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Energiekrise in DeutschlandWiedergänger namens Atomdebatte

Hannes Koch
Kommentar von Hannes Koch

Es scheint paradox, in einer Energiekrise die letzten Atommeiler abzuschalten. Doch die Debatte bestimmen Regionalegoisten und Zukunftsignoranten.

Isar 2 im Bayerischen Essenbach Foto: ARmin Weigel/dpa

D ie Atomkraft spielt hierzulande keine große Rolle mehr – auch nicht für die Energieversorgung im kommenden Winter. Wenn die drei letzten noch produzierenden Atomkraftwerke über den geplanten Abschalttermin am 31. Dezember hinaus am Netz blieben, wäre dies vor allem ein Akt innen- wie außenpolitischer Kompromissfähigkeit.

Die alten Brennelemente in den Anlagen Emsland in Niedersachsen, Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg und Isar 2 in Bayern werden dann teilweise verbraucht sein. Bei einer Neubestellung wäre Ersatz erst im Laufe des nächsten Jahres zu erwarten. Damit die Kraftwerke noch über den Winter laufen können, müsste man deshalb ihre Elektrizitätsherstellung verringern und strecken. Dann ersetzen sie allerdings nur rund ein Prozent der Strommenge, die mit Gas erzeugt wird. Ein Prozent ist nicht nichts – aber daran hängt nicht das Schicksal der deutschen Energieversorgung.

Wichtiger ist die politische Bedeutung des Weiterbetriebs. Trotz aller Sachargumente erscheint es auf den ersten Blick absurd, funktionierende Kraftwerke abzuschalten, während sich gerade eine massive Energiekrise entwickelt. Gerade in den süddeutschen Industriezentren machen sich manche Unternehmen Sorgen, weil sie weit weg von den großen Windkraftanlagen sind. Und auch den Bür­ge­r:in­nen der europäischen Nachbarländer könnte das AKW-Ende paradox vorkommen, wenn sie selbst Gas sparen sollen, damit in Deutschland die Herde und Heizungen nicht ausgehen.

Diese Erwägungen mögen es manchen Grünen wie Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt und Umweltministerin Steffi Lemke nun ratsam erscheinen lassen, über ihren Schatten zu springen und dem zeitlich begrenzten Weiterbetrieb vor allem von Isar 2 zuzustimmen.

Trotzdem ist die deutsche Atomdebatte auch ein Wiedergänger. Vor allem für Kernkraftwerke stark machen sich jetzt wieder Regionalegoisten und Zukunftsignoranten wie CSU-Chef Markus Söder, die eher einen Atomunfall riskieren, als Windräder zu genehmigen. Von einer kurzen Wiederaufnahme in diesem Winter abgesehen sollte die Rolle der AKW – bitte, bitte – ausgespielt sein.

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Hannes Koch
Freier Autor
Geboren 1961, ist selbstständiger Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Er schreibt über nationale und internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik. 2020 veröffentlichte er zusammen mit KollegInnen das illustrierte Lexikon „101 x Wirtschaft. Alles was wichtig ist“. 2007 erschien sein Buch „Soziale Kapitalisten“, das sich mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen beschäftigt. Bis 2007 arbeitete Hannes Koch unter anderem als Parlamentskorrespondent bei der taz.
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24 Kommentare

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  • Es geht nicht um ein ja/nö vs. Atom. Es geht nur darum die Sackgasse "wir schaffen das Ziel mit billigem russischen Gas" möglichst klimaneutral zu korrigieren.

    • @Rudolf Fissner:

      das könnten wir auch schaffen, indem wir nicht komplett über unsere Verhältnisse leben würden!

      Allein im Lebensmittelsektor sehe ich rießige Einsparpotentiale, dort werden immer noch 1/3 aller produzierten Lebensmittel wegeschmissen!

      Aber wir diskutieren lieber, ob wir nicht wieder Atommüllproduktionsstätten, die nur noch knapp 10% der Energie für D liefern weiterbetreiben wollen.

      Man will einfach immer den bequemsten und gewinnträchtigsten Weg weitergehen.



      Wer sich jetzt wieder für Atomkraft in D. stark macht, leidet für mich an Demenz und hat sowohl verdrängt, dass die Atomenergie weder klimaneutral ist, noch ungefährlich und das zudem die Frage, wohin mit dem Müll, noch nicht mal im Ansatz geklärt geschweige denn diskutiert wurde!

      Atomenergie geht komplett zulasten von unzähligen nachfolgenden Generationen und ist schon deshalb die ignoranteste From von Egoismus einer Generation, den ich mir vorstellen kann!

      • @Herr Schnitzlmann:

        Im Winter werden ca. 30% des Stroms via Erdgas erzeugt. Da hilft nächsten Winter die Kernenergie mit 6% ein bissel aus und macht kein Gramm Müll mehr.

        Außer der Merz kauft neue Brennstäbe.

        Es gibt riesiges Einsparpotential, allerdings können wir das nächsten Winter nicht vollständig abrufen. Würde auch nicht reichen, da 90% der Energie nicht erneuerbar erzeugt wird.

        • @WeisNich:

          Ich geb dir recht, es könnte helfen, aber ich befürchte dann, dass wenn wir der Atomkraft diese Chance geben, dass wir sie dann nicht wieder los werden.

          Ich finde es wäre auch ein völlig falsches Zeichen mit einer Symbolkraft, die in die entgegengesetzte Richtung zeigt, als die, die wir gehen müssen.

          Wir haben das Geld und die Technik, so zumindest sagt es bspw. Quaschning, aber wir wollen uns nicht ändern.

  • Wenn alle versprechen, dass sie im Winter nicht mehr warm duschen, nicht Ersatzweise mit Strom heizen und ihr EAuto nicht aufladen, dann können wir die Kraftwerke abschalten.

    • @WeisNich:

      Sie haben due Millionen von neuen Wärmepumpen die Herrn Habeck so am Herz liegen vergessen.

      • @Gerald Müller:

        Die gibt es ja im nächsten Winter noch nicht und übernächsten Winter ist das Problem gelöst

  • Paradox, d.h. ja widersprüchlich vom ersten Blick bis zum letzten finde ich es, die Technologie bis zur (irreversiblen) Entsagung verteufelt zu haben, als jedenfalls die Umstände und Voraussetzungen vor Ort zu den weltweit sichersten zählten. Und just wo das nicht mehr gegeben ist, eine Verlängerung des Ausstiegs in's Auge zu fassen. Vielleicht ist mit paradox eher sowas gemeint wie unglücklich? Sonst bin ich im Wesentlichen bei ihm, ein Wiedergänger ist es schon als Gespensterdebatte, die aber längst auch Stammgast, gefühlt in Deutschland fest in den Keller gezogen, um so etwa im Halbjahresrhythmus einmal drohend hervorzukriechen und alle bisschen zu aufzuschrecken, das konkrete Gewand dabei wohl auch mehr nebensächlich. Hauptsache Aufregerpotenzial und große Umdrehungszahlen, da werden seitens mancher viell. auch emotionale Lücken geschlossen oder aufgestaute/verdeckte Komplexe verarbeitet. Im Hinblick auf die Grünen, jedenfalls der neueren, könnt ich mir vorstellen sogar auch bisschen Gewissensbisse. Ein verbreitetes Hadern, Zweifeln zumindest kaum zu leugnen, for all that could've been. Kann man mal machen, aber irgendwann dürfte es dann auch mal wieder gut sein und man schaut nach vorn, das heißt in dem Fall eben Erneuerbare, Erneuerbare, Erneuerbare. Sonst ist natürlich auch Energiekrise ja irgendwann programmiert.

  • Die Frage eines Ignoranten: Wie steht es eigentlich um die Wasserversorgung der AKWs (Kühlwasser)? Besonders in Frankreich dürfte das doch mittlerweile ein ziemliches Problem sein und auch hierzulande sollte dieser Aspekt angesichts der anhaltenden Dürre in Betracht gezogen werden (Dürremonitor: www.ufz.de/index.php?de=37937).

    • @S.R.:

      Ja das ist ein Problem. Manche AKWs, besonders die, die direkt mit Flusswasser kühlen, also ohne Kühlturm, müssen in Frankreich ihre Leistung drosseln, damit aus ökologischen Gründen das Flusswasser im Sommer nicht noch weiter erhitzt wird. In Deutschland kommt das weniger vor, da alle AKW mit Kühltürmen kühlen und gleichzeitig die lokalen Wassertemperaturen seltener in einem ökologisch problematischen Bereich lagen. Kühltürme nachzurüsten ist sehr teuer und eigentlich keine wirtschaftliche Option, bleibt also nur das Drosseln im Sommer. Man muss das aber einordnen: In den letzten Jahren hatten AKWs in Deutschland eine mittlere Verfügbarkeit von ca. 90%, in Frankreich ca. 80% und Kapazitätsfaktoren von 90% bzw. 70%. Besser sind eigentlich nur manche moderne fossile Kraftwerke und Geothermie.

    • @S.R.:

      Das ist definitiv ein Problem und einige Kraftwerke mussten bereits gedrosselt werden. Wobei nicht so sehr die Wassermenge problematisch ist, sondern die Temperatur mit der es zurück in den Fluss geleitet wird.

      Man muss aber auch sagen: Im Winter, wo der fehlende Strom aus Solaranlagen ersetzt werden muss gibt es dieses Problem nicht. Und was auch nur selten erwähnt wird: Nicht nur AKWs benötigen Kühlwasser sondern auch Kohlekraftwerke die wir aktuell im großen Stil hochfahren..

      • @CrushedIce:

        von welchem "Winter" sprichst du, von dem Winter, den wir mal kannten, oder der Winter, wie er mittlerweile stattfindet und eigentlich ein verlängerter Spätherbst ist?

      • @CrushedIce:

        Danke für die Antwort!

  • Ja, man sollte eigentlich meinen, das sich das Thema Atomkraft in Deutschland endlich erledigt hat.

    Leider sind die Grünen ja gerade dabei, nicht nur die vertraglich zugesicherten Klimaziele zu kassieren, sondern als vermeintliche Kriegshandlung gegen Russland einen nicht für möglich gehaltenen fossilen und nuklearen Rollback zu organisieren.

    Für mich ist der Krieg an der Stelle allerdings nur vorgeschoben.



    Wir haben es bei Lindner/FDP und Habeck/Grüne mit einer sehr unheiligen und aggressiven fossilen Lobbygruppe zu tun.

    • @neu_mann:

      "Für mich ist der Krieg an der Stelle allerdings nur vorgeschoben."

      Ja, von Russland.

    • @neu_mann:

      Kann ich nur unterschreiben! Danke für diesen Kommentar!

  • In Frankreich sind wegen der Hitze schon über der Hälfte der Atommeiler außer Betrieb, und in D. glaubt man trotz Hitzewelle, dass uns die Atomkraft retten kann?

    Die Frage wohin mit dem Müll wird bei dieser Diskussion natürlich ausgespart, man kann den nachfolgenden Generationen keine Schulden hinterlassen, aber dafür jede Menge giftigen Müll!

  • "Dann ersetzen sie allerdings nur rund ein Prozent der Strommenge, die mit Gas erzeugt wird."

    Häh? Aktuell erzeugen die drei AKW 30TWh pro Jahr also 6% des Gesamtverbrauchs. Aus Gaskraftwerken kommen ca. 50TWh pro Jahr. Wenn jetzt die drei AKW abgeschaltet werden, müssen in den nächsten Jahren 30TWh pro Jahr mehr in Gas- und Kohlekraftwerken produziert werden, als bei Weiterbetrieb.

    • @grüzi:

      Es geht hierbei um einen Weiterbetrieb über den 31.12. hinaus. Wenn die akw länger laufen sollen müssten sie sofort weniger Strom produzieren damit sie länger laufen können. Sonst brauchen sie neuen Brennstoff und der wäre erst Ende nächsten Jahres verfügbar. Und vermutlich würde der Aus Russland kommen und die Kraftwerke wären nicht mehr versichert, da die Betreiber dies ablehnen.

      • @Ramelow Cathrin:

        Nein, man kann den Reaktorkern ohne jetzt zu drosseln über das Ende des natürlichen Brennstoffzyklus Ende diesen Jahres hinaus betreiben (erst dann mit gedrosselter Leistung). 2023 würden sie dann weniger produzieren aber niemals so wenig, wie in dem Zitat angegeben. Und nach der neuen Beladung wären die 30TWh/Jahr ja wieder da.

        Russland produziert keine passenden Brennelemente für die deutsche Konvoi-Baureihen.

        Wenn man sie jetzt bestellen würde, wären die Brennelemente in einem Jahr da, laut Hersteller.

  • Franzosen, Belgier, Finnen, Briten, Japaner…



    alles Zukunftsignoranten ( übrigens eine



    saudumme Wortschöpfung )

    • @Capitan Ituarte:

      Belgien hatte den Atomausstieg ursprünglich für 2025 geplant, ihn inzwischen aber auf 2045 verschoben. Darüber wie klug es ist Reaktoren über so lange Zeiträume laufen zu lassen kann man durchaus geteilter Meinung sein.



      Japan peilte nach Fukushima den Ausstieg bis spätestens 2040 an. Auch wenn die aktuelle Regierung diesen Kurs verlassen möchte, dürfte fraglich sein ob sie dies tatsächlich gegen die relativ klare Mehrheitsmeinung der Bevölkerung durchsetzen wird.



      England und Frankreich halten zwar an der Atomenergie fest, allerdings ist auch dort die Zahl der Reaktoren die absehbar wegen Überalterung vom Netz gehen werden sehr viel größer als die Zahl der Neubauten, die sich durchweg zu Milliardengräbern entwickelt haben.



      Nicht zu vergessen all die Länder die längst aus der Atomenergie ausgestiegen sind oder dabei sind auszusteigen, uA etwa Italien, Schweden, Österreich, Schweiz oder Litauen. Der Atomausstieg ist also alles andere als ein deutscher Sonderweg.



      de.wikipedia.org/w..._nach_L%C3%A4ndern