Fortschrittliche Biokraftstoffe: Nicht alles Gold, was glänzt

Klimaschützen mit Pommes essen, wie schön wär’ das denn! Doch leider haben Biokraftstoffe aus gebrauchtem Speiseöl oder Holz ein paar Haken.

Eine Portion Pommes Frtes schwimmt im Pool

Die Freibadsaison geht los! Wie wäre es mit einer Portion Pommes und einem guten Gewissen? Foto: F. Anthea Schaap/imago

Berlin taz Kraftstoffe aus Mais, Weizen, Raps oder gar Palmöl sind schon länger in Verruf geraten. Inwieweit sie Autos, Lkws oder Flugzeuge klimafreundlicher antreiben als fossile Kraftstoffe, ist, vorsichtig gesagt, umstritten. Zudem belegt der Anbau dieser pflanzlichen Rohstoffe Ackerflächen, die für Nahrungs- oder Futtermittel dann nicht mehr zur Verfügung stehen.

Daher arbeitet die Bundesregierung an einem Gesetz, mit dem die Produktion herkömmlicher Biokraftstoffe bis 2030 auslaufen soll. Stattdessen setzt die Ampel auf Elektromobilität, Wasserstoff – und auf sogenannte fortschrittliche Biokraftstoffe. Diese definiert der Gesetzgeber in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie als Kraftstoffe aus Abfall- und Reststoffen. Das sind etwa Frittierfette, tierische Fette, Stroh und Altholz.

Nach Hochrechnungen des Bundesumweltministeriums sollen Kraftstoffe aus Abfällen 2030 insgesamt 94 Petajoule Energie im Verkehr liefern. Das würde 5 Prozent des Energieverbrauchs im Verkehr insgesamt entsprechen und wäre fast doppelt so viel, wie bislang vorgesehen war. Laut Umweltministerium liefern sie bislang rund 0,2 Prozent der im Verkehr verbrauchten Energie.

2,6 oder 5 Prozent klingt nicht nach viel. Dahinter stehen jedoch große Mengen an Biomasse: Wollte man die Quote von 2,6 Prozent etwa mit Stroh und Holz decken, benötigte man 6,7 Millionen Tonnen, für 5 Prozent entsprechend um die 13 Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Das Deutsche Biomasseforschungszentrum schätzt die bislang ungenutzte Menge an Stroh in Deutschland auf jährlich 8,5 Millionen Tonnen.

Wie nachhaltig ist das Ganze?

Die spannende Frage ist, ob die grünen Min­is­te­r:in­nen Steffi Lemke (Umwelt) und Cem Özdemir (Landwirtschaft) im Fall der Abfallkraftstoffe jetzt den Fehler wiederholen, den die Amtsvorgänger vor Jahrzehnten mit Kraftstoffen aus Getreide gemacht haben: nämlich deren Potenzial zu überschätzen und eine Indus­trie aufzubauen, die sich am Ende doch nicht als nachhaltig erweist.

Das fängt mit den Begriffen „Abfall“ oder „Reststoff“ an: In dem maßgeblichen Anhang der entsprechenden EU-Richtlinie, der die Rohstoffe definiert, taucht etwa unter anderem auch „sonstige Lignocellulose“ auf, ein Holz­bestandteil. „Das heißt, alles Holz aus dem Wald, was weder ins Sägewerk noch in die Furnierfabrik geht, könnte als Reststoff gelten“, sagt Horst Fehrenbach, der sich im Heidelberger Ifeu-­Institut mit der Nachhaltigkeit von Biomasse befasst. „Es herrscht aber schon heute ein enormer Nutzungsdruck auf den Wald, durch Biomassekraftwerke und Holzheizungen“, so Fehrenbach, „der würde sich verstärken.“ Mehr Holz aus dem Wald zu nehmen als bislang entspreche nicht dem, was unter einer nachhaltigen Waldwirtschaft zu verstehen sei, sagt Fehrenbach.

Auch die Rohstoffbasis für fortschrittlichen Biodiesel ist begrenzt. „Es fallen zwar größere Mengen gebrauchte Speiseöle und Tierfette an“, sagt Daniel Rieger, Leiter Verkehrs­politik beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu), „doch gemessen am Energiebedarf des Verkehrssektors sind sie dann doch eher klein.“ Zwar sei es sehr gut, dass gebrauchte Speiseöle sowie Tierfette nicht einfach weggeworfen würden.

„Wichtiger wäre es aber, diese Mengen zu ­reduzieren“, sagt Rieger: „Wir müssen runter mit den Beständen in der Massentierhaltung, das fordern Klima-, Arten- und Tierschutz.“ Insofern stünden künftig eher weniger dieser Rohstoffe zur Verfügung. Gebrauchte Frittier­fette müssten zudem stärker kon­trol­liert werden, fordert Rieger.

Die meisten der hier verarbeiteten Fette kommen aus China, Malaysia, Bangladesch. Schon oft entpuppte sich vermeintliches Altöl aus der Pommes­bude bei Stichproben als Palmöl. Ein größeres Potenzial sieht Nachhaltigkeitsexperte Fehrenbach beim Stroh: „Hier verfügen wir tatsächlich über relevante Mengen, die wir noch nutzen können.“ 30 bis 40 Prozent des derzeit bei der Getreideernte anfallenden Strohs könnten zu Biomethan oder Bioethanol verarbeitet werden, ohne etwa den Humuserhalt auf den Äckern zu gefährden. Zusammenfassend lässt sich sagen: Einzeln betrachtet sind jedem einzelnen Stoffstrom aus Biomasse deutliche Grenzen gesetzt.

Gas, Öl und Kohle aus Klärschlamm

Die Rohstoffbasis für fortschritt­liche Kraftstoffe müsse daher möglichst breit sein, sagt Matthias Franke, Leiter des Standorts Sulzbach-Rosenberg des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht). Flüssige Kraftstoffe seien auch dann nötig, wenn Pkws fast gänzlich elektrisch führen, sagt Franke. „Flugzeuge oder Schiffe benötigten auch künftig Kraftstoffe, sie sind schwer elektrifizierbar“, sagt der promovierte Abfallwirtschaftler und Inge­nieur.

Um diese Kraftstoffe zu liefern, hat Umsicht ein Verfahren entwickelt, in dem etwa Klärschlamm, Gärreste aus Biogasanlagen, Grünschnitt oder auch Biomüll verwendet werden kann. Unter Ausschluss von Sauerstoff werden die Reststoffe bei rund 450 Grad für 15 Minuten in einem speziellen Reaktor erhitzt. Dabei entstehen Dampf und ein Feststoff, eine Art Kohle. Sie reagiert in einem zweiten Schritt nochmals gezielt mit dem Dampf. „Das erhöht die Qualität der späteren Produkte Gas und Öl deutlich“, sagt Franke. Am Ende des Prozesses kommen Gas, Öl, Kohle und Wasser heraus.

Das Öl sei thermisch stabil und könne in Raffinerieprozesse eingespeist werden, um daraus etwa Normkraftstoffe oder andere petrochemische Produkte zu erzeugen, sagt Franke: „Das kennen wir so von keinem anderen Prozess, der biogene Einsatzstoffe nutzt.“ Derzeit arbeiten die Wissenschaftler mit der Raffinerie Bayernoil an einer Anlage, in der künftig 3 Tonnen Einsatzmaterial pro Stunde verarbeitet werden soll. So käme man auf eine Produktion von bis zu 1,6 Millionen Liter Kraftstoff im Jahr. Ende 2023 soll die Anlage in Betrieb gehen.

Das Biokraftstoffunternehmen Verbio produziert an seinen Raffinerie­standorten Schwedt und Pinnow schon heute Biomethan in industriellem Maßstab. Es besitzt die gleiche Qualität wie Erdgas, kann es in allen Anwendungen ersetzen und somit auch ins Erdgasnetz eingespeist werden. Verbio setzt dabei auf biotechnologische Verfahren: In Bioreaktoren wird Stroh unter Zugabe von Bakterien in 30 bis 150 Tagen schrittweise zu Biomethan vergoren.

Knackpunkt industrielle Produktion

Insgesamt machen fortschrittliche Biokraftstoffe bei der Leipziger Unternehmensgruppe Verbio ein Viertel der Produktion aus. Vergangenes Jahr habe man beschlossen, 300 Millionen Euro in Ausbau der Produk­tions­kapazitäten für Biokraftstoffe aus Reststoffen zu investieren, bis 2023 sollen diese Produktionskapazitäten verdoppelt werden, wenn Bauvorhaben und Genehmigungsverfahren planmäßig verlaufen, sagt Unternehmenssprecherin Ulrike Kurze. Anlagen und Technologie hat Verbio hausintern entwickelt. „Knackpunkt hierbei ist immer die großindustrielle Anwendung“, erklärt die Sprecherin: „Im Labormaßstab geht immer vieles, was im industriellen Maßstab hinterher nicht wirtschaftlich funktioniert.“

Mit allmählich sinkenden Quoten für Agrarkraftstoffe könne man leben, sagt Kurze. „Was die Politik jetzt beschließt, muss aber verlässlich sein“, so Kurze. Bei Verbio sei man sich darüber im Klaren, dass die Zukunft bei fortschrittlichen Kraftstoffen liege, dazu brauche man keine neue „Tank-Teller-Debatte“, die den Kapitalmarkt verunsichere und dringend benötigte Investitionen in neue Anlagen erschwerte.

Denn die werden gebraucht: Laut Fehrenbach vom Heidelberger Ifeu-Institut müssten, um 2030 die 5-Prozent-Quote mit fortschrittlichen Kraftstoffen zu erfüllen, jährlich 40 Anlagen gebaut werden, um Bioethan und Biomethan zu produzieren. Ob diese Biokraftstoffe dann am Ende auch im Tank landen sollten, sei eine ganz andere Frage: „Die verfügbaren Mengen machen im Verkehr nur 5 Prozent aus“, sagt Fehrenbach, „in der Industrie könnten sie aber 30 bis 40 Prozent der benötigten Energieträger ausmachen.“

Es geht darum, da sind sich im Grunde die meisten Experten einig, den Bedarf aller Sektoren zu ermitteln und mit dem Potenzial von Rohstoffen abzugleichen. Es erscheine oft, sagt Fehrenbach, als rufe ein Stoffstrom lauthals „Nutze mich!“ Aber wenn man genauer hinhöre, sei er schon längst verplant.

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