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Wohnungspolitik in BerlinKritik an Giffey von allen Seiten

Der Vorschlag der Regierenden Bürgermeisterin, Mieten an Einkommen zu koppeln und zu deckeln, sorgt für Unverständnis und Ratlosigkeit.

Wohnungsbau sei Chefinnensache, sagt Franziska Giffey. Mensch darf gespannt sein… Foto: dpa

Berlin taz | Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat breite Kritik für ihren eher vagen Vorschlag geerntet, die Mieten an das Haushaltseinkommen zu koppeln. Giffey hatte am Wochenende recht spontan vorgeschlagen, die Mieten auf 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens zu begrenzen und eine öffentliche Prüfstelle einzurichten, die Mie­te­r*in­nen dabei helfen solle, ihre Miete notfalls durchzusetzen.

Die grüne Mietenpolitikerin Katrin Schmidberger sagte der taz am Montag: „Der Vorschlag kommt wie Kai aus der Kiste und ist unausgereift.“ Sie frage sich, auf welcher gesetzlichen Grundlage die Regelung umgesetzt werden und ob mögliche Senkungen für Mie­te­r*in­nen einklagbar sein sollten. Zudem sei vollkommen unklar, wie das Einkommen überprüft werden soll: „Müssen sich Mie­te­r*in­nen jedes Jahr nackig machen und werden zu Bittstellern bei Unternehmen?“

Zudem befürchtet Schmidberger eine weitere Benachteiligung ärmerer Mie­te­r*in­nen bei der Wohnungssuche. Bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen gebe es zudem schon eine entsprechende Härtefallregelung. Eine neue Regelung dürfe nicht dazu führen, dass „diese Härtefallregelung als Untergrenze missbraucht wird“, so Schmidberger.

Auch die linke Stadtentwicklungspolitikerin Katalin Gennburg weist den Vorschlag von Giffey brüsk zurück. Sie sei von dem Vorstoß überrascht worden und habe bezüglich der Umsetzung viele Fragen. Gennburg befürchtet, dass sich schlussendlich „Vermieter einfach die reichsten Mieter raussuchen“. Deswegen brauche man eine Regulierung der Mieten.

Und wenn man wirklich Mieten regulieren wolle, könnte man das über das Volksbegehren Deutsche Wohnen und Co. enteignen tun: Dann hätte das Land auf einen Schlag die Verfügungsgewalt über mehr als 240.000 Wohnungen. Zudem hätte man für das Wohnungsbündnis, bei dem Giffey auf Dialog mit der Immobilienwirtschaft setzt, eine Drohkulisse für Zugeständnisse, so Gennburg.

Auch Kultursenator Klaus Lederer (Linke) hatte Giffeys Forderung als „unrealistisch“ zurückgewiesen – es sei nicht praktikabel, zehntausende Mietverhältnisse zu überprüfen.

Kritik auch aus dem Bundestag

Selbst die SPD-Fraktion im Bundestag zeigte sich skeptisch, wie der Vorschlag „rechtlich überprüfbar“ umzusetzen sei, so SPD-Wohnungspolitiker Bernhard Daldrup in der Welt. Auch Wohlfahrtsverbände äußerten dort Kritik: „Was auf den ersten Blick charmant klingen mag, wäre in der Praxis bürokratischer Irrsinn“, so Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband. Es scheine unrealistisch, dass regelmäßig Einkommen geprüft werden müssten und einzelne Mieter gegen Vermieter vorgehen müssten, um eine Umsetzung zu garantieren. Daran sei schon die Mietpreisbremse gescheitert, so Schneider.

Die FDP sprach von einem „Bürokratiemonster, das viele Fragen offen ließe“, die Union von einem „politisch durchschaubaren Ablenkungsmanöver“.

Tatsächlich spricht einiges dafür, dass der Giffey-Vorschlag eine Flucht nach vorne sein sollte. Denn längst ist absehbar, dass ihr viel beworbenes „Bünd­nis für Woh­nungs­neu­bau und bezahl­ba­re Mie­ten“ auf absehbare Zeit nicht zu den 20.000 versprochenen Wohnungen pro Jahr führen wird – nicht zuletzt wegen erschöpfter Bau-Kapazitäten, Fachkräftemangel und Lieferengpässen wegen Corona-Krise und Ukraine-Krieg. Den „freiwilligen Mietenstopp“ der Immobilienbranche für fünf Jahre hält Bausenator Andreas Geisel (SPD) nicht mehr für umsetzbar. Möglicherweise wird am Ende des Bündnisses gar nichts unterschrieben, wie bereits von verschiedenen Seiten zu hören ist.

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13 Kommentare

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  • "Bist du verrückt mein Kind,



    so gehe nach Berlin,



    wo die Verrückten sind,



    da gehörst du hin!"

  • Ein wegweisender Vorschlag von einem der brilliantesten Köpfe der Republik.

    Und das Konzept wäre ausweitbar. Da der Staat ja dann genau Bescheid weiss, kann er doch auch Preise für Lebensmittel, Elektroenergie, ÖPNV usw. je nach Geldbeutel anpassen.

    So wäre auch ein bedingungsarmes Grundeinkommen unnötig. Wer nichts verdient, muss auch nichts (30% von 0€) bezahlen. :D

    Macht Giffey zur Alleinherrscherin und alle Nöte haben ein Ende.

  • So sehr das Verlangen nach gerechter Miete korrekt ist, aber da hat sich die Plagiatritsche total vergallopiert. Ich zweifele sehr an ihrem politischen Verstand.

  • "Der Vorschlag kommt wie Kai aus der Kiste und ist unausgereift."



    Und das ist noch geschönt. Populistischer unausgegorener Quark würde mir da noch zu einfallen. Was muss man geraucht haben, um so einen Vorschlag ernsthaft in die Debatte zu werfen?

  • „Müssen sich Mie­te­r*in­nen jedes Jahr nackig machen und werden zu Bittstellern bei Unternehmen?“

    Ja klar, genau wie die Hartz-IV-Empfänger!

    • @cuba libre:

      Das müssen sie doch auch gegenüber dem Finanzamt. Eingabe der Lebenslangen Steuernummer, die man bei Abschluss des Mietvertrages angeben muß, und schon kann man per Knopfdruck abfragen. In Schweden kann jeder Bürger die Einkünfte seines Nachbarn einsehen. Wo ist das Problem? Aber warum sollen durch Enteignung die Mieten billiger werden?



      Beispiel Die Möckern- Genossenschaft in Berlin.

      • @Pepi:

        '"In Schweden kann jeder Bürger die Einkünfte seines Nachbarn einsehen."

        Das Problem oder das Gute ist, wir sind keine Schweden.



        Wenn schon Transparenz, dann bitte bei all den Einkünften, die Politiker und all die Lobbyisten haben.



        Letztlich wurde ja lobenswserterweise (?) in der Bildzeitung getitelt - 6000 Euro für die ehem. Bildungssenatorin Scheres.



        Ich hätte ihr angesichts ihrer Leistungen die Pension auf 0 Euro monatlich gesetzt.



        Gleiches und viel mehr gilt das natürlich für Wowereit.

        Hildegard Müller - Lobbyistin und ehemalige Politikerin (CDU) und nun VDA-Chefin sollte auch mal ihre Einkünfte offenlegen.



        Aber man regt sich lieber über Gerhard Schröder auf - zu Recht.

      • @Pepi:

        "Spitz formuliert würde ich mir sofort die größte Villa im tollsten Vorort mieten - ich könnte diese ja immer mühelos bezahlen. Wenn man dagegenhält, dass natürlich nur "angemessene" Wohnungen gemeint sind, landen alle Niedrigverdiener in irgendwelchen "Löchern"."



        Der logische Schluss wäre dann ein Vermietungszwang: jeder Vermieter muss jeden Mieter zu dessen Vermögensverhältnissen mit entsprechender Miete akzeptieren.

        Wundert mich, dass noch keiner mit dieser absurden Ergänzungsidee gekommen ist.

        Was das für den Mietmarkt bedeutet, kann man sich gerne selbst ausmalen. Welcher Vermieter würde unter solchen Bedingungen Vermieter bleiben?

        • @Encantado:

          Der Verkauf von Zelten würde jedenfalls sprunghaft ansteigen.

      • @Pepi:

        "In Schweden kann jeder Bürger die Einkünfte seines Nachbarn einsehen. Wo ist das Problem?"



        1. Deutschland ist nicht Schweden. Kann man jetzt doof finden, ist aber so. Ich will nicht, dass mein Vermieter über meine Vermögensverhältnisse genau Bescheid weiß. Und schon gar nicht, wenn eine Gehaltserhöhung zu einer Mieterhöhung führt.



        2. Vermieter werden sich bei Abhängigkeit der Miete vom Einkommen (wieder mal, aber noch stärker als vorher) nur Mieter mit entsprechendem Einkommen zulegen. Wer guckt dabei in die Röhre? Genau. Und das ist dann sozial ausgewogen?

  • Die Berliner haben durch entsprechende Volksentscheide ihre Forderung wie die Politik mit Wuchermieten in der Stadt umzugehen hat, konkret vorgegeben.



    Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) will aber diese Volksentscheide mehr oder weniger ignorieren und weicht deshalb auf nicht umsetzbare politische Ersatzhandlungen aus, um die Berliner an der „lange Nase“ rum zuführen. Genau solche Verhaltensweisen der SPD - Eliten haben schon früher dazu geführt, dass sie immer mehr in Richtung Bedeutungslosigkeit abgewählt wurden.



    Will die SPD diesen Weg ernstlich vermeiden, muss sie den Wählerauftrag der in den Volksentscheiden kundgetan wurde umsetzen. Basta!

  • Die Idee mit 30% des Nettoeinkommens klingt in der Tat merkwürdig. Spitz formuliert würde ich mir sofort die größte Villa im tollsten Vorort mieten - ich könnte diese ja immer mühelos bezahlen. Wenn man dagegenhält, dass natürlich nur "angemessene" Wohnungen gemeint sind, landen alle Niedrigverdiener in irgendwelchen "Löchern". Wenn nur die Wohnungen gemeint sind, in denen man schon wohnt, hilft es wie so oft denen, die schon "im System" sind - wer neu dazukommt hat es umso schwerer.

    Wäre die einfachste Lösung nicht, dass der Staat, die Kirchen oder Gewerkschaften den Wohnungsbau übernehmen. Der Staat baut auf seinen oder neu ausgewiesenen Flächen einfach selber (oder über Gewerkschaften etc.) Wohnungen: keine Finanzhaie, keine Gewinnmargen. Das müsste doch eigentlich perfekt funktionieren. Warum macht man das nicht? Liegt im Bauen, Erhalten und Vermieten von Wohnungen irgendeine Leistung, die der Staat nicht ganz trivial selber erbringen kann? Wenn dem so ist, müsste man ja genauer über diese Leistung reden und wie man Menschen dazu bringt diese Leistung zu vollbringen - sei es als private Vermieter oder als staatlich nagestellte Verwalter.

  • Das macht schon Sinn, so käme man ganz unverhofft an die intimsten Vermögensdaten auch der Leute ran, die noch nicht unter dem Hartz Regime stehen. Dagegen ist der MicroZensus ein Waisenknabe. Wer es hat, kriegt natürlich die bessere Wohnung und bleibt diskret unausgekundschaftet.