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Nach dem Krieg in der UkraineWenn Putin stürzt

Die politische Führung eines neuen Russlands kann nicht aus der heutigen Elite rekrutiert werden. Die im Exil lebende Opposition sollte bereit sein.

Illustration: Katja Gendikova

D er Krieg in der Ukraine zieht sich hin. Die mangelnde Bereitschaft des Putin-Regimes, außen- oder innenpolitische Zugeständnisse zu machen, wird von Tag zu Tag deutlicher. Damit wird klar, dass russische politische Aktivist*innen, Journalist*innen, Men­schen­rechts­ak­ti­vis­t*in­nen und einfach russische Bürger*innen, die Putins Befehlen nicht Folge leisten, in naher Zukunft wohl kaum in ihre Heimat zurückkehren werden.

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Mit anderen Worten: Sie werden sich zumindest für die nächsten Jahre, im schlimmsten Fall für viele Jahre, in Europa ansiedeln.Der Kreml vertreibt nicht nur mit allen in seiner Macht stehenden Instrumenten diejenigen aus dem Land, die sich dem Regime widersetzen. Vielmehr warnt er jene, die bereits gegangen sind, davor, überhaupt an eine Rückkehr zu denken. Die in den letzten Monaten verabschiedeten Gesetze kriminalisieren faktisch jede aktive Tätigkeit ihrer Bür­ge­r*in­nen im Ausland.

So sind beispielsweise die bei der Auswanderung unvermeidlichen Kontakte zu lokalen und internationalen Organisationen, von denen viele bereits verboten sind, nun offiziell ein Grund für die strafrechtliche Verfolgung in Russland. Weithin verbreitet ist heute die Praxis, Urteile auch in Abwesenheit von Angeklagten auszusprechen, die die sofortige Verhaftung bedeuten würden, sobald Rück­keh­re­r*in­nen aus der Emi­gration die russische Grenze überschreiten.

Selbst im Falle des Todes von Putin oder eines personellen Wechsels im Kreml wäre die Änderung einer Vielzahl von Gesetzen und die bedingungslose Amnestie aller bereits Verurteilten nötig, wenn Emi­gran­t*in­nen massenhaft zurückzukehren wünschten. Die weitreichende Rücknahme restrik­tiver Gesetze würde im Übrigen als der beste Indikator dafür herhalten, wie sehr sich eine hypothetische neue russische Führung von der derzeitigen unterscheidet.

Langer Weg zur Demokratie

Selbst ein Ende des Krieges in der Ukraine und Absichtserklärungen, die Außenpolitik zu ändern, werden keineswegs eine neue Ära für Russland und damit für Europa einläuten. Schließlich kann das Kremlregime auch eine aggressive Außenpolitik vorübergehend aufgeben – zum Beispiel, weil die militärischen und finanziellen Ressourcen erschöpft sind.

Dies bedeutet jedoch nicht automatisch eine Demokratisierung Russlands, die das Land langfristig zu einem guten Nachbarn und Verbündeten Europas macht. Um eine historische Analogie zu verwenden: Nikita Chruschtschow war sicherlich menschlicher als Josef Stalin, aber sein Aufstieg hat die UdSSR nicht zu einem demokratischen Land gemacht oder die Menschen, die vor den Schrecken des Bolschewismus geflohen waren, dazu gebracht, in Scharen nach Hause zurückzukehren.

Es gab zwar weniger Schrecken, aber der Bolschewismus blieb, wie die Beispiele Ungarn 1956 und der Aufstand von Ar­bei­te­r*in­nen im russischen Nowotscherkassk 1961 zeigten. Öffentlich Protestierende wurden im sowjetischen Einflussbereich weiterhin erschossen. Das moderne Europa hat viele eigene Probleme, besonders jetzt. Und natürlich verblassen die Probleme Russlands und der russischen Emigration gegenüber den Schrecken des Krieges in der Ukraine und seinen weitreichenden Folgen auf den Energie- und Nahrungsmittelmärkten.

Trotzdem müssen wir auch über die Gegenwart und Zukunft der russischen Emigration nachdenken – im Interesse einer besseren und friedlicheren Zukunft für den Kontinent. Daher sollte, alleine um der Zukunft Europas willen, das Thema nicht ignoriert und die Exi­lan­t*in­nen mit ihren zahlreichen Problemen, mit denen sie täglich konfrontiert sind, alleingelassen werden.

Verarmt und verzweifelt

Die Erfahrung des 20. Jahrhunderts zeigt, dass russische und sowjetische Emigrant*innen, die in Armut und Verzweiflung gerieten, entweder mit den sowjetischen Sicherheitsdiensten kooperierten oder es aufgaben, weiterhin politisch aktiv zu sein. Aber selbst diese Geschichten sind nur die Spitze des Eisbergs, denn die meisten menschlichen Tragödien blieben der Welt verborgen.

Unerwünscht, weil sie den Sinn des Lebens verloren hatten und keine Zukunft für sich sahen, tranken begabte und gute Menschen Alkohol, entwürdigten sich oder begingen Selbstmord, ohne ihrem Heimatland oder den Ländern, in denen sie lebten, einen Nutzen zu bringen. All dies könnte sich nun wiederholen, denn abgesehen von den Selbsthilfeorganisationen, -projekten und -medien, die praktisch täglich neu aus dem Boden schießen, haben die Russ*innen, die vor Putin geflohen sind, keine Anlaufstelle.

Und es ist unwahrscheinlich, dass selbst diese Gruppen lange überleben werden: Die meisten von ihnen verfügen über keine langfristigen Finanzierungsquellen und haben einzig das Ziel, im Moment zu überleben und auf den Zusammenbruch von Putins Regime zu warten. Die Zeit vergeht im 21. Jahrhundert viel schneller als im 20., und es ist unwahrscheinlich, dass Putins Regime viele Jahrzehnte überleben wird.

privat
Fjodor Krascheninnikow

ist 1976 in Almaty geboren, oppositioneller russischer Publizist und Politologe. Er hat viele Jahre als Kolumnist, Kommentator, Herausgeber und Berater für führende russische Medien gearbeitet. Nach seiner zweiten Verurteilung wegen “Beleidigung der Staatsgewalt“ 2020 verließ er Russland und lebt jetzt in Litauen. Dort arbeitet er weiter als Journalist und Russland-Experte. Er kooperiert mit der Heinrich-Böll-Stiftung.

Aber selbst wenn es in der ein oder anderen Form die nächsten 5 bis 10 Jahre übersteht, ist das mehr als genug Zeit, dass sich für die heutige russische Diaspora das Schicksal der postrevolutionären Emigration des letzten Jahrhunderts im Schnelldurchlauf wiederholt. In den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts gründeten die vor der sowjetischen Regierung geflohenen Menschen auch viele Medien und unterschiedliche Organisationen, von denen allerdings die allermeisten zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der UdSSR schon nicht mehr existierten.

Auf Systemwechsel nicht vorbereitet

Die, die ihn erlebten, hatten dennoch keinen Einfluss auf die Prozesse in Russland. Zum Ende der Sowjetunion waren weder die seinerzeit ausgewanderten Russen und Russinnen noch die westlichen Länder, die sich der sowjetischen Diktatur widersetzten, auf einen Systemwechsel vorbereitet. Eine alternative Rechtsprechung war ebenso wenig verfügbar wie Spe­zia­lis­t*in­nen in den Geistes- und Sozialwissenschaften oder der modernen Pädagogik.

Es fehlte an russischsprachigen Personen, die über Erfahrungen in unabhängigen Medien oder in nichtsowjetischen politischen, sozialen und karitativen Organisationen verfügten. Selbst wenn es solche Menschen gegeben haben sollte, waren sie einsam und auf sich allein gestellt; in Russland wartete niemand auf sie, und der den Kalten Krieg gewinnende Westen bestand nicht darauf, selbst bekannte Kämpfer gegen die Sowjetherrschaft in die politische Elite Russlands zu integrieren.

Stattdessen erkannten die demokratischen Regierungen Europas und Amerikas nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einfach einen Teil der sowjetischen Elite voraussetzungslos als gleichberechtigten Teil der freien Welt an. Die Diktatur Putins beruht unter anderem auf der damals doch überraschenden Bereitschaft des Westens, Boris Jelzin und seine Mannschaft unhinterfragt als echte Alternative zur kommunistischen Partei anzuerkennen; als eine politische und legitime Alternative, die in der Lage ist, auf den Ruinen der UdSSR ein neues freies und demokratisches Land aufzubauen.

Doch die Nachkommen des Sowjetapparats waren durch die gesamte Erfahrung des politischen und wirtschaftlichen Lebens in der UdSSR korrumpiert und hielten dies auch in der neuen Umgebung für durchaus akzeptabel. Aus diesem Grund gab es keine Verurteilung der Verbrechen des Sowjetregimes, keine Wiedergutmachung. Menschen, die als ideologische Kämpfer gegen das Sowjetregime bekannt waren, wurden in das politische Leben des postsowjetischen Russlands kaum einbezogen.

Zentrale Positionen nur für Oppositionelle

Zugegeben: Der berühmte Dissident Alexander Solschenizyn kehrte triumphierend nach Russland zurück. Aber er verwandelte sich in ein Museumsexponat, mit dem der Kreml seine eigene Erneuerung dem Westen demonstrierte. Sowohl Jelzin als auch Putin haben zunächst höflich die Kritik am sowjetischen Regime akzeptiert. Jeder Versuch des Nobelpreisträgers, die amtierenden Behörden und Regierungen zu kritisieren, wurde indes mit offensichtlicher Irritation aufgenommen und bestenfalls ignoriert.

Schlimmer noch: Solschenizyns rechtskonservative politische Ansichten spielten den sowjetischen Revanchisten in die Hände, die bereits Kräfte für einen Gegenangriff sammelten. Zwar wurden einige ehemalige Dissidenten kurzzeitig Abgeordnete auf verschiedenen Ebenen und arbeiteten im Bereich des Menschenrechtsschutzes. Doch niemand durfte sich den Hebeln der Macht nähern.

Ist es da ein Wunder, dass Jelzin nur acht Jahre nach dem Zusammenbruch der KPdSU die Macht an einen KGB-Mann, Putin, übergab? Aus all dem ergeben sich mindestens zwei wichtige Schlussfolgerungen. Erstens sollte keine neue Post-Putin-Regierung in Russland ernst genommen werden, wenn sie nur aus der zweiten oder dritten Reihe von Putins Be­am­t*in­nen besteht und keinen einzigen nicht inhaftierten oder im Exil lebenden Kritiker Putins einbezieht.

Egal, was diese Leute sagen oder welche Entscheidungen sie treffen, am Ende werden sie selbst die Reformen verhindern, die am dringendsten notwendig sind. Nur diejenigen, die konsequent und bedingungslos dagegen angekämpft haben, können das fehlerhafte System durchbrechen und es mitsamt seinem Fundament gnadenlos zerstören. Es gibt keinen Grund, maximalistisch zu sein; ohne erfahrene Manager*innen, Bü­ro­kra­t*in­nen und sogar Po­li­zis­t*in­nen kann kaum ein Regime auskommen.

Doch die Erfahrung des gescheiterten postsowjetischen Übergangs in Russland lehrt nur eines: Die höchsten Positionen in Politik, Justiz und Verwaltung eines Landes, das einen echten Wandel braucht, sollten auf keinen Fall mit Personen besetzt werden, die aus der alten Elite stammen und die dunkelsten Zeiten in ihren Ämtern stillschweigend ausgesessen haben. Wo also sollen die neuen Leute herkommen?

Im Gefängnis sitzen nicht viele, und die politischen Ak­ti­vis­t*in­nen, Journalist*innen, Men­schen­rechts­ak­ti­vis­t*in­nen und einfach Bürger*innen, die sich über die Diktatur empören und das Land verlassen haben, verfügen nicht über die nötige Erfahrung und sind auch sonst nirgends zu finden.

Deshalb die zweite Schlussfolgerung: Wenn Europa und der Westen im weitesten Sinne kein Personal für das Post-Putin-Russland ausbilden und auf Beteiligung an der neuen russischen Regierung nach dem Machtwechsel im Kreml bestehen, wird kein „neues Russland“ mehr funktionieren und alles wird nach ein paar Jahren wieder in die alten Bahnen zurückkehren.

Dieser Text ist Teil des Projekts der Heinrich-Böll-Stiftung „Eine andere Stimme Russlands“: boell.de/russlands-andere-stimmen.

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15 Kommentare

 / 
  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    "Absichtserklärungen, die Außenpolitik zu ändern, werden keineswegs eine neue Ära für Russland und damit für Europa einläuten. Schließlich kann das Kremlregime auch eine aggressive Außenpolitik vorübergehend aufgeben – zum Beispiel, weil die militärischen und finanziellen Ressourcen erschöpft sind."



    Dass jetzt Biden in den USA an der Macht ist, ist auch keine Garantie dafür, dass die USA in den kommenden Jahren nicht den nächsten Angriffskrieg führen. Derzeit wird u.a. der Kriegsverbrecher Mohammed Bin Salman militärisch unterstützt, dessen Militärkoalition u.a. Schiffe mit lebensnotwendigen Hilfslieferungen für die jeminitische Bevölkerung blockiert. Trotzdem haben Deutschland und die EU beste und friedliche Beziehungen sowohl zur USA, als auch zu den anderen Staaten der Jemenkrieg-Koalition - Quatar, Saudi Arabien und Ägypten, an dessen Militärdiktatur Deutschland erst vor kurzem Waffen geliefert hat.



    "Dies bedeutet jedoch nicht automatisch eine Demokratisierung Russlands, die das Land langfristig zu einem guten Nachbarn und Verbündeten Europas macht."



    Dass die Türkei und Marokko Diktaturen sind, hindert sie auch nicht daran, "guter Nachbar und Verbündeter Europas" zu sein.



    Seit wann gehört Russland eigentlich nicht mehr zu Europa? Die EU sollte schon beim Namen genannt werden und viele Staaten der EU sind auf dem besten Weg in eine Autokratie oder Diktatur - oder sie sind schon da.



    Schon bei der nächsten US-Wahl kann es sein, dass die Republikaner, eine inzwischen ausgemacht faschistische Partei, die Herrschaft übernehmen. Dass überall in der Welt Demokratien am Kollabieren sind, liegt nicht am schlechten Einfluss von Autokratien.



    "Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen." Max Horckheimer

  • Das Regime Putins ist auf Dauer nicht überlebensfähig. Es höhlt den Staat systematisch aus. Die Korruption grassiert und sorgt dafür, dass viel zu wenig investiert wird. Die Wirtschaft wird auf Verschleiss gefahren. Die Haupteinnahmequelle bildet der Verkauf von Gas und Öl. Die Leitungen müssten dringend erneuert werden, um die Produktion überhaupt aufrecht erhalten zu können.



    Hinzu kommt; Die westsibirischen Gasfelder sind nahezu erschöpft. Neue können mangels Know-how nicht erschlossen werden. Die nächsten 5 Jahre werden also überaus kritisch für Russland werden. China nimmt nur ca. 10% des Gases ab. Mehr geht nicht mangels Leitungskapazität. Die Gazprom hatte in ihrem Geschäftsbericht für 2018 angegeben, dass eine weitere Leitung nach China frühestens bis zum Jahr 2032 gebaut und in Betrieb genommen werden könnte.



    Ich frage mich, wie Russland unter den gegebenen Umständen überhaupt überleben kann. Die derzeit herrschende Nomenklatura hat von einer Marktwirtschaft auf eine Raubwirtschaft umgeschaltet. Das geht gut, solange man etwas ausplündern kann. Aber mit einer modernen Wirtschaft hat das nix mehr zu tun, da eine echte Wertschöpfung immer weniger stattfindet.



    Der Moskauer Ökonom Inosemzew hat schon vor acht Jahren vor dieser Entwicklung gewarnt. Seitdem hat sich nichts zum Besseren gewendet. internationalepoli...die-drohende-krise



    Die klugen Köpfe wandern aus. Die Räuber regieren und das Land geht vor die Hunde. Putins Kriege kosten vor allem Geld, welches das Land eigentlich schon nicht mehr hat und wenn es dieses hätte dringend anderweitig investiert werden müsste.

  • Am Ende des Putin-Regimes wird keine Demokratie, sondern eine chinesische Marionettenregierung stehen- egal, ob Russland die Ukraine erobert oder nicht.

  • Die eine Sache ist, was die russische Gesellschaft aus ihrem Land macht. Die andere Sache ist, welche Interessen der Westen hat bei der Neu-Formierung russischer Gesellschaft und Politik. Ideal wäre, wenn westliche Kräfte die Formierung und Stabilisierung, auch Demokratisierung der russischen Gesellschaft fördern, ohne eigene Interessen zu verfolgen. Aber die Realität ist anders. Es kann gut sein, dass die Schwächung Russlands durch die Sanktionen im westlichen Interesse liegt, um dort mehr Einfluss zu bekommen (mal ganz vorsichtig formuliert). Wenn dem so ist, arbeitet jede Überlegung zur Gestaltung diesen westlichen Einflussinteressen in die Hände. Also: Russland fördern, ohne westliche Interessen zu bedienen!

  • Die Voraussetzungen für eine demokratische Transformation sind derzeit leider weder in der Zivilgesellschaft noch in der Politischen Kultur Russlands gegeben und wird sich auch kaum durch rückkehrende Exil-Russ*innen ausgleichen lassen. Entsprechend dürfte auch ein Post-Putin-Regime recht wahrscheinlich nach innen autoritär regieren, dennoch dürfte es Chancen darauf geben, dass es wenigstens nach außen friedlich bliebe um seine ökonomischen Interessen zu wahren; jedenfalls dann wenn sich der Westen nicht zu einem allzu großen Vertrauensvorschuss hinreißen lässt, sondern auf "wenn Wandel, dann Handel" setzt, der die Entwicklung zur Demokratie als sehr langfristiges Ziel verfolgt. Einen Systemwechsel durch vom Westen ausgebildete und protegierte, politische Eliten zu forcieren, würde wohl unweigerlich dazu führen, dass diese als Marionetten betrachtet und nicht akzeptiert würden. Solche Versuche sind schon anderswo zigfach katastrophal schief gegangen, eine Demokratisierung wird nur dann gelingen, wenn sie organisch in der Gesellschaft wächst.

    • @Ingo Bernable:

      "wenn sich der Westen nicht zu einem allzu großen Vertrauensvorschuss hinreißen lässt" - Eher umgekehrt wird der Westen nun auf ewig lange Zeiten das Vertrauen der Russen verloren haben.



      Das Ei ist kaputt.Kann man nichts machen.

  • Das Ende von Nazi-Deutschland war ja nicht der Beginn einer ganz neuen Zeitrechnung, denn die alten Eliten waren schnell wieder an den Schaltstellen der Macht. Ist Deutschland deshalb wieder zurück gekehrt zu die Strukturen der NS-Zeit? Viele Nazis wurden durch de US Regierung "importiert" und machten sich in den USA als brave Vasallen nützlich. Wurde die USA zum Nazistaat?

    Der Wunschtraum, aus einem Post-Putin-Russland quasi mithilfe einer Opposition, die im Ausland agiert, ein neues Russland zu machen, ist geradezu abwegig. Was soll das für ein Russland werden? Ein Russland, das sich dem Westen anschließt und mit dem Westen die Welt ausbeutet? Ein Russland, das mit dem Westen nun die Länder überfällt, die schon immer auf der Abschussliste der USA stehen? Also ein Russland, das sich dem Hegemon jenseits des Atlantiks unterwirft? Was sollen die Menschen in Russland davon haben? Alle paar Jahre einen Wahlzettel ausfüllen und dann brav die Klappe halten? Das tun sie ja jetzt schon.

    Bisher waren alle vom Westen gesponserten oppositionellen Kräfte mit den Strafgesetzen Russlands in Konflikt gekommen, ziemlich rassistisch und rechtsnationalistisch wie Nawalny, kriminelle Oligarchen, die unter Jelzin das Volk betrogen haben, also mehrheitlich doch sehr fragwürdige Leute. Und die sollen die Hoffnungsträger für eine Ära nach Putin werden? Quasi eine Jelzinisierung Russlands?

    Solche "Hoffnungsträger" werden in Russland nur dann an die Macht kommen, wenn die Russinnen und Russen nicht wählen dürften. Die Zukunft Russlands wird durch die Menschen in Russland selbst geprägt und nicht durch Regisseure im Westen, die genau wissen, was gut für Russland ist.

    • @Rolf B.:

      Leider befürchte ich, dass sich "der Westen" nicht zurückhalten wird; er hat es in der Ukraine ja auch nicht getan. Es gibt genügend wartende russische Emigranten, die gerne übernehmen möchten - ähnlich wie die reichen Exilkubaner in Florida.

    • @Rolf B.:

      Dass "die Russinnen und Russen nicht wählen dürften" -?-



      Die in der letzten Zeit losgelassenen Gehässigkeiten gg a l l e s Russische lassen eine solche Wunschvorstellung des Westens als am liebsten anzustrebendes Projekt vermuten.

    • @Rolf B.:

      Ihr Plan ist also "kein Plan". Das ist genau der Grund, warum Herr Kraschenninnikow, übrigens als russischer Staatsbürger, für sein Land mal nach vorne denkt. Dafür ist jetzt durchaus der Zeitpunkt, um mal eine Marschrichtung zu entwickeln.

      • @Christian Lange:

        Mein Plan, wenn es den überhaupt gibt, ist, dass die Russen selbstbestimmt den Lauf ihrer Entwicklung bestimmen können und werden. Das ist Hoffnung. Keinesfalls bin ich der Meinung, dass der sogen. Wertewesten besser weiß, was für die RF richtig und wichtig ist.

        Verabschieden wir uns doch lieber von unserer neokolonialistisch geprägten Übermoral und trauen den Menschen dort einen Willen zu Veränderungen zu, der bei uns hinsichtlich Erweiterung der Demokratie nicht mehr möglich erscheint.

  • "Die Diktatur Putins beruht unter anderem auf der damals doch überraschenden Bereitschaft des Westens, Boris Jelzin und seine Mannschaft unhinterfragt als echte Alternative zur kommunistischen Partei anzuerkennen"

    Sehr richtig beobachtet -- und doch meines Erachtens ein wenig zu kurz (oder vielleicht zu höflich?).

    Was Sie unter der Überschrift "überraschend" zusammenfassen sehe ich als die übliche Habgier des kapitalistischen Westens: mit Oligarchen und korrupten Regimes lassen sich nun einmal prima Geschäte machen; das ist in den ehemaligen Kolonien standard operating procedure.

    Dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein erheblicher Teil der Bevölkerung unter die Armutsgrenze rutschte hat im Westen nicht so sehr gestört: hauptsache die billigen Rohstoffe fliessen.

    Dies ist der Boden, auf dem die widerlichen Ressentiments wachsen, die dan Putin und seine Kumpanen an die Macht spülen. Das Muster erleben wir immer wieder.

    Daran erstickt der gierige Kapitalismus eines Tages und reisst die ganze Menschheit mit in den Abgrund.

    • @tomás zerolo:

      Ganz schön wach und gut beobachtet- - kann mich da nur für diesen Kommentar bedanken. Mehr davon und nicht Ablenken lassen.

    • 0G
      06438 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      ""Dass nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein erheblicher Teil der Bevölkerung unter die Armutsgrenze rutschte hat im Westen nicht so sehr gestört: hauptsache die billigen Rohstoffe fliessen.""



      ==



      Russisches Rohöl fliesst seit 1964 über die Druschba Pipeline nach Ventspils, Schwedt, Leuna, Prag und Omisaj.

      Waren das auch die "bösartigen westlichen Kapitalisten" wie Schröder (?), der in seiner Amtszeit bis 2005 die Grundlagen dafür legte, das die Bundesrepublik nahezu 50% Ihres Energiebedarfs aus Russland bezog?

      Klartext:



      Die letzte Sozialstrukturanalyse die öffentlich zu lesen war stammt aus dem Jahr 2011. Damals ging es in der russischen Förderation wirtschaftlich aufwärts - trotzdem mehr als ein Drittel der Bewohner auch damals noch keinen Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung hatte.

      2013 - ein Jahr vor dem Überfall auf die Ukraine - wurde von Putin der Beschluss gefasst, die Rote Armee hochzurüsten und bis zum Jahr 2020 zu modernisieren. Das bedeutet: Spätestens 2013 war klar was folgen würde - in der Ukraine 2014 - und ab September 2015 in Syrien.

      Wenn also Putler die Einnahmen aus den Energieerlösen für schwachsinnige imperialistische Kriege verwendet - die Ukraine und Syrien in staubige Trümmerhaufen verwandelt - und auf diese Weise das Geld verbrennt, welches eigentlich den 143 Millonen Russen zustehen würde - und nicht den milliardenschweren Oligarchen und dem Kriegstreiber Putler - liegt Ihnen diese Aufbereitung der Tatsachen nicht nahe, das das russische Armagedon ander Ursachen haben muß als bösartige westliche Kapitalisten?

    • @tomás zerolo:

      Und da ist er wieder der "Selbsthass des Westens" oder ist es schlicht unwissende Arroganz? Wie wäre es einmal die Russen oder generell die Osteuropäer ernst zu nehmen. Es ist nicht der Fehler des Westens, dass sich die Russen (oder die Ungarn) einen Diktator gesucht haben. Es gab Massenproteste, doch waren diese immer noch zu klein. Und die große Mehrheit in Russland unterstützt den Krieg, hasst Gay-ropa und findet den klerikal-faschistischen Imperialismus großartig. Die russische Elite hat den Ausverkauf betrieben - nicht die deutsche, französische oder spanische. Werfen Sie Indien, China etc. ebenso vor mit den Russen Geschäfte zu machen oder mal wieder nur der böse, liberale Westen Schuld?