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Verpasste Chancen in der KlimapolitikWas hätten wir uns ersparen können!

Nostalgie, Wehmut, Wehrwut: Eine 27 Jahre alte Nachrichtensendung löst bei unserem Klimaexperten eine Gefühlsklimax aus.

Ein Globus an einer Decke irgendeiner Konferenz. See you in Stockholm! Foto: Christoph Soeder/dpa

A lte Menschen wie ich werden leicht mal nostalgisch. Beim Zappen im analogen Fernsehen (auch etwas, das nur Senioren tun) landete ich letztens bei einer „Tagesschau“ von 1995. Die Sprecherin sprach von der ersten Klimakonferenz, der COP1 in Bonn: Diese seltsame Erderwärmung ließe sich verhindern, wenn die Emissionen dieses seltsamen Gases Kohlenstoffdioxid ein bisschen sänken – um ein Prozent pro Jahr.

Mir kamen vor Wehmut und Wehrwut fast die Tränen. Ein Prozent! Aus jetziger Sicht ist das ein Fliegenschiss. Heute sind jährlich etwa 8 Prozent CO2-Reduktion nötig, um das Schlimmste zu verhindern. Dafür braucht es schon eine Pandemie oder eine schwere Wirtschaftskrise.

Aber hätten wir/Ihr/sie seit 1995 nicht überall Kohlekraftwerke gebaut, die Wind- und Solarindustrie nicht abgewürgt, die Ökosteuer auf fossile Brennstoffe konsequent langsam weiter erhöht, neue Häuser und Maschinen effizient gebaut, statt Monster-SUVs nur Halbmonster-Trucks, wieder den Sonntagsbraten statt des Werktagsschnitzels eingeführt und nicht ein Wirtschaftsmodell heiliggesprochen, bei dem wir ALLES SOFORT und ÜBERALL haben müssen – wir könnten uns diesen ganzen Quatsch mit Sommerpakten, Klimagesetzen und Sofortprogrammen sparen.

Und vor allem diesen UNsinn der UN-Klima­konferenzen, denke ich, als ich auf einer weiteren dieser Veranstaltungen in Bonn herumtaumele. Gerade ist neben mir eine Kollegin vor Übermüdung eingenickt, gerade erzählt mir ein Delegierter, er habe tatsächlich eine Woche lang ergebnislos über drei Sätze verhandelt.

Konsumismus mit umgekehrten Vorzeichen

Die Konferenz ging am Donnerstag zu Ende, mit den üblichen Nanofortschritten bei Schadenersatz, der Anpassung an den Klimawandel und Finanzierung. Aber das meiste wurde wieder mal auf die nächste Konferenz verschoben. See you in Egypt.

All das hätten wir uns mit ein bisschen ernsthafter Zukunftsplanung, ein bisschen Widerstand gegen die fossile Versuchung und ein bisschen Mut zu unpopulären Entscheidungen erspart. Und wir müssten nicht für die letzte Hoffnung auf eine Zukunft mit halbwegs erträglicher Klimakrise die Strategie der Gegner übernehmen: Nämlich den eigentlich schwachsinnigen Grundsatz des totalen Konsums auf die Klimapolitik übertragen. Das fällt mir auf, als mir ein Wissenschaftler auf der Konferenz die neuesten Tabellen der weltweiten Emissionskurven zeigt. Die Konsequenz ist klar: Wenn hier noch was zu retten sein soll, brauchen wir im Klimaschutz ALLES, SOFORT und ÜBERALL.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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15 Kommentare

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  • Machen wir uns doch mal ehrlich. Die erneuerbaren Energien sind keine Erfolgsgeschichte. Ihr Anteil an den Primärenergien geht seit über 10 leicht zurück und nimmt entgegen der allgemeinen Rhetorik weltweit überhaupt nicht zu. Der größte Anteil davon ust nicht mal Wind oder Photovoltaik sondern Wasserkraft und Biomasse (letzteres produziert auch schön CO2, ist aber irgendwie „frischer“ als Kohle und dadurch als neu gelabert).

    Was uns grüne Spitzenpolitiker nun als Zukunftsperspektive verkaufen, ist ein Lobbyismus für eine Nischentechnologie. Den Klimawandel bewirkt es nicht.

  • 9G
    93851 (Profil gelöscht)

    "Wenn hier noch was zu retten sein soll, brauchen wir im Klimaschutz ALLES, SOFORT und ÜBERALL."

    Fazit:



    Nichts ist mehr zu retten. Grüne Deutsche Energiepolitik ist reinster Populismus, saugt uns das letzte Geld aus den Portemonnaies während der Wahnsinn weltweit weitergeht.

    Das Wichtigste an "Klimakonferenzen" scheint wohl die gute Bewirtung zu sein...

    • @93851 (Profil gelöscht):

      Ihr Feindbild in allen Ehren, aber....



      "Grüne Deutsche Energiepolitik" gäbe es bestenfalls wenn wir eine grüne Alleinregierung hätten.



      Und selbst dann wäre das auch nicht die "reine Lehre", weil eine Regierung eben nicht immer nur die Politik für die Vorstellungen der eigenen Parteigänger machen kann, sondern eine für alle BürgerInnen. Das nennt man Demokratie. Amt und Mandat sind eben grundsätzlich voneinander zu unterscheiden.



      Und dass die Mehrheit der Bevölkerung zu einer echten Verhaltensänderung, die die Erreichung von dringend gebotenen Klimazielen ermöglicht, in der Masse eben nicht bereit sind, zeigt ja der Rückblick von Bernhard Pötter.

  • Ja, ähnliche Perspektive habe ich auch manchmal. Ihre ersten Sätze lassen mich an die quasi-Doku "The Age of Stupid" mit den Untertiteln "Warum tun wir nichts?" und "Das Zeitalter der Dummheit" denken. Sehenden Auges in den Abgrund ...



    de.wikipedia.org/wiki/The_Age_of_Stupid

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Ich hör Herrn Habeck fabulieren:



    „Wir müssen doch nicht reduzieren.



    Wir müssen doch nur transformieren.



    Frau Baerbock wollt' gar finanzieren.

    Ich wiederhol mal mein Gedicht,



    dass schon bei mäßigem Verzicht



    die Weltwirtschaft zusammenbricht.



    Somit zählt ein Mensch am End



    Nur als Konsument.

    (Bald sind wir alle arm,



    doch Annalenas Charme



    der hält uns warm.)

    • @95820 (Profil gelöscht):

      Um das mal weniger milde und weniger hoffnungsvoll auszudrücken:

      Bagger verschlingen Wälder,



      Fressen sich durch‘s Land.



      Asphalt legt sich über die Wiesen,



      Fabriken sprießen aus der Erde.



      Häuser schießen in die Höhe,



      Schadstoffe entweichen in den Äther.



      Gift fließt in Gewässer.



      Atome gezüchtet, gespalten;



      Zerfallen tausende Jahre.

      Wir sind Leben.



      Wir sind Tod.



      Wir säen Feuer.



      Wir gebären Asche.



      Wir säen Zerstörung.



      Wir gebären Tod.

      Wir sind der Vernichter Leben.



      Wir sind die Saat des Todes.

      Unsere Zukunft ist Vergangenheit.



      Endstation Mensch - wir sind tot!

  • Die Aussage wir etc. ist völlig unkorrekt. Es gibt Genügend, die schon immer nachhaltiger gelebt haben als der Mainstream, keine Querdenker im jetzt negativen Sinn waren und im Gegensatz zu Kohl, Schröder und Merkel etwas weiter gedacht haben. Beispiel: Forderung der Grünen 5 DM/l Sprit. Der von Medien und einschlägigen Interessengruppen verbreitete Irrtum, Schwarzgelb könne mit Geld umgehen, lässt sich nicht so leicht aus dem Köpfen entfernen. Beispiel: Maskendeals über zig Millionen, massiv aufgebauschte Kinkerlitz-Zahlungen von Baerbock. Die Medien sind immer noch überwiegend dabei, zu versagen.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Sarg Kuss Möder:

      „Es gibt Genügend, die schon immer nachhaltiger gelebt haben..“ Nein, eindeutig zu Wenige.

  • Der größte Hebel ist und bleibt die Energieeinsparung - aber bitte nicht per "lass deine Wohnung verschimmeln" (ein gewisser Ex-Verbraucherschützer und jetziger Bundesnetzpräsident: "Nur noch 1 Zimmer heizen") und per "friermalschön" (ebender, und dazu unser Klimahabeck, per "18 Grad"). Die Versteckdosung unser sämtlicher Klimastrategien trägt auch nicht grad zur Motivation bei: Ich soll LED (hab ich) und ich soll das Standby beim Fernseher ausschalten (kannstmichmal) und weniger oft duschen (haktwohl?) - während der Nachbar mit 2 Tonnen Blech zum Brötchenholen fährt - und das jetz elektrisch ???

    • @lesnmachtdumm:

      Ja, genau. Ist n' blödes Problem. Am besten Augen zu und durch! Was nützt ein geretteteter Plannet, auf dem es keine Arbeitsplätze gibt? (Volker Pispers).

  • wer war sprecher der nachrichtensendung ...

    karl-heinz köpke ?

  • Welche COP? 1995 in Berlin oder 1999 in Bonn?



    Aber egal, im Nachhinein ist immer alles klar. Es gab schon die Vorhersagen, es gab die Modelle, aber längst nicht so ausgereift und (noch) mehr umstritten. Und es ging doch nur um 1%. Das kann man doch immer noch aufholen, oder? Jedenfalls kann man nicht erwarten, dass gleich bei ersten Zusammentreffen die einen zustimmen, nicht weiter zu wachsen und die anderen dürfen es. Allein wo China damals stand. Und selbst das Kyoto Protokoll hat die USA nicht akzeptiert.



    Man kann immer mal zurückschauen (wie jung wir damals waren, was es damals alles gab) aber nützen tut es nichts. A

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @fly:

      1995, 1999? Aber egal... - Einfach mal den Artikel lesen.. Oder Rechnen lernen, dann reicht auch die Sub-Headline. 🚀✈

  • Nein, hätten wir nicht!

    Aus dem Kalten Krieg wurde ein Wirtschaftskrieg, USA gegen Europa gegen China und Asien. Wer wächst am schnellsten, wer hat die neueste Technologie am Start, wer sichert sich die größtem Marktanteile. War das nicht tat war schnell weg vom Fenster, Arbeitslosigkeit, fehlende Steuereinnahmen und hohe Zinsen waren das Ergebnis.

    Die Staaten und Politiker hatten keine Chance "vernünftig" zu sein und vorausschauende Klimapolitik zu machen. Die Förderung der erneuerbaren Energien war auch nur eine weitere Industrieförderung, aber ohne gleichzeitiges Energie sparen - für den Klimaschutz nur bedingt ergiebig, weil weiter ungebremst konsumiert wurde.

    Ebenso war das günstige russische Gas und Erdöl die Basis für die deutsche Exportnation. Mit teuere Energieformen wären deutsche Produkte nicht so konkurrenzfähig gewesen.

    Konsequenter Klimaschutz hatte in der Vergangenheit und heute keine Chance.



    Ob in der Zukunft ist die Frage?

    Braucht es dafür einen Systemwechsel, weg vom Kapitalismus mit seinem wachstumsgetriebenen Profitstreben? Hin zu einem kontrollierten Schrumpfung der globalen Industrieproduktion? Ist das realistisch? Nein!



    Das ist von Menschen und Politikern nicht gewollt - deshalb passiert auch nichts - deshalb wird Klimaschutz auch nur auf Konferenzen simuliert.

  • Hätt ich, wüllt ich, wöhr ich un däht ich...



    Ein Trauerspiel bleibt's allemal.