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Trotz Flughafen-PersonalmangelKein Chaos am BER

Die Zahl der Beschäftigten an Flughäfen ist auf einem Rekordtief. Po­li­ti­ke­r*in­nen warnen vor großem Durcheinander, doch am BER läuft es.

Anstehen für den Urlaub: Am BER blieben die Warteschlangen kürzer als erwartet Foto: Patrick Pleul/dpa

Berlin taz | Keiner der Bildschirme zeigt ihren Flug an. Trotzdem schaut Iris Graupner gespannt nach oben, auf eine der riesigen digitalen Abflugtafeln im Terminal 1 des BER. In der klimatisierten Halle ist es an diesem Dienstag fast schon kalt, während draußen die Sonne wärmt. Es ist der Tag vor dem letztem Schultag in Berlin. Die vielen Gespräche der Reisenden und des Flughafenpersonals, piepende Geräte und vor allem die vielen Rollkoffer verdichten sich zu einem betriebsamen Hintergrundrauschen.

Neben Graupner stehen noch weitere Menschen in Gruppen mit ihrem Gepäck und schauen abwechselnd ­runter aufs Handy und hoch auf die ­Tafel. Die lädt ständig neu, zeigt, wo die Passagiere für welchen Flug einchecken können, welche Flüge verschoben und welche gecancelt wurden.

Der Flug von Iris Graupner kann noch gar nicht angezeigt werden. Denn sie möchte nicht am Dienstag, sondern erst zwei Tage später nach Sardinien fliegen, um dort ihren Sohn zu besuchen. Aber sie wollte den Flughafen vorher einmal auskundschaften. „Ich hab ja schon frei, ein 9-Euro-Ticket und der Weg ist nicht weit“, erzählt sie lachend. Sie ist das erste Mal an diesem Flughafen. Außerdem wisse sie ja nicht, wie voll der BER werde, wenn am Donnerstag die Ferien in Berlin beginnen.

Das Thema „Flughafenchaos“ steht in vielen Medien gerade hoch im Kurs: Durch den Personalmangel streichen Airlines tausende Flüge, und an den Sicherheitskontrollen stehen die Passagiere stundenlang an. Die Bundesregierung hat sich dem Thema schon angenommen.

Viel besser als erwartet

Selbst die Pilotenvereinigung Cockpit verkündete, sie rechne mit einer Geduldsprobe für viele Reisende am Flughafen in Berlin. Der BER empfiehlt den Reisenden, zweieinhalb Stunden vor dem Abflug am Flughafen zu sein. Viele sind auch schon drei oder vier Stunden früher da. Auch Iris Graupner haben die Meldungen verunsichert. „Aber gerade ist es noch sehr entspannt“, stellt sie zufrieden fest.

Der BER ist an diesem Dienstag zwar alles andere als überlaufen, aber trotzdem ziehen einige Menschen schnellen Schrittes ihre Rollkoffer über die gelblichen Fliesen. Immerhin ist der BER mit theoretisch 46 Millionen möglichen Passagieren pro Jahr der drittgrößte Flughafen in Deutschland.

Wirklich gerne will niemand für ein kurzes Gespräch stehenbleiben. Aber auf Nachfrage ruft ein Herr auf Englisch über die Schulter, bisher laufe alles gut. Viel besser als erwartet, ergänzt sein Begleiter.

Nur an zwei Check-in-Schaltern haben sich längere Schlangen gebildet. Selbst die halten sich im Rahmen. Obwohl nicht alle Sicherheitskontrollen geöffnet sind, stehen nur wenige Menschen an. „Am Donnerstag wollen sie aber weitere öffnen“, erzählt Iris Graupner. Sie hat schon mal beim Sicher­heitspersonal nachgefragt. Zufrieden mit dem ersten Eindruck macht sie sich wieder auf den Weg zur Bahn nach Hause. „Aber etwas Ungewissheit bleibt im Hinterstübchen“, darüber, wie es am Donnerstag werde.

Kilometerlange Warteschlangen

In Nordrhein-Westfalen hatten die Flughäfen beim Ferienstart am vergangenen Wochenende erhebliche Probleme, die Menschenmassen durch die Sicherheitslinien zu schleusen. Am Flughafen Köln/Bonn schätzten RTL-Reporter die Warteschlangen auf mehrere Kilometer und berichteten von stundenlangen Wartezeiten.

Der Personalmangel lässt sich aber nicht nur auf die aktuell hohen Krankenstände zurückführen. Es arbeiten auch immer weniger Menschen in der Luftfahrt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts von diesem Mittwoch waren im April 6,6 Prozent weniger Menschen beschäftigt als im Jahr zuvor. Dabei waren die Zahlen 2021 schon gesunken. Verglichen mit April 2019 waren dieses Jahr sogar 11,3 Prozent weniger Menschen bei der Luftfahrt beschäftigt.

Zu Beginn der Coronapandemie brach der Flugverkehr um 84 Prozent ein, wie die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen berichtet. Viele Mit­ar­bei­te­r*in­nen verloren ihre Jobs und orientierten sich offenbar neu. Nun gibt es mehr freie Stellen als Interessierte.

Die stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, Christine Behle, führt das auf den Wettbewerb in der Branche zurück. Die Beschäftigten würden unter schlechten Bedingungen arbeiten. So sparten die Ar­beit­ge­be­r*in­nen Geld, damit das einzelne Ticket nicht so viel koste. „Irgendwer muss für das Fliegen zahlen. Bisher war es das Personal“, erklärt sie gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

So kennt man den BER gar nicht: alles läuft, scherzt ein Pressefotograf, hält sich die Kamera vors Gesicht und knipst

Die Bundesregierung möchte das Problem lösen, indem sie Personal aus anderen Ländern anwirbt. Zudem kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am vergangenen Mittwoch an, die Arbeitsbedingungen sollten sich verbessern. Auch die Opposition will das Problem angehen: Als am Donnerstag die Ferien in Berlin und Brandenburg starteten, forderte die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag einen „Flugreisegipfel“ der zuständigen Minister*innen, um das Chaos an den Flughäfen aufzulösen. Das Parlament lehnte den Antrag allerdings ab.

An diesem ersten Ferientag bedarf es zumindest beim Berliner Flughafen keiner Lösungen. „So kennt man den BER gar nicht: alles läuft“, scherzt ein Pressefotograf, hält sich die Kamera vor das Gesicht und knipst. „Einfach kein Chaos“, sagt er und klingt etwas enttäuscht. Das verkauft sich nicht gut. Trotzdem ist es lauter als noch zwei Tage zuvor. Gegen elf Uhr vormittags haben sich bei den Check-Ins der Flüge nach Fuerteventura, Helsinki und Istanbul Schlangen gebildet, die deutlich über den vorgesehenen Bereich hinausragen. Aber nach rund anderthalb Stunden sind auch die letzten durch.

Wie am Dienstag erzählen Reisende, dass sie nicht nur zweieinhalb, sondern auch mal drei oder vier Stunden früher am Flughafen angekommen sind. Sicher ist sicher. Martin und Stephanie etwa sind mit dem Zug so früh da gewesen, dass sie sogar warten müssen, bis ihr Check-in für den Flug nach Frankreich überhaupt öffnet. Bisher wirke alles normal, der Flughafen nicht überlaufen.

3.000 Flüge abgesagt

Der Flughafen tue dafür auch einiges, bemerkt Stephanie und weist auf die Leute in roten T-Shirts, die überall auf dem Gelände zu sehen sind. Ein Sprecher des BER erklärt, dass es sich um Mit­ar­bei­te­r*in­nen handelt, die ansonsten etwa in der Buchhaltung arbeiten. Am Flughafen helfen sie nun den Reisenden dabei, sich zu orientieren. „Hallo, sind sie gut vorbereitet auf die Sicherheitskontrolle?“ fragt einer von ihnen die Reisenden. Wenn sie ihn nicht verstehen, wechselt er ins Englische und fragt nochmal.

Martin und Stephanie machen sich keine Sorgen. „Die Leute sind am Ende selbst verantwortlich, dass sie ihren Flug erwischen“, sagt Martin.

Am Ende des Tages sind schließlich 231 Flüge vom BER abgehoben. Fünf wurden gestrichen. Einer davon sollte am Morgen um 7:15 Uhr nach Frankfurt am Main gehen. Kurzfristig habe die Lufthansa den gecancelt, erzählt Bengt, deshalb würden er und seine fünf Begleiter nun ihren Anschluss verpassen – und die Hochzeit, zu der sie eigentlich wollten. Die Lufthansa weigere sich, ihre Umbuchung zu übernehmen.

„Es ist ja kein Problem, wenn es mit dem Flieger nicht klappt. Aber dann sollen sie eine Alternative anbieten und zahlen“, findet er. Gerade, weil es ein Inlandsflug war, hätte er auch einen Zug oder ein Auto nach Frankfurt genommen, wenn er früh genug Bescheid gewusst hätte.

Ein Sprecher der Lufthansa räumt in diesem Fall ein, es könne gut sein, dass der Flug kurzfristig gestrichen wurde. Insgesamt hat die Airline 3.000 Flüge im Juli und August abgesagt. „Aber Ziel ist immer, eine Alternative anzubieten.“ Der Sprecher könne sich nicht vorstellen, dass es in diesem Fall anders sei. Die Reisenden sollen trotzdem mit der Lufthansa ans Ziel kommen.

Laut dem BER waren vergangenen Dienstag 60.000 Reisende am Flughafen, am Donnerstag waren es 70.000 und am Freitag dann 80.000. Über die Ferien werde das Niveau auf dieser Höhe bleiben – und mit Chaos rechne man nicht.

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4 Kommentare

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  • Auf die Malediven zu fliegen dauert 10 Stunden. Zu den Malediven zu reisen dauert Monate. Wir sind eine hedonistische Gesellschaft.

  • Es ist beeidruckend, dass es am Berliner Flughafen vor Ferienbehinn besser läuft, als anderswo nach Ferienstart...



    Nach dem jahrelangen Imageschaden, den Berlin für den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland verursacht hat, ist es immerhin schön, dass sich etwas bewegt.



    Doch ist diese Bewegung noch zeitgemäß?



    Einerseits wird EU und Ampel kritisiert, wenn kriegsbedingt klimaschâdliche Kompromisse geschlossen werden.



    Andererseits stehen die kriegsbedingt angeblich verarmten BundesbürgerInnen an den Flughäfen Schlange.



    Man liest hier von Flügen nach Frankfurt und Frankreich - ist das notwendig?



    Der CO2 Fußabdruck entsteht nicht nur im Bioladen und



    auch das lobenswerte freitägliche Schuleschwänzen in der Vergangenheit hebt die Dreckschleuderbenutzung nicht auf.



    Ich bin kein Missionar, aber mein letzter Flug war 1995, das war vor den Billigfliegern.



    Auch anschließend hab ich noch einiges von der Welt gesehen.



    An dieser Stelle möchte ich zu bedenken geben, dass der CO2 Fußabdruck vieler VertreterInnen der Folgegeneration bereits jetzt größer ist als meiner.



    Wir haben in den 80ern begonnen den Umweltschutz überhaupt zum Thema zu machen.



    Mit diesem Jahr endet der jahrzehntelange Kampf gegen Atomkraft.



    Nie war die Akzeptanz für regenerative Energien größer.



    Wie wäre es, wenn Ihr die Gunst der Stunde nutzt?



    Machen statt meckern.



    Das geht derzeit zum Beispiel optimal bei der Berufswahl!

  • mich würde einmal interessieren, ob die 3000 abgesagten Flüge 3000 Flugzeuge sind, die nicht fliegen oder 3000 Tickets, die storniert wurden.



    Ich vermute irgendwie letzteres.

    • @nutzer:

      Nope. 3000 Flüge = Flugzeugbewegungen abgesagt.

      "Die Lufthansa weigere sich, ihre Umbuchung zu übernehmen."

      Das kann nicht richtig sein, höchstens wenn man dann bestimmte Vorgaben macht. Ansosnten müssen sie Ersatz leisten oder erstatten. Meist lieber Ersatz (=Umbuchen, zur Not in den ICE) und das klappt auch ganz gut.