfgang Schroeder

ist 62 Jahre alt, Professor für Politikwissenschaft, Vorsitzender der Denkfabrik „Das Progressive Zentrum“ und Mitglied der Grundwertekommission der SPD.

Ist das Problem der FDP, eine neoliberale Partei nach dem Ende des Neoliberalismus zu sein?

Die FDP sollte anerkennen, dass es eines starken, handlungsfähigen Staates bedarf. Wir leben in einer multiplen Krisen- und Kriegskonstellation, die sich weniger über die Märkte regeln lässt. Anerkennt sie das nicht, wird ihr vermutlich nur ihre neoliberale, konservative Stammklientel bleiben, die aber teilweise anfällig für die AfD ist.

Denn die AfD kann Befürchtungen, die auch ein Teil der FDP-Anhänger bewegen, besser mobilisieren. Im Gegensatz zur kalten FDP ist die AfD eine warme Partei, die ein wärmendes Wir anbietet. Die Gefahr für die FDP sind also weniger linke Positionen und Parteien, die Gefahr ist die AfD.

Gibt es in der FDP Köpfe, die neben dem Reflex, nun Opposition in der Regierung zu spielen, strategische Konzepte entwickeln?

Es gibt Jüngere wie etwa Johannes Vogel oder Ria Schröder, die sich um eine Versöhnung der FDP mit dem Sozialen bemühen. Aber ihr Einfluss auf den Kurs der Partei scheint eher gering. Die FDP hat sich seit Westerwelle zu einer fast willenlosen Führerpartei verengt. Das unterscheidet AfD und FDP.

Die AfD ist eher eine anarchisch-plurale Partei. In der FDP muss, wie man bei Linda Teuteberg sehen konnte, abtreten, wer sich mit dem Chef anlegt. Weil die FDP strukturell so stark auf die Person des Vorsitzenden zugeschnitten ist, sind abweichende strategische Zugänge schwach ausgeprägt.

Ist Niedersachsen eine Art Wiedergeburt der AfD im Westen? Oder war der Erfolg situative Protestwahl?

Die These, dass die AfD ein Ostphänomen wird, war voreilig. Ihr Slogan bei der Bundestagswahl „Deutschland, aber normal“ war ein Beispiel für geglückte politische Kommunikation. Jetzt versucht die AfD, dieses Recht auf Normalität gegen die komplexen Krisen in Anschlag zu bringen. Die Ursache von Knappheit, Inflation, Krise sei nicht Putin, sondern Habeck.

Offen ist, ob die aktuelle Konstellation auch neue Perspektiven für die AfD jenseits der völkischen, rechtsextremen Referenz ermöglicht. Es gibt ein Potenzial von 15 bis 25 Prozent, das gegen die sogenannte grüne Ideologie mobilisierbar ist. Die FDP dagegen, die früher auch gegen grüne Verbote agitierte, kann das in der Koalition nicht mehr offensiv tun.

Die Ampel hat in Berlin Fehler gemacht. Die Gasumlage war ein unbrauchbares Konzept, das nur langsam korrigiert wurde. Geht das auf Robert Habecks Konto?

Habeck schien nach der Bundestagswahl über Wasser gehen zu können. Dem Kanzler wurde in jeder Sekunde vorgehalten – schau her, so geht moderne Krisenkommunikation. Es ist nicht so überraschend, dass dieser Zustand nicht ewig anhalten konnte. Beim Handwerklichen fehlt es Habeck an Erfahrung. Zudem wurde das Wirtschaftsministerium neu zugeschnitten. Die Gasumlage war wegen der gewaltigen Mitnahmeeffekte für einzelne Konzerne zu Lasten der Steuerzahler ein Sündenfall. Dass man eine Gaspreisbremse braucht, war schon lange klar.

Andererseits ist die Regierung seit dem 24. Februar situationsbedingt in einem komplexen Prozess von trial and error. Das muss man bei aller Kritik berücksichtigen.

Also ein verständlicher Fehler?

Fehler sind bei einem so existentiellen Thema einerseits schlimm, andererseits aber nachvollziehbar. Die Entscheidungen sollen ziel- und wirkungsgenau sein, finden jedoch unter erheblichem Zeitdruck und bei begrenzten Steuerungsmitteln statt. Bei der Gasumlage verschränkten sich Politik- und Verwaltungsversagen. Die Verwaltung war nicht in der Lage, schnell genug neue Instrumente und Szenarien zu präsentieren. Die Politik konnte sich nicht schnell genug auf einen Plan B verständigen.

Was folgt daraus?

Wenn Habeck es mit der transparenten Kommunikation ernst meint, muss er jetzt sagen: Ich werde die drei zentralen Fehler benennen, die zur Gasumlage geführt haben. Habeck pflegt eine Rhetorik des Zweifels. Wenn das mehr als nur eine Stilfigur sein soll, dann muss er die Fehlerkette aufklären. Vor allem, um eine Wiederholung zu verhindern. Sonst ist die Rhetorik des Zweifels nur wohlfeile Attitüde.

Die Ampel ist bald ein Jahr im Amt. Ist von dem Anspruch, Fortschrittskoalition zu sein, noch etwas übrig?

Von Fortschritt ist nicht mehr viel zu sehen. Die Krise wird durch Verteilen von Geld mit der Gießkanne gemeistert. Auch Leistungsträger erhalten Kompensationen. Damit soll eine Legitimationskrise verhindert werden – damit die Leute nicht sagen: Wir zahlen und kriegen nichts zurück.

Die Reproduktion der alten Normalität scheint mir das größte Problem der Krisenlösungspolitik zu sein. Offenbar sind in diesem komplizierten Dreierbündnis keine Modelle zur Lösung der Krise möglich, die den Fortschrittsanspruch einlösen. Die Ampel hat keine den multiplen Krisen angemessene Rhetorik, Gesetzgebung und Administration.

Also Politikverwaltung wie bei Merkel? Angela Scholz?

Scholz' Rolle ist es, den Laden zusammenzuhalten. Er vermeidet alles, was die Koalitionspartner verletzen könnte. Natürlich könnte er kommunikativ klarer und bildhafter sprechen, darüber hinaus begrenzt diese Rolle aber seine Möglichkeiten. Er ist weder Sprinter noch Mittelstreckenläufer, sondern ein Langstreckenläufer. Zugleich verzichtet er auf das heroische Momentum, dafür Dosierung für morgen und übermorgen.

Scholz setzt auf einen rhetorischen Minimalismus, der sich auf die Fakten beschränkt, um sich längerfristig zu verankern. Dabei spielt auch die Hoffnung eine Rolle, dass sich die Bevölkerung an seinen Stil gewöhnt.

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7 Kommentare

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  • Die Realität ist, daß keine Partei in Deutschland eine Machtperspektive hat, die Realität benennt. Der Wähler dreht durch, wenn er seinen Wohlstand bedroht sieht. Die Wählerin auch. Man könnte von einem Suchtphänomen sprechen: Der Junkie lässt nicht freiwillig vom Stoff und so schreitet der Klimawandel fort. Da hilft nur noch beten..In der Demokratie ist das so. Wenn die Mehrheit sich und die Umwelt vergiften will, kann das niemand verhindern.

  • Diese beiden Köpfe werden auch dem Interviewer schon bekannt gewesen sein, sind auffällig oft die zwei, drei Namen. Nichts gegen Herrn Vogel, aber ich sehe bei ihm die Unterschiede im Stil. Und als wiederum die nun fast schon verhätschelte Ria Schröder noch die Jugend anführte, das ist wenige Jahre her, da suchten die noch Aufmerksamkeit mit tollen Aktionen gegen "vogelschreddernde" Windkraftanlagen. Gab's viel Erheiterndes zu auch im Netz, inzw. kaum noch zu finden, eitel ausgemistet, große Strategen seh ich auch da noch nicht. Die FDP ist und in der Tat seit od. durch Westerwelle eine typische Plattformpartei. Und noch wichtiger als die Wirkung, oder auch Überzeugungskraft, nach innen ist für den entspr. Chef wahrscheinlich die Außenwirkung. Der muss also unbedingt große Bekanntheit haben, ein Händchen für den Boulevard und gewisses darstellerisches Talent; dann muss man sagen die haben keinen anderen. Christan Lindner ist die FDP und außer Lindner ist da nichts. Was man bei der AfD warm finden kann, verstehe ich nicht, aber die Unterscheidung ist auch so gelungen, was er anarchisch-plural nennt, heißt auch einfach Sammelbecken. Oder Sammlungsbewegung. Und wir können froh sein, denn es fällt auf, dass die oft noch erfolgreicheren, rechtsextremen Äquivalente in Europa dank entspr. Charaktere, charismatische Alleinunterhalter, in dieser Hinsicht selbst eher den Plattformcharakter haben, bzw. dazu gemacht wurden. Das Nichterkennen wollen jedweder Alternativen - zur Ampel in wohl auch dieser Reihenfolge - ist dann wohl doch die Priese SPD in der Wahrnehmung, ist ja auch legitim. Aber nicht so überraschend, wo die Grünen im Bundestrend die Drei längst anführen, manchmal auch schon deutlich. Mit Schwarz/Rot und Schwarz/Grün (dann ohne Merz) sind zwei ganz zweifellos und wenn Niedersachsen eines zeigte, dann dass auch Rot/Grün nicht tot sein muss, v.a. wenn die FDP abschmiert. Woher eigentlich diese Angst davor?

  • "Kalte FDP, warme AFD", kann es sein, dass dieser Vergleich den schamlosen wirtschaftlichen Populismus, Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus der AFD verharmlost und unterschätzt?



    Die AFD saugt mit dieser Kombination wie ein Vampir Stimmen in der bürgerlichen Mitte (CDU FDP) auf. Dass die FDP außer möglichst niedrigen Steuern und möglichst vielen wirtschaftlichen Gewinnern emotional nicht viel zu bieten hat, scheint auch Lindner begriffen zu haben, denn er startet jetzt als Podcaster zu den großen Fragen der Zeit durch. Ein kluger Schachzug, der zeigt, dass Lindner als Vordenker und Kommunikator der FDP begriffen hat, dass es in einer historischen Krise stark auf die emotionale Anteilnahme an den Nöten der Bürger ankommt. Das könnte Lindner praktisch unterlegen, indem er z. B. ins Ahrtal fahren würde, wo die Menschen nach der Flut durch einen Bürokratiewolf ohne gleichen gedreht werden.



    Linder wäre klug, wenn er sich nicht wie kürzlich Merz ins oberflächlich Wärme ausstrahlende vampirische Dunkel der AFD verliert, sondern wirkliche Anteilnahme bei den Menschen zeigen würde, die es schwer haben. Die FDP muss begreifen, dass in einer historischen Ausnahmesituation althergebrachte wirtschaftliche Stereotype nicht mehr taugen, die die AFD so weit verdichtet, dass sich die Balken biegen.

    Der Journalismus hat erstaunlich wenig zum großen Erfolg der AFD in Niedersachsen zu sagen, die in der Mitte der Gesellschaft absahnt und nicht nur bei den Protestwählern und Unzufriedenen.



    Der Journalist Mertens warnte im mdr-Altpapier vor der Verharmlosung der AFD im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, wie sie z. B. Jörg Schönenborn in der ARD mit folgender Beschreibung des Wahlerfolgs der AFD in Niedersachsen betrieb:

    "Der AfD gelingt es, all die zusammenzubinden, die besonders ängstlich, besonders besorgt, besonders wütend und besonders unzufrieden sind".

    www.mdr.de/altpapi...ltpapier-2846.html

  • Die FDP hat einige Forderungen, gegen die eigentlich kein Mensch sein kann, wie Sparsamkeit, Bürokratieabbau, Lenkung durch finanzielle Anreize. Leider füllen sie es meist mit den falschen Inhalten. In einer idealen Welt würden grüne und rote Inhalte mit gelben Maßnahmen verknüpft, z.B. Abbau von umweltschädlichen Subventionen und lähmender Bürokratie.

  • Ein kleiner Hinweis:

    Der interviewte "Politikwissenschaftler" ist auch SPD-Lobbyist.



    Der Hinweis steht zwar im Artikel drin aber nur recht klein im Lebenslauf des Interviewten. Das kann man leicht übersehen.

    • @Sonntagssegler:

      Was ja nicht gegen die Richtigkeit seiner Analyse spricht, was die FDP betrifft … es wurde schon viel gesprochen und geschrieben über die Wechselwirkungen von extrem linker und rechter Politik - Stichwort Hufeisen -, da kann es jetzt mal nicht schaden, auf den Punkt zu verweisen, weshalb gerade die FDP in Niedersachsen besonders von der AfD „gerupft“ wurde: Extremismus der Mitte.



      Wenn man sich mal im Lande umhört und beispielsweise mit kleinen Handwerkern spricht, kommt das alles nicht überraschend … wohlgemerkt, es geht um Menschen, die nicht liberal im eigentlichen Wortsinn sind - von denen gibt es hierzulande sowieso nicht allzu viele, würde ich mal frech behaupten - , sondern die bis dahin FDP gewählt haben, weil sie sich etwas davon versprochen haben im Hinblick auf die Durchsetzung ihrer (Klientel)Interessen.



      Insofern stimmt es schon: aus Sicht des FDP-Klientels muss die Beteiligung ihrer Partei an der Ampel als eine Art „babylonische Gefangenschaft“ erscheinen.

  • Auch mich würde mal interessieren, welche Fehler denn bei der Gasumlage gemacht wurden.



    Auf jeden Fall wurde wohl komplett übersehen, dass bei Mangel automatisch auch die Preise hochgehen werden.

    Und es fällt auf, dass außer LNG einkaufen keinerlei Aktivitäten bei den erneuerbaren zu sehen sind. Das erscheint extrem kurzsichtig.