Pimmel-Gate in Hamburg: Unterhalb der Schwelle
Die Hausdurchsuchung wegen des „Pimmel“-Tweets gegen Innensenator Andy Grote war nicht verhältnismäßig. Das hat das Landgericht jetzt festgestellt.
Die Hausdurchsuchung war der Auftakt für das sogenannte „Pimmel-Gate“, die Affäre rund um einen Tweet gegen Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD). „Andy, du bist so 1 Pimmel“ hatte K.s Ex-Partner bei Twitter geschrieben, nachdem sich Andy Grote dort über feiernde Jugendliche aufgeregt hatte. Die nachfolgende harte Verfolgung des Rechtsstaats hat in der Folge für viel Empörung, Spott und ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen (linken) Aktivist*innen und der Polizei mit zahlreichen Nachfolgepimmelwitzen gesorgt.
Das Hamburger Landgericht hat nun bestätigt, was ein Großteil der Stadtgesellschaft (und der amüsierten Öffentlichkeit anderswo) seit einem knappen Jahr befindet: Nein, es ist nicht verhältnismäßig, eine Wohnung zu durchsuchen, um den Ersteller eines „Pimmel“-Tweets zu identifizieren.
Die Durchsuchung bei Mara K., so stellt das Landgericht in seinem Beschluss vom 27. Juli fest, war rechtswidrig. Erst vor einer Woche ist bekannt geworden, dass die Polizei die Verfolgung der Straftaten rund ums „Pimmel-Gate“ bereits vor Monaten eingestellt hatte. Der Beschluss des Gerichts ist nun ein weiterer Schritt, um die Posse zu einem Ende zu bringen.
Unverletzlichkeit der Wohnung
Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist selbst ein hohes Gut im Rechtsstaat. Eine Hausdurchsuchung ist ein schwerer Eingriff dagegen – und müsse deshalb stets ins Verhältnis gesetzt werden zur Schwere der Straftat, so das Landgericht. „So 1 Pimmel“, heißt es in der Begründung, sei keine allzu schwere Beleidigung. Das Strafverfolgungsinteresse des Staates, findet das Landgericht, dürfe man in einem solchen Fall nicht zu hoch bewerten – schließlich sei von Anfang an allenfalls eine geringe Sanktion gegen den Tweetersteller in Betracht gekommen.
Mehr noch: Das Landgericht vergisst nicht zu erwähnen, dass die Vorgeschichte die Beleidigung noch weiter abmildert: Man müsse auch das Verhalten des Innensenators betrachten, heißt es. Der nämlich hatte sich vorher auf Twitter über Jugendliche aufgeregt, die beim Feiern gegen Coronaregeln verstoßen hatten, und die Teenies als „dämlich“ und „ignorant“ beschimpft.
Mara K., deren Wohnung rechtswidrig von der Hamburger Polizei durchsucht wurde
Dabei, so erinnert das Gericht, hatte Grote ja selbst ein Jahr zuvor mit einer Feier geltende Corona-Auflagen gebrochen. Vor diesem Hintergrund sei die Beleidigung „eher am unteren Rand der Erheblichkeitsschwelle einzustufen“.
Dass es 2021 trotzdem zur Durchsuchung gekommen war, liegt daran, dass gleich drei Instanzen den Vorfall allesamt anders bewerten als das Landgericht. Den Fall ins Rollen gebracht hatte der Innensenator selbst; Beleidigung ist ein Antragsdelikt, das heißt: Es wird nur verfolgt, wenn der Beleidigte auch Strafanzeige stellt. „Andy, du bist so 1 Pimmel“ wollte der Innensenator wohl nicht auf sich sitzen lassen und erhob noch am selben Tag Strafanzeige. Zwei Wochen später war die Aufregung bei ihm offenbar noch nicht verflogen, der Strafantrag folgte.
Was ist Hatespeech?
Von hier an übernahm die Staatsanwaltschaft – und zwar, wenn man der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage folgt, ohne den Innensenator noch weiter einzubinden oder zu informieren. Die Staatsanwaltschaft muss erstens entscheiden, ob ein öffentliches Interesse besteht – also ob „der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist“. Oder ob eine Beschwerde den Weg der Privatklage nehmen muss.
Die Hamburger Staatsanwält*innen entschieden auf „öffentliches Interesse“ – schließlich sei die Bezeichnung „so 1 Pimmel“ Hatespeech.
Wie sie zu dieser Einschätzung gekommen ist, das will die Staatsanwaltschaft heute nicht mehr erklären. Die Antwort des Senats auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Deniz Celik hilft wenig weiter. Verwiesen wird dort auf eine neue Gesetzeslage, nach der auch (Lokal-)Politiker*innen besser vor Hass aus dem Netz geschützt werden sollten.
Die Einschätzung des Pimmel-Tweets als Hatespeech ist trotzdem erklärungsbedürftig: Die gängigen Definitionen, inklusive der der Europäischen Union, bestimmen Hatespeech als Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit – etwa aufgrund von Ethnie, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung –, die sich vor allem gegen marginalisierte Gruppen richtet.
Keine Entschuldigung, keine Entschädigung
Die Einstufung als Hatespeech jedenfalls bestimmte auch, wie die Staatsanwaltschaft ihre nächste Einschätzung vornahm: Vor einem Antrag auf Hausdurchsuchung muss sie erst einmal selbst entscheiden, ob die Störung des Grundrechts nach Artikel 13 des Grundgesetzes verhältnismäßig ist. Dieser Prüfung ist laut Bundesverfassungsgericht „in besonderem Maße Beachtung zu schenken.“ Wie die Hamburger Staatsanwaltschaft prüfte, ist unbekannt. Klar ist, dass sie die Grundrechtsverletzung gegen Mara K. in diesem Fall als angemessen betrachtete.
Damit kommt die dritte Instanz ins Spiel, die final über einen Antrag entscheiden muss: Das Amtsgericht. Doch auch der zuständige Ermittlungsrichter zweifelte die Verhältnismäßigkeit nicht an und erteilte den Durchsuchungsbeschluss – und das, noch bevor klar war, ob der Beschuldigte eventuell bei der Polizei aussagen würde.
Ungeschehen machen lässt sich der Bruch der „Unverletzlichkeit der Wohnung“ für K. natürlich nicht mehr; aber auch sonst gab es durch ihre Beschwerde für sie nicht viel zu gewinnen – aus dem Beschluss des Landgerichts folgt erst einmal nichts Konkretes: Es gibt keine Entschädigung und keine Entschuldigung. Das Amtsgericht, immerhin, werde in Zukunft bei „gleichgelagerten Fällen“ die Entscheidung der höheren Instanz in Betracht ziehen, teilt ein Pressesprecher des Gerichts mit.
Die Staatsanwaltschaft als unabhängige Instanz muss nicht einmal das zusichern. Man werde „wie bislang auch in jedem Einzelfall“ über die erforderlichen und gesetzlich möglichen Ermittlungsmaßnahmen entscheiden, schreibt die Pressestelle der Hamburger Staatsanwaltschaft auf Anfrage.
K. ist trotzdem erleichtert, dass sie Recht bekommen hat. „Das Gefühl ist richtig gut“, sagt sie. Zumindest die Anwaltskosten für die Beschwerde von ein paar hundert Euro muss sie nun nicht selber zahlen. Das Risiko war es ihr wert: „Die Reaktion des Staates auf den Tweet war scheiße. Und für mich war das Wichtigste, dass das öffentlich festgestellt wurde“, sagt sie.
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