piwik no script img

Ernährung von BabysDie beste Alternative

In den USA wird wegen Verunreinigungen die Babynahrung knapp. Warum nicht einfach stillen? Weil es weder „gratis“ noch „stets verfügbar“ ist.

Stillen ist auch kein Schalter, den man einfach an- und ausknipsen kann Foto: imago

D ie erste Maschine voller Babynahrung aus Ramstein ist am Montag in den USA gelandet. Per Luftbrücke wird nun gegen den Mangel an Säuglingsnahrung vorgegangen. Außerdem hat US-Präsident Joe Biden ein für Kriegszeiten gedachtes Gesetz aktiviert, um die Produktion vor Ort anzukurbeln. Babynahrung hat jetzt Vorrang. Viele Fragen drängen sich auf. Eine ist: Wo waren eure Prioritäten?

Grund für den Mangel ist, neben Problemen in der Lieferkette, eine eingestellte Fabrik von Abbott Nutrition, dem größten US-Hersteller von Babymilch. Abbott musste mehrere Produktlinien zurückrufen wegen möglicher bakterieller Verunreinigung. Vier Säuglinge waren erkrankt, zwei verstorben. Ein Horror. Abbott muss die Sicherheitsstandards nun erhöhen.

Viele Eltern in den USA suchen nun verzweifelt nach Babynahrung. Ex­per­t*in­nen warnen davor, selbst zu mischen. Eine Lage, aus der man viele politische Forderungen ziehen könnte. Für einige Leute, auch Sängerin Bette Midler, schien aber folgende Reaktion auszureichen: „Dann stillt doch.“ Das sei „gratis und stets verfügbar“, schrieb sie auf Twitter.

Doch das stimmt beides nicht ganz. Für viele Eltern ist Stillen nicht „stets verfügbar“. Weil sie nicht genug oder keine Milch produzieren können. Weil sie keine Brüste haben. Weil sie Medikamente nehmen oder Adoptiveltern sind. Weil sie überlastet sind oder suchtkrank. Gerade in den USA müssen viele Eltern kurz nach der Geburt wieder arbeiten. Stillen ist auch kein Schalter, den man einfach an- und ausknipsen kann. Es gibt Babys, die nicht an der Brust trinken können oder wollen. Und es gibt Menschen, die nicht stillen wollen.

Stillen ist auch nicht „gratis“. Die Milch ist griffbereit, körperwarm und kostet kein Geld, aber das Drumherum schon. Gute Still-BHs sind teuer, verhindern aber einen schmerzhaften Milchstau. Stilleinlagen, ob Einweg oder waschbar, kosten Geld. Gerade in den ersten Monaten fühlt man sich oft wie ein undichter Milchtank, und ich für meinen Teil habe angefangen, meinen Vollmilchkonsum ernsthaft zu hinterfragen, denn plötzlich kam mir das alles sehr viel grausamer vor. Was Stillen aber vor allem kostet, ist Zeit. Und Zeit ist Geld. Wer sich fürs Stillen entscheidet, legt meist schon fest, wer zuerst und oft länger zu Hause bleibt. Wer dazu sagt: „Pump halt ab“, hat wahrscheinlich noch nie abgepumpt. Das kann schwierig sein und dauern. Es geht da um Milliliter und nicht um Liter wie beim Oktoberfest. Auch hier entscheidend: gutes Equipment.

„Stillen ist das Beste fürs Kind“, heißt es immer. Und ich will das gar nicht infrage stellen. Ich habe gern gestillt. Doch es ist auch keine Schwäche, Säuglingsnahrung zu füttern. Das ist kein Crack. Es ist die beste Alternative und wird zumindest in Deutschland streng kontrolliert. Die Verfügbarkeit von Säuglingsnahrung sollte Priorität haben und mit so viel politischem Druck durchgesetzt und kontrolliert werden, wie es derzeit nur bei Benzin passiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Saskia Hödl
Autorin
Jahrgang 1985, ist freie Autorin in Wien und schreibt über Politik, Medien und Gesellschaft. Ehemalige taz panter Volontärin, taz eins Redakteurin und taz2&Medien Ressortleiterin.
Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Zeitautonomie



    Während meiner Arbeit im ländlichen Simbabwe haben 99% aller Zimbabwerinnen nach ihrer Entbindung gestillt. Dies mag notwendig gewesen sein, weil es keine andere Wahl gab. Wenn Frau Hödl schreibt “Zeit ist Geld”, sollte die logische Schlussfolgerung sein, dass mensch ein ausreichendes und bedingungsloses Grundeinkommen erhält. Mit dieser Zeitautonomie kann jede Frau wählen und entscheiden, ob sie stillen will.

    • @Reinhard Huss:

      Nicht jede. Körperliche Voraussetzungen müssen gegeben sein - siehe Artikel.



      Richtig ist: schnell Geld verdienen müssen fällt als Hindernis weg und die Mutter hat frei von finanziellen Gründen Wahlmöglichkeiten.



      Von daher: selbstverständlich ja zum bedingungslosen Grundeinkommen!

    • @Reinhard Huss:

      Oder, anders ausgedrückt: ein bedingungsloses Grundeinkommen würde dazu führen, dass der Druck auf Mütter, nicht zu arbeiten, steigen würde, weil sie ja versorgt sind, dass der Gender Pay Gap steigen würde und Kindererziehung wieder mehr Mama-Job wäre. Gerade das Stillen wird ja gerne als Argument gebraucht, warum Männer sich angeblich nicht in gleichem Maße um Kinder kümmern können.

  • Das größte Problem ist ja, dass eine mutter nicht einfach wieder zurück kann, wenn das Baby einmal die Flasche kennenlernen durfte.



    Es geht, aber ist mit noch mehr Zeit verbunden als von Anfang an zu stillen. Und geht vor allem nicht von jetzt auf gleich, weil die Ersatznahrung nicht mehr erhältlich ist.



    Andererseits ist es langfristig tatsächlich eine sinnvolle Strategie, das Stillen auch in den USA wieder populärer zu machen. Doch im Moment können selbst Eltern von Neugeborenen nicht auf die Unterstützung setzen, obwohl sie einfach nur nicht mit Milchpuver anfangen müssten. Wäre schön, wenn das reichen würde.

  • "Abbott musste mehrere Produktlinien zurückrufen wegen möglicher bakterieller Verunreinigung. Vier Säuglinge waren erkrankt, zwei verstorben."

    Es könnte noch erwähnt werden, dass der Tod der beiden Babys dann doch nicht auf das Konto der Industrie ging...

    Ansonsten ist Babymilchpulver i.d.R. keine Aufgabe des Staates.

    Daher kann ich den Appell nicht nachvollziehen:

    Die Verfügbarkeit von Säuglingsnahrung sollte Priorität haben und mit so viel politischem Druck durchgesetzt und kontrolliert werden, wie es derzeit nur bei Benzin passiert.

    Klar, aktuell in den USA schon. Aber grundsätzlich?

    • @Strolch:

      Klar grundsätzlich. Der Staat will schließlich auch mehr Kinder, mehr Familien, mehr neue Steuer- und Rentenversicherungsein-Zahler.

  • 4G
    41316 (Profil gelöscht)

    Man könnte auch anstatt Bette Middler einfach anzugreifen, darüber reden das eine Gesellschaft, die will das Frauen arbeiten und Kinder bekommen, diesen auch bezahlten Mutterschutz ermöglichen muss. Denn wenn alle Frauen die theoretisch imstande und willens wären, die Möglichkeit hätten, wäre zumindestens der Bedarf geringer. Und sei es weil es viel mehr Hybrid Modelle gäbe

  • Habe ich es nur überlesen? Wichtig ist auch zu wissen, dass stillende Mütter die Brust zeigeb müssten, was im konservativen Amerika garnicht geht.

  • 0G
    03998 (Profil gelöscht)

    Dahinter steckt noch eine ganz andere Problematik. Früher wurde mit allerlei Argumenten und sanftem Druck versucht Frauen vom Stillen abzuhalten. In den Geburtskliniken wurden Milchpulver-Proben verteilt und ich bin mir sicher, dass - wer auch immer - finanziell davon profitiert hat. Diese beliebten Einladungen für Ärzte und deren Ehefrauen zu "Kongressen" in teure Hotels am Meer nur als Beispiel.



    Verheerend war es in ärmeren Ländern wo die Frauen aus Geldmangel das Milchpulver gestreckt haben oder unsaubere Fläschchen verwendet haben - viele Säuglinge sind gestorben. Die Frauenbewegung hatte einen großen Anteil daran(La Leche League zum Beispiel) Frauen wieder fürs Stillen zu gewinnen, nicht zuletzt um diesen Bereich Konzernen wie Nestle zu entreißen. Aber wie in vielen anderen Bereichen(Abortion)wo es um Kontrolle über den weiblichen Körper geht, bewegen wir uns gerade rückwärts.

  • „Es gibt alarmierende Beweise dafür, dass der Verkauf von Säuglingsnahrung direkt zum Tod von Säuglingen führt und dass die Werbepraktiken der Säuglingsnahrungsindustrie hauptsächlich dafür verantwortlich sind.“

    „Das zynische Geschäft mit Säuglingsnahrung



    Muttermilchersatz ist ein Milliardengeschäft für Konzerne wie Nestlé oder Danone. Sie verkaufen ihre Produkte gezielt in Entwicklungsländern - und gefährden damit nach Ansicht von Wissenschaftlern die Gesundheit Hunderttausender Kinder.“



    zu ergänzen ist, dass sich das mit Sicherheit nicht auf Entwicklungsländer beschränkt.

    www.spiegel.de/wir...gen-a-1208128.html

    Nestle Skandale stellvertretend für die Praktiken der Lebensmittelindustrie:



    www.stern.de/wirts...jahre-6475346.html

    und jetzt gibt man den Retter, womöglich auf Kosten abhängig gemachter ärmerer Länder bzw. Regionen



    www.spiegel.de/wir...-8b65-a8513ec0e4b2

  • "... wie es derzeit nur bei Benzin passiert."

    Danke.