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Mutmaßliche KriegsverbrechenWas tun. Irgendwas

Die EU und Berlin versuchen, angemessen auf die Bilder aus der Ukraine zu reagieren. Ein Stopp für Energieimporte aus Russland ist umstritten.

Butscha, 3. April: ukrainische Militärhunde, im Hintergrund ein toter russischer Soldat Foto: Rodrigo Abd/ap

BERLIN/BRÜSSEL taz | In einem ist man sich in Europas Hauptstädten am Montag weitestgehend einig: Die neuesten Bilder aus der Ukraine sind erschütternd. „Wir sind in Schockstarre“, sagt in Berlin der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour. In Brüssel zeigt sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell entsetzt über die Bilder von Leichen aus Butscha. „Wir sind solidarisch mit der Ukraine und dem ukrainischen Volk in diesen düsteren Stunden“, sagt er.

Was daraus folgt? Die Bundesregierung orientiert sich am Abend am Beispiel anderer EU-Staaten und weist 40 russische Di­plo­ma­t*in­nen aus. In Brüssel wird damit gerechnet, dass die EU-Finanzminister bei ihrem Treffen in Luxemburg am Dienstag über neue Sanktionen sprechen werden. Am Mittwoch könnten dann die EU-Botschafter die Weichen dafür stellen. Die EU hatte schon in der vergangenen Woche neue Sanktionen angekündigt. Zunächst wurde aber nur daran gedacht, die bestehenden Strafen gegen Banken und Oligarchen „wasserdicht“ zu machen und noch einige Personen zur „schwarzen Liste“ hinzuzufügen.

Einzelnen EU-Mitgliedern reicht das jetzt nicht mehr. Wegen der Verbrechen von Butscha wird nun wieder über ein Embargo gegen Öl und Gas aus Russland diskutiert, das einstimmig beschlossen werden müsste. Als größtes Hindernis dafür gilt die deutsche Bundesregierung. Zwar stemmen sich auch noch Österreich und Ungarn gegen ein Energieembargo, doch wenn Berlin umdenken sollte, würden wohl auch Wien und Budapest folgen.

Ob es dazu kommt? In Berlin schließt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ein sofortiges Embargo weiterhin aus. Er peilt an, bis Mitte des Jahres auf russische Kohle und bis Ende des Jahres auf russisches Öl zu verzichten. Aber die geordnete Abkehr vom Gas aus Russland, Deutschlands größter Abhängigkeit, dauert länger: voraussichtlich bis 2024. Dass Habeck die Gazprom Germania GmbH, die in Deutschland Gasspeicher und -leitungen betreibt, unter Treuhandschaft der Bundesnetzagentur stellt, ändert daran erst mal nichts. Der Schritt diene, so Habeck am Montag, der „Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit“.

Steinmeier räumt Fehler ein

Auch andere Ver­tre­te­r:in­nen der Ampel zögern in der Boykottfrage – vor allem wegen möglicher Folgen für die deutsche Wirtschaft. Wirtschaftsexperten warnen vor einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukt um bis zu 6 Prozent. Doch ist der Schutz von Arbeitsplätzen in Deutschland wirklich so viel wichtiger als der Schutz von Menschenleben in der Ukraine? In den Ampelparteien wachsen die Zweifel. Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hatte am Sonntag in der ARD als Reaktion auf die Massaker an Zivilisten gesagt, solche Verbrechen dürfen nicht unbeantwortet bleiben. Auf die Frage nach einem Stopp von Gaslieferungen aus Russland, antwortete sie, genau das müsse im Kreise der EU-Minister besprochen werden. Damit ist sie die erste, die öffentlich bereit ist, zumindest neu nachzudenken.

Die Forderung nach einem sofortigen Energieembargo sei moralisch richtig, so der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Michael Roth (SPD) gegenüber der taz: „Ich finde es schrecklich, dass wir täglich fast 1 Milliarde Dollar auf russische Staatskonten überweisen.“ Aber er halte es für zwingend notwendig, die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Kosten in den Blick zu nehmen. Er habe eine Exitstrategie vorgeschlagen und erwarte von EU und Bundesregierung, dass geprüft werde, „wie wir uns schnellstmöglich aus der Abhängigkeit lösen können.“ In der Frage der Energieabhängigkeit äußert sich seitens der SPD am Montag auch erstmals Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier selbstkritisch. „Mein Festhalten an Nord Stream 2, das war eindeutig ein Fehler“, sagt er.

Am schwersten tun sich mit der Frage des Energie­boykotts in der Ampelkoalition wohl die Grünen

Am schwersten tun sich mit der Frage des Energieboykotts wohl die Grünen, die lange vor der Abhängigkeit von Russland warnten, jetzt aber mit den Folgen umgehen müssen. Mehrheitlich stützt die Partei weiterhin den Kurs ihrer Regierungsmitglieder. „Wir haben unseren Gasverbrauch aus Russland massiv reduziert und werden es weiter fortsetzen müssen“, sagt Parteichef Nouripour. Aber auch er lehnt einen sofortigen Ausstieg aus, warnt vor einer „partiellen Deindustrialisierung“: Es sei „nicht so einfach, von jetzt auf sofort alles runterzufahren“.

Öffentlich stellen bisher nur einzelne Grüne diesen Kurs in Frage. Der wohl prominenteste ist Exfraktionschef Toni Hofreiter. Deutschland müsse sich, „auch wenn es noch so schwierig ist, dazu durchringen, ein Energieembargo gegen Russland zu verhängen“, sagt er. Auch Marieluise Beck (Exabgeordnete) und Ralf Fücks (ehemaliger Vorsitzender der Böll-Stiftung), gerade von einer Reise nach Kiew zurückgekehrt, fordern am Montag konsequente Sanktionen.

„Wir müssen jetzt die Bazooka einsetzen, um die russische Wirtschaft so lahmzulegen, dass die Kriegsfähigkeit des Regimes untergraben wird“, sagt Fücks. Wenn ein kompletter Energieboykott nicht möglich sei, seien zumindest Teilschritte nötig. „Ich gehe davon aus, dass zumindest ernsthaft geprüft wird, wie schnell sich ein Öl- und Kohleimportstopp umsetzen lässt“, sagt Fücks. Auch der Europa-Abgeordnete Reinhard Bütikofer und der Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin fordern, beim Öl anzusetzen. Ein Vorteil wäre hier, dass auf dem Weltmarkt schneller als beim Gas Ersatz zu besorgen ist.

Es gibt noch weitere Vorschläge unterhalb der Schwelle eines Boykotts: Sonderzölle auf russisches Gas oder Zahlungen auf ein Sperrkonto, auf das die russische Seite erst Zugriff erhielte, wenn der Krieg endet.

Schon am Wochenende hatten die Grünen, angeführt von Parteichefin Ricarda Lang, zudem einen neuen Vorstoß für ein Tempolimit gewagt, um den Ölverbrauch zu senken. Am Ende müsste da aber auch die FDP mitmachen. Auf Twitter spottete FDP-Fraktionsvize Alexander Lambsdorff: „Wegen Inflation, wegen Ukraine, wegen Finanzkrise, wegen Migration, wegen was auch immer: Grüne fordern Tempolimit.“

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